Zur Aktualität des Schmittschen Freund-Feind-Denkens

von | 13. Aug. 2017 | Philosophie & Theorie

Auf den deutschen Staatsrechtler Carl Schmitt (1888 – 1985) geht die Überlegung zurück, dass das Politische durch die Unterscheidung von Freund und Feind bestimmt wird. Diese Unterscheidung von Freund und Feind sei dabei nicht bellizistisch zu verstehen, sondern habe den Sinn, den äußersten Intensitätsgrad einer Verbindung oder Trennung zu bezeichnen. Schmitt zufolge ist jede Gegensätzlichkeit umso politischer, je mehr sie sich dem äußersten Punkte, der Freund-Feindgruppierung, annähert. Der Krieg bzw. der Bürgerkrieg sei zwar durchaus nicht Ziel oder zwangsläufiger Inhalt der Politik, wohl aber sei er die als reale Möglichkeit immer vorhandene Voraussetzung, die das menschliche Denken und Handeln bestimme und dadurch ein spezifisch politisches Verhalten bewirke (1).

Das in der Bunderepublik Deutschland nach 1945 entstandene politische System bzw. Establishment (2) konstituiert zwar im Schmittschen Sinne durchaus eine politische Einheit, die in der Lage ist, eigene Freund-Feind-Unterscheidungen vorzunehmen. Da sich das BRD-Establishment aufgrund seiner fehlenden Souveränität außenpolitisch jedoch vom Hegemon USA vorschreiben lässt, wer sein Feind ist und gegen wen es ggf. kämpfen darf oder kämpfen soll, bezieht sich die existentielle Freund-Feind-Unterscheidung der BRD im Wesentlichen auf den „inneren Feind.“ Maßgeblich geht es dabei um die Abgrenzung vom Spektrum der politischen Rechten (3). Diese innerstaatliche hostis-Erklärung „gegen rechts“ findet seit Jahrzehnten u.a. Ausdruck in diversen Organisations- und Versammlungsverboten, Konfiskationen oder Ausschlüssen von öffentlichen Ämtern. Dabei muss die Behauptung, dass das Spektrum der Rechten die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ (FdGO) zwecks Abschaffung der Bürgerrechte untergraben wolle, spätestens mit dem Aufkommen der in den letzten Jahren aufstrebenden Rechtspopulisten als widerlegt gelten: Beim Festhalten an einem ethnischen Volksverständnis als zentraler Politikansatz geht es der Rechten eben gerade nicht darum, die Bürgerrechte zu beseitigen, sondern im Gegenteil darum, diese Grundrechte zu erhalten. Der AfD-Bundestagskandidat Marc Jongen brachte dies kürzlich wie folgt auf den Punkt: „Wenn eine CDU-geführte Regierung Politik nach der linksradikalen Parole no borders, no nations macht, dann geraten Verfassungstreue, Grenzschutz und politische Vernunft eben unter den Verdacht des Rechtsextremen“ (4).

Als für die eigene Machtposition gefährlich werden vom Establishment nicht nur parteipolitische Akteure der Rechten gesehen, sondern bekanntlich auch metapolitisch wirkende Medien, Verlage oder Institute. Denn diese sind in der Lage, den Bereich des Sag- und Durchsetzbaren zu verschieben, ohne dass der sich generell vor Änderungen fürchtende „deutsche Michel“ dadurch allzu sehr verängstigt wird. Seit Jahrzehnten gibt es zu dieser Thematik allerhand Untersuchungen und Abhandlungen von sogenannten „Rechtsextremismus-Experten“, zuletzt zum Beispiel ein neues Buch des in Hamburg lebenden Historikers Volker Weiß mit dem Titel „Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes“ (5). Doch die größte Angst haben Politiker der Altparteien sowie linksliberale „Gutmenschen“ vor den im Sinne der Freund-Feind-Unterscheidung politisch am weitesten exponierten Rechten, also denjenigen, die keine Mimikry betreiben, sondern die die vom System ausgesprochene hostis-Erklärung trotz aller damit verbundenen persönlichen Nachteile (z.B. Jobverlust) ganz bewusst annehmen. Denn die etablierten Politiker spüren instinktiv, dass gerade diese Typen das Potenzial zum Elitenwechsel haben, da sie sich nicht einbinden bzw. kaufen lassen. Carl Schmitt schreibt in diesem Zusammenhang sehr treffend: „Alle neuen und großen Anstöße, jede Revolution und jede Reformation, jede neue Elite kommt aus Askese und freiwilliger oder unfreiwilliger Armut, wobei Armut vor allem den Verzicht auf die Sekurität des status quo bedeutet“.

Zur Aktualität des Schmittschen Freund-Feind-Denkens bleibt abschließend festzuhalten: politische Mimikry mag für die politische Rechte heute nach wie vor die entscheidende Voraussetzung sein, um Einfluss auf Einstellungen und Meinungsbildungsprozesse zu nehmen, ohne den „deutsche Michel“ allzu sehr zu verschrecken, der solange es ihm einigermaßen erträglich oder materiell sogar gut geht, die Illusion einer ungefährdeten Ruhe liebt und sich von „Schwarzsehern“ oder Revolutionären oftmals verunsichert fühlt. Eine unnachgiebige und nicht käufliche Gegenelite, die sich im Sinne der existentiellen Unterscheidung von Freund und Feind bewusst außerhalb des Altparteienkartells positioniert, ist jedoch zusätzlich zur Mimikry-Strategie unerlässlich, um dieses Altparteienkartell in die Schranken zu verweisen und auf dieser Grundlage eine politische Wende letztlich auch konkret umsetzen zu können.

Quellen und Anmerkungen

(1) Schmitt, Carl (2009): Der Begriff des Politischen. Duncker & Humblot, Berlin; Neusatz auf Basis der Ausgabe von 1963, 116 S.

(2) Interessant ist diesbezüglich ein Zitat von Max Horkheimer, das sich im Stefan Scheils Buch „Transatlantische Wechselwirkungen – Der Elitenwechsel in Deutschland nach 1945“ findet: „Man muss eine Elite schaffen, die ganz auf Amerika eingestellt ist. Diese Elite darf andererseits nicht so beschaffen sein, daß sie im deutschen Volk selber kein Vertrauen mehr genießt und als bestochen gilt.“

(3) Die reale Möglichkeit des Kampfes, die laut C. Schmitt immer vorhanden sein muss, damit von Politik gesprochen werden kann, bezieht sich bei einem solchen Primat der Innenpolitik konsequenterweise nicht mehr auf den Krieg zwischen organisierten Völkereinheiten, sondern – theoretisch gesehen – auf den Bürgerkrieg.

(4) „Viel Zeit bleibt Deutschland nicht mehr“ – Marc Jongen im Interview mit Moritz Schwarz: https://jungefreiheit.de/allgemein/2017/viel-zeit-bleibt-deutschland-nicht-mehr/

(5) Siehe dazu auch: „Neue Rechte führt einen Kampf gegen Migration“ – Volker Weiß im Interview mit G. Mahlberg. Weser Kurier, 09.04.2017, S. 3