Quo vadis, Deutsche Rechte? – Das große Interview mit Dominik Schwarzenberger – Teil 2

von | 04. März. 2025 | Philosophie & Theorie

Die Rechte ist im Zugzwang. Während die herrschende Klasse zunehmend an Einfluss verliert und sich immer mehr Menschen politisch nach rechts orientieren, sind die Rechten gar nicht auf die verändernden Verhältnisse vorbereitet. Es stellt sich gar die Frage, ob selbige qualitativ den geschichtlichen Anforderungen gewachsen sind. Daher sprechen wir mit unserem Autor, Analysten und Fachmann für Ideengeschichte und Identitätsforschung Dominik Schwarzenberger über das Thema. Schwarzenberger ist Politikwissenschaftler, Historiker und befasst sich seit vielen Jahren mit religionswissenschaftlichen Fragen. Die Redaktion

 

Hier geht es zum vollständigen Interview. 

 

Teil II: Keine rechte Partei mit ernsthaftem Wachstumspotenzial. Die AfD könnte sich aufspalten.

3.   Wirtschaft und Gesellschaft

  • Kapitalismus- und Globalisierungskritik innerhalb der Rechten
  • Libertäre versus etatistische Strömungen
  • Wirtschaftspolitische Alternativen und historische Vorbilder
  • Verhältnis von Staat, Volk und Wirtschaft

 

Kommen wir zum Themenkomplex Wirtschaft. Die Rechte splittet sich auf in eine kapitalismuskritische und eine zunehmend libertäre Richtung. Letzteres scheint gerade auf dem Vormarsch zu sein. Wie ist das einzuordnen und gibt es hier so eine Art Tradition oder würden Sie sagen, dass sich die Rechte hierzu bis heute nicht gefunden hat?

D.S.: Wirtschaftlich kann man die Rechte des 19. Jh. als klar antikapitalistisch bezeichnen, weil überhaupt das Ökonomische als nebensächlich – ja notwendiges Übel –, betrachtet wurde. Ich verweise auf die Missachtung der Händler und Handwerker im Konfuzianismus, der katholischen mittelalterlichen Ökumene oder dem Kastenwesen der Hindus. Das hat einen nachvollziehbaren Hintergrund: das Ökonomische ist eine reine diesseitige und materialistische Angelegenheit und lenkt vom spirituellen Streben ab. Der Protestantismus und da besonders der Calvinismus wirken da als Einfallstore des theologisierenden Liberalismus, indem Wirtschaften zur Tugend erhoben wird. Der spirituelle Gottessucher wird zum Müßiggänger degradiert. Die heutige Hybridrechte zeigt sich tatsächlich global gespalten.

Die zunehmenden Libertären sind für mich ein spannendes Phänomen, da ich keine deutsche Tradition kenne. Libertäre Traditionen finden wir in Nordeuropa, Niederlande, Schweiz, Südafrika und den angelsächsischen Ländern. Es passt v.a. zur USA, Kanada und Südafrika, weil die Kolonisten in Eigenregie eine Existenz aufbauen mussten, staatliche Strukturen gab es in den Weiten nicht. Hierzulande sehe ich das Libertäre als Ausdruck eines neuen Nonkonformismus, weil der deutsche Staat seit den 1970er sukzessiv nach links rückte und der bisherige staatstragende Charakter der Rechten – gerade auch der jungen NPD –, nicht mehr möglich war. Der heutige Staat reglementiert und gängelt moralisierend, weshalb „Vater Staat“ zur bösen Stiefmutter mutiert. Diese neuartige libertäre Strömung zeigt sich sehr heterogen mit einem Negativ- oder Abgrenzungsprogramm und scheint mir weniger ökonomisch denn gesellschaftlich motiviert zu sein: dazu gehören Gegner der Schulpflicht, Anhänger des Schweizer Regierungssystems, Wohlstandschauvinisten, hedonistische Antiökologen, Bürgerrechtler für freie Meinungsäußerung, Verfassungsfundamentalisten oder die breite Sammlung der Reichsbürger. Auftrieb erhielten die Libertären dank der verheerenden Corona-Politik. Ein weiteres globales Phänomen. Übrigens können Libertäre durchaus streng religiös wie in Nordamerika, Schweiz oder Nordeuropa sein, wobei Moral und Werte gerade nicht libertär behandelt werden. Man denke nur an das damit verbundene Abtreibungsverbot.

Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass libertär nicht unbedingt liberal bedeuten muss: Wirtschaftsliberale bevorzugen nicht selten einen starken Staat, der sich zwar aus ökonomischen Belangen heraushält, aber vor sozialrevolutionären Bedrohungen bewahrt. Hier ist das marxistische Narrativ des „Faschismus als Kettenhund des Kapitals“ klar bestätigt. Wir finden diese Form ebenso global vor mit Schwerpunkt Lateinamerika.

 

Droht die Rechte also ihrer kapitalismuskritischen Linie zu entsagen?

D.S.: Das glaube ich nicht. Das Wirtschaftsliberale erscheint mir eher als Mode, weil sich der westliche Industriekapitalismus wegen der protektionistischen Spirale umorientiert und natürlich wegen Elon Musk, den man nicht verprellen will. Aufgrund der fahrlässig wie gewollten Deindustrialisierung und fragilen Energiesicherheit Deutschlands wird eine etatistische bis temporäre Planwirtschaftspolitik notwendig. Ob die AfD diese ökonomische Diskrepanz intern heil übersteht, ist eine andere Frage. Dem Osten ist jeglicher Manchesterliberalismus ein Gräuel.

 

Das Volk steht für die Rechten im Zentrum ihrer Weltanschauung. Staat und Volk, Volk und Familie, Familie und Mensch stehen in einem organischen dialektischen Verhältnis zueinander. Die Wirtschaft spielt dabei eine enorme Rolle. MetaPol spricht daher auch von einer raumorientierten Volkswirtschaft, die anzustreben ist. Nun spielen dabei auch Überlegungen zu zentralwirtschaftlichen Maßnahmen, z.B. in wesentlichen Bereichen der Infrastruktur sowie der Versorgungssicherheit eine große Rolle. Gleichzeitig betont man gerne das freie Spiel der Kräfte in einem freien Markt und akzeptiert das Naturgesetz von Angebot und Nachfrage. Gibt es hier rechte Vordenker, die Sie für maßgeblich halten? Gibt es aus Ihrer Sicht auch als Historiker geschichtliche Beispiele, von denen die Rechten lernen können?

D.S.: Ja, die Rechte war und ist größtenteils der Marktwirtschaft verpflichtet, aber selten einem ungehemmten Kapitalismus. Jede Marktwirtschaft ist kapitalistisch, aber nicht jeder Kapitalismus marktwirtschaftlich. Tendenziell wurde eine gemischte Wirtschaft gefordert, die zeitweise sogar planwirtschaftlichen Charakter haben kann. Was ist denn der Merkantilismus des royalen Frankreichs oder Preußens anderes? Ich verweise auf das breite Spektrum ständestaatlicher und korporativer Varianten – also der gern gebrauchte Begriff des wirtschaftlich Dritten Weges. Deutsche wie ausländische Vordenker lassen sich zahlreich aufzählen: Friedrich List, Adolph Wagner, Werner Sombart, Othmar Spann, Ferdinand Zimmermann, Hans Zehrer und andere „Jungkonservative“ der „Konservativen Revolution“, Enrico Corradini als Vater des italienischen Korporatismus oder die Interpreten der beiden kapitalismuskritischen päpstlichen Enzyklien „Rerum Novarum“ (Josef Scheicher und Karl Freiherr von Vogelsang) und „Quadragesimo Anno“, der katholische Distributismus Chestertons und Bellocs, religiös motivierte Antikapitalisten im Islam, Hinduismus und Buddhismus uvm. sowie als Inspirationsquelle die französischen nichtrechten Väter des Solidarismus Léon Victor Auguste Bourgeois und Hyacinthe Dubreuil.

