Der Krieger und das dunkle Zeitalter II: Hedonismus statt Heroismus

von | 06. Jan. 2018 | Philosophie & Theorie

Nun, da der Heros also tot ist, macht sich der Hedonismus, die Hybris breit. Doch sie ist, wie wir ja bereits oben gesehen haben, kein Ding, welches aus dem Nichts hervorgetreten wäre. Sie nimmt den Platz ein, den vorher der Heros inne hatte. Es würde an romantische Spinnerei grenzen, davon auszugehen, dass die prädemokratische Gesellschaft ausschließlich aus heroischen Menschen bestand. Vielmehr ist das, was wir als Held bezeichnen können, schon immer in der Minderheit gewesen. Doch eine Gesellschaft bzw. eine Menschengruppe sollte nicht nur daran gemessen werden, was sie ist, sondern auch, was sie für ein Selbstverständnis hat bzw. welche Ideale sie vertritt. Während es in einer längst vergangenen Zeit – wir denken hier an die Zeit des Rittertums, der Kaiser und Könige – ein echtes Ehrverständnis gab, man also unter Ehre noch eine virtuose Kraft, eine Tugendhaftigkeit verstand, erzeugt sie bei den „aufgeklärten“ Menschen unserer Tage im besten Fall nur noch ein Lächeln. Kein Zweifel kann mehr bestehen, dass es sich hierbei um einen zweckmäßigen Vertrag handelt, den die Individuen des Bürgertums eingegangen sind. Dieser Gesellschaftsvertrag, in der die Vernunft das Maß aller Dinge darstellt, nein sogar zur heiligen Kuh ernannt wurde, ist nichts weiter als ein feiges Zurückschrecken vor dem täglichen Kampf des Überlebens. Tatsächlich können wir beobachten, dass mit zunehmendem Wohlstand auch die Zivilisation immer stärker in den Vordergrund tritt und aus dieser sich eine Dekadenz ergibt, die ein Ausdruck einer sterbenden Zeit, einer sterbenden Kultur ist.

Übrig bleibt die Gesellschaft, in der es ausschließlich Zweckbündnisse gibt. Es ist wie im Geschäftsleben. Hier finden sich ebenfalls Partner zu Gesellschaften zusammen. Ihr Ziel: Die Maximierung ihres Profits. Seit Milton Friedman wissen wir, dass wir nur dann eine wirkliche Chance auf ein möglichst großes Stück vom Kuchen haben, wenn wir die moralischen Werte über Bord werfen. So ist der Kapitalismus, heute in Form des grenzenlosen Neoliberalismus, zu einer Lebenswirklichkeit geworden. Keine Frage, dass er gerade in Zeiten, in denen die letzte Weltwirtschaftskrise kaum ein Jahrzehnt zurückliegt, auch Kritiker gegen sich hat. Doch finden wir die Kritiker hauptsächlich in den Reihen der Verlierer, jener also, die nicht von den deregulierten Finanz- und Kapitalmärkten profitiert haben. Hier werden dann Forderungen nach „sozialer Gerechtigkeit“ aufgeworfen. Welch ein schnödes und abstraktes Wort – ist die „soziale Gerechtigkeit“ doch nur eine Phrase für die Unzulänglichkeit der Unterprivilegierten. Welcher Missbrauch mit diesem suggestiven Schlagwort getrieben wird, zeigt das Beispiel einer deutschen Frau, die ich kurz vor Weihnachten im Radio zu der angekündigten Schließung des Görlitzer Siemenswerkes hörte. Das Werk soll voraussichtlich bis 2023 geschlossen werden und bedeutet für etwa 960 Mitarbeiter ernsthaftes Bangen um die Zukunft. Man hörte geradezu den erhobenen Zeigefinger dieser Frau. „Sozial ungerecht“ sei das und „unverantwortlich gegenüber den vielen Familien, die hinter den jetzt um ihren Arbeitsplatz zitternden Menschen stehen“. Ich fragte mich, ob dieselbe Frau irgendeine Forderung nach „sozialer Gerechtigkeit“ und Verantwortung erhoben hätte, wenn es sich dabei um ein Werk gehandelt hätte, bei dem andere als sie selbst um ihre Existenz hätten bangen müssen. Handeln die Konzernchefs doch nur im Auftrag dieser Gesellschaft, die den Kapitalismus willfährig angenommen hat und nicht genug kriegen kann. Gewinnmaximierung lautet die Losung der Stunde, die Losung des Bürgertums. Derartige Formeln sind Getöse eines „verkleinbürgerlichten Proletariats“

