Corona: Zeiten der Wirren

von | 21. Apr. 2020 | Philosophie & Theorie

Die Spannung war groß, als die Kanzlerin Angela Merkel zusammen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, dem Bundesfinanzminister Olaf Scholz und dem Esten und Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher am 15. April 2020 zur Pressekonferenz nach den Beratungen zum Umgang mit der Corona-Krise traten. Viele Menschen – insbesondere aus der Wirtschaft – dürften auf eine Lockerung des Lockdowns gehofft haben. Was sie bekamen, war nichts weiter als eine leichte Auflockerung der Ausgangsbeschränkungen. Im Hinblick auf die sukzessive zunehmende Rezession – auch wenn es sich dabei um einen administrativ veranlassten Shutdown handelt – ist dieses Ergebnis mehr als enttäuschend. Denn ab sofort gibt es ein neues Kriterium für eine eventuelle Reduzierung der Freiheitsbeschränkungen: Solange kein Impfstoff und auch kein anderes Medikament da seien, ist an eine Rückkehr zur Normalität nicht zu denken.

Bezeichnend waren die Worte des Bundesfinanzministers, der da wortwörtlich sagte: „Wir bewegen uns in eine neue Normalität.“ Man achte bitte auf das kleine Wörtchen „neu“. Was das nun genau bedeutet, überließ er der Vorstellungskraft der Zuhörerschaft. Auf jeden Fall lässt diese Andeutung nichts Gutes ahnen. Jedoch ist davon auszugehen, dass es in nächster Zeit keinen Impfstoff geben wird. Selbst wenn man in naher Zukunft ein Medikament entwickeln würde, müsste dies erst einmal ausgewogen auf Verträglichkeit und Nebenwirkungen getestet werden. Genauso müsste dieses, um es in der Gesellschaft zu verteilen, massenweise produziert werden können, was wiederum Zeit und Technologie erfordert. Demnach ist damit zu rechnen, dass der Lockdown – sollte weiterhin an diesem Kriterium festgehalten werden – zu unserem mittelfristigen Alltag gehören wird, bis ein Impfstoff oder ein wirksames Medikament entwickelt wurde und verteilt werden kann.

Was wird gelockert?

Im Grunde genommen bleibt alles bis einschließlich dem 3. Mai 2020 beim Alten, was einer Verlängerung der Ausgangssperre um weitere zwei Wochen gleichkommt. Lediglich der Einzelhandel erfährt eine größere Lockerung. Eine Maskenpflicht soll es ebenfalls nicht geben. Einen einheitlichen Fahrplan gibt es auch zum jetzigen Zeitpunkt nicht wirklich. Alle anwesenden Akteure beteuerten, dass dies eine logische Folge aus dem Föderalismus der Bundesrepublik Deutschland sei. Dies müsse jedoch kein Nachteil sein, sondern wäre gar ein Vorteil. Nun kann man dem nicht zwangsläufig widersprechen. Sinnvoll ist es natürlich, wenn die Bundesländer einen Rahmen vorgegeben bekommen, in dem sie entsprechend der länderspezifischen Lage innerhalb dessen handeln können. Zwar versuchten die Politiker dies den Anwesenden zu verkaufen und damit souveränes Handeln zu suggerieren, doch dürfte dem aufmerksamen Beobachter aufgefallen sein, dass der Großteil des Gesagten weder neu, noch inhaltlich validierbar war. Jetzt könnte man sagen, dass das doch typisch für Politiker ist. Ist es normalerweise auch. Doch wir leben in außergewöhnlichen, also unnormalen Zeiten – und da kann man von den Regierenden auch außergewöhnliches Verhalten verlangen. Dass die Maßnahmen durchaus außergewöhnlich sind, möchte ich keineswegs bestreiten. Dennoch wirken sie kopflos.