Für uns heute interessant, wird bald ein erneutes Autarkiestreben in transnationalen europäischen Räumen wie es nach 1918 weit verbreitet war. Für ein zunehmend deindustrialisiertes Land können auch die von oben forcierten Industrialisierungen der jungen Sowjetunion oder der jungen Türkei eine Möglichkeit sein – aber die verheerenden Opfer müssen bei der Analyse Berücksichtigung finden. Planwirtschaftliche Phasen haben wir in den beiden Weltkriegen – ich erinnere an die herausragende Leistung eines Rathenau –, oder dem Wiederaufbau der Besatzungszonen nach 1945. Ökonomisch inspirierende Quellen sind reichlich vorhanden.

 

4.   Religion und Kultur

  • Bedeutung von Religion für die Rechte
  • Christentum versus Heidentum innerhalb der rechten Szene
  • Einfluss von kulturellen und ästhetischen Werten auf rechte Identität

 

Etwas genuin rechtes war immer die Religion und ihr traditionales Element. Mit dem Erstarken liberaler und libertärer, aber auch sozialistischer Positionen bewegten sich immer mehr Rechte von dem Religiösen weg. Sie verwiesen eben auch darauf. Hat sich die Religion und das Traditionale etwa bereits überlebt oder sehen Sie hier auch die Wahrscheinlichkeit einer Renaissance?

D.S.: Religionen überleben sich nie, die wird es immer geben. Der Mensch besitzt einen metaphysischen Trieb und möchte sich instinktiv mit seinem übernatürlichen Ursprung rückverbinden, was ja Religion auch bedeutet. Das Traditionale im Sinne Guénons und Evolas bewahrt und verschlüsselt ewige Prinzipien und Wege des Religiösen. Traditionale Orden stellen auch eine Kontinuität dar. Die religiösen Formen, ihre zeitlichen und räumlichen Erscheinungen dagegen, wandeln sich ständig.

Wann wird es eine religiöse Wiedergeburt geben? Das kommt auf die Bedingungen an: eine Naturkatastrophe kann die Massen zu Gott führen oder auch das Auftauchen charismatischer Persönlichkeiten. Wer weiß das schon? Religionen sind global auf dem Rückzug, das gilt auch für Islam, Buddhismus oder Hinduismus. Für den Westen erscheint das nicht so, aber besagte Religionen dienen heute zunehmend als kulturelle Attribute denn als Quelle echter Spiritualität. Wir sollten uns nicht mit den Anhängern jener Religionen vergleichen, sondern deren Wirkungsmacht von heute mit der vor zwanzig und fünfzig Jahren vergleichen. Die Säkularisierung schreitet erstmal weiter und Religionen beschränken sich auf die Strenggläubigen, was hierzulande den Eindruck erweckt, diese sehr militante und laute Bewegung befinde sich in der Offensive. Ich sehe dagegen Rückzugsgefechte. Aus den quantitativ geschrumpften Religiösen wird aber ein qualitativ starker Kern, der einmal expandieren kann. Keinesfalls kann man das Religiöse vom Politischen her revitalisieren und religiöse Gefühle verordnen. Religion ist zu komplex, besteht aus Esoterik, Exoterik und Volksreligion, die in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen.

 

Nun gibt es, so denke ich, einen breiten Konsens darüber, dass Religion, wie es ja auch das Wort selbst sagt, etwas Verbindendes und damit natürlich Identitäres liefert. Viele Rechte sind sich also zumindest darin einig, dass das einen sinn- und identitätsstiftenden Charakter hat. Dennoch herrscht eine breite Uneinigkeit über die „richtige“ Religion der Rechten oder der Deutschen im Allgemeinen. Die beiden christlichen Strömungen, die sich bei genauerem Hinsehen sogar noch weiter ausdifferenzieren lassen, sind staats- und geschichtsprägend für die Deutschen gewesen. Auch das Aufflackern heidnischer Traditionen unter den Rechten, ist immer wieder zu beobachten. Was ist die rechte Religion? Was ist die Religion der Deutschen? Ist dieser binäre oder multireligiöse Charakter genuin deutsch?

D.S.: Religion und Volkstum bedingen sich: Religionen können Völker erschaffen, erhalten oder spalten. Völker wiederum prägen ihre religiöse Form.

Die heutige Rechte reduziert meistens das Religiöse auf das Kulturelle, um das Eigene zu stärken. Schon richtig, aber das Wesentliche am Religiösen – das Spirituelle – spielt keine Rolle, weil das Säkulare klar dominiert. Ich glaube, die deutsche Rechte beneidet die Polen um ihren Katholizismus, die Singhalesen um den Buddhismus oder die Türken um ihren Islam. Dennoch: auch in Polen, der Türkei oder Sri Lanka befindet sich der Säkularismus auf dem Vormarsch und die Religion ist auch mehr ein Identitätsmerkmal geworden gleichwohl es natürlich auch spirituell Gläubige gibt.

Was ist des Deutschen Religion? Katholizismus wie Protestantismus haben unser Volk geprägt und unser Volk diese Konfessionen. Martin Luther hat für die deutsche Volks- und Nationswerdung bahnbrechendes beigetragen, wurde aber religiös nicht überall verstanden. Der Dreißigjährige Krieg auf deutschem Boden hat tiefe Spuren hinterlassen und das Deutschtum vorübergehend aus der Geschichte genommen. Das Katholische war das Zentrum des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ und ein Motor der Ostexpansion. Dann haben wir den Kulturkampf Bismarcks, vielleicht sein Hauptfehler. Ja, beide christliche Konfessionen haben ihren fördernden wie hemmenden Beitrag geleistet und die Spaltung wiegt schwer. Aber einzigartig ist sie nicht und auch nicht typisch deutsch. Albaner oder Osseten sind in Muslime und Christen gespalten, die USA und Großbritannien sind arg in innerchristliche Konfessionen gespalten, die Türkei ist es in Sunniten und Aleviten – von Indien ganz zu schweigen.

Das von manchen Rechten propagierte Heidentum ist die undeutscheste Religion, wurde von den ethnisch noch sehr jungen Deutschen auch nie praktiziert. Die Germanen sind nur eine von mehreren deutschen Wurzeln. Die heidnischen Wiederbelebungsversuche muten besonders künstlich und grotesk an, beschränken sie sich auf ein Antichristentum ohne spirituellen Inhalt. Aber eine Möglichkeit ist das Naturreligiöse und sogenannte Heidnische durchaus, in Lettland oder Litauen erleben wir anregende Beispiele. Religionen müssen organisch wachsen. Das Christentum ist ja auch eine orientalische Fremdreligion, was gerade die Neuheiden nicht versäumen zu betonen, aber die christlichen Missionare brauchten Jahrhunderte um es anzupassen. Es hat auch kaum Ähnlichkeit mit der ursprünglichen Variante und unterscheidet sich sogar innerhalb der Deutschen. Es scheint heute eine gewisse Mode zu sein, sich dem Katholischen Traditionalismus oder der Byzantinischen Orthodoxie zuzuwenden. Auch zwei mögliche Varianten – wenn man den Weg der völkischen Modifikation geht.

Ich lehne eine politische religiöse Agenda ab. Dennoch: Religiöse Rechte sollen ihre jeweilige Religion nicht privat leben, sondern durchaus als binnenrechte Subkultur offensiv darstellen und wetteifern. Wer weiß, was daraus erwächst?