Man verstehe mich bitte nicht falsch. Natürlich zähle ich auch zu den Gegnern dieses neoliberalen Schneeballsystems, welches das Leben auf diesem Erdenball vertilgt. Doch mache ich mir heute auch die Gegnerschaft dieser kleinbürgerlichen Steigbügelhalter zu eigen. Sie sind die Urheber. Arnold Toynbee konstatiert treffend, wenn er schreibt: „Zivilisationen gehen durch Selbstmord und nicht durch Mord zugrunde.“ So ist es. Wo sie hätten im Chor mit „Nein“ antworten sollen, da haben sie im schlimmsten Falle „Ja“ und im besten gar nicht geantwortet. Sie lassen sich zersetzen, blind getrieben von der Gier nach mehr und immer mehr. Keine Frage, dass auch der Eigennutz und das Streben nach Eigentum zum Menschen, ja zur Natur im Allgemeinen gehören. Doch stand eben dieser immer eine Gegenleistung gegenüber, die heute ausbleibt. Es gehört sogar zum guten Ton, man rühmt sich gar ein guter Trickbetrüger zu sein und andere über’s Ohr hauen zu können. „Wenig leisten, viel hervortreten!“ ist das oberste Gebot dieser Wahnsinnigen. Diejenigen unter ihnen, die nicht gewieft genug sind, den Leuten Hab und Gut zu entlocken, die schimpfen auf die Ungerechtigkeit.

Und wie steht es mit dem Ästhetischen, dem also, was wir allgemein als schön betrachten? Es ist zu einem Gegenstand von Museen geworden. Dort gibt es noch einige Treuhänder, die das Erbe unserer Väter und Vorväter verwalten und es verstehen, in Szene zu setzen. Dafür darf der aufgeklärte Bürger dann einige Taler begleichen, will er in diese Kammer der gesammelten Werke vergangener Tage. Die Menschen stehen vor einem Dürer oder einem da Vinci und können die Seelenkraft kaum mehr fassen, die diese genuinen Schaffenden hervorbrachten. Deshalb weiß der Museumsbesitzer dem geistlosen Blick eine Freude mit ein paar Klecksen auf Papier zu bereiten. Der Beobachter kann mit diesem ebenso wenig anfangen. Doch in der Hybris ergießt er sich in einem Getue, das seiner Umwelt suggeriert, er könne die Seele des Künstlers fassen und seinen „Schmerz verstehen“. Dies kann nur aus einem Mund herausbrechen, der sonst nur Ödland gewohnt ist und seinen Sinn für das Schöne und somit auch die Fähigkeit zur Kreativität verloren hat – wenn er sie denn je hatte.

Welch tragische Figur stellt dabei doch der Heros dar. Er ist kein Held mehr im gesellschaftlichen Sinn. Denn Helden sind wir ja wenn, dann alle. In der Gesellschaft, in der zwar Individuen gegeneinander um eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz konkurrieren, doch nicht müde werden uns die Gleichheit aller heraufzubeschwören. Der Held ist also deshalb so verpönt, weil er sich von den anderen abhebt – und das in einem allgemein positiven Sinn. Das darf nicht sein. Die kleinbürgerlichen Verlierer, jene also, die im vorhergehenden Jahrhundert höchstens als Proletarier durchgegangen wären, dulden keine Heroen. Sie möchten keine Helden, keine Ritter. Sie möchten Gleiche unter Gleichen sein, wenn sie es schon nicht schaffen unter den Gleichen die Gleicheren zu werden. Denn dazu fehlen ihnen der Mut und die Entschlossenheit.

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Der Krieger und das dunkle Zeitalter I: Das Zeitalter des Nihilismus

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