Youtuber, Telegramer, Influencer – die neuen Herzöge und ihr Gefolge

von | 19. Feb. 2021 | Deutschland und die Welt

Bei dem nachfolgenden Text handelt es sich um eine Zusendung unseres Lesers Arnold Rolant, der darin eine „Aristokratie von Netzaktivisten“ beschreibt. Der Autor geht hierbei auf die Verschiebung des Aktivismus von der Straße in das Internet ein und sieht hier eine Art Elite oder Herzogtum von Internet-Aktivisten aufkommen. Die Redaktion

Als im Sommer 2020 viele tausend Menschen – manche sprechen sogar von über einer Million – in Berlin gegen die Corona-Politik auf die Straße gingen, taten sie das, weil freischaffende Medienmacher und Netzaktivisten über YouTube und Telegram dazu aufgerufen hatten. „Influencer“ nennt man solche informellen Führungsfiguren, die in den Sozialen Medien viele „Follower“ haben. Wer der deutschen Sprache mächtig ist, kann hier getrost von Meinungsführern sprechen – oder von Herzögen und ihrem Gefolge. Denn wer ein Heer von Menschen hinter sich vereint und es anführt, der ist ein Heerführer, auf Altdeutsch ein Herzog.

Einer dieser neuen Herzöge, der zur rechten Zeit ein publikumsfähiges Konzept in den Raum warf und während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ein starkes Gefolge hinter sich und seine Ideen scharen konnte, ist Hans-Joachim Müller. Mit seiner täglichen Sendung „Tageskorrektur“ erreicht er jeden Abend mehrere zehntausend Menschen. Seine Informationsarbeit war wohl auch ausschlaggebend dafür, dass Demonstranten beim sogenannten „Sturm auf den Reichstag“ am 29. August 2020 die schwarz-weiß-rote Flagge des Deutschen Kaiserreiches schwenkten.

Dies zeigt, welch mobilisierende Kraft in Ideen und daraus geformten Weltbildern steckt; vor allem, wenn sie zu einer Zeit verbreitet werden, in der die Menschen nach Antworten suchen. Anders als die meisten anderen Herzöge des Netzadels betreibt Hans-Joachim Müller jedoch nicht nur Aufklärungsarbeit, sondern zeigt seinen Zuschauern auch eine Systemalternative auf – nämlich ein neues deutsches Kaiserreich. Ob diese Vision umsetzbar, tragfähig oder überhaupt wünschenswert ist, sei dahingestellt. Tatsache ist: Hans-Joachim Müller schaffte es damit, vielen Deutschen Hoffnung zu geben – die Hoffnung auf ein Ende der Corona-Maßnahmen und einen Systemwechsel zugunsten des Deutschen Volkes. Es war diese Hoffnung, die den Demonstranten den Impuls und die Zuversicht gab, mit Reichsfahnen vor den Reichstag und vor die Botschaften der USA und Russlands zu ziehen – wie sinnvoll oder töricht das auch sein mag.

Wer Menschen eine Richtung geben und ihre Kraft in diese Richtung sich entfalten sehen möchte, der muss eine begeisternde Vorstellung vom Ziel vermitteln. Er muss glaubwürdig machen, dass dieses Ziel erreichbar ist und einen Weg dahin aufzeigen. Hans-Joachim Müller hat das getan und das dürfte der Grund dafür sein, warum er so schnell so bekannt wurde und eine so große Gefolgschaft um sich scharen konnte. Eine Gefolgschaft, die so überzeugt war, dass einige am 29. August 2020 mit schwarz-weiß-roten Fahnen die Stufen des Reichstages eroberten.

Wer als Netzaktivist sich auf reine Aufklärungsarbeit beschränkt und nicht mit alternativen Konzepten in die Offensive geht, der ist wie ein Nahkämpfer, der die gegnerischen Schläge und Streiche nur blockt oder pariert, aber nie zum Gegenangriff übergeht. Mit dieser defensiven Taktik könnte er zwar einen schwachen Gegner irgendwann ermüden, aber niemals einen starken besiegen. Der Sieg wird immer nur durch einen beherzten Gegenangriff errungen.

Ein konzeptloser Netzaktivist hat zwar eine Gefolgschaft, aber eine, die nur passiv seine Inhalte konsumiert. Ein wahrer Herzog jedoch führt seine Gefolgschaft auf ein Ziel hin. Er verwandelt die passive Masse in eine aktive Bewegung. Einen ehrenwerten Versuch in diese Richtung unternahm der YouTuber Nikolai Alexander, als er im Herbst 2017 seine Gefolgschaft auf dem Discord-Server „Reconquista Germanica“ versammelte.

Ein Netzaktivist, der aus seiner Gefolgschaft eine Organisation macht, wird jedoch mit völlig neuen Herausforderungen konfrontiert. Er steht auf einmal in der Pflicht zu führen, denn sein Gefolge erwartet von ihm, dass er als ein echter Herzog den Weg weist und mutig voranschreitet. Der Netzaktivist braucht nun Fähigkeiten, die über Recherche, Redetalent und Videobearbeitung hinausgehen. Organisationstalent, Menschenkenntnis und Führungsqualitäten sind nun gefragt. Auch muss dem Herzog klar sein, zu welchem Ziel er seine Gefolgschaft führen will. Zusätzlich wird er mit Fragen der Organisationsstruktur konfrontiert.

Aufbau und Aufrechterhaltung einer effizienten Organisation sind zeitraubend und gehen oft mit menschlichen Enttäuschungen einher, wenn sich Mitstreiter als unzuverlässig erweisen oder sich gar in Gegner verwandeln. Außerdem können feindliche Einflussagenten, die in die Organisationsstruktur einsickern, das innere Gefüge zerrütten, die Organisation spalten oder sie gar übernehmen. Zudem bietet eine Organisation, die Name, Logo und Adresse hat, eine große Trefferfläche, sowohl für offene als auch für verdeckte Angriffe. Noch ein weiteres Phänomen wird der zum Herzog aufgestiegene Netzaktivist bemerken: Wenn er die von ihm geschaffene politische Bewegung nicht bewegt, bewegt sich die Bewegung nicht voran. Alle warten nur auf Eingebung von oben, von ihm.

Es gibt jedoch eine Alternative zu einer zentral gelenkten Organisation: das Netzwerk. Hier geht es einfach darum, dass Menschen mit ähnlicher Grundhaltung sich kennen und ihre Verbindungen pflegen. Über diese Verbindungen werden dann Informationen weitergegeben, man hilft und unterstützt sich gegenseitig und setzt Aktionen im Sinne der gemeinsamen Ziele um. Solche Aktionen werden vielleicht vom Netzaktivisten angestoßen, organisiert werden sie aber dezentral von Mitgliedern des Netzwerkes.

Dabei wächst das Netzwerk ganz zwanglos, indem Mitglieder neue Leute aus ihrem Umfeld in dieses Netzwerk einführen, etwa indem man sie zu Feierlichkeiten oder Aktionen einlädt. Ein solches Netzwerk braucht keinen Namen. Es sind einfach Leute, die sich kennen. Dadurch ist es für den Gegner nur schwer als Gruppe greifbar.

Das Netzwerk erhält sich selbst, ohne ständig auf Eingaben von oben zu warten. Man trifft sich, organisiert gemeinsame Feierlichkeiten, Aktionen oder auch langfristige Projekte. Hier kann der Netzaktivist dann Impulse geben und Aktionen anstoßen. Gleichzeitig ist der Eigeninitiative jedes Mitglieds weitester Raum gegeben.

Die innerhalb des Netzwerkes gelebten gemeinsamen Überzeugungen schaffen ein bestimmtes Lebensgefühl, das zusammenschweißt und auch auf Neulinge abfärbt. Freundschaften bilden sich. Gleichzeitig werden Personen, die dieses Lebensgefühl nicht teilen, sich in diesem Netzwerk nicht wohlfühlen und ganz zwanglos wieder gehen oder man bricht einfach die Verbindung zu ihnen ab. Eine Unterwanderung wird so erheblich erschwert.

Da es keine festgelegte Hierarchie gibt, entfallen Rangkämpfe und Postengeschacher. Psychopathen haben es schwerer, in einem Netzwerk Fuß zu fassen, denn wenn sie als destruktive Elemente erkannt sind, werden sie von den Mitgliedern des Netzwerkes instinktiv gemieden und damit isoliert. In einem Netzwerk ist derjenige am einflussreichsten, der die besten Verbindungen hat und anderen einen Mehrwert bieten kann.

Anstatt zu versuchen sein Gefolge mit viel Aufwand zu organisieren, führt der Netzaktivist einfach immer wieder Gefolgschaftstreffen in verschiedenen Teilen des Landes durch. Dabei sollte der Schwerpunkt auf gesellschaftlichen Aktivitäten liegen, sodass die Leute ins Gespräch kommen und diejenigen sich finden können, die sich sympathisch sind. Durch Vernetzung ihres Gefolges können die Herzöge des Netzadels mit verhältnismäßig geringem Aufwand ein hohes Aktionspotenzial schaffen. Einer der das bereits praktiziert, ist Frank Kraemer mit seinen Unterstützertreffen. Ein guter Anfang.

Dank der selbsttragenden Strukturen des Netzwerks kann der Netzaktivist sich auf seine Hauptaufgabe fokussieren: Aufklärung sowie die Verkündung alternativer Konzepte. Dabei kann er jederzeit über sein Netzwerk Aktionen anstoßen, die dann von einsatzfreudigen Mitgliedern selbständig und eigenverantwortlich umgesetzt werden. Das schöne dabei: Wenn man sich persönlich kennt und sich sympathisch ist, werden gemeinsame Aktionen sogleich auch ein Treffen mit Freunden, was die Motivation zur Teilnahme mehr steigert als ein „Befehl von oben“.

Ein besonderer Vorteil von Netzwerken ist, dass die Mitglieder sich untereinander, aber auch mit anderen Netzwerken von ähnlicher Grundhaltung selbständig weiter vernetzen, wenn sie die Gelegenheit haben. Darum wäre es durchaus sinnvoll, wenn Netzaktivisten mit ähnlicher Ausrichtung gemeinsame Gefolgschaftstreffen durchführten.

Für die Herzöge des Netzadels ergeben sich folglich zwei große Aufgaben mit hohem Potenzial:

  1. Die Formulierung und Verkündung alternativer Konzepte, im Idealfall einer Systemalternative
  2. Die Zusammenführung ihrer Gefolgschaft in Netzwerken, die auf diesen Systemwandel hinwirken