 

Ich frage einmal ganz demonstrativ provokant. Kann ein deutscher Rechter auch zum muslimischen Glauben finden, ohne dabei seine rechten Wurzeln zu beschneiden

D.S.: Natürlich ist das möglich, wenn auch sehr unwahrscheinlich. Hitler soll bedauert haben, dass die Franken nicht islamisiert wurden. Ein deutscher Islam ist auch nicht absurder als das Christentum oder ein deutscher Buddhismus. Aber jede nicht autochthone Religion muss sich wie beschrieben über einen langen Zeitraum anpassen, sonst bleibt sie immer ein Fremdkörper. Heutige deutsche Islamkonvertiten sind arabischer als jeder Araber und wirken wie Faschingsumzügler. Es gibt einige bemerkenswerte Kleinstorden, die im islamischen Gewand in der Tradition der Templer und Deutschritter stehen, das ist ein völlig anderer Ansatz. Ein muslimischer Deutschnationaler kann sich gegen muslimische Einwanderer wenden, wie muslimische Türken gegen muslimische Kurden vorgehen usw. Das Kalifat als reale Forderung wird nur von einer Minderheit gefordert. Die ehemals universalistischen Taliban mussten sich zu einer paschtunischen Nationalbewegung transformieren, sonst hätten sie nie Erfolg gehabt und Muslimbrüder oder Al-Qaida sind längst in nationale Sektionen zerbrochen. Der Islam als theoretische Einheit existiert nur unter den marginalen lauten Kalifats-Jüngern und antiislamischen Kreisen. Wie es um die gesamtislamische Umma steht, sieht man heute in Gaza. Mehr muss man nicht erklären.

 

Oft wird von dem rechten Menschenbild gesprochen. In Ihrem Artikel „Menschenbilder – Unser Selbstbild im Wandel“ in AGORA 5 haben Sie dazu ausführlich hergeleitet, wie sich selbiges über die Jahrhunderte verändert hat. Wo bewegt sich die Deutsche Rechte heute hin? Sehen Sie hier ein europäisches oder gar globales Phänomen?

D.S.: Die eigentlich nichtrechte Rechte huldigt weitgehend einem anthropozentristischen Menschenbild, weil sie zu sehr im Liberalismus wurzelt. Es gibt zwei Ausnahmen: die wenigen wirklich Religiösen und die Anhänger des reinen Soziobiologischen. Das findet man bei einigen Völkischen und Nationalsozialisten. Diese Strömung unterstellt sich übermenschlichen Naturgesetzen, denen ich religiösen Charakter zuerkenne. Man nennt das „Nomotheismus“. In besagter AGORA 5 zähle ich sogar eine transhumanistische Strömung dazu, die eine „Veredelung des Menschen“ über natürliche Evolution erwartet und sich somit ebenfalls einem Naturgesetz jenseits menschlicher Einflussnahme unterstellt. Ohne religiöse Wiedergeburt bleibt der Anthropozentrismus dominant.

Das gilt auch für Europa und andere Kontinente, wobei in Staaten stärkerer Religiosität wie in Osteuropa, Asien und Afrika klar theozentristische Menschenbilder noch stark vertreten sind. Es ist aber falsch, islamische, buddhistische oder hinduistische Zivilisationsräume als resistent gegen das „Allzumenschliche“ anzusehen. Säkularisierung und Werterelativismus finden wir global in der Offensive bei ebenfalls zunehmendem Widerstand dagegen.

 

5.   Politische Strategie und Zukunft der Rechten

  • Notwendigkeit einer einheitlichen rechten Bewegung
  • Vergleich mit historischen und aktuellen rechten Parteien in Europa
  • Rolle der AfD und anderer Parteien im rechten Spektrum

 

Die Rechte ist im Zugzwang. Während die herrschende Klasse zunehmend an Einfluss verliert und sich immer mehr Menschen politisch nach rechts orientieren, sind die Rechten gar nicht auf die verändernden Verhältnisse vorbereitet. Es stellt sich gar die Frage, ob selbige qualitativ den geschichtlichen Anforderungen gewachsen sind. Daher sprechen wir mit unserem Autor, Analysten und Fachmann für Ideengeschichte und Identitätsforschung Dominik Schwarzenberger über das Thema. Schwarzenberger ist Politikwissenschaftler, Historiker und befasst sich seit vielen Jahren mit religionswissenschaftlichen Fragen. Die Redaktion

Die Linken haben ihre Ikonen wie Marx, Engels, Lenin oder Luxemburg, die zumindest großenteils lagerübergreifend anerkannt werden. Es handelt sich dabei um linke Revolutionäre sowie Intellektuelle, die sehr ideologiestiftend für die Linke gewirkt haben. Bei Rechten gibt es sowas nicht. Manche meinen, dass dies eher eine Schwäche gegenüber den Linken sei. Wie sehen Sie das?

 

D.S.: Diese Antwort werden Sie wohl noch öfter hören: es hat Vor- und Nachteile, es kommt auf den Fall, die historische-konkrete Situation an.

Es entbehrt nicht einem gewissen Unterhaltungswert, innerlinke Diskussionen um den berühmten „Barte des Propheten“ zu beobachten. Dogmatismus und gegenseitige Bannflüche wie sie an theologische Dispute erinnern erfreuen sich großer Beliebtheit. Man beobachte nur den trotzkistischen Hühnerhaufen, der sich in verschiedene sektiererische Strömungen zerfleischt und sich gegenseitig stalinistische Agententätigkeit vorwirft. Der Vorteil dieser linken Besonderheit liegt andererseits in einem theoretischen Fundament und Systemdenken. Der Nachteil in Dogmatismus, Erstarrung und Unbeweglichkeit.

Nehmen wir einmal einen revolutionären Prozess mit konkreten machtpolitischen Brüchen. Eine Revolution ist kein Umsturz wie gemeinhin angenommen, sondern ein Prozess, der ein geistiges Klima in ein neues überführt. Der machtpolitische Wechsel z.B. als Umsturz ist nur die Folge oder nur ein Zwischenstadium. Schauen Sie sich die Russische Revolution an: die fand nicht 1917 statt, sondern von den 1890ern bis 1922, vielleicht sogar bis zur Monopolstellung Stalins.

 

Kommen wir auf die eigentliche Frage zurück…

D.S.: Manchmal kann es überlebensnotwendig sein, vor Vollendung der Revolution ein klares Programm auf ideologischer verbindlicher Basis zu haben, das erleichtert die Bildung von Orden ähnlichen Kaderorganisationen aus fanatischen Aposteln. Lenin hatte das erkannt und profitierte von seiner ideologischen Exklusivität, während die ideologisch heterogene Allianz der Profiteure vom Februar 1917 unter dem überforderten Kerenski nach dem Sturz des Zaren erst nach Lösungen suchten. Deren geistige und folglich machtpolitische Lähmung wurde von Lenin im Oktober ausgenutzt. Der folgende russische Bürgerkrieg bestätigt wieder nur Lenins Strategie: seine Kampffront war weitgehend geschlossen und offensiv, seine Feinde aufgrund ihrer hoffnungslosen Heterogenität defensiv und zerstritten.

Im Falle Hitlers haben wir einen umgekehrten Fall: Trotz seines „granitenen Fundaments“ war der NS gerade keine geschlossene Ideologie, zog aber wohl wegen des chiliastischen Charakters, Hitlers Charisma, seiner Ästhetik und ganz besonders der prekären Lage Deutschlands ebensolche Fanatiker an. Die ideologisch vage NSDAP konnte völlig unterschiedliche Strömungen und Gesellschaftsschichten sammeln, die ideologische Klärung folgte dann erst nach der Machtübernahme und entsorgte nach dem angeblichen „Röhm-Putsch“ Vertreter einer wenig beachteten ideologischen Bandbreite, nicht nur die NS-Sozialrevolutionäre.

