„Wie weiter?“: Eine Buchbesprechung

von | 20. Aug. 2022 | Deutschland und die Welt

„Kritik und Doktrin des organisierten Nationalismus“, lautet der Untertitel des in 2021 im Verlag der nationalrevolutionären Partei Der Dritte Weg erschienen Buches „Wie Weiter?“. Die den Titel zeichnende Frage dürfte sich so mancher Zeitgenosse mehr als einmal gestellt haben – insbesondere jene, die selber einen erheblichen Teil des im Buch behandelten Zeitstrahls erlebten. Der Titel lehnt sich sicher an dem berühmten Werk von W.I. Lenin „Was tun?“, an. Der Autor versucht dabei in große Fußstapfen zu treten. Gilt das letztgenannte Werk doch zur wesentlichen Revolutionsgeschichte, nicht nur der Russlands, sondern im Allgemeinen auch dem Studium der Revolution an sich. Wer die Geschichte der Sozialdemokratie Russlands, aus der später die Bolschewiki hervortraten, verstehen will, und ebenso wie die Revolutionen von 1905 und 1917 zustande kommen konnten, der wird an diesem Werk nicht vorbeikommen. Angenommen, „Wie weiter?“ hat das Zeug, in diese großen Fußstapfen zu treten, wäre es doch eine vertane Sache, solche Bemühungen von dem Autoren Heinrich Wolf zu ignorieren. Die Faszination, die von diesem Titel ausging, ergriff nun auch den Rezensenten, der weder Parteimitglied beim Dritten Weg ist, noch sich selbst als „nationalrevolutionär“ bezeichnen würde. Vielmehr versteht sich der Besprechende als Theoretiker und Analytiker. Eine Lektüre über eine ernstgemeinte Kritik über Bestandteile der deutschen Rechten betrachtet selbiger demnach als seine Pflicht.

Eine ernstgemeinte Kritik

Zunächst sei positiv hervorgehoben, dass der Autor hier eine ernstgemeinte und wie der Rezensent meint auch ernstzunehmende Kritik an den sog. „Nationalen Widerstand“ übt, die in dieser doch recht sachlich formulierten und wenn auch an einigen Stellen ausschweifend, dennoch hinreichend gebotenen Form längst überfällig war. Wolf feiert sich indirekt selbst, indem er auf diesen Umstand hinweist, was der Rezensent allerdings an dieser Stelle einschränken möchte. Versuche die Lage der Rechten im Allgemeinen und des sog. „Nationalen Widerstandes“ im Besonderen zu analysieren und auch schriftlich darzulegen, gab es bereits im Vorfeld mehrfach – nur wurden diese eben nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Der Rezensent selbst hat mehrfach an Gremien und auch schriftlichen Analysen teilgenommen, die jedoch für Dritte nicht einsehbar waren. Es wird daher davon ausgegangen, dass dem Autor dieser Umstand einfach nicht bewusst war. Grundsätzlich muss jedoch eingestanden werden, dass eine derartig umfangreiche Kritik – der erste Teil des Buches mit dem Namen „Kritik“ umfasst über 140 Seiten – bisher einmalig ist. Insbesondere, da sie schonungslos, ungeschönt und ehrlich erhoben wird, ohne dabei sich selbst oder die eigene Partei, die ebenfalls andeutungsweise kritisiert wird, zu erhöhen. Das macht das Lesen dieser Lektüre sehr sympathisch und glaubwürdig – zumindest erscheint es so, dass dem Autor an einer Annäherung an die Wahrheit gelegen ist.

Zwei Flügel der nationalen Bewegung?

Doch bereits zu Beginn der Kritik ab Seite 35 macht der Autor einen eklatanten Fehler, indem er die „Nationale Bewegung“ in zwei Flügel aufteilt. Er sieht sie auf der einen Seite im revolutionären Aktivistenumfeld und auf der anderen in der bürgerlichen Reaktion. Damit unterteilt der Autor fälschlicherweise die Rechte oder die „Nationale Bewegung“ gewollt oder ungewollt in zwei Ebenen, die nicht zwangsläufig miteinander verbunden sind. Zum einen stellt er die Aktion – für Lenin ist das die Erfahrung, die zwar der Aktion folgt, die aber ohne Theorie keine Nachhaltigkeit erzeugt – als das revolutionäre Moment heraus, und zum anderen leitet er bei ersterem eine historisch entstandene Affinität zum Dritten Reich ab, während letztere sich durch Reaktion und Distanzierung von erster hervortut. Damit hebt er die Aktion auf eine weltanschauliche oder, abstrakt formuliert, historische Liebhaberei, während vom historischen Nationalsozialismus abweichende Weltanschauungen als per se reaktionär, also der Revolution entgegenstehend betrachtet werden.[1] Der Autor macht den Fehler, genauso wie die meisten Beobachter, dass er Parteien als einen weltanschaulichen Monolithen betrachtet, obgleich auch Parteien wie die SRP und DRP – damals – oder die AfD und NPD – heute – sehr heterogen waren bzw. sind und gar nicht so einfach weltanschaulich kategorisiert werden können. So kommt der Autor auch zum Schluss, die NPD als eher reaktionär bürgerlich einzuordnen, obgleich diese geschichtlich mehrere Phasen durchlief. Es gab Zeiten, da war sie programmatisch-inhaltlich radikaler als ihr Erscheinungsbild. Genauso gab es den umgekehrten Fall, dass die Partei nach außen hin radikaler auftrat, obgleich das Programm sich sukzessive verwässerte. Im Allgemeinen hält es der Rezensent nicht für geboten, die Rechte oder die „Nationale Bewegung“ in nur zwei Flügel zu unterteilen. Auch ideengeschichtlich gab es zunehmend eine Vermischung der drei Urideologien (Konservatismus, Liberalismus, Sozialismus/Kommunismus). Die Richtungen und Tendenzen dieser Bewegungen zwischen der Triade wechseln stetig. Aus Platzgründen wird hier auf eine genaue Ausführung verzichtet, was ggf. an anderer Stelle noch einmal vertieft wird.[2]

