Wird Russland (wieder) den Westen retten? Oder die ganze Welt?

von | 17. Okt. 2019 | Deutschland und die Welt

Bei dem folgenden Text handelt es sich um eine Rede, gehalten von Konrad Rekas, einem Journalisten sowie Wirtschafts- und Geopolitikexperten aus Polen, auf dem III. Kischinauforum. Das Kischinauforum wurde 2017 gegründet und dient als ein akademischer Austausch diverser antiglobalistischer Dissidenten, die sich der amerikanischen Hegemonie entgegenstellen. Das Forum wurde von Intellektuellen aus verschiedenen Ländern des eurasischen Kontinents ins Leben gerufen. So gehört u.a. auch der berühmte Vordenker der Vierten Politischen Theorie, Alexander Dugin, zu den Gründungsmitgliedern. Das III. Kischinauforum fand unter dem Motto „Jenseits des Unipolaren Moments – Perspektiven auf die entstehende Multipolare Welt“ statt. Die Übersetzung ist das erste Mal am 10. Oktober 2019 auf dem Blog von Alexander Markovics erschienen.

Die Ära, in welcher Russland als “Reich des Bösen” dargestellt wurde, kommt an ihr Ende, vielleicht nicht für immer, aber bestimmt in Zusammenhang mit zwei Langzeitfaktoren. Erstens, mit einem Wandel in der Hierarchie der amerikanischen Ziele und zweitens, aufgrund einer Reorientierung (,welche vielleicht sogar in einer Reorganization münden wird,) der Europäischen Union.

In der Tat bleibt es bis heute eines der wichtigsten geopolitischen Themen der Welt und unserer Geschichte, ob Russland heute Rache an China für den Vorsitzenden Mao und Präsident Nixons Ping-Pong Diplomatie nehmen wird. Wenn sich die Russen dazu entscheiden ein recht eindeutiges Angebot der Amerikaner anzunehmen, also die Position des Flügelmanns im US-amerikanischen Kampf des reaktionären Industriekapitalismus à la Donald Trump gegen das neu entstehende Zentrum des Finanzkapitalismus in Peking und Schanghai einzunehmen, würden sie (nicht zum ersten Mal in der Geschichte) die globalen Spielregeln erneut für eine lange Zeit bestimmen. Diese Option würde jedoch nicht nur einen Neustart bedeuten, sondern viel mehr. Die gegenwärtige Teilung in Ost und West würde aufhören zu gelten und Moskau müsste als eine der Hauptstädte des (vielleicht…) siegreichen Weltwirtschafts- und Politiksystems anerkannt werden.

Solch eine Lösung würde von den noch immer starken Tendenzen zur Verwestlichung in der russischen politischen Führung unterstützt werden (den neuen За́падничество[1]), aber auch von der wirtschaftlichen Natur der Russischen Föderation selbst. Es ist bekannt, dass wir Zentraleuropäer auch von dieser Option überzeugt sind, nicht zuletzt, weil wir an der kurzen Leine Washingtons hängen, deswegen sind wir also besonders folgsam hinsichtlich Anweisungen, welche aus dieser Richtung kommen. Gut, aber im Gegensatz zu den Geschichten, welche die Amerikaner den Russen erzählen, gibt es zwischen Moskau und Peking nur wenige Friktionspunkte, um nicht zu sagen gar keine. Also warum erwartet man von Russland überhaupt einen weiteren Konflikt im Fernen Osten zu eröffnen, obwohl dieser der entwickeltere und zukunftsorientiertere Raum ist, wenn es selbst eine Verschärfung des Konfliktes mit dem Westen vermeidet (wobei es sich herausstellte, dass es ihn nur nicht sehr stark verschlimmerte)?

Aber selbst auf diese rhetorische Frage hat man eine einfache Antwort gefunden. Es gibt einige massiv gestärkte Zentren, welche Russland davon überzeugen, dass es “von China abhängig” ist. Es soll seine Abhängigkeit beenden, dem Wettbewerb um Zentralasieen anfeuern und – in einem Satz zusammengefasst – sich gegenüber der Volksrepublik mehr oder weniger wie Polen und Litauen gegenüber der Russischen Föderation verhalten. Natürlich war Russland nie ein Liebkind des Westens, dementsprechend mag der Vergleich auch falsch erscheinen, aber auch das polnische oder rumänische Beispiel sollte für die russischen Entscheidungsträger abschreckend genug sein, um solche “guten Ratschläge” zumindest dieses Mal abzulehnen.

Die Faktoren Zeit und Gegenseitigkeit

Andererseits ist Russland auch nicht dazu bereit feindliche Aktionen zu unternehmen, etwa sich in einer anti-amerikanischen Internationale zu engagieren. Eine Lektion der traditionellen Diplomatie hat man im Kreml und dem russischen Außenministerium am besten verstanden: Es gibt nur ein bestmögliches Bündnis, welches allen anderen vorzuziehen ist, nämlich das mit der eigenen Armee und Flotte. Dank dieser Allianz ist Russland heute eine der entscheidenden Mächte im Nahen Osten, was es wiederum einem der am meisten von der NATO abhängigen Länder erlaubt hat, eine geopolitische Wende zu vollführen: nämlich der Türkei. Das ist nur eine Möglichkeit, aber sie bedeutet die Möglichkeit einer einfachen Lösung der Ukrainekrise (sollte jemand wieder auf die Idee kommen die Kiewkarte zu spielen) – dank ihr wurde die Eskalation in dieser Region gestoppt, wofür wir dem Kreml dankbar sein sollten. Darüber hinaus gibt es für Russland einen noch wichtigeren Faktor: ZEIT.

Russland braucht Zeit, um seine interne Modernisierung zu beschleunigen, um das Niveau seiner Sozialpolitik und der Infrastruktur auf jene Ebene zu heben, welche Russland bereits jetzt in der Politik erreicht hat. Daher ist Friede an seinen Grenzen im Interesse Moskaus. Aber nicht in Austausch für den Eintritt in andere Konflikte und schon gar nicht um jeden Preis. Auch in offiziellen Publikationen ist immer stärker zu erkennen, dass das “Do-ut-des”-Prinzip nicht länger verleugnet wird, aber niemand ist dazu in der Lage aufzuzeigen, was der Westen Russland anbieten kann (außer einer Senkung der Spannungen).

Der einzige Trick, welchen die westlichen Agitatoren noch in der Hand haben, ist nach dem alten Muster “den östlichen Barbaren das Zertifikat der westlichen Werte zu verleihen” und der hat bis vor 300, 200 und 20 Jahren funktioniert. Aber lasst uns hoffen dass auch die Russen sich daran erinnern, das jedes Mal, wenn irgendwelche “guten Freunde” Russland von seinen Aufgaben im Osten abhielten und ins europäische Geschehen zerrten, dies nicht nur in enormen Schwierigkeiten, Verlusten und Zerstörungen endete, sondern auch in der Notwendigkeit wieder alles von Neuem aufzubauen.

Gut, aber die Russen selbst werden entscheiden müssen, ob sich dieses Geschäft auszahlt und zu welchen Bedingungen. Aber worin liegen die Schlussfolgerungen für uns, die Bewohner des übrigen Europas?

Ändert Soros den Ton?

Die generellen Schlussfolgerungen sind genauso klar wie korrekt – auf die eine oder andere Art wird die weltweite Entspannung der Beziehungen mit Russland kommen. Wenn es nicht so kommen wird, wie Donald Trump es sich vorstellt, dann nur, weil die alte Union danach strebt, mit Frankreich und Deutschland an vorderster Front zu stehen. Dies liegt hauptsächlich an der gegenwärtigen Krise der gesamten EU und ihrer grundlegenden Bestandteile, da diese darauf angewiesen ist steigende soziale und ethnische Probleme zu lösen, da ihre Gesellschaften das wollen, was zum Beispiel auch Präsident Putin macht: Die eigenen Probleme lösen, anstatt sich in einem Schema aus Polarisierung und Entfremdung zu verlieren sowie permanent Propagandasprüche zu verfolgen.

Dennoch halten sie an ihrer Idee fest, obwohl ihre Vertreter die Erwartungen verändern und ihre Strategien umorientieren mussten. Genauso will Präsident Trump mit Russland auskommen und es in seinen Konflikt mit China hineinziehen – ebenso wie George Soros immer Russland zu einem Teil der Neuen Weltordnung machen will, dem Projekt der Globalisierung auf den Prinzipien des universalen Finanzkapitalismus und Parolen der liberalen Demokratien wie auch der “Offenen Gesellschaft”. Zumindest will er nicht die Feinde dieses Konstrukts unterstützen, zu denen man in diesen Kreisen auch immer Moskau rechnete. “Frieden durch Demokratisierung” – das war bis vor kurzem das Angebot von George Soros, oder genauer gesagt: “Frieden im Austausch für Kapitulation und Gefolgschaft.” Heute jedoch würde die Schwächung von Soros’ westlichem Zentrum diese Transaktion absurd machen, also wurde der Vorschlag in folgende Formel umformuliert: “Frieden, nur Frieden und wir achten nicht darauf, was bei euch passiert!”.

Die Brüsseler Version des europäischen Projektes (,welches noch immer von Amerika abhängig ist, aber ideologisch leicht abweicht,) muss, um überleben zu können ihre Prioritäten ändern, aber nicht in Bezug auf die Außenpolitik (so wie es D. Trump tun muss), sondern auf die inneren Probleme. Daher sehen Paris, Berlin und hinter ihnen die anderen, weniger von Amerika abhängigen Mächte und kleinen Zentren, nicht mehr den Sinn in einer Fortsetzung der Konfrontation mit Russland. Insbesondere in der gegenwärtigen Situation, wo in Frankreich, Deutschland und Italien Graswurzelbewegungen immer stärker werden, welche mit den Russen auf der Grundlage gemeinsamer Werte kooperieren wollen, entstehen Inhalte und Interessen welche jenen, auf denen der Brüsseler Supra-Staat aufgebaut wurde, extrem entgegengestellt sind.

Und das ist die Antwort auf die Frage im Titel. Amerika hätte gerne Russlands Teilnahme an einem solchen Übergang, welcher so viel wie möglich von der gegenwärtigen unipolaren Gestalt der Welt erhalten, oder zumindest Washington helfen würde die amerikanische Position in den multipolaren Realitäten zu sichern. Das ist bestimmt ein attraktiveres Angebot, als die gegenwärtigen Bedingungen und Beziehungen, aber ist es das einzige? Wie auch immer, wir können die gegenwärtigen Bedrohungen nicht vergessen. Die Europäischen Eliten repräsentieren ein im Abstieg begriffenes, defensives, aber noch immer gefährliches Projekt – nämlich die Ersetzung der Unipolarität mit einer Globalisierung, basierend auf Poppers’ liberalen Monoideismus.

Ist ein drittes Projekt möglich, ein Projekt aufbauend auf souveränen Gesellschaften, auf ihrer wahren Identität? Für viele scheint dies noch immer nur eine Utopie zu sein und vielleicht liegt in ihr nur eine andere Mission Russlands (sowie 1812 und 1945). Jedoch kann sie nur mit der Wachsamkeit und Teilnahme von uns allen verwirklicht werden.

 

[1] За́падничество beschreibt die Ideologie bzw. die Orientierung nach Westen.