Wie viel Menschenrechtsideologie verträgt die Demokratie?

von | 24. Feb. 2018 | Debatte

Auf die Frage, weshalb viele Menschen das Vertrauen in die etablierten Parteien verloren hätten, antwortete der Politologe Yascha Mounk der Moderatorin der Tagesthemen am 20. Februar 2018, dass dies mehrere Gründe habe. Einer dieser Gründe sei, „…dass wir hier ein historisch einzigartiges Experiment wagen, und zwar eine monoethnische, monokulturelle Demokratie in eine multiethnische zu verwandeln. Das kann klappen. Es wird, glaube ich, auch klappen. Aber dabei kommt es natürlich auch zu vielen Verwerfungen“.

Dieser Satz wurde selbstverständlich zu Recht sofort zum Skandal und Martin Sellner bemerkte in einer Videobotschaft spöttisch, er brauche künftig nichts mehr weiter zu tun als nur immer wieder diesen Ausschnitt der Tagesthemen auf YouTube hochzuladen. Trotzdem kann sich über den Gehalt dieser Aussage eigentlich nur wundern, wer seit Jahren stur und beharrlich die Zeichen der Zeit verkannt hat.

Das wäre schon eine Leistung an sich, wenn man bedenkt, dass die Politik zum Austausch der Weißen in nahezu allen europäischen Ländern sozusagen zum guten Ton gehört. Gegen Querulanten, dazu gehören aufsässige Staaten wie Ungarn, Polen und die Slowakei, soll es empfindliche Kürzungen von EU-Mitteln geben, nachdem namentlich deutsche und andere westeuropäische Firmen jahrelang von der Öffnung der Märkte dieser Staaten profitiert und gleichzeitig deren Arbeitsmigranten ausgebeutet haben. Deutsche Produkte werden in diesen Ländern zum gleichen Preis verkauft wie in Deutschland, obwohl die dort gezahlten Löhne nur einen Bruchteil des deutschen Mindestlohnes betragen. Nachdem man nun also seinen Reibach mit diesen Staaten gemacht hat und weiterhin macht, stellt eine Kanzlerin Merkel diese Staaten vor die Wahl, entweder undemokratisch – nämlich gegen den ausdrücklichen Willen der eigenen Bevölkerung – Flüchtlinge ins Land zu lassen oder bei der Verteilung von EU-Geldern übergangen zu werden. Ob Angela Merkel sich mit ihrem Vorschlag, bei der Verteilung von EU-Geldern auch das Engagement bei der Aufnahme von Flüchtlingen und die Einhaltung europäischer Werte zu berücksichtigen, durchsetzen wird, ist noch nicht sicher, aber allein der Vorschlag ist zutiefst unmoralisch. Es ist nichts weiter als eine schmutzige Erpressung!

Auch Günther Oettinger ließ sich mit Blick auf Ungarn und Polen in seiner Eigenschaft als EU-Haushaltskommissar wie folgt vernehmen: „Wenn ihr diesen Kurs fortsetzt, dann wird es um Kürzungen bei den Investitionen gehen“.

Konrad Szymański sagte zwar, sein Land werde eine Umverteilung von Flüchtlingen nach Quoten unter keinen Umständen akzeptieren und drohte, dass ein solcher Schritt „zu einer echten politischen Krise mit weitreichenden Folgen für die Einheit der Union führen“ würde. Dass aber die Totengräber des Kontinents, zu denen Oettinger, Schultz, Merkel, Schäuble und Juncker gehören, sogar willens sind, das Experiment, von dem der Politologe Yascha Mounk sprach, selbst auf die Gefahr einer Spaltung der Europäischen Union hin umzusetzen, zeugt von ihrem Fanatismus in dieser Sache. Die Durchsetzung ihrer Menschenrechtsideologie ist ihnen wichtiger als die Achtung demokratischer Entscheidungen: ein moralischer Imperialismus, der in der Geschichte seinesgleichen sucht.