Ich kann also nicht beurteilen, ob die deutsche Rechte heute vom Mangel an Integrationsfiguren profitiert oder nicht.

 

Im Allgemeinen kann die Rechte als sehr heterogen angesehen werden. Aus rechter Sicht wirken die Linken u.a. aufgrund des oben beschriebenen Phänomens ziemlich geeint. Beim genauen Hinschauen allerdings sind sie sich jedoch in vielen Fragen sehr uneinig. Ihre vermeintliche Einigkeit speist sich aus einer Antirechts-Haltung. Sehen Sie hier Parallelen zwischen rechts und links?

D.S.: Ja, sehe ich für die zeitgenössische Linke. Die befindet sich seit Jahren in einer tiefen Identitätskrise. Momentan wächst die Rechte aufgrund geballter sich bedingender Krisenerscheinungen und den undifferenzierten Angriffen des Establishments gegen alles Nonkonforme und die inflationär gebrauchten Begriffe rechts und rechtsextrem. So wurden die Proteste gegen die irren Corona-Maßnahmen als von rechts unterwandert diffamiert – ein Verdienst, das gerade nicht auf die paralysierte und in dieser Problematik gespaltene Rechte zutraf. Auch das finden wir in anderen Ländern.

 

Was ist das identitätsstiftende Moment, das die Rechte einen kann? Bedarf es überhaupt einer Einigung?

D.S.: Das einigende Moment beschränkt sich auf die ungehemmte Einwanderung. Schon beim Umgang mit derselben und dem Bewahren des Eigenen zeigen sich Unterschiede. Will man eine Rückführung oder Assimilation? Will man zu traditionellen Werten zurück oder will man linke kulturelle Errungenschaften als das zeitgemäße Eigene gegen fremdländische antimoderne Reaktionen bewahren?

Eine Einigung bedarf es meiner Ansicht nach nicht. Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft und schärft den Geist. Eine einheitliche Struktur würde nur Zentralisieren und Nivellieren. Das qualitative Gefälle ist sehr stark: „Der Starke ist am mächtigsten allein“. Es ist ohnehin ein Mythos, es habe jemals eine geeinte Rechte gegeben. Anhänger dieser Forderung verweisen auf das Ausland oder die Zwischenkriegszeit, beides falsch: Die ausländische Rechte ist ebenso zersplittert und die Weimarer Zeit war es auch. Der Eindruck beruht auf der zeitweisen Präsenz einer dominierenden Organisation um charismatische Persönlichkeiten. Das sind nur Momentaufnahmen und können sich jederzeit ändern. Die NSDAP musste sich mühsam gegen die viel erfolgversprechenderen Nationalkonservativen der DNVP und diffusen Völkischen behaupten und hatten auch 1933 noch marginale rechte Rivalen, das gilt für die LePens in Frankreich oder Frau Meloni in Italien. Im Ausland glaubt man übrigens mit der AfD eine vereinte Rechte hierzulande zu haben.

Österreich ist ein interessanter Fall von Täuschung: dort erleben wir seit 1956 mit der FPÖ eine dominante rechte Partei – aber: Die FPÖ hat nicht das rechte Monopol und war auch nie wirklich rechts, sondern die Monopolpartei des „Dritten Lagers“ aus dem Kaiserreich. Eine breite Sammlung aus Liberalen, Nativisten, Antiklerikalen, Vertretern freier Berufe, Protestanten und Großdeutschen. Meist aus FPÖ-Abspaltungen entstanden auch immer wieder Konkurrenten. Die ÖVP als Monopolpartei des „Ersten Lagers“ integriert ebenfalls ein erheblich rechtes Potenzial und stand dem eingangs beschriebenen urrechten Prinzip deutlich näher.

 

MetaPol betont die Heterogenität der Rechten immer als Stärke, solange sie dezentral organisiert wird, also organisch aus den unterschiedlichen binnenrechten ideologischen Lagern kommt. Wie kann die Rechte von dieser Vielfalt profitieren?

D.S: Die heutige Rechte profitiert schon: es gibt eine Form unkoordinierter Aufgabenteilung und Zielgruppenerschließung. Das hängt mit der Vernetzung auf rein persönlicher Ebene nach Sympathie und Neigung zusammen. Auch anscheinend konkurrierende Zeitschriften ergänzen sich. Was Parteien angeht, bearbeiten AfD, „Freie Sachsen“ oder „Dritter Weg“ eine unterschiedliche Klientel. Das gilt auch für andere Länder.

 

Der bekannte EU-Politiker Maximilian Krah unterscheidet in seinem Buch „Politik von rechts“ zwischen den Konservativen und den Rechten. Er selbst zählt sich zu letztem, während erster Begriff mit Menschen wie Armin Laschet stehen würde. Konservativ wird heute tatsächlich nicht unbedingt mit der Restauration oder den Reaktionären, also urrechten Ideen verbunden. Es steht eher für bürgerlich. Die CDU/CSU sind dabei das parlamentarische Pendant. Ist so eine Unterscheidung aus Ihrer Sicht sinnvoll oder geboten? Oder gibt die Rechte einen urrechten Begriff auf und überlässt ihm dem politischen Gegner?

D.S.: Herrn Krahs Unterscheidung sehe ich kontraproduktiv. Konservativ erscheint mir als typischer Relationsbegriff zwar sehr ungünstig: inhaltlich vage und als zu altväterlich besetzt, was wohl Krahs Motiv war, diesen Begriff den bürgerlichen Blockparteien unterzuschieben. Dennoch gibt es im bildungsbürgerlichen Milieu, den Kirchen und Sicherheitsorganen Anhänger eines herkömmlichen Konservatismus-Begriffs. Zudem können besagte CDUler den frei gewordenen Konservatismus als staatsloyal, demokratisch, seriös und moderat gegen böse rechte AfDler verkaufen. Ich würde es umkehren und den Konservatismus-Begriff vor den Unionsparteien schützen, d.h. CDU/CSU vorhalten, sich liberalisiert oder gar sozialdemokratisiert zu haben. Konservatismus als Eigenbezeichnung mit Varianten wie „jung- oder volkskonservativ“ kann man ergänzend nutzen und für sich zusätzlich in Anspruch nehmen.

 

In den letzten Monaten, spätestens mit dem Eklat im Thüringer Landtag unmittelbar nach den Wahlen, drängt sich der Vergleich zur Zeit der Weimarer Republik auf. Der Zusammenbruch der Koalition bekräftigt das Ganze nochmal. Wo sehen Sie hier Parallelen, wo mehr Unterschiede?

DS.: Der fundamentale Unterschied zur Zwischenkriegszeit liegt in der Frage des Konformismus: Die erste deutsche Republik war klar rechtslastig, wenn auch nicht restaurativ. Nationalismus, traditionelle Werte, die Ablehnung der Kriegsschuldfrage und des Versailler Vertrags waren Staatsraison. Das rechte Extrem wurde zwar gelegentlich bekämpft, aber nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern weil nicht immer Gesetzes konform. Schauen Sie, wie lax man gegen rechte Gewalttäter vorging, die eher wegen Störung von Ruhe und Ordnung verfolgt wurden. Die Linke hatte es deutlich schwerer. Heute ist rechts bei uns grundsätzlich nonkonform – der große Unterschied auch zu Osteuropa oder Frankreich.