Die Einigkeit existiert nicht und das ist auch gut so

Das gesamte Werk scheint darauf abzuzielen, dass der Autor eine aus seiner Sicht revolutionäre Bewegung als Einheit forcieren möchte. Heinrich Wolf verwendet dafür den Begriff des „radikalen Nationalismus“. Doch auch die Geschichte zeigt immer wieder – und letztlich zeigte dies vor allem die Russische Revolution – dass es nicht auf die Einheit der Bewegung ankam, sondern auf die Arbeitsteilung innerhalb der Vielfalt. Lenin hatte nämlich die Aktion nicht als das grundlegende Moment, sondern die dadurch entstehende Erfahrung der Akteure in den Mittelpunkt gerückt. Es muss demnach eine Vielfalt von Aktionen und auch Klassen geben, die sich an dem Kampf beteiligen, damit es insgesamt zu einem „breitflächigen Herdenbrand“ kommt. Die Radikalen können und sollen sich daher sogar unterschiedlich gerieren und dafür Sorge tragen, dass die „einzelnen Brandherde“ zum „großen Feuer“ getrieben werden. Das hat nichts mit einer „Mosaikrechten“ zu tun, wie sie von einigen Zeitgenossen naiver Weise postuliert oder sogar herbeigeredet wird, sondern ist ein tatsächlich historischer Prozess am Vorabend von Revolutionen.

Eine neue (?) Doktrin

Im zweiten Teil versucht der Autor eine Doktrin zu zeichnen. Abgleitet von dem lateinischen Wort doctrina versteht man darunter eine „Lehre“. Er skizziert zunächst auf mehreren Seiten den Mangel rechter Strategien in der Nachkriegszeit, um die Ausarbeitung einer solchen zu proklamieren. Auch hier wird wieder deutlich, dass der Autor so ziemlich von einer einheitlichen Gangart ausgeht, die die „Nationale Bewegung“ gehen müsse. Das durchaus nicht neue Konzept vom Kader bzw. der Kaderbildung und des Berufsrevolutionärs sticht dabei besonders für den Rezensenten hervor. Ist er doch selbst in einer Zeit in die politische Rechte hineingekommen, wo diese Forderung rege bekräftigt und wiederholt wurde. Sehr begrüßenswert ist die Duldsamkeit, die Wolf mit seinem Postulat vertritt lieber einen „Marathon statt (einen) Sprint“ laufen zu wollen. Diese im Stoizismus vor allem veranlagte Geduld fehlt dem Revolutionär von Natur aus. Lenin hat die Geduld als die höchste Tugend des Revolutionärs bezeichnet. Handelt es sich doch um ein Paradoxon, dass ausgerechnet jene, die eine (radikale) Veränderung ersehnen, sich in Geduld üben sollen. Auch die Forderung, von dem großen Machiavelli zu lernen, las der Rezensent mit Genugtuung. Auf der Seite Gegenstrom – Plattform für Rechte Metapolitik wurde dies mehrfach thematisiert (siehe u. a. hier oder hier).