Die Unzulänglichen

Zwar sind laut Umfragen die meisten Deutschen für eine Verlängerung der Ausgangsbeschränkung, doch fragt sich, wie lange dies noch so bleiben wird. Ist der durchschnittliche Bürger in der westlichen Welt doch an Wohlstand, individuelle Freiheiten und an Überfluss gewöhnt. Dies wurde ihm nun lediglich für knapp vier Wochen genommen. Nun sollen zwei weitere dazu kommen. Geht dies so weiter, ist damit zu rechnen, dass sich immer mehr dagegenstellen werden. Vor allem, wenn man das Gefühl bekommt, dass die Herrschenden einfach selber keinen Plan, kein Konzept haben, wie es denn weitergehen soll. Auf wichtige Fragen hinsichtlich des zukünftigen Lebens konnten alle anwesenden Politiker nicht antworten. Olaf Scholz ließ uns nur wissen, dass wir eine „neue Normalität“ bekommen werden. Nachdem die „Krisenmanager“ nun ausreichend Zeit hatten, um die Situation zu eruieren und daraus entsprechenden Handlungsbedarf mit klarem Zeitplan abzuleiten, ist diese Vorstellung mehr als dürftig. Es wird immer deutlicher, dass das Regime mit der Situation überfordert ist. Ich möchte mich hier keineswegs zu der Sinnhaftigkeit dieser Maßnahmen äußern, da ich kein Mediziner bin, um dies entsprechend beurteilen zu können. Was ich allerdings weiß, ist, dass wir derzeit eine gewaltige mir bis dahin unbekannte Welle an Desinformation erleben. Es gibt in der Medizin mindestens zwei vollkommen konträr sich gegenüberstehende Meinungen zu den Maßnahmen. Die einen erklären sie für Nonsens, während die anderen sie für notwendig erachten, um Menschenleben zu retten. Dabei stehen auf beiden Seiten Fachleute, Virologen, Epidemiologen und Infektionisten und haben schlüssig klingende Argumente zu bieten. Als Dialektiker bin ich überzeugt, dass die Wahrheit irgendwo dazwischenliegen wird, werde mich aber nicht wie viele andere zu weit aus dem Fenster lehnen. Es geistern insbesondere in rechten Kreisen die wildesten Verschwörungstheorien herum, was bezeichnend für den Zustand derselben ist. Dabei wird sogar behauptet, dass es das Virus überhaupt nicht gäbe. Ich wünsche selbigen nicht, dass ein wertgeschätzter Mensch aus ihrem Umfeld oder gar sie selbst an dem Virus erkranken. In meinem Umfeld ist das leider bereits bittere Realität – und zwar mehrfach.

Wir können allerdings auch daraus etwas lernen. Denn was ist der Ursprung einer jeden Verschwörungstheorie? Fehlendes Vertrauen der Vertreter der Theorien gegenüber den Entscheidungsträgern und den Medien. Wenn es eine Ursache für diese vollkommene Desinformation zu diesem Thema gibt, dann doch, dass die Menschen in diesem Land nicht mehr glauben (können?), was ihnen von den Mainstreammedien und den Politikern erzählt wird. Hier gab es insbesondere in den letzten fünf Jahren einen massiven Vertrauensverlust. Dies zeichnet sich nicht nur bei den ohnehin kritischer eingestellten Rechten ab, sondern auch bei der bürgerlichen Mittelschicht, die sich vor allem durch die staatlich angeordneten Maßnahmen vor dem sozialen Abstieg fürchten muss.

Das interne Strategiepapier des Innenministeriums – Nur für den Dienstgebrauch

Dass die Zeichen auf Sturm stehen und uns noch gewaltige Umwälzungen, insbesondere ökonomischer Natur, erwarten können, habe ich bereits in meinem Artikel „Das Euro-Desaster: Das Ende einer Ära“ sowie in „Corona und die politische Krise der EU“ verdeutlicht. Diese mögliche Entwicklung bis hin zu anarchistischen Verhältnissen hält man offenbar auch in Regierungskreisen für möglich. Denn dank der Internetplattform der Open Knowledge Foundation Deutschland e. V. www.fragdenstaat.de (hier geht es direkt zum Regierungspapier: https://fragdenstaat.de/dokumente/4123-wie-wir-covid-19-unter-kontrolle-bekommen/) haben wir Zugriff auf ein Strategiepapier aus dem Innenministerium, welches den Titel trägt: „Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen“. Man kann grundsätzlich davon ausgehen, dass dem Innenministerium bzw. dem Verfassungsschutz genügend Informationen vorliegen, um die Lage weitestgehend richtig einschätzen zu können. Horst Seehofer soll diese Studie bereits am 18. März 2020 bei seinem Planungsstab in Auftrag gegeben haben[1]. Mithilfe des Robert-Koch-Instituts (RKI) sowie weiterer diverser Fachleute, auch von ausländischen Universitäten, wurde hier ein Strategiepapier entwickelt, welches drei mögliche Verbreitungsszenarien und vier mögliche Szenarien hinsichtlich der wirtschaftlichen und daraus resultierenden gesellschaftlichen Entwicklung behandelt. Ich möchte im Folgenden die für uns hier wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Studie zusammenfassen.