Was an Weimar erinnert, ist die Entfremdung zum parlamentarischen System und die radikalisierende Polarisierung in unversöhnliche Lager, die eine Mittelposition unmöglich machen: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Als Folge erleben wir eine Auflösung traditioneller Parteibindungen mit der Erosion der alten Volksparteien und dem Entstehen neuer Bewegungen. Parlamentarische Mehrheiten werden immer schwieriger und fragiler, Koalitionen inhaltlich immer abenteuerlicher. In Thüringen und Sachsen haben wir Koalitionen auf reiner Anti-AfD-Grundlage.

 

Die Rechte steht gewaltig unter Zugzwang. Die heutige herrschende Klasse wird als allgemein links wahrgenommen. Die wesentliche Voraussetzung einer jeden Revolution, also der Umkehr der bestehenden Verhältnisse zwischen der herrschenden und der beherrschten Klasse, besteht darin, dass letztere der ersten die Legitimation, ja die Rechtmäßigkeit der Herrschaft abspricht. Genau das passiert gerade offen, was dafür sorgt, dass die rechte Opposition zunehmend an Einfluss gewinnt. Sind die Rechten auf diese Veränderungen überhaupt vorbereitet? Also sind sie qualitativ überhaupt in der Lage die staatspolitischen Geschäfte zu übernehmen? Müssen sie das überhaupt oder wird sich das von alleine einspielen?

D.S.: Die sogenannte Rechte ist nicht vorbereitet, aber wer ist überhaupt vorbereitet? Das scheint mir auch eine psychologische Frage zu sein. Den Rechten fehlt das Selbstvertrauen als Problemlöser, sie wollen gar nicht staatspolitische Verantwortung übernehmen – und wahrscheinlich ist das jetzt auch gut so. Es fehlt an Alternativen und Konzepten, die ein Selbstbewusstsein der eigenen Sendung erst garantieren. Da sind wir wieder bei der Frage nach linken Integrationsfiguren als verbindliche Theoretiker.

Es wird sich aber auch vieles von selbst ergeben: ich beobachte das Renegatentum des Establishments, das Umorientieren der Wirtschaft als Folge der chinesischen und US-amerikanischen Herausforderungen und natürlich die Sicherheitsorgane und Geheimdienste. Um diese Systemkomplexe zu erschließen, um sich als kompetent zu empfehlen, sind wiederum die Schaffung von Alternativen notwendig. Ich vergleiche das mit einem jungen Selbständigen, der einen Bankkredit wünscht: Er benötigt einen Businessplan, der bestimmte Voraussetzungen erfüllt wie Marktanalyse, Produktbeschreibung, Konkurrenzsituation, Marketing und Rentabilitätsvorschau. Natürlich weiß der Bankvertreter, dass ein solcher Plan nicht voll aufgeht, aber ein Plan zeugt von Seriosität und Nachhaltigkeit.

Von allein spielt sich gar nichts ein, andere lauern auch auf ihre Chance und die herrschende Klasse erweist sich vielleicht als beständiger als momentan ersichtlich. Ein Ertrinkender schlägt bekanntlich um sich.

 

Auf welchen Feldern besitzen die Rechten echte Kompetenzen und wo haben sie Nachholbedarf?

D.S.: Die bereits erwähnte Zeitdiagnose über Kulturkritik halte ich für eine Stärke. Als Folge erleben wir seit den 2000ern wieder ein rechtes Feuilleton sowie allmählich eine eigene Literatur. Ästhetik und Stil sind wichtige Elemente eines politischen Milieus und können einmal als Einfallstor zum bildungsbürgerlichen und akademischen Milieu dienen. Die Ästhetik des historischen NS fasziniert noch heute das Ausland. Auf das Thema Einwanderung hat die Rechte ein Monopol, wenn es auch unterschiedliche Rezepte gibt. Ansonsten kann ich keine Kompetenzen sehen. Es fehlt an ökonomischen Überlegungen und die Bereiche Geopolitik, Energie, Bildung, Gesundheit, Soziales, Administration oder Verkehr werden ignoriert, dilettantisch oder hoch ideologisch bearbeitet – allerdings ebenso beim weltanschaulichen Gegenspieler.

Die sogenannte Asylkrise von 2015 und v.a. Corona zeugen vom rechten Versagen: Wie das Kaninchen vor der Schlange erstarrte die Rechte. Dabei waren das geschenkte Elf-Meter. Dieses Vakuum wurde von bisher abseitsstehenden Akteuren gefüllt, die wegen Anfeindungen seitens des Establishments nach rechts getrieben wurden. Merkwürdigerweise ein globales Phänomen.

 

Autoren wie Benedikt Kaiser fordern die Rechten indirekt auf von Linken zu lernen. Auch MetaPol befasst sich sehr stark mit linken Strategien und linkem Denken. Dafür hagelt es auch manchmal Kritik, insbesondere offenbar aus ideologischen Beweggründen heraus. Wo denken Sie, können die Rechten von Linken lernen und wo laufen sie Gefahr den „rechten Pfad“ zu verlassen?

D.S.: Von der Linken unserer Tage lässt sich nichts mehr lernen – das wird sicher wieder anders. Aber von den historischen Linken kann man viel übernehmen. Ich denke da an das dialektische Denken, das zum Denken in Systemen und weg vom illusorischen Denken in Personen wie Voluntarismus und Dezisionismus führt. Zusammenhänge jenseits linearer Monokausalitäten werden sichtbar und Handlungsspielräume erweitern sich. So manch linke Analysen wie Johannes Agnolis „Die Transformation der Demokratie“ von 1967 sind heute noch lesenswert.

Dann konnte man linke Organisationsformen und Organisationsdisziplin übernehmen sowie Aktionsstrategien und der Bedeutung für ideologische Bildung. Sodann beneidete ich die Linke um eine gewisse Heiterkeit und Witz, die im wohltuenden Kontrast zur rechten Larmoyanz standen. Die Erkenntnis der Bedeutung sozioökonomischer Ursachen für Entwicklungsprozesse à la „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ waren ganz besonders wertvoll. All diese linken Vorzüge sind momentan passé, die Linke hat sich ihres Vorsprungs beraubt. Das kommt daher, dass die Rechte ihres nonkonformen Charakters wegen ständig behindert wird und improvisieren muss. Das härtet ab und macht kreativ. Die inzwischen konformistische Linke wird demgegenüber alimentiert und mit Nachsicht bedacht. Das verweichlicht und macht bequem.

 

Revolution und nachhaltige gesellschaftliche Veränderungen schwingen automatisch immer bei rechten Diskussionen mit. Auch MetaPol schrieb dazu schon mehrere Aufsätze über das Thema (siehe u.a. hier, hier, hier und hier). Nun haben wir schon gesehen, dass die Rechten sich meist als reaktionär gesehen haben, was allgemein genau das Gegenteil von revolutionär ist. Muss der rechte Reaktionär in der linken woken Gesellschaft heute nicht sogar zum Revolutionär werden? Wie kann das Revolutionäre mit dem Reaktionären versöhnt werden? Ist das überhaupt möglich?

D.S.: Ja, das ist dringend notwendig und die Regel menschlicher Evolution.

Zunächst: Ich halte den Begriff reaktionär im Gegensatz zu Nicolás Gómez Dávila für ebenso ungünstig wie konservativ, weil bereits verbrannt. Der große Dávila wollte wohl damit provozieren und seine absolute Gegnerschaft zur Modernistischen Rechten der Aufklärung verdeutlichen. Ich sehe reaktionär als formenkonservativ an, d.h. an einem konkreten historischen Vorbild hängend. Das Gegenstück ist der Progressismus oder Fortschrittsoptimismus, der wurzellos in die Zukunft strebt. Ich nutze den jungfräulichen Begriff „Renatismus“ von lat. Wiedergeburt. Man kann es mit dem Grundgedanken der sogenannten „Konservativen Revolution“ Mohlers vergleichen, wobei ich allerdings nur die „jungkonservative“ Strömung als konservativ-revolutionär ansehe: beide Extrema sind versöhnt und organisch verbunden: denn man bewahrt chiffriert in Traditionen, Riten, Mythen und Symbolen das, was ewige Gewissheit hat und von einer außermenschlichen Quelle stammt. Diese ewigen Gewissheiten dürfen also nicht zeit- und raumgebunden sein, sondern müssen ständig neue historisch erfordernde Formen ausbilden und wieder abstreifen. Ein Paradebeispiel ist die Bewahrung des japanischen Wesens mit seinem Samurai-Geist und deren Konkretisierung über die Meji-Reformen. Folgende passende Zitate illustrieren diese Formel:

„Konservative Revolution nennen wir die Wiederinachtsetzung all jener elementaren Gesetze und Werte, ohne welche der Mensch den Zusammenhang mit der Natur und mit Gott verliert und keine wahre Ordnung aufbauen kann. An Stelle der Gleichheit tritt die innere Wertigkeit, an Stelle der sozialen Gesinnung der gerechte Einbau in die gestufte Gesellschaft, an Stelle der mechanischen Wahl das organische Führerwachstum, an Stelle bürokratischen Zwangs die innere Verantwortung echter Selbstverwaltung, an Stelle des Massenglücks das Recht der Volkspersönlichkeit.“ (Edgar J. Jung)

„Es gibt kein Vergangenes, das man zurücksehnen dürfte; es gibt nur ein ewig Neues, das sich aus den erweiterten Elementen des Vergangenen gestaltet.“ (Goethe)

„Nicht ein Hängen an dem, was gestern war, sondern ein Leben aus dem, was immer gilt.“ (Albrecht Erich Günther)

„Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“ (Thomas Morus)

Der Echte Rechte muss also ewige kosmische Ordnungsprinzipien und Bewährtes erhalten und pflegen sowie das Relative regelmäßig überwinden. Aufklärung und Revolutionen fallen nicht einfach vom Himmel, sondern sind warnende Symptome für Verkrustung und Sinnentleerung.

 

Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist Ausdruck, dass die Opposition nicht nur von rechts wächst, sondern auch von links. Gleichzeitig fällt auf, wie viele Überschneidungen es in den Themen, aber auch in den Positionen bspw. mit der AfD gibt. Sehen Sie vielleicht nicht konkret zwischen diesen beiden, aber im Allgemeinen zwischen linken wie rechten Akteuren Synergieeffekte oder gar eine zumindest zeitweise konkrete Zusammenarbeit? Was halten Sie von dem Querfrontgedanken, der immer wieder in der Rechten auftaucht?

D.S.: Eine Kooperation mit Linken erwarte ich in absehbarer Zeit nicht, es passt auch nicht zu Deutschland. Was ich erwarte, sind linke Renegaten, die nach rechts wechseln. Die deutsche Linke ist auf ihre Art so gründlich wie die Rechte. Die Wagenknecht-Partei ist für mich ein Experiment und erinnert an die italienischen „Fünf Sterne“ Grillos, weder Fisch noch Fleisch. Ich sehe nur eine Überschneidung: die Position zum Ukraine-Krieg. Schon die Einwanderung wird ja von den „Wagenknechten“ gar nicht Infrage gestellt, sondern nur die illegale Zuwanderung.

Die Konkurrenzsituation um Protestwähler kann ich dagegen nur begrüßen und auf regionaler oder lokaler Ebene wird es sicher auch Zusammenarbeit geben.

 

Das Establishment bröckelt allmählich. Hier sind bereits Fragmentierungen der Eliten sowie der Abfall eines nicht unerheblichen Teils der Intelligenzija zu beobachten. Auffällig ist dabei, dass die Abtrünnigen sich eher in Richtung rechts bewegen. Denken wir an Leute wie Dr. Markus Krall, Dr. Hans-Georg Maaßen oder die vielen Leute, die in den letzten Jahren in die AfD eingetreten sind und sogar ihr Gesicht für selbige herhalten. Wie sehen Sie dieses Zusammenspiel zwischen der abtrünnigen Elite und der rechten sowie linken Opposition?

D.S.: Das wird noch zur Massenbewegung, zunächst still und schleichend, aber dann brechen die Dämme. Wir haben heute die spannende Situation, dass objektive Gegebenheiten rechte Ideologeme erfordern. Hinzu kommt der nicht zu unterschätzende Opportunismus persönliche Abwägungen, rechtzeitig das sinkende Schiff zu verlassen. Solche Tendenzen hat es immer gegeben. Man sollte sich den Renegaten nicht verschließen, auch wenn einzelne Opportunisten moralisch ein Ärgernis sind. Jahrelang haben andere den Kopf hingehalten und Verfolgung erlitten, während sich so manch künftiger Überläufer ganz bequem in Amt und Würden befand. Der Typus, der schon immer die geballte Faust in der Tasche hatte, bleibt dennoch wichtig. So ist der Mensch – wer wüsste es besser als der Rechte?

 

Die meisten Menschen gehen, um etwas zu tun und sich an der politischen Willensbildung zu beteiligen, in eine Partei oder gründen ggf. selber eine. Nun machen Sie ja bekanntlich auch keinen Hehl daraus, dass Sie Parteien persönlich meiden. Nun spricht allerdings sogar das Grundgesetz von Parteien und das in Deutschland existierende Parteiengesetz regelt es, dass Parteien maßgeblich am politischen Willensbildungsprozess mitwirken. Sind Parteien daher nicht auch wichtig? Wem raten Sie ggf. davon ab, wem zu sich in Parteien zu organisieren?

D.S.: „Feind, Todfeind, Parteifreund“. Parteien können eine wichtige Funktion haben, sie können förderlich wie auch hemmend wirken. Wie üblich: es kommt auf den konkreten Fall an. Grundsätzlich kann ich aber nicht sagen, es bedarf Parteien. Leider wird es in Deutschland keine Parteien wie den FN oder MSI mit ihren Strömungen geben. Strömungen mit eigener Infrastruktur liegen zwischen ideologischen Flügeln und formellen Faktionen. Parteien sind nun mal ein Faktor und man kann von außen Parteien leichter beeinflussen als von innen, man befindet sich ja nicht auf der gleichen Ebene des Parteigenossen, d.h. man buhlt nicht um Pöstle. Denkfabriken finden Einfallstore, wenn sie an der Verbreitung ihrer Ideen interessiert sind und nicht an direkter Machtausübung. Für wichtig und oft unterschätzt sehe ich die Funktion einer Partei als Sozial- und Freizeitgemeinschaft. Da interessiert mich besonders die Kreis- und Ortsebene. Beide hervorragende Kontaktbörsen. Speziell die AfD kann ein Sprungbrett für weitere Partizipationsmöglichkeiten darstellen.

Parteien können Enttabuisieren – die Metapher „Eisbrecher“ hatten wir ja schon thematisiert –, und Parteien können leichter Interessierte anziehen, sie dienen dem Erstkontakt. Theoretiker und Idealisten sind dort fehl, werden ernüchtert und desillusioniert – was dann wieder einen Nutzen für außerparteiliche Strukturen hat. Das „eherne Gesetz der Oligarchie“ Michels selektiert und sorgt für einen Bewusstseinswandel.

 

Halten Sie es für wahrscheinlich, dass sich rechts neben der AfD weitere Parteien etablieren könnten? Kritiker werfen hierzu ein, dass die politische Stimmungslage dafür nicht ausreicht. Die AfD liegt in derzeitigen Umfragen bundesweit bei ca. 22 %. Damit ist schwerlich eine Mehrheit zu bilden.