Obgleich der Autor mit den im Kapitel „Eine neue Doktrin“ aufgeführten Punkten für die von ihm postulierte Bewegung sicherlich hilfreiche strategische Formaspekte formuliert, fehlt eine der Strategie und Taktik Inhalt gebende Vision. Er zählt die kommunistischen und sozialistischen sowie andere linksradikale Doktrinen auf, ohne dabei das Wesentlichste zu eruieren. Hier sind, gemäß dem dialektischen Kategorienpaar, Inhalt und Form möglichst identisch oder nähern sich einander an. Eine visionäre Doktrin, wie der historische Materialismus „als geschichtliche Wahrheit“ oder der Entrismus als kurzfristige Taktik, der eine inhaltsschwangere Strategie vorausgeht (der reine Organisations-Entrismus hatte nie funktioniert, jedoch der kulturelle oder ideologische schon), werden hier mehr als formgebende strategische Konzepte betrachtet. Auch die Aussage, dass die ukrainische nationale Bewegung „als eine der besten und erfolgreichsten (…) in Europa gelten“ (S. 289) könne, zeigt, dass der Autor Inhalt und Form miteinander verwechselt. Der ukrainische Nationalismus zeichnete sich großenteils durch eine antirussische Haltung aus. Die Natiokratie, welche als ukrainische Ideologie bezeichnet werden kann, ist ähnlich dem Neofaschismus in Italien nur den wenigsten Nationalisten oder Faschisten bekannt. Ganz gleich, wie viel Einigkeit momentan aufgrund des Krieges in der Ukraine auch unter den Ukrainern herrschen mag, von einer wirklichen nationalen Bewegung, die ein positives Selbstbild besitzt, ist diese ebenfalls weit entfernt, was nicht bedeutet, dass dies auch so bleiben muss (auf die ukrainische Identität ist u. a. hier eingegangen worden). Jedoch zeichnet sich eine dauerhaft erfolgreiche Bewegung vor allem durch eine starke, wenn auch manchmal utopische Vision, ein sich daraus ableitendes positives Selbstbild und ein darauf fußendes Sendungsbewusstsein aus. Dies kann und muss vor einer strategischen Formgebung formuliert sein, wenn eine Bewegung erfolgreich sein will. Es gilt die Dreieinigkeit: Mythos, Ritus, Symbol (siehe dazu u. a. den Dreiteiler „Neue Wege gehen“).

Zehn Thesen für die eigene nationalrevolutionäre Partei

Im dritten Teil unterzieht der Autor sich bzw. seine Partei einer durchaus ehrlichen Kritik, was innerhalb der dem Rezensenten bekannten rechten Parteiengeschichte der Nachkriegszeit tatsächlich bisher einmalig sein dürfte. In diesem kürzesten Teil formuliert er zehn Thesen für die politische Arbeit seiner Parteiorganisation, wobei er sich stringent an den vorher, insbesondere in Teil 2, beschriebenen strategischen Formaspekten orientiert. Was die Ausrichtung und inhaltliche Bewertung dieser angeht, möchte der Rezensent explizit keine Ausführungen machen. Dem Autor und den Mitgliedern seiner Partei obliegt es selbst, ihre Gemeinschaft und Organisation zu gestalten. Das kann hier nicht Gegenstand der Besprechung sein, sondern sollte ein parteiinterner Prozess sein.

Für wen ist dieses Buch gedacht?

Abschließend kann der Rezensent das Buch bei aller oben aufgeführten Kritik definitiv empfehlen. Es handelt sich hierbei um ein historisches Werk, in dem der Autor in besonderen Umfang und durchaus in die Tiefe gehend analytisch vorgeht und somit jedem an der Geschichte rechter Politik nach 1945 bis zum heutigen Tage interessierten Leser wichtige Informationen bietet. Das Buch dient sicherlich ebenfalls als eine Art Katechismus für die eigenen Kader der Partei und der sich selbst ernannten nationalrevolutionären Bewegung. Daher kann die Veröffentlichung im Sinne eines Diskussionspapieres durchaus innerhalb dieses Kreises als ambitioniert bezeichnet werden. Was die Nationalrevolutionären daraus machen, steht auf einem anderen Papier. Grundsätzlich ist zu wünschen, dass die Menschen nicht immer wieder die selben Fehler machen. Diesem Umstand entgegenzuwirken, dürfte sich der Autor hiermit verdient gemacht haben.

Das Buch kann hier erworben werden.

Anmerkungen

[1] An dieser Stelle sei noch angemerkt, dass der Autor dennoch die Glorifizierung des historischen NS sowie des Dritten Reiches durchaus kritisch betrachtet. Es wird aber immer wieder beim Lesen des Buches deutlich, dass er sich selbst gewissermaßen daran orientiert.

[2] Es sei an dieser Stelle nur eine kleine Auflistung von Beispielen gestattet, die diesen Umstand verdeutlichen sollen: Reichsdeutsche, Monarchisten – im Übrigen die eigentlichen Konservativen –, Linksnationale, Links-Konservative, Traditionalisten, Neonationalsozialisten, Nationalliberale, Nationallibertäre, Nationalkonservative, Rechtskonservative, Nationalisten, Nationale Sozialisten – im Unterschied zu Neonationalsozialisten –, Nationalanarchisten. Diese unvollständige Liste illustriert die Heterogenität der „Rechten“ oder auch „Nationalen Szene“.