Dass diese Personen gleichzeitig unentwegt von Demokratie sprechen und dafür in den seltensten Fällen ausgelacht werden, hat mit einer fast unerträglichen Verwirrung um die Begriffe Demokratie und Menschenrechte zu tun, die von manchen Leuten sogar – so hat es jedenfalls den Anschein – für Synonyme gehalten werden. Auf der schweizerischen Netzseite www.demokratieundmenschenrechte.ch erschien am 15. Februar 2018 ein Artikel mit der Überschrift „Demokratie und Menschenrechte: ZWEI SEITEN DERSELBEN MEDAILLE“. Bereits der suggestive Titel ließ also nichts Gutes vermuten. An einer Stelle des Aufsatzes wird Professor René Rhinow mit folgenden Worten zitiert: „Es gibt im Verfassungsstaat kein Volk über dem Recht.“ Da fragt man sich schon fast, ob man diesen Satz dem Professor noch als „sophisticated“ durchgehen lassen kann oder ob das nicht doch eher „sophistisch“ ist. Es wird hier eine komplette Umkehr vorgenommen und das Küken gleichsam zur Mutter der Henne gemacht. Wenn Rhinow behauptet, der Rechtsstaat und somit auch die individuellen Rechte stünden über der Volkssouveränität, kann man sich das Lachen eigentlich kaum noch verkneifen. Der oben zitierte Satz müsste richtig heißen: „Es gibt in einer Demokratie kein Recht über dem Volk“, denn die Volkssouveränität ist in einer Demokratie per definitionem das Maß aller Dinge. Wenn der Souverän, d. h. das Volk, sich mehrheitlich dazu entschließt, einen bestimmten Artikel aus seiner Verfassung durch seine gewählten Vertreter streichen zu lassen oder die Rechte bestimmter Minderheiten etc. zu beschneiden, dann sind diese Vorgänge urdemokratisch, auch wenn die vielgepriesenen Menschenrechte unter ihnen leiden.

Die Verwirrung scheint aber bei manchen Menschen noch größer zu sein, als ich mir überhaupt vorstellen konnte, bevor ich diesen Artikel zu lesen anfing. Darin wird nämlich auch eine deutsche Wissenschaftlerin namens Ingeborg Maus angeführt, die behauptet, die Konzepte Menschenrechte, Demokratie und Frieden gehörten zusammen und seien nicht voneinander getrennt verwirklichbar. Oh, Carl Schmitt, vergib ihr, denn sie weiß nicht, was sie sagt! Wenn sich das Volk in einer Demokratie dazu entschließt, einen Krieg zu führen – ob wir das gut oder schlecht finden, ist eine andere Frage –, dann ist es deshalb noch lange keine schlechtere Demokratie. Oder war das Athen des Peloponnesischen Krieges ein schlechteres, ein undemokratischeres Athen als das der kurzen Friedensperioden? Im Gegenteil.

Menschenrechte, Demokratie und Frieden sind drei völlig unterschiedliche Dinge, daher gibt es auch drei verschiedene Begriffe. Demokratie hat so wenig mit den Menschenrechten zu tun wie Honig mit Schlagsahne. Bloß weil beides süß schmeckt, ist es noch lange nicht dasselbe. Frühere Demokratien hatten alle die Institution der Sklaverei (die ja im Sinne der Menschenrechte nicht hoch im Kurs steht). Umgekehrt steht die Agenda von Menschenrechtlern oftmals im krassen Gegensatz zu demokratischen Prinzipien wie der Volkssouveränität. Gerade dass es eine Polis gibt, in der der Demos, d. h. die Bürger (und nur die Bürger) etwas zu entscheiden haben, setzt voraus, dass andere Menschen in diesem System eben nichts zu entscheiden haben.

Die Vorstellung, alle Menschen seien gleich respektive hätten gleiche Rechte, hat auch nach dem großen Staatsrechtler Carl Schmitt nichts mit Demokratie zu tun, sondern ist „eine bestimmte Art Liberalismus, nicht Staatsform, sondern individualistisch-humanitäre Moral und Weltanschauung“. Der schweizerische Publizist Jan Mahnert unterscheidet deshalb zwischen Demokraten und Homokraten und weist nach, dass die Gleichheitsideologie der Menschenrechte die echte Demokratie bedroht, denn stünden – so schreibt er – Individualrechte im Vordergrund, seien kollektive Entscheidungsprozesse nur noch innerhalb bestimmter Grenzen möglich. Deshalb sage ich Ja zur Demokratie und erteile der extremistischen Menschenrechtsideologie, die heute in vielen Gesellschaften geradezu als Ersatzreligion betrachtet werden muss, eine klare Absage.

Eingeleuchtet hat mir dieses Konzept der Menschenrechte ohnehin noch nie. In seinem Büchlein Das Wesen des Systems. Politische Radiographie schreibt der argentinische Philosoph Carlos Dufour über diese ominösen Rechte Folgendes: „Die christlichen Theologen hatten zwar einen unsichtbaren Gott postuliert, waren aber immerhin bemüht, seine Existenz nach den damaligen Standards nachzuweisen. Die Befürworter der Menschenrechte dagegen berufen sich auf die Offenkundigkeit der Menschenrechte. Nun ist es ein linguistischer Fakt, dass es in keiner klassischen Sprache einen Ausdruck für Menschenrechte gibt. Wären solche Rechte evident wie die Sonne und das Wasser, wäre dieses sprachliche Manko ein Rätsel. Also liegt keine Offenkundigkeit vor.“ Man merkt sogleich, dass dieser Mann beinahe in Logik habilitiert hätte, wäre er nicht nach vielen Jahren der Forschungsarbeit von der Ludwig-Maximilians-Universität München fallen gelassen worden. Er bemerkt weiter: „Man erzählt von einer Dame, die wissen wollte, wie die Astronomen die Namen der Himmelskörper herausgefunden haben. Die Anekdote will besagen: Rechte sind nicht Dinge, die man entdeckt, sondern Dinge, die man gewährt“. Allerdings würden die Menschenrechte heute fröhlich deduziert, ganz in der Art, in der man einen Wunschzettel erstelle. Man frage sich dabei nur, ob etwas an sich angenehm sei und stempele es zum Recht. Ganz treffend konstatiert er, diese Lehre wirke nicht nur heuchlerisch, sondern kindisch: „Alle Bürger sind Menschen, aber nicht alle Menschen sind Bürger. Ein ernsthafter Staat beginnt mit einer strengen Exklusion“.

Eine strenge Exklusion tut in der Tat not. Stattdessen schreien die Homokraten heute nach immer mehr Inklusion, nach dem Wahlrecht für Ausländer, nach der Unterrichtung von behinderten mit normalen Kindern, nach einer Aufhebung der Geschlechter. Alles soll gleich werden, alles auf ein Niveau herabgedrückt werden. Hier zeigt sich mit Nietzsche der Hass auf alles, was Höhe hat.

Jeder Bürger ist Mensch, aber nicht jeder Mensch ist Bürger. Ich glaube auch, dass es durchaus demokratisch wäre, wenn das Wahlrecht auf jene Männer beschränkt würde, die Militärdienst geleistet haben sowie außerdem auf jene Frauen, die dem Staat mindestens ein Kind geboren haben. Denn weshalb sollte jemand, der nicht bereit ist, das Gemeinwesen, in dem er lebt, auch mit der Waffe in der Hand zu schützen und nötigenfalls sein Leben einzusetzen, in diesem Gemeinwesen politisch irgendetwas mitzureden haben? Und weshalb sollte eine Frau, die sich mehr um ihre „Karriere“ sorgt als um den biologischen Fortbestand ihres Volkes, die Möglichkeit haben, auf dessen Zukunft und damit auf die Lebensumstände anderer Leute Kinder Einfluss zu nehmen?

Ich selbst bin ein glühender Anhänger der republikanischen Staatsform und meine Wohnung ziert u. a. die Fahne des US-Bundesstaates Virginia mit der Devise „Sic semper tyrannis“. Es sind dies die Worte, welche Brutus bei der Tötung Caesars gesprochen haben soll. Meines Erachtens hat jede demokratische Mehrheit ein Recht darauf, etwa in Fragen der Einwanderungspolitik zu diskriminieren und selektiv auch mit Blick auf den ethnokulturellen Hintergrund der potentiellen Einwanderer vorzugehen. Die Omnipräsenz der Menschenrechtsdoktrin verhindert jedoch, dass Regierungen westlicher Staaten von diesem Werkzeug der Biopolitik Gebrauch manchen. Sie befördert im Gegenteil unter ihren Anhängern den Wunsch nach schnellstmöglicher Durchführung des von dem Politologen Yascha Mounk angesprochenen Experiments. Die Menschenrechtsdoktrin, nicht die Demokratie, ist die Ursache dafür, „…dass wir hier ein historisch einzigartiges Experiment wagen, und zwar eine monoethnische, monokulturelle Demokratie in eine multiethnische zu verwandeln. Das kann klappen. Es wird, glaube ich, auch klappen. Aber dabei kommt es natürlich auch zu vielen Verwerfungen“. Mit Enoch Powell und Vergil kann man nur noch hinzufügen: „Ich sehe den Tiber schäumen vor Blut“.