D.S.: Ja, das erwarte ich. Umfragen interessieren mich wenig. Die sind vom Augenblick abhängig. Man denke nur an die Wirkung des Fukushima-Unglücks auf die Umfragewerte der Grünen. Es wird von wirtschaftlichen Gegebenheiten abhängen und der Einwanderungsthematik. Momentan sehe ich keine existierende Partei, die Wachstumspotenzial hat, aber das besagt gar nichts und aus der AfD heraus kann sich auch einmal ganz schnell ein radikaler wie gemäßigter Flügel – wie bereits schon geschehen –, abspalten und etablieren. Hierfür bietet das Ausland unzählige Beispiele.

 

Können Sie uns bitte ein paar nennen? Vor allem aus den bei Rechten beliebten Ländern wie Italien, Frankreich oder Ungarn?

D.S.: Zunächst einige begünstigende Momente für Spaltungen: innerparteiliche Konfliktlinien entstehen meist aufgrund persönlicher, ideologischer, berufsständischer und regionaler Konflikte. Oft treten solche Konflikte kombiniert auf und das persönliche Moment wird damit legitimiert. Damit oft verbunden sind Gegensätze strategischer Natur: gemäßigtes Auftreten oder radikal. Die Gemäßigten betreiben mitunter auch nur Mimikry, was vom ebenso verbreiteten Gegensatz zwischen Realos und Fundis herrührt, d.h. die sich für realistisch Haltenden geben sich gern gemäßigt, weil momentan keine breiteren Spielräume existieren.

Der „Front National“ des alten LePen musste 1999 eine sehr belastende Abspaltung hinnehmen. Bruno Mégret löste sich aus strategischen und persönlichen Gründen von der Mutterpartei und konnte zahlreiche Mandatsträger und Funktionäre gewinnen. Seine neue Kleinpartei vegetiert seither vor sich hin, während LePen wichtige Strukturen einbüßte und sich nur allmählich erholte. Ursächlich war zudem ein regionaler Gegensatz: Mégret gewann v.a. im vernachlässigten Süden Mitstreiter.

Mit Éric Zemmours neuer Formation erwuchs auch dem „Rassemblement National“ Marine LePens eine Konkurrenz, die gleich kurz nach ihrer Gründung regionale Funktionäre, die mit Madame LePens Führungsstil unzufrieden waren, zum Übertritt animierte. LePens Nichte Marion Maréchal war die symbolträchtigste. Schließlich spaltete sich in Frankreich 2024 ein rechtsradikaler Flügel von der einst mächtigen gaullistischen Hauptpartei ab und formierte sich zu einer eigenständigen Partei. Das bewerte ich als Sensation.

In Ungarn haben wir einen sehr interessanten Fall: Von Orbans Partei löste sich lautstark der wichtige Funktionär Péter Magyar und trat einer belanglosen Kleinpartei bei, die sich zu einer moderaten Version der Mutterpartei FIDESZ wandelte. Péter Magyar ist momentan der hoffnungsvollste Herausforderer Orbans und entstammt gerade nicht dem ideologisch feindlichen Lager der Linken und Liberalen. Magyar konnte zahlreiche Parteimitglieder gewinnen, die innerhalb Orbans FIDESZ nicht vom Günstlingsystem profitierten.

Dann haben wir das Kuriosum „Jobbik“, einst Modell vieler europäischer Nationalisten. Diese Partei mäßigte sich, da der rechte Rand im ungarischen Parteienspektrum angeblich von Orban ausgefüllt wird. Doch spalteten sich zwei Parteien in diesem Prozess ab: eine noch gemäßigtere um dem ehemaligen Vorsitzenden Gábor Vona und eine nationalradikale um László Toroczkai. Diesem war die neue Jobbik zu gemäßigt, jenem immer noch zu radikal. Die radikale Variante scheint weit erfolgreicher zu werden als das moribunde Original „Jobbik“.

In Dänemark haben wir ein weiteres Bsp. für eine erfolgreiche Abspaltung, die die Quellpartei in den Schatten stellt: Die „Dänische Volkspartei“ löste sich aus ideologischen und persönlichen Gründen von der rechtslibertären „Fortschrittspartei“ und konnte über viele Jahre das rechte Lager dominieren.

In Österreich finden wir ein sehr verbreitetet Muster: 2005 spaltete sich der charismatische Jörg Haider von seiner Mutterpartei ab und gründete eine gemäßigtere Formation. Haider war auf dem Zenit seiner Kariere und misstraute der bekannten Unberechenbarkeit seiner unruhigen FPÖ. Mit von der Partie waren Mandatsträger, die ebenfalls gern ihre Pöstle bewahren wollten – das war der kleinste gemeinsame Nenner. Hinzu kam ein regionaler Gegensatz: die FPÖ wird von den „Kärntner Buberln“ dominiert, weswegen die Unzufriedenheit der Funktionäre anderen Bundesländer gegen Haider wuchs. Nachdem Haiders „Bündnis Zukunft Österreich“ nach Anfangserfolgen allmählich in der Wählergunst sank, kam es zum Exodus ehemaliger BZÖ-Abgeordneter.

Mit den „Fratelli“ Italiens um Meloni erleben wir eine Partei, die möglicherweise den Weg der ungarischen „Jobbik“ einschlägt. Die aktuellen „Fratelli“ sind die dritte Version dieses Namens. Das gemäßigte oder besser realistische faschistische Lager zwischen den militanten Neofaschisten im Geiste Pino Rautis und den Postfaschisten im Geiste Finis sammelten sich nach dem Zerfall der „Nationalen Allianz“ in lokal zersplitterte Kleinstparteien um charismatische Platzhirsche. Der ehemalige Bürgermeister Roms und Minister Gianni Alemanno sowie Francesco Storace dürften die bekanntesten sein. Jene lokalen Parteien verbanden sich unter Vorsitz der Kompromisskandidatin Georgia Meloni zum Verband „Fratelli d`Italia“. Nach einigen regionalen Erfolgen verdichtete sich dieses Zweckbündnis unter Einschluss süditalienischer Regionalisten, Monarchisten und Katholiken zur zweiten Partei dieses Namens. Schließlich kamen die Technokraten und Libertären der inzwischen verwaisten „Forza Italia“ hinzu und bildeten die dritte Variante der Fratelli. Aufgrund persönlicher, regionaler und ideologischer Differenzen verlassen sukzessiv die nationalradikalen Gründerväter und einige süditalienische Patriarchen die Partei und bilden wieder lokal verankerte radikale Kleinstparteien.

Mit den „Schwedendemokraten“ haben wir einen Fall, bei dem sich nicht Elemente der Mutterpartei abspalteten, sondern die wegen Radikalismus liquidierte Jugendorganisation zu einer eigenen Partei, der „Alternative für Schweden“, transformierte und einmal gefährlich für die einstige Mutterpartei werden kann.

Schließlich das Bsp. Erdoğan: Der türkische Präsident entstammt der radikal-islamischen „Millî Görüş-Bewegung“ und bildete die „Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“ als Vertreterin des Realo-Lagers. Um seine Wählerschaft sukzessiv zu erweitern, öffnete er seine Partei für bürgerliche und sogar säkulare Kreise. Ähnlich wie im Falle der ungarischen „Jobbik“ sind beide Parteipole inzwischen höchst unzufrieden: die Radikalen oder Fundis wegen Verwässerung der Grundsätze und die Moderaten wegen des isolierenden Radikalismus`, der nur abschreckend und provozierend wirkt. Folgerichtig gibt es bereits eine bürgerliche Abspaltung und eine radikal-islamische, die zurück zu den Wurzeln will. Die ideologische Bandbreite bleibt aber trotzdem erhalten.

Wir können aus diesen Bsp. konstatieren: Abspaltungen sind nicht zwingend Totgeburten, es kommt auf die regionale Verankerung und gewachsene Strukturen an, die übernommen werden müssen. Unzufriedene Personen oder ganze Strukturen müssen nicht eine eigene Partei gründen, sie können sich auch anderen anschließen. Auch ganze Sonderorganisationen können sich zu einer eigenen Partei transformieren.

 

Wie sehen Sie die Zukunft vom BSW und halten Sie es für möglich, dass sich eine stark linke, vielleicht sogar offen marxistische Partei etablieren könnte? Und wenn ja, wie sollte sich die Rechte darauf einstellen?

D.S.: Ein Überleben des BSW in jetziger Form kann ich mir nicht vorstellen. Die Programmatik ist bewusst zu unklar gehalten, die Personaldecke dürftig, Karriereritter zu viel vertreten und auf eine Person hin zentriert. Das BSW erinnert mich an die Republikaner unter dem allmächtigen Schönhuber, die DVU unter Frey und ganz besonders an die Schill-Partei. Das BSW wird an seinem zu schnellen Wachstum scheitern. Schon rebellieren die Regionalverbände im Osten gegen die Zentrale. Geht das BSW den Weg des linksnationalen Robert Fico wird es automatisch aufgrund deutscher Maßstäbe als rechts eingestuft und kann tatsächlich für Rechte interessant werden.

Ich rechne mit einer echten marxistischen Partei. Da tut sich ein Vakuum auf, weil die soziale Frage wieder eine wichtige zentrale Rolle spielen wird, die rechte Politik nicht auf Dauer bedienen kann. Man beachte den schleichenden Kurswechsel des Industriekapitals im Schatten chinesischen und us-amerikanischen Protektionismus`. Die Rechte sollte diese Form von Renegatentum bedienen und sich nur um die Kleinbürger bemühen.

Ein erneuerter Kommunismus wird sich dann um das neue Proletariat und die linksliberalen Intellektuellen kümmern. Mit dem Wiederaufstieg der Kommunisten bekommt die Rechte dann nach Einwanderung und Bewahrung traditioneller Werte ihre dritte Existenzrechtfertigung. Ich begrüße die kommunistische Renaissance.

 

Was empfehlen Sie der Deutschen Rechten, was sie jetzt tun sollte?

D.S.: *Die Rechte sollte versuchen, in die Komplexe jenseits des Politischen einzudringen. Dazu gehören die erwähnten vernachlässigten Themenfelder Wirtschaft, Energie, Wissenschaft, Militär, Sicherheit usw. Man öffnet deren Pforten über sachliche Kompetenz und Machtverzicht. Der Politische Komplex wird deshalb favorisiert, weil die Rechte als politischer Akteur zu sehr darauf fixiert ist und man ins Politische schnell hineinkommt – aber auch schnell wieder ausgeschieden wird. Der Politische Komplex hat kein Gedächtnis, weshalb er stets offenbleibt. Im Politischen gibt es im Gegensatz zur Wirtschaft auch kein zu spät, sondern die Gefahr ist vielmehr ein zu früh.

*Da das rudimentäre rechte Lager qualitativ enorm zugelegt hat, kann man darangehen, das konservative Politmilieu der Unionsparteien mit seinen sozioökonomischen Milieus zu erschließen. Das setzt besonders sachlich fundierte Programme als echte Problemlöser voraus. Also gerade nicht mehr das populistische Element, wonach der Köder dem Fisch und nicht dem Angler schmecken muss. Oder treffender ausgedrückt: Man soll sich künftig nicht mehr mit Karauschen zufriedengeben, sondern darf sich den schwerer zu fangenden fetten Karpfen, Hechten und Zandern zuwenden. Die CSU der 1950er bietet sich als ideales Untersuchungsobjekt an, wie ganz gezielt über unideologische Sonderorganisationen auf berufsständischer Basis bisher fremde Milieus erschlossen wurden.

*Die Rechte muss raus aus ihren Blasen. Sie hält sich für realistisch und volkstümlich, befindet sich aber auch in einer Blase, bestätigt und konsumiert sich gegenseitig. Entweder erwarten ihre Akteure den berühmten Tag X wie die urchristlichen Gemeinden oder sie interpretieren unsere Zeit als den endgültigen Niedergang. Es lohnt sich auch linke und offizielle Medien zu verfolgen. Die treffendste Beurteilung etwa des jüngsten BRICS-Gipfels in Russland war ausgerechnet bei der Tagesschau zu finden. Es kursieren in alternativen Medien zu viele Halbwahrheiten, persönliche Spekulationen und Ideologeme, die ein realistisches Bild verhindern.

*Das inzwischen existierende rudimentäre rechte Milieu kann sich mit den schon lange beschworenen geschlossenen Wirtschaftskreisläufen befassen. Die müssen gar nicht so geschlossen sein, binnenrechte Wirtschaftsstrukturen dürfen durchaus auch nach außen wirken. Man kann Immobilienfirmen – Plural! – mit Sitz im Ausland gründen, die endlich eine binnenrechte Infrastruktur ermöglichen, das empfiehlt sich auch über eigene Druckereien, Radiosendungen usw.

 

Herr Schwarzenberger, ich habe eine letzte Frage, die sicherlich auch unsere Leser brennend interessiert. Wo steht die deutsche Rechte in 5 bis 10 Jahren? Welche Szenarien halten Sie für möglich?

D.S.: Die Frage ist präzise gestellt, weil eine Prognose unmöglich ist. Ich arbeite mit Szenarien. Es richtet sich nach den Schlüsselfaktoren Wirtschaft, Einwanderung und Weltlage. Alles bedingt sich. Wohin steuert Washington? Wie verzögert sich Washingtons Niedergang? China wird nur kurzfristig profitieren und dann selbst degenerieren. Die globalen Machtverhältnisse werden auf immer schwächere Staaten übergehen. Was macht das mit Deutschland und Europa? Wie entwickelt sich die AfD? Fallen auf Länderebene die Brandmauern zur CDU? Wie reagieren dann die einzelnen ideologischen und regionalen Flügel der AfD und der CDU?

Eine Zunahme des rechten Prinzips in Deutschlands Politik ist zu erwarten, weil sachliche Probleme heute rechte Lösungen erfordern, aber nicht zwingend von der AfD bedient werden. Wann erwächst die erwartete marxistische Partei? Als wie stabil erweisen sich die Minderheitsregierungen und heterogenen Koalitionen auf Länderebene? Profitiert von deren Labilität die Rechte? Kann es auch wie in Italien und Griechenland technokratische Regierungen aus „Experten“ geben, wenn das Land unregierbar würde? Was löst eine solche Notstandsregierung in Land oder gar Bund bei Linken und Rechten aus? Wandeln sich Deutschlands Rechte von Getriebenen zu entschlossen Handelnden? Wie reagieren die Sicherheitsorgane auf dysfunktionale Entwicklungen und den kaum vorhandenen sozialen Kitt? Werden Rechte als Problemlöser einkalkuliert? Wird es einen deutschen Trump geben, der verzögernd wirkt?

Mit diesen Fragen lassen sich die unterschiedlichsten Szenarien erörtern, die Rahmenbedingungen öffnen und verengen sich ständig – und zwar für alle Beteiligten.

 

Ich bedanke mich für das Gespräch.

 

 

Weitere vertiefende Lektüre von Dominik Schwarzenberger finden interessierte Leser u.a. in folgenden Essays und Artikels auf diesem Blog:

Von der Ohnmacht der Deutschen Rechten

Dritte Position: Porträt einer Weltanschauung

Die Wahl zum europäischen Parlament: Rückschau, Analyse und Ausblick

Die Entwicklung der politischen Rechten: Ursprung, Erscheinungen, Trends und Potential