Chancen nach Corona: Deglobalisierung und Stärkung des europäischen Großraums

von | 13. Apr. 2020 | Philosophie & Theorie

In den letzten Tagen gab es einige interessante Stimmen innerhalb der Medienlandschaft, die ein Bild nach Corona zeichneten, welches vielen auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen mag. So veröffentlichte beispielsweise das „Handelsblatt“ einen Kommentar von Prof. Dr. Bert Rürup (eigentlich Hans-Adalbert Rürup) mit dem Titel „Das Coronavirus wird die Deglobalisierung beschleunigen“.[1] Der gewählte Titel lässt darauf schließen, dass dieser Prozess bereits in Gang getreten ist. Auch im „Tagesspiegel“ konnte man einen ähnlichen Gastbeitrag von Marc Saxer, politischer Analyst und Leiter des Referats Asien und Pazifik der Friedrich-Ebert-Stiftung, unter dem Titel „Die Coronakrise verstärkt die Trends der Deglobalisierung“ vernehmen.[2] Dies erscheint interessant, da gerade in der derzeitigen Situation die negativen Effekte der Globalisierung immer offener zutage treten. Der Staat ist in den letzten Wochen als aktiver Akteur wieder in den Vordergrund getreten (unabhängig davon, ob die Maßnahmen nun als gut oder schlecht zu bewerten sind) und übergeordnete Institutionen haben in der Krise an Wirkmächtigkeit eingebüßt. An anderer Stelle hat mein geschätzter Kollege Peter Steinborn sich bereits intensiv mit Szenarien aus Sicht des National Intelligence Council (NIC) auseinandergesetzt, in denen ebenfalls auf nationaler Ebene („Die Inseln“) eine Renationalisierung prognostiziert wurde.[3] Diese Szenarien bezogen sich auf die Welt im Jahre 2035. In Anbetracht der zuvor mit aller Gewalt vorangetriebenen Globalisierungsstrategie der Herrschenden erscheint diese Entwicklung überraschend, und tatsächlich muss davon ausgegangen werden, dass die Eliten ihre durch die globale Expansion zuvor gesicherte Macht nicht einfach abgeben werden. Nichtsdestotrotz können sich im Strudel der Ereignisse, beispielsweise bei Betrachtung der jetzigen Situation, Möglichkeiten zugunsten einer Neuordnung der Dinge ergeben, die auch für die europäischen Völker und die Anhänger einer europäischen Identität zuträglich wären. Dies liegt am Ende vor allem auch daran, inwieweit man diese Chancen erkennt und bereit ist, sie zu ergreifen.

Globalisierung als Ideologie

Auf diesem Blog wurde sich bereits hinreichend mit den negativen Folgen der Globalisierung und des einander bedingenden Zinskapitalismus auseinandergesetzt.[4] Es sei an dieser Stelle kurz auf einige wesentliche Merkmale hingewiesen. Die heutige Globalisierung zeichnet sich durch eine Maximierung internationaler Verästelungen im Bereich der Wertschöpfung aus. Die heutige Begriffsdefinition ist im Wesentlichen durch den 1983 erschienenen Artikel „Globalization of markets“ von Theodore Levitt geprägt, wenngleich dieser den Begriff der Globalisierung nicht erfunden hat. Dieser Artikel fällt in eine Phase der Globalisierung, die durch den Zugriff auf die globale Ressourcenbasis, allen voran durch US-Unternehmen, geprägt war. Nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1973 bahnte sich der Neoliberalismus mitsamt seiner Entkoppelung zwischen Realwirtschaft und Geldwirtschaft ökonomisch seinen Weg. Diese Ideologie ging maßgeblich auf die Ideen Milton Friedmans und der „Chicago-Boys“ zurück und propagierte einen völlig grenzenlosen Freihandel gemäß der theoretischen Überlegungen David Ricardos. Die Staatlichkeit spielte in diesen Annahmen keine Rolle mehr, das Primat des Politischen trat hinter das Primat des „freien Marktes“.

Getrieben durch wirtschaftliche Wachstumszwänge haben sich in dieser Phase kapitalstarke Institutionen und Anleger einen globalen Absatzmarkt erschlossen, auf dem sie gewissermaßen zu Monopolen geworden sind. Gemäß dem kapitalistischen Gebot von wachsen oder weichen konnte sich in diesem Gedränge nur derjenige mit der größten Kapitalstärke behaupten. Es entstanden globalisierte Großkonzerne, die aufgrund ihres Umfangs Systemrelevanz entwickelten. Durch permanente Kostenreduktion, Outsourcing, Rationalisierungen und das Herunterschrauben von Öko-Standards stärkten sie ihre Marktmacht und Kapitalstärke und verdrängten kleine und mittelständische lokale Strukturen. Wichtigstes Hilfsmittel dabei war die technische, chemische und organisatorische Rationalisierung der Arbeitsvorgänge.[5]  Diese geht in der Regel zu Lasten der Menschen, der Natur und Lebensräume und der Kultur- und Gesellschaftsordnung.

Die Globalisierung war letztlich nur ein Werkzeug für das Bestreben, die Rahmenbedingungen auf den globalen Märkten anzugleichen, um dem Kapital der Herrschenden gewinnsteigernde Maßnahmen zu ermöglichen. Durch neue Absatzmärkte konnte die überproduzierte Warenfülle der Industrie abgesetzt werden. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer diente zudem der Reduktion der Produktionskosten, schloss jedoch all die negativen externen Effekte, wie Umweltverschmutzung und Gesundheitsrisiken, nicht in die volkswirtschaftlichen Betrachtungen mit ein. Durch die Anonymität der Ausplünderung nahm dieses Verfahren immer exzessivere Züge an, schlussendlich zu Lasten aller Beteiligten. Abgesehen von den Kapitaleignern, die durch die Grenzenlosigkeit der Märkte ihr Kapital unreguliert zirkulieren lassen konnten und durch Spekulationen ganze Volkswirtschaften in den Abgrund treiben ließen, finden sich auf allen Seiten nur Verlierer. Während in den Ursprungsländern die sozialen Kosten durch Arbeitslosigkeit und alle damit verbundenen negativen Auswirkungen, wie Krankheiten und der Zerstörung des sozialen Gefüges, immer weiter anstiegen, ächzten die neuen Absatz- und Produktionsmärkte unter der Zerstörung ihrer natürlichen Lebensgrundlage durch die Verseuchung der Böden, durch Luft- und Wasserverschmutzung und die Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Hinzu kam in den letzten Jahren das Ingangsetzen unnatürlicher globaler Wanderungsbewegungen, ausgelöst teilweise durch die vorherrschende Armut in den ausgebeuteten Regionen, jedoch auch begünstigt durch die integrationistischen Ideen maßgeblicher Globalisierungsprofiteure. Auf diese wird an anderer Stelle noch ein Augenmerk zu richten sein.

Die Globalisierung und ihr System der weltweiten Arbeitsteilung hat ein verflochtenes Gewirre gegenseitiger Abhängigkeiten entstehen lassen, welches sich jeder staatlichen Kontrolle entzieht und von der Güte und Missgunst der globalen Akteure in Form monopolisierter Konzerne und Institutionen abhängig ist. An dieser Stelle ist interessant, welche fälschlichen Assoziationen der Begriff der „Globalisierung“ in manchen hervorruft bzw. welche fälschlichen Eigenschaften ihm allein zugeschrieben werden. Ein gutes Beispiel dafür ist ein jüngst erschienener Gastbeitrag von Karl-Heinz Paqué bei „Zeit-Online“ mit dem Titel „Globalisierung ist nicht das Problem, sondern die Lösung“.[6] In diesem schildert er die seiner Meinung nach gegebenen Vorzüge der Globalisierung im Kontext des Kampfes gegen die globale Ausbreitung des Coronavirus. Es soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass sich meine Globalisierungskritik in diesem Falle nicht darauf bezieht, dass diese die Ausbreitung des Virus erst ermöglicht habe. Natürlich ist es heute durch den internationalen Luftverkehr möglich, dass sich Menschen von den zentralen Drehkreuzen ausgehend innerhalb weniger Stunden auf verschiedenen Kontinenten infizieren. Auch die Tatsache, dass wir es mit internationalen Wertschöpfungsketten zu tun haben, begünstigt selbstverständlich die rasante Ausbreitungsgeschwindigkeit. Dennoch haben Pandemien nachweislich auch bereits vor der ausgeprägten Globalisierung unserer Zeit weltweit Millionen Todesfälle verursacht. Wollte man dies vollkommen verhindern, müsste es zu einem Erliegen jeglichen internationalen Austausches kommen, was in dieser Form nicht realistisch ist. Dennoch wäre die Intensität der Krise zum heutigen Tage freilich nicht annähernd vergleichbar. Zudem ist unter dem Eindruck der gegenwärtigen Regeneration der Natur eine Demobilisierung des Transportwesens ebenfalls als begrüßenswert einzustufen. Bezogen auf den Beitrag Herrn Paqués zeigt sich jedoch, mit welchen Irrtümern der Glaube an die heilsbringende Globalisierung belastet ist.

So schildert dieser, dass erst durch internationale Anstrengungen und globale Kooperationen weitreichende medizinische Forschungsleistungen, bspw. im Kampf gegen HIV, erreicht wurden. Auch die globale Infrastruktur lobt er ausdrücklich, wenn er schreibt: „Und wenn im Zuge der Corona-Krise Atemschutzmasken, Beatmungsgeräte und Desinfektionsmittel in nur wenigen Tagen um die Welt geschickt werden können, ist das dank unserer globalen Infrastruktur möglich.“ Es ist an dieser Stelle schon fast zu einfach, darauf hinzuweisen, dass diesem Problem durch eine entsprechende Notbevorratung und weitere staatliche Vorbereitungsmaßnahmen begegnet werden könnte. Dies würde sich in Anbetracht der Fürsorgepflicht eines Staates für seine Bürger nur gebieten. Inwieweit es außerdem von Vorteil sein soll, Schutzausrüstung und weitere Hilfsgüter zu verschenken, wenn diese selbst benötigt werden (so bekanntlich in Deutschland geschehen), ist immerhin erklärungsbedürftig.[7]
Das Prinzip der Globalisierung ist für ihn dann auch gleich mit den Werten von „Solidarität“ und „Kooperation“ verknüpft, von denen man sich im Laufe der Krise nunmehr immer weiter entfernt habe. Sein Fazit lautet: „Globalisierung muss immer ganzheitlich betrachtet werden. Einer ihrer Kerninhalte ist, dass Unternehmen, Staaten, Institutionen und Individuen international Verantwortung übernehmen, zusammenarbeiten und gemeinsam die Vernetzung nutzen – zum Wohle aller.“ Dieser Fehldeutung, die klarerweise auch der Rhetorik der herrschenden Globalisierungsbefürworter entspricht, muss klar widersprochen werden. Bei der Globalisierung geht es wie oben erwähnt um die Ideologie des freien Marktes und der freien Kapitalzirkulation, nicht um die Kooperation von Staaten, Regierungen, Forschung oder anderen Institutionen. All das gab es bereits vorher. So war es schon lange vor ihrer Höchstphase möglich, internationale Handelsabkommen zu schließen oder industrielle Standards zu vereinbaren. Wenn man die Argumentationen der heutigen Globalisierungsbefürworter hört, fragt man sich zurecht, wie ein großräumiger Handelsverbund wie die Hanse jemals existieren konnte. Historische Beispiele wie dieses belegen eindeutig, dass es bei den heutigen Ausführungen um ganz andere Interessen geht oder einfach eine große Portion Naivität im Spiel ist.

Diese kontrastlose Rhetorik begegnet einem oft, wenn es um grundsätzliche Diskussionen geht, die das System der Herrschenden und ihre Institutionen infrage stellen. Wer sich gegen den Kapitalismus ausspricht, ist für die Planwirtschaft und wer sich gegen die EU ausspricht, ist gegen Europa. Dabei entspricht eine Abkehr vom freihandelstheoretischen System der grenzenlosen Kapitalzirkulation eben nicht automatisch einer Rückkehr in die Isolation einzelner Staaten, sofern es eine solche seit der gesamtheitlichen Staatenbildung überhaupt jemals gegeben hat. Vielmehr ist allzu offensichtlich, dass die gegenwärtige Globalisierung rein gar nichts mit der Kooperation einzelner Staaten und Institutionen gemein hat, sondern einzig und allein mit den Interessen internationaler Eliten. Neben dem Zwang zur Kapitalrendite spielen geostrategische Interessen ebenfalls eine übergeordnete Rolle. Die Wirtschaft hat hier teilweise militärische Funktionen übernommen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die amerikanische Besatzung Afghanistans. Seit der Besatzung des Landes blüht in diesem der Opiumhandel (der im Übrigen zuvor nahezu nicht existent war, da er nicht mit den Gesetzen Allahs vereinbar ist). Nach mehreren Analysen kam heraus, dass Baumwolle vermutlich die beste alternative Pflanze für den Anbau wäre, da sie von hoher Qualität und hohem Ertrag gekennzeichnet wäre. Als dies die US-amerikanische Baumwollindustrie erfuhr, wurden die Pläne rasch vom Tisch gewischt und in Afghanistan wird freudig weiter Opium angebaut. Von „Freihandel“ und „Gleichberechtigung“ bleibt bei diesen Interessen kein Platz. Im Gegenteil, die massiven Subventionen für die US-Baumwollindustrie tragen zur Überproduktion bei, welche wiederum die Märkte schwemmt und somit die lokalen Kleinbauern zerstört. Es muss also festgehalten werden, dass es sich bei der Globalisierung um ein Instrument in den Händen der Herrschenden handelt, welches nichts mit Chancengerechtigkeit zu tun hat. Es geht einzig und allein um geostrategische und finanzielle Interessen. Dafür werden auf den Feldern der Wirtschaft, der Politik und der Kultur globalistische Interessen durchgesetzt.  Dieser Ideologie liegen zudem weitere Ausprägungen zugrunde, welche sich in der Forderung nach einer Weltwährung, eines Weltstaates oder auch einer Weltgesellschaft niederschlagen.

Die nächste Phase der Globalisierung

Seit dem Jahr 2008 und der verheerenden Finanzkrise, deren Auswirkungen wir heute immer noch spüren, ist nach Auffassung verschiedener Autoren eine neue Phase der Globalisierung eingetreten. Vijay Govindarajan, seines Zeichens Professor, Autor und ehemaliger First Chief Innovation Consultant von General Electrics prognostizierte in seinem Artikel „The case for reverse innovation“ eine Phase, in der immer mehr Produkte in den Zielländern selbst entwickelt und produziert werden. Dazu formulierte er einleitend: „A sophisticated emerging-market strategy is not optional for companies that want to survive and thrive in the 21st century”.[8] Dirk Müller gibt in seinem Buch “Machtbeben” ähnliche Ausblicke, allen voran ausgelöst durch die Digitalisierung und Automatisierung wirtschaftlicher Prozesse.[9] Dabei senke die Digitalisierung die Relevanz der Lohnkosten, ein wesentlicher Grund warum Unternehmen in der Vergangenheit ins Ausland abgewandert seien. Diese These stützt auch Prof. Rürup in seinem Artikel. Müller führt aus: „Mit jedem Arbeitsplatz, den ein Roboter übernehmen kann, wird Europa als Produktionsstandort wieder attraktiver.“ Insgesamt prognostiziert er eine große Rückverlagerung von Produktion nach Europa durch Automatisierung und Digitalisierung und benennt diese Faktoren zugleich „auch ein Stück De-Globalisierung“.[10] Prof. Rürup geht in seinem Artikel noch auf einen zweiten Punkt ein, nämlich den Konflikt zwischen den USA und China. Dieser Handelsstreit, so sagt er, sei ein Kampf um die ökonomische Vormacht, der es verhindere, dass es zu einer Rückkehr zur alten Welthandelsdynamik kommen werde. Die USA würden zukünftig darauf drängen, immer mehr ausländische Firmen ins Land zu locken, wohingegen China mit seiner „Neuen Seidenstraße“ ein neues Netzwerk bilde, welches unterschiedlich stark von China abhängig sei. Als großen Profiteur dieser Entwicklung sieht Prof. Rürup die USA. Interessant ist, dass Prof. Rürup und Marc Saxer die gegenwärtige Problematik der stillstehenden Lieferketten ebenfalls stark in den Vordergrund rücken. Diese Situation, so Rürup, werde insbesondere in den stark arbeitsteilig organisierten Bereichen, vorrangig der Industrie, bald für ein Umdenken sorgen. Er spricht hier auch von „Renationalisierung“ einzelner Teile von Wertschöpfungsketten. Auch die Tatsache, bei wichtigen Grundstoffen für Medikamente oder Schutzkleidung abhängig zu sein, würde zukünftig den Druck erhöhen, sich nicht mehr allein auf die Lieferfähigkeit ausländischer Partner zu verlassen. Saxer schreibt dazu: „Das Zeitalter des Neoliberalismus, also der Vorrang der Marktinteressen gegenüber allen anderen gesellschaftlichen Interessen, kommt so an sein Ende. Das hat handfeste geopolitische Gründe. Seit geraumer Zeit besteht in Washington ein parteiübergreifender Konsens, die amerikanische von der chinesischen Volkswirtschaft zu entkoppeln, um den Konkurrenten nicht noch weiter zu stärken. (…) Die Coronakrise beschleunigt also eine Entwicklung, die bereits seit längerem im Gange ist: die Deglobalisierung. Am Ende dieses Prozesses könnte die globale Arbeitsteilung in konkurrierende Wirtschaftsblöcke zerfallen.“ Dabei beschreibt er, dass die Pandemie diesen Trend nun zum Ausbruch gebracht habe. Sie habe die Anfälligkeit des Systems, seiner Lieferketten und Finanzmärkte deutlich zutage getragen.

In einem jüngst veröffentlichten internen Strategiepapier des Bundesinnenministeriums zu der Frage „Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen“ heißt es ebenfalls treffend: „Die international tätigen Unternehmen sind in der Krisenphase sowohl durch fehlende Zulieferung, insbesondere aus dem Ausland, als auch durch die Nichtverfügbarkeit von Arbeitskräften beschränkt. (…) Die Asymmetrie mit Blick auf die Zeitprofile der Wirtschaftskrise in anderen Volkswirtschaften bleibt eine anhaltende Belastung für eine international verflochtene Volkswirtschaft wie die deutsche. Hier sind die Unternehmen in ihrer Anpassungsflexibilität gefragt. Das würde aber auch bedeuten, dass die international tätigen Unternehmen länger auf wirtschaftspolitische Unterstützung angewiesen sein können (beispielsweise durch Kapitalbeteiligungen).“[11] Die Unternehmen, die sonst ihre Kapitalrenditen privatisieren, müssen nun also voraussichtlich für längere Zeit wieder von der Allgemeinheit aufgefangen werden.

Die Schwächen und Fehler der Globalisierung treten, wie eingangs erwähnt, in diesen Zeiten schmerzlich zutage. Auch Prof. Dr. Max Otte stellt in seinem Buch „Weltsystemcrash“ die Frage nach dem „Ende der Globalisierung“ und führt aus, dass die Finanzkrise der Jahre 2007-2009 den Fortschrittsglauben als unabdingbaren Bestandteil der Glaubenssätze moderner Menschen bedroht habe. Viele Menschen wollten nicht mehr so recht glauben, dass die globale Ökonomie mit einer geradezu logischen Gesetzmäßigkeit immer leistungsfähiger werde und in der Summe immer mehr Menschen zu Wohlstand verhelfe.[12] Bemerkenswerterweise vergleicht er die jetzige Zeit mit dem System von 1914, nach dem es zu einem Prozess der De-Globalisierung und Rückbesinnung auf nationale Prioritäten gekommen sei. Wir alle wissen was damals folgte, und so schreibt auch Otte, dass wir es diesmal „hoffentlich ohne größere Kriege“ schaffen.

Insgesamt wird deutlich, dass die einschneidenden Erlebnisse der Finanzkrise 2007-2009 und die derzeitige Coronakrise das Vertrauen in das globale System gestört haben. Viele Experten erkennen Trends hin zu einer Deglobalisierung. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass die Ausführungen sich im Wesentlichen auf den ökonomischen Teil der Globalisierung beziehen, also bspw. auf die Rückverlagerung von Produktionsstätten. Prof. Rürup spricht hier immerhin davon, dass Europa und sein industrielles Kernland Deutschland alles dransetzen sollten, sich als Produktionsstandort zu revitalisieren und die tiefe Skepsis gegenüber einer europäischen Industriepolitik zu überwinden. Dies wäre ein wichtiger Schritt hin zur Wiedererlangung europäischer Souveränität. Dabei dürfen jedoch die zuvorderst erwähnten weiteren Felder der Globalisierung, namentlich die politische und die kulturelle Dimension, nicht außer Acht gelassen werden.

Die Endphase der Globalisierung?

Die gegenwärtige Entwicklung beweist an erster Stelle, dass die Globalisierung kein Naturgesetz ist. Bei Betrachtung der menschlichen Entwicklungsgeschichte kann festgestellt werden, dass der Mensch bis zu einem gewissen Grad dazu tendiert, sich großräumig zu organisieren und miteinander zu kooperieren. Diese Fähigkeit zur Kooperation hat ihm letztlich den entscheidenden evolutionären Vorteil gegenüber anderen Spezies verschafft. Diese Entwicklung hatte ihren Ursprung in der naturgemäßen Verbindung von Mann und Frau und wuchs über Sippe, Stamm und Volk zu einer großen Völkerfamilie heran, in denen sich in inneren und äußeren Merkmalen ähnelnde Großgruppen entstanden sind. Die Technologien haben die Menschen räumlich gefühlt noch enger zusammenwachsen lassen. Diese Bindungen reichen aber in der Regel nicht über die durch gemeinsame Erfahrungen vertrauensvoll geprägten Gemeinschaften hinaus.  Die vollkommene Grenzenlosigkeit führt im Gegenteil eher zur Auflösung dieser natürlichen Ordnungen und damit zum Chaos.

Der Trend hin zu einer ökonomischen Deglobalisierung ist in Anbetracht der eigenen Bewusstwerdung eine begrüßenswerte Entwicklung. Die Digitalisierung und Automatisierung können hier als große gesellschaftliche Chance verstanden werden, sofern diese richtig, heißt, auf das Gemeinwohl bezogen angewendet werden. Hier kommen wir zum Kern der Sache. Es wäre naiv zu glauben, die Herrschenden würden im Rahmen der ökonomischen Dezentralisierung auch ihre zentrale Macht hergeben wollen. Ökonomisch mögen sie sich etwas dezentralisieren, politisch und kulturell ist davon jedoch nichts zu spüren. Eher im Gegenteil darf befürchtet werden, dass das Streben nach einer „Weltregierung“ oder einer „Weltwährung“ nach Corona intensiviert wird. Die Fragilität des Euro könnte beispielsweise eine derartige Entwicklung begünstigen. Auch der Ruf nach einer Weltregierung, die viel besser in der Lage gewesen wäre, die Coronakrise zu managen, als all die einzelnen Nationalstaaten, könnte je nach Ausmaß der Krise und der anschließenden Verfassung der Bevölkerungen auf Widerhall treffen. Dies sind reine Spekulationen, jedoch muss festgehalten werden, dass diese Ideen existieren und in Organisationen wie der EU oder des IWF starke Befürworter haben (Stichwort: „Vereinigte Staaten von Europa“). Im Hinblick auf die kulturelle Globalisierung ist auch bisher keine Abkehr von der kulturellen Homogenisierung, welche im Wesentlichen einer „Amerikanisierung“ gleicht, abzusehen. Paradoxerweise sind trotz europaweiter Grenzschließungen die deutschen Außengrenzen für Asylbewerber nach wie vor geöffnet.[13] Möglicherweise werden so nicht nur die Produktionsstandorte zurückverlagert, sondern mit ihnen auch die Arbeitskämpfe der Lohnarbeiter. Die Tatsache, dass Prof. Rürup insbesondere die USA als großen Gewinner dieser gesamten Entwicklung erkennt, zeigt deutlich, dass die Renationalisierung der Wirtschaft allein nicht genügend Blut in den Organismus pumpt, um diesen widerstandsfähig zu machen. Europa muss seinen eigenen Weg zwischen den Blöcken finden. Eine wesentliche Aufgabe wird es sein, das kontrastlose Denken zu überwinden und die Option der internationalen Kooperation von der Globalisierung zu trennen. Jedoch, allein die Tatsache, dass die „Alternativlosigkeit“ der ökonomischen Globalisierung entlarvt wurde, birgt enormes aufklärerisches Potential. Diese Idee könnte die politisch-kulturelle Bewusstwerdung ankurbeln. Dann bietet die Krise eine unglaubliche Chance für die identitären Bewegungen Europas.

Quellen:

[1] Siehe hierzu: https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-das-coronavirus-wird-die-deglobalisierung-beschleunigen/25631898.html?ticket=ST-1456675-074X2w4EsGHHqZKDxclr-ap3 (Stand: 09. April 2020).

[2] Siehe hierzu: https://www.tagesspiegel.de/politik/folgen-fuer-die-weltwirtschaft-die-coronakrise-verstaerkt-die-trends-zur-deglobalisierung/25695862.html (Stand: 09. April 2020).

[3] Siehe dazu die Artikel-Reihe auf gegenstrom.org „Die Welt im Jahr 2035, insbesondere hier.

[4] Exemplarisch dafür seien folgende Artikel angeführt: hier und hier

[5] Bischoff, Reiner; Fehlerhaftes Geld – kaputte Welt, Wagner-Verlag, S. 67ff.

[6] Siehe dazu: https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-03/coronakrise-globalisierung-coronavirus-wirtschaft-gesundheitssystem (Stand: 09. April 2020)

[7] Siehe dazu die Erklärung von correctiv.org, in welcher bestätigt wird, dass Deutschland noch kurz vor Ausbruch der Pandemie in Europa wichtige Schutzausrüstung nach China verschenkt hat, die nun hier fehlt: https://correctiv.org/faktencheck/2020/03/05/coronavirus-ja-deutschland-hat-schutzausruestung-nach-china-geschickt (Stand: 09. April 2020)

[8] Siehe hierzu: https://www.bloomberg.com/news/articles/2009-10-26/the-case-for-reverse-innovation-nowbusinessweek-business-news-stock-market-and-financial-advice (Stand: 09. April 2020).

[9] Müller, Dirk; Machtbeben, 2018, Heyne Verlag, S. 303ff.

[10] Müller, Dirk, ebenda.

[11] Siehe hierzu: https://fragdenstaat.de/blog/2020/04/01/strategiepapier-des-innenministeriums-corona-szenarien/ (09. April 2020).

[12] Otte, Max; Weltsystemcrash, 2019, FBV, S. 106ff.

[13] Siehe hierzu: https://www.welt.de/politik/deutschland/plus207030073/Coronavirus-Grenzschliessung-gilt-fuer-alle-nur-nicht-fuer-Asylbewerber.html (Stand: 05. April 2020)