A) Grundsätzliche Handlungsweise

Die Autoren mahnen die Regierung zu einer offenen, transparenten und unmissverständlichen Kommunikation über das Worst-Case-Szenario, welches Experten nach bis zu eine Million Tote allein in Deutschland zur Folge haben könnte. Um dieses zu verdeutlichen, sollte die Politik Schockwirkungen in der Bevölkerung erzielen. Dabei empfehlen die Autoren u. a. folgendes zu kommunizieren: „Kinder werden sich leicht anstecken, selbst bei Ausgangsbeschränkungen, z. B. bei den Nachbarskindern. Wenn sie dann ihre Eltern anstecken und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, Schuld daran zu sein, weil sie z. B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann.“[2]

Des Weiteren wäre die Geschlossenheit zwischen Politik und Bürger eine der dringlichsten Voraussetzungen, diese Krise zu überstehen.

Um das zu gewährleisten soll der Bürger genau verstehen, warum die getroffenen Maßnahmen notwendig sind. Dabei postulieren die Autoren neben der sozialen Distanzierung auch großflächige Tests, um „aktives Krisenhandeln des Staates“ zu demonstrieren. Dadurch soll vor allem Akzeptanz für die Freiheitsbeschränkung gewonnen werden. Des Weiteren solle die Regierung dafür sorgen, dass die „Kapazität für die nötige medizinische Betreuung erhöht werde“. Dazu bedarf es einer umfassenden Mobilisierungskampagne, um die Gesellschaft zum Durchhalten der Maßnahmen zu mobilisieren. Dabei wäre das „Verschweigen des Worst Case keine Option“.[3]

Bereits zu Beginn des Papiers machen die Autoren deutlich, dass bei „Unterschätzung der Größenordnung dieser Herausforderung“ immense, „irreversible Schäden“ entstehen werden[4].

B) Drei Szenarien hinsichtlich der Ausbreitungsgeschwindigkeit und Intensität des Virus

In dem Strategiepapier werden drei Szenarien beleuchtet, wie sich die Ausbreitung von COVID19 entwickeln könnte. In dem bereits erwähnten „Worst Case“ würde es zu einer rasanten Ausbreitung kommen, die eine Überlastung des Gesundheitssystems bewirken würde, und dadurch würde etwa eine Million Menschen an den Folgen sterben. Um dieses zu verhindern, könnte auf ein zweites Szenario mit dem Namen „Dehnung“ hingewirkt werden. In diesem Szenario würden die physischen Kontakte weitestgehend und für einen längeren Zeitraum ausgedehnt, um dadurch die Ausbreitungsgeschwindigkeit zu verlangsamen. Die Folge wären lediglich 220.000 Tote, also einer deutlich niedrigeren Mortalität, jedoch mit immensen wirtschaftlichen Schäden. Das dritte Szenario lautet „Hammer and Dance“, welches zugleich auch am meisten unter den Experten weltweit diskutiert würde. In diesem Szenario solle zunächst mit dem Hammer (Freiheitsbeschränkung) auf die Bevölkerung eingeschlagen werden, um danach wieder auf zu machen und die Leute tanzen zu lassen. Hier sind großflächige Tests notwendig, um zu gewährleisten, dass die Infizierten identifiziert und entsprechend punktuell in Quarantäne gesetzt werden können. Dieses Szenario, welches wohl auch von vielen Beratern favorisiert wird, hätte nur 12.000 Tote zur Folge, wobei der wirtschaftliche Schaden geringer sein dürfte.[5]

C) Wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen

In dem Papier werden zudem vier Szenarien für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung skizziert. Vorab weisen die Autoren darauf hin, dass das Scheitern des Krisenmanagements zu massiven Verwerfungen führen wird. Wortwörtlich heißt es dort auf Seite 8: „Sollten die hier vorgeschlagenen Maßnahmen zur Eindämmung und Kontrolle der Covid-19-Epidemie nicht greifen, könnte im Sinne einer ‚Kernschmelze‘ das gesamte System in Frage gestellt werden. Es droht, dass dies die Gemeinschaft in einen völlig anderen Grundzustand bis hin zur Anarchie verändert. Dementsprechend wäre es naiv, davon auszugehen, dass ein Rückgang des BIP um eine zweistellige Prozentzahl, etwa jenseits der 20%, eine lineare Fortschreibung der Verluste aus dem Fehlen einiger Arbeitstage bedeuten und ansonsten das Gesamtsystem nicht in Frage stellen würde. Aus diesem Grund ist die – alle anderen Überlegungen dominierende – Strategie der Eindämmung mit Vorkehrungen zu verbinden, um die ökonomischen Konsequenzen so gering wie möglich zu halten.“

Spätestens jetzt sollte klar werden, dass dieser externe Schock (COVID19) zu massiven Veränderungen führen kann, wenn die Autoren hier gar die drastische Wortwahl einer Kernschmelze und der möglichen Anarchie verwenden. Denn diese Erkenntnis ist nichts Anderes als das von uns auf diesem Blog bereits mehrfach behandelte „Gesetz des Ehernen Mangels“. Lesen Sie dazu bitte noch einmal den wirklich fundierten Aufsatz von Dominik Schwarzenberger „Von der Möglichkeit der Krise oder das ‚eherne Gesetz des Mangels‘“. Er ist in diesen Tagen Gold wert und hilft, diese Zeit richtig zu verstehen.

Generell muss dem Leser klar werden, wie wichtig eine funktionierende Wirtschaft ist. Ohne eine funktionstüchtige Wirtschaft geht gar nichts. Wenn die Regale in den Läden leer sind und damit die Grundversorgung der Menschen nicht mehr gewährleistet werden kann – wohlgemerkt wäre dies ein absolutes Schreckensszenario – dazu gepaart mit einer Divergenz zwischen den Bürgern und den Politikern, dann sind die wichtigsten Voraussetzungen für eine Revolution geschaffen. Das dürfte nach Lektüre des Schwarzenberger-Textes kein Geheimnis mehr für den Leser darstellen.

D) Die vier Szenarien zu Wirtschaft und Gesellschaft

Kommen wir nun zu den vier Szenarien hinsichtlich der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung durch die COVID19-Pandemie. Diese basieren allesamt lediglich auf „groben Überschlagsrechnungen, die vielfältige Anpassungsprozesse und Komplikationen außer Acht lassen[6]. Grundsätzlich gilt für jedes vorhergesagte Szenario das gleiche, was für jede Prognose gilt: Sie sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. Bei diesen Szenarien wird nicht nur hinsichtlich der Ausbreitungsgeschwindigkeit, wie oben gesehen, unterschieden, sondern vor allem anhand der politischen sowie medizinischen Reaktionen durch den Staat. Denn die daraus resultierende Dauer der Unterbrechung der Arbeitsteilung und der Marktprozesse ist dabei die wichtigste Einflussgröße für die Intensität der nachfolgenden Auswirkungen.

Szenario 1: „Schnelle Kontrolle“

In diesem ersten und zugleich Best-Case-Szenario müsste es nach den Osterferien zur Lösung des Lockdowns kommen. Wenn die Fallzahlen der letzten 6 Wochen deutlich heruntergingen, dann könnten ab sofort wieder Schulen und Kindergärten geöffnet werden. Des Weiteren gingen die Autoren davon aus, dass ab diesem Zeitpunkt die Ausgangsbeschränkungen merklich gelöst und dadurch das gesellschaftliche Leben sowie die Wirtschaft wieder hochgefahren werden. Das hätte zur Folge, dass sich die Wirtschaft im Herbst wieder erholt. Dies hätte jedoch zur Voraussetzung, dass man breitangelegte Tests durchführen könne. Wichtig in diesem Szenario wäre die Identifizierung der Infizierten, um die Quarantäne und Beschränkungen nur noch punktuell anwenden zu müssen. Der Rest der Gesellschaft wäre wieder frei. In diesem Best Case wird von einem leichten Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und einem etwas größeren Einbruch der Industrie gerechnet, dessen Größenordnung jedoch geringer wären, als zu Zeiten der Finanzkrise von 2007-2009. Als Best Case ist dieses Szenario aus Sicht der Autoren anzustreben. Um dieses Szenario zu verwirklichen, muss es jedoch schnellstmöglich gelingen, breitflächige Tests durchzuführen.

Szenario 2: „Rückkehr der Krise“

Dieses zweite Szenario geht davon aus, dass nach einer zweimonatigen Ausgangsbeschränkung die Epidemie weitestgehend eingeschränkt werden kann und danach wieder der normale gesellschaftliche und wirtschaftliche Betrieb aufgenommen wird. In der zweiten Jahreshälfte würde es dann jedoch zu einer Rückkehr der Epidemie kommen, was bis in das nächste Jahr andauern könnte. Anders als in Szenario zwei würde es nicht zu einer wirtschaftlichen Erholung in der zweiten Jahreshälfte kommen. Die Auswirkungen auf Wirtschaft und Industrie wären in diesem Szenario vergleichbar mit denen der Finanzkrise 2007-2009. Allerdings ist damit zu rechnen, dass die Nachzeitwirkungen noch drastischer ausfallen würden, da diese Finanzkrise diesmal mit einer Epidemie gepaart ist und daher keiner weiß, wie sich dies genau auf die Finanzmärkte und die Realwirtschaft auswirken wird. Genauso wie in Szenario 1 würde besonders der Dienstleistungssektor betroffen sein. Hier ist insbesondere die Tourismusbranche zu benennen.

Szenario 3: „Langes Leiden“

In diesem dritten Szenario wird davon ausgegangen, dass die schnelle Eindämmung der Epidemie nicht gelingt und es deshalb zu einer Ausweitung der Ausgangsbeschränkungen auf bis zu vier Monaten kommt. Nach der Auflösung des Lockdowns käme es dann zwar zu einer Erholung der Wirtschaft bis Ende des Jahres, aber diese Nachholeffekte werden eher gering ausfallen. Mit einem Einbruch des BIP um mindestens 9 Prozent und der Industrie um wenigstens 15 Prozent, was wieder vergleichbar mit der Finanzkrise von 2007-2009 ist, haben die Autoren einen eher optimistischen Ausblick geliefert. Denn darin sind nicht sich möglicherweise selbstverstärkende Effekte, die sich im Zuge der Krise ergeben. Jede Krise hat ihr Eigenleben und jede Krise ist individuell. In Wirklichkeit kann hier mit weitaus größeren Verwerfungen gerechnet werden. Dieses Szenario könnte vor allem in das vierte Szenario münden.

Szenario 4: „Abgrund“

Dieses vierte Szenario geht davon aus, dass nicht nur die Eindämmung nicht gelingt, sondern die Ausbreitung des Virus überhaupt nicht mehr beherrschbar ist. Dadurch käme es zu einer unkontrollierbaren Entwicklung. Die Ausgangsbeschränkungen würden damit bis Ende des Jahres anhalten. Die Autoren gehen davon aus, dass hier das BIP um 32 Prozent und die Industrie um 47 Prozent einbrechen. Weitere sich verstärkende Negativwirkungen könnten in den Abgrund führen. Dieses Szenario ist der absolute Worst Case, in dem die Wirtschaft total zusammenbrechen würde, was wiederum kaum vorstellbare Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben und in Hinsicht auf politische Konsequenzen hätte.

Was erwartet uns nun?

Wie bereits oben gesagt, sind Prognosen immer schwierig. Niemand kann die Zukunft vorhersagen. Doch Wahrscheinlichkeiten kann man berechnen – und nichts Anderes haben die Autoren dieses Strategiepapiers aus dem Innenministerium gemacht. I. d. R. kommt es zu einem Mix von wahrscheinlichen Szenarien. Wir können uns zwar anschauen, wie sich Finanz- und Wirtschaftskrisen in der Vergangenheit entwickelt haben, doch jede Krise hat seine Alleinstellungsmerkmale. Eine genauere Vorhersage ist daher schwierig. Was wir hier erleben, ist einmalig in der uns bekannten Wirtschaftsgeschichte. Bisher scheint auch noch der Best Case möglich zu sein – zumindest mit einer zeitlichen Verzögerung. Die Epidemie scheint zumindest unter Kontrolle zu sein. Auch hat man die Reproduktionsrate, also die Anzahl der Menschen, die ein Infizierter ansteckt, mittlerweile auf unter eins reduziert. Das sind Anzeichen dafür, dass man schon bald wieder das gesellschaftliche Leben und damit die Wirtschaft hochfahren kann. In Deutschland haben die Labore ihre Testkapazitäten bisher auch seit Anfang März um das 14-fache gesteigert. Laut einem Artikel des SWR sind mittlerweile täglich bis zu 100.000 Tests möglich. Jedoch werden vor allem Schnell-Tests für großflächige Aktionen benötigt. Doch da ist man in Deutschland noch nicht so weit.[7]

Was die Autoren in dem Papier des Innenministeriums immer wieder hervorheben, ist die klare und transparente Kommunikation, die zu einem Miteinander zwischen Bürger und Politik führen soll. Aber genau hier hapert es erheblich. Während die Augen der Nation am 15. April auf die Kanzlerin gerichtet waren und man sich erhoffte, nun etwas über den weiteren Verlauf zu erfahren, hat diese nur enttäuscht. Kein Konzept, kein Plan, keine klaren Aussichten. Man kann sagen, dass es sich um eine Ausnahmesituation handelt. Jedoch wurde bereits im Jahre 2013 ein Papier im Bundestag herumgereicht, in dem sich die Autoren bereits mit einer Epidemie auseinandergesetzt haben. Es handelt sich dabei um eine „Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“. Darin wurden auch klare Handlungsempfehlungen vorgeschlagen. Nichts davon ist seitdem umgesetzt worden. Im Anhang 4 ab Seite 55 behandeln die Autoren die „Pandemie durch Virus ‚Modi-SARS‘“ (Hier geht es zum Bericht). Dieses Corona-Virus war also gar kein so schwarzer Schwan, weil er zumindest in der Theorie bereits in Erwägung gezogen wurde. Dass nun das Zögern, die Zurückhaltung und Intransparenz über die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen auch noch von den Mainstreammedien als gutes Krisenmanagement verkauft werden, zeigt eine Propagandamaschinerie im Maximalzustand. In Wirklichkeit reagiert die Regierung ausschließlich und hat die Lage nicht wirklich im Griff. Der Gesundheitsminister Jens Spahn, der bekanntlich in der Vergangenheit immer wieder mit arroganter Ignoranz (siehe z. B. hier) von sich reden machte, wird hier als ein Krisenmanager hochstilisiert, der „einen tollen Job“ mache[8]. In Wirklichkeit war er es, der noch im Januar vor Fake News und Übertreibungen bezüglich des Corona-Virus warnte. Er ist es auch der schon seit Wochen Schutzmasken und Desinfektionsmittel für Pflege- und Ärzteeinrichtungen verspricht, aber es nicht hinbekommt, dass diese zum Einsatz zur Verfügung stehen. So ignorierte das Bundesgesundheitsministerium die Warnungen von Händlern, dass Schutzmasken reserviert werden müssen, um der sich anbahnenden Entwicklung Herr zu werden[9].

Obgleich wir damit rechnen müssen, dass sich die Zukunft anders entwickelt als hier dargestellt, ist es beachtlich, dass die Autoren im schlimmsten Fall von einer Kernschmelze, die bis hin zum Zustand der Anarchie führen könnte, sprechen. Zumindest zählt man die Möglichkeit der Infragestellung des gesamten politischen Systems zu den wahrscheinlichen Ereignissen. Das mögen drastische Worte sein, die dazu dienen sollen, die Aufmerksamkeit der Regierung zu gewinnen. Wir können und sollten davon ausgehen, dass die Autoren hier ein Abgrund-Szenario auf Grundlage von einer Fülle an Informationen in Aussicht stellen, was dann zu unvorstellbaren Konsequenzen führen könnte. Dies sollten wir ernst nehmen und ich kann nur jedem daher empfehlen, das Strategiepapier einmal selbst zu lesen.

Bezüglich der grundsätzlichen Handlungsweise halten sich die Regierenden arg zurück. Nur in einem Punkt scheinen sie übereinzustimmen. Die Angst- und Panikmache gehört zum Grundstock der Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Virus.

Was bedeutet das für mich?

Wir leben in wirren Zeiten, die besonders von Desinformation gezeichnet sind. Dazu versteigen sich auch immer mehr Opponenten, das Virus zu leugnen oder zu verharmlosen. Dass es sich hierbei nicht um ein Killervirus handelt, wie es die Medien teilweise zeichnen, ist klar. Wenn es sich hierbei tatsächlich um eine chinesische Biowaffe handelt, dann ist es eine im Vergleich zu anderen eher ineffiziente Biowaffe. Diese Zeit wirkt wie die Russische Smuta, die Zeit der Wirren, in der das russische Volk nach Führung verlangte, aber dergleichen nicht bekam. Russland wirkte damals kopf- und ziellos, genauso wie nach der Perestroika und Glasnost unter Jelzin. Die Lage ist ernst, und deshalb sollte man sich nicht von dem Defätismus[10] einiger Relativierer ablenken lassen. Denn in letzter Zeit wollen uns immer mehr angeblich gut informierte „Eingeweihte“ erzählen, dass dieses Virus künstlich ist und nur dazu dienen soll, die New World Order umzusetzen. Es steht außer Frage, dass die Regierenden die Möglichkeiten, die ihnen eine solche Krise bietet, voll ausschöpfen (Beschneidung der Versammlungsfreiheit, totale Überwachung, Abschaffung des Bargeldes, Weltregierung) – und darauf muss deutlich hingewiesen werden! –, doch mit derlei Attitüden bewegt man sich geradewegs in die Kontaminierung.  Ich gehöre nicht zu jenen, die jede Verschwörungstheorie abweisen, denn hinter jeder Theorie steckt auch Wahrheit. Doch wir sollten es vermeiden uns wirr machen zu lassen, von jenen, die uns erzählen, dass es den EINEN Plan gebe, gegen den wir nichts unternehmen können. Jeder sollte wachsam sein und beobachten, welche Gesetze erlassen werden und welche Rhetorik wir von den Herrschenden dargeboten bekommen. Auch wenn die Kernschmelze kaum vorstellbar sein mag, heißt das nicht, dass sie nicht Realität wird. Ein Papier aus dem sicherlich sehr gut informierten Innenministerium muss zumindest ernst genommen werden. Apropos Vorstellung: Wer hätte geglaubt, dass Donald Trump Präsidentschaftskandidat der Republikaner wird und wer konnte sich vor dem 8. November 2016 vorstellen, dass er im Januar die Präsidentschaft der USA übernimmt? Merken wir uns: Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.

Und grundsätzlich gilt für uns: Hoffe auf das Beste, sei auf das Schlimmste vorbereitet!

Quellen und Hinweise

[1] Vergleiche dazu einen Artikel auf der Internetpräsenz von Bayerischer Rundfunk, BR24. Verfügbar unter: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/corona-strategiepapier-mit-effizientem-testen-zum-best-case,RuPWp8O (17.04.2020)

[2] Strategiepapier des Innenministeriums „Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen“,

[3] Ebd., S. 1 f.

[4] Ebd., S. 1

[5] Vgl. ebd., S. 3 – 7

[6] Ebd., S. 9

[7] Siehe dazu: https://www.swr.de/swraktuell/corona-testkapazitaeten-gesteigert-100.html (20.04.2020)

[8] Vgl. dazu eine Aussage von Angela Merkel Anfang März: „Ich finde, dass Jens Spahn einen tollen Job macht.“ Siehe dazu u.a.: https://www.welt.de/politik/deutschland/article206485585/Merkel-zu-Corona-Ich-finde-dass-Jens-Spahn-einen-tollen-Job-macht.html (18.04.2020)

[9] Vgl. dazu https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/corona-krise-hersteller-von-schutzkleidung-greift-jens-spahn-an-a-dba397bb-d86b-4779-af8c-1912aebce7ac (21.04.2020)

[10] Kommt aus dem Französischen und steht für Niederlage. Defätisten sind mutlose Schwarzmaler, die keine Aussicht mehr auf Erfolg sehen und daher längst aufgegeben haben.