Wie beeinflusst Demographie die geopolitischen Machtverhältnisse?

von | 08. Sep. 2021 | Philosophie & Theorie

Zum Autor:

Andreas Minkofski ist Deutschkanadier und lebt mit seiner Frau Geneviève in Montreal, Quebec. Er ist Jahrgang 1952, studierter Historiker, Immobilienmakler und Kraftsportler. In französischer Sprache veröffentlichte er das Buch: „Otto von Bismarck et l´expansion coloniale allemande, 1884-1890“. Derzeit arbeitet er an einem weiteren Buch mit dem Titel: „Dreizehn Kernereignisse, die das Abendland seit 1347 geprägt haben“.

Länder wie Nigeria könnten die Großmächte der Zukunft werden.” (Paul Morland)

Paul Morland[1] hat ein interessantes Buch geschrieben, “Die Macht der Demographie”[2], und wurde dazu von der Neuen Zürcher Zeitung angesprochen. In einem Interview nahm er zu wichtigen Merkmalen der demographischen Entwicklung Stellung, um zu erklären, wie diese den Werdegang der Geschichte gestaltet hat.

Er zeigt auf, wie jeder aufgewachte Beobachter feststellen kann, dass in fortgeschrittenen Gesellschaften des Westens heute ganze Ortschaften sich verändern, indem eine ansässige Gruppe mehr Nachkommen zeugt als eine andere. Das ist vor allem dort der Fall, wo Einwanderer zugezogen sind: Sie haben in kurzer Zeit die Zusammensetzung der Bevölkerung verändern können – eine Feststellung, die aber in den Massenmedien kein Thema sein darf, weil sonst sofort der Vorwurf des Rassismus laut wird. Tatsache ist, dass, wenn Gruppen von Menschen Seite an Seite zusammenleben, dies auch die Frage von “politischen Machtverhältnissen” aufwirft. Minderheiten, die mehr Kinder bekommen, machen die alte Mehrheit zur Minderheit und verdrängen sie aus Gebieten, die früher von ihr geprägt worden sind. Der Autor macht klar, dass dies ein Prozess in der Geschichte ist, der immer wieder zu Konflikten führte.

Er zeigt ebenfalls auf, dass in der Vergangenheit eine Bevölkerungsvermehrung oft recht schwierig gewesen ist, weil verheerende Kriege und Hungersnöte das Bevölkerungswachstum einschränkten und erschwerten. Die Modernisierung, die seit 1800 mit einer Explosion der Technik einherging, hat diese Beschränkungen über Bord geworfen. Die Globalisierung mit ihrer Verkehrsrevolution hat es ermöglicht, dass Nahrungsmittel aus der ganzen Welt zu günstigen Preisen eingeführt werden konnten. Ab 1750 waren massenhafte Hungersnöte in Europa eine Sache der Vergangenheit.  Medizinischer Fortschritt, der mit der Kolonisation in die ganze Welt vordrang, tat ein Übriges. Afrika – nicht nur Europa – verdankt daher der Wissenschaft einen entscheidenden Rückgang des Säuglingssterbens.

Die Bevölkerung Afrikas hat sich von 1900 auf heute um das zwölffache erhöht. Aber in Afrika bekommen Frauen heute immer noch genauso viele Kinder wie damals, und das hängt mit Usancen, mit Kultureigenschaften, mit psychischen Bedingtheiten zusammen. In Europa hingegen sinkt die Geburtenrate schon seit Jahrzehnten aufgrund einer Anpassung der Bevölkerung an das stressbedingte Wirtschaftsleben (Stichwort Neoliberalismus). In Afrika wiederum ist von einem Zwei-Kinder-System noch lange nichts zu sehen. Dies hatte sich zuerst in Frankreich nach den Napoleonischen Kriegen breitgemacht und drückt heute ganz Europa den Stempel auf bis hinüber nach Russland. Diese auseinanderstrebenden Entwicklungen sind mit Armut und fehlender Wirtschaftsentwicklung in der sogenannten Dritten Welt zu erklären.

Diese Feststellungen sind eigentlich allen ernst zu nehmenden Historikern bekannt. Nur die Bevölkerung im Allgemeinen weiß davon nicht viel oder sieht nicht die Zusammenhänge. Sie wissen nichts von der Geschichte Frankreichs oder der Welt von Honoré Balzac. Sie wissen allerdings, dass mehr Kinder für einen Staat mehr Soldaten bedeuten. Und billige Arbeitskräfte. Der Hauptpunkt, dass nämlich eine größere Bevölkerungszahl auch mit Technik und daher einem höheren Wissensniveau der Bevölkerung verzahnt sein muss, um sich MACHTPOLITISCH auf der Welt auszuwirken, das wissen die meisten Menschen im informellen amerikanischen Imperium nicht. Sie sehen niemals, dass die Kolonisation der Welt durch Europa vor allem nur durch eine Bevölkerungsexplosion in unserem Kontinent möglich wurde und dass diese nur deshalb nachhaltig war, weil TECHNIK diese Entwicklungen förderte und verstärkte. Sie können niemals hinter die Haