Wenn es in der deutschen Rechten ein Phänomen gibt, dann ist es neben einigen anderen vor allem der Drang ihrer Akteure zur „Distanziritis“ sowie die allgemeine Diskussion darüber. Aus diesem Grund soll dieser Beitrag auch keinen weiteren Meilenstein in dieser Diskussion darstellen. Auf diesem Blog wurde diese Taktik des Distanzierens bereits hinlänglich auf ihre Sinnhaftigkeit geprüft. Hierbei seien insbesondere die Ausführungen Wolfgang Bendels (hier) hervorzuheben, der in seinem Fazit zu dem Urteil gelangte, die Distanziritis als einen „taktischen Fehler von fast schon strategischem Ausmaß“ anzusehen. Immer wieder gibt es aussagekräftige Belege dafür, die diese Aussage bestätigen. Zudem mangelt es an einem Beispiel, bei dem diese Taktik zu einem nachhaltigen Erfolg geführt hat.
Eine Fehlannahme, die dabei immer wieder getroffen wird, ist, dass diejenigen, die der Distanziritis nicht nach dem Mund reden, im gleichen Atemzug für eine Kooperation mit „allem und jedem“ zur Verfügung stünden. Dabei bezieht sich diese lapidare Ausführung des „allem und jedem“ auf schlichtweg alle Organisationsformen und personellen Akteure innerhalb der Rechten. Dem ist gewiss nicht so. Dennoch wird diese Annahme gern verbreitet. Bei einem Teil ist davon auszugehen, dass es sich bei den Akteuren schlicht um Menschen handelt, denen es an taktischem Gespür mangelt. Diese wollen sich tatsächlich mit allem und jedem solidarisieren, ohne dabei zu merken, dass sie dabei ebenso in eine Falle tappen und sich oftmals mit Akteuren auf eine Stufe stellen, die ihrer Sache abträglich sind. Hier kann man letztlich resümieren, dass gut gemeint noch lange nicht gut gemacht ist. Natürlich muss diesen Bestrebungen der „Einheit um jeden Preis“ eine Absage erteilt werden. Bei dem anderen Teil liegt die Sache jedoch ein wenig anders. Hier ist eher davon auszugehen, dass sie diese Fehlannahme ganz bewusst streuen, um eben eine gewisse Unsicherheit bis hin zur Zwietracht in bestimmten Interessensgruppen zu säen, um dann schlussendlich die eigenen Interessen ganz klar durchzusetzen. Dieser Ansatz ist aus einem rein machtpolitischen Gesichtspunkt zunächst einmal weder positiv noch negativ zu bewerten. Wenn dabei jedoch bestimmte persönliche Interessen auf Kosten bestimmter Positionen und Inhalte überwiegen und diese Inhalte diskreditiert werden sollen, ist Vorsicht geboten.
Ein aktueller Fall
Ein interessanter Beitrag wurde jüngst von Martin Sellner auf dem Netztagebuch sezession.de veröffentlicht, in welchem es exakt um die – aus seiner Sicht – negativen Auswirkungen eben jener Distanziritis geht (hier). Sellner hat dieses Thema in der Vergangenheit durch eigene Vorstöße immer wieder selber in den Fokus gerückt und dabei gezielt die These vertreten, dass diejenigen, die eben dieser Distanziritis abschwören wollen, gleichfalls eine Koalition aller Kräfte anstreben würden (unabhängig bestimmter weltanschaulicher oder persönlicher Ausprägungen). Ein wesentliches Beispiel hierfür war der Leitartikel „Wer sich distanziert, verliert?“ welcher als Gastbeitrag auf der Seite der IB Deutschland erschien (hier). Allein die Bildauswahl im Header verdeutlichte damals bereits die Denk- und Stoßrichtung.
Im aktuellen Beitrag geht Sellner zunächst einmal auf die derzeitige Krise der österreichisch-parlamentarischen Rechten ein, welche seit dem Bruch der rechts-rechten Koalition, bestehend aus FPÖ und ÖVP, offensichtlich vorherrscht. Die FPÖ erntet dabei neben Wahlverlusten vor allem Häme aufgrund ihrer verbalen Entgleisungen gegenüber der außerparlamentarischen Opposition, zumeist vertreten in Form der IB Österreich (IBÖ). Sellner hat natürlich nicht nur aufgrund seiner lokalen Nähe zu den Geschehnissen hier ganz andere Einblicke und insgesamt kann ihm zugestimmt werden, dass die FPÖ sich, insbesondere seit ihrer damaligen Übernahme von Mitregierungsverantwortlichkeit, nicht gerade vorteilhaft verhalten hat. Im Gegenteil, gerade sie ist in eben jene Falle getreten, die Wolfgang Bendel in seinem Artikel bereits gezeichnet hatte, nämlich den Irrglauben, durch eine Distanzierung die Akzeptanz der herrschenden Klientel zu erlangen und sich somit Pluspunkte für die eigene Wertung zu ergattern. Dieser Plan ist nach hinten losgegangen und auf dem Parkett der Macht führte der finale Ausrutscher in Form von Straches „Ibiza Gate“ zum beinbrechenden Sturz.
Über einige detailliertere Ausführungen hinsichtlich des persönlichen Fehlverhaltens einzelner Akteure gelangt Sellner letztlich an den Kern seines Beitrags, welcher die Vorstellung eines Plattformprojektes ist, an dem er selbst mitgewirkt hat. Diese Plattform trägt die URL „freiheitliche-gegen-rechts.at“ und ist derzeit zwar geschaltet, jedoch ist ihr Content noch nicht freigegeben. Dies wird damit begründet, dass man nach wie vor die Hoffnung hege, dass sich mutige Kräfte innerhalb der Partei, also der FPÖ, finden, die den feigen Aussagen einiger Parteimitglieder etwas entgegensetzen. Ziel der Plattform sei es, zukünftig Aussagen sogenannter „Distanzingstars“, also von Politikern, die sich auf eine bestimme Art und Weise dem Sprech des Mainstreams gegenüber der außerparlamentarischen Opposition anpassen, um von eben jenem Mainstream Pluspunkte zu ergattern, zu veröffentlichen und so für eine Aufklärung zu sorgen. Soweit, so gut. In der Vorstellung der Plattform heißt es dann auch wieder fragend „Wer sich distanziert, verliert?“, wobei diese Frage an dieser Stelle im Text mit „Ja“ beantwortet wird. Die Plattform versteht sich als Kontrollorgan gegenüber den Politikern des eigenen Lagers, in dem es jene öffentlich-zugänglichen Äußerungen kommentiert und einordnet. Sollte es zu Klarstellungen seitens der Politiker kommen (bspw. hervorgerufen durch ideologische Begründungen oder Falschzitate) wird die Plattform dies entsprechend berücksichtigen. Zudem gibt man an, keinerlei Informationen zu „leaken“, sondern sich ausschließlich auf öffentlich zugängliche Informationen zu beschränken.
In Anbetracht der sich oftmals überschlagenden Ereignisse innerhalb einer Partei, die jüngst zu reeller Macht und Einflussnahme gelangt ist, erscheint die Idee der Plattform als verlängerte Kontrollinstanz der „Basis“ durchaus charmant. Von den parteieigenen Kräften ist eine derartige Gegenöffentlichkeit nicht zu erwarten. Die öffentlichen Medien haben hingegen nur ein Interesse daran, die Skandale der Partei zu konstruieren oder, bei eigenem Verschulden, entsprechend aufzugreifen und zu verarbeiten. Eine derartige Form der Überwachung von weltanschaulicher Schwäche und Abtrünnigkeit kann daher nur aus dem außerparlamentarischen, rechten Lager kommen. Auch in Deutschland hätte eine solche Plattform in Anbetracht so mancher Entgleisungen innerhalb der AfD bereits reichlich Content sammeln können. Die Tatsache, dass dabei keinerlei Informationen geleakt werden sollen, sondern sich ausschließlich aus öffentlichen Quellen speisen, ist dabei von besonderer Wichtigkeit. Andernfalls würde ein solches Portal zu einem gefährlichen Machtinstrument verkommen, in dem Falschmeldungen einfach breit gestreut werden könnten. Nichtsdestotrotz ist diese Plattform dennoch als Machtinstrument anzusehen. So sind es am Ende schließlich die Betreiber der Plattform, die darüber entscheiden, welche Aussagen nun veröffentlicht werden und welche nicht, d. h. entscheidend ist am Ende vermutlich, wer sich von wem „distanziert“ hat (oder einfach nicht vorteilhaft verhalten hat aus Sicht der Betreiber). Derlei Portale bergen demnach immer ein gewisses Risiko und ihnen haftet der Ruf des Denunziantentums an. Andererseits ist die Aufnahme öffentlicher Aussagen letztlich auch mit einer ernsthaften journalistischen Tätigkeit zu vergleichen – und diese sollte beim Befolgen bestimmter Rahmenbedingungen durchaus erlaubt sein.
Wem nützt es?
Bei aller Plausibilität des Rufes nach einer kontrollierenden Instanz mutet die Tatsache, dass diese Plattform gerade von und mit Martin Sellner initiiert wird, dennoch geradezu etwas komisch an. Wie eingangs erwähnt, war und ist es gerade Sellner, der in vorauseilendem Gehorsam die politische Grenze allzu oft nicht zwischen den (guten und schlechten) Charakteren zog, sondern stattdessen Merkmale wie die Organisationszugehörigkeit oder die politische Sozialisation zur Grundlage seiner Entscheidung machte. Wenn Sellner nun selbst zu den „Schmuddelkindern“ gehört, dann erscheint seine Plattform einfach nur wie ein Hilferuf, mit dem er trachtet, die Geister zu verjagen, die er selbst einst rief. Soll heißen: Die Idee hinter Sellners Plattform ist nachvollziehbar, aus seiner Feder fehlt ihm dafür jedoch die nötige Glaubwürdigkeit. Dies beflügelt das Gefühl, dass Sellner, wäre er wie in diesem Falle nicht selbst unmittelbar betroffen, sich keineswegs in dieser Form für andere außerparlamentarische Opponenten eingesetzt hätte. Aber dies gehört freilich einzig in das Feld der Spekulation und kann nicht bewiesen werden. Insgesamt wäre es nur begrüßenswert, wenn ein Martin Sellner mit seiner enormen Reichweite dazu beitragen könnte, als korrigierender Faktor von rechts, starke Ausreißer einzufangen und wieder auf Spur zu bringen oder dafür zu sorgen, dass sie in der Gesamtmenge untergehen und keinen nennenswerten Einfluss auf das Gesamtergebnis nehmen. Gleichfalls kann diese Plattform auch als ein Weckruf an die gesamte Rechte gesehen werden, die eingangs erwähnten Aussagen Wolfgang Bendels zu berücksichtigen. Sie ist insofern auch ein Stückweit ein „von Sellner-für Sellner“-Korrektiv. Natürlich nicht in seiner Hand, aber ihrem Wesen nach schon. Letztlich führt Sellner seine damaligen Aussagen damit selbst ad absurdum. Die Rechte muss sich darüber klar werden, dass jeder, der ein klares Bekenntnis zum Schutz und Erhalt seiner Heimat abgibt und dabei keine niederträchtigen Gedanken hegt, ein potentieller Bestandteil ihrer echten Form sein kann. Die Absicht sollte es sein, die guten, schöpferischen Kräfte zu bündeln und in einem gemeinsamen Profil zu vereinigen. Aus dieser Profilschärfe, welche sich auch unweigerlich im Charakter ihrer Träger offenbaren muss, wird eine Distanzierung bzw. Abgrenzung zu anderen in verbaler Form nicht mehr nötig sein. Diese Position der inneren Stärke und Konsolidierung gilt es durch eine Schärfung des metapolitischen Konzeptes zu erlangen. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit verschiedenen Positionen und Akteuren innerhalb des rechten Lagers sowie die Debatte über richtungsweisende Themen aus den Bereichen der Ökonomie, der Geopolitik und der inwendigen Konstitution der Rechten hinsichtlich ihrer Personalstruktur, Gliederung und visuellen Ausrichtung.
Wenn Sellner aufgrund der Erfahrungen seiner eigenen Person nun auch für derlei Experimente offen ist, dann haben die Entgleisungen der FPÖ final auch ihr Gutes gehabt. Wenn es ihm letztlich jedoch nur darum geht, wieder einen Platz an der Tafel zu bekommen und er dafür im letzten Schritt auch wieder bereitwillig andere Opponenten der „Kantenschere“ (hier) zu opfern bereit ist, dann ist Vorsicht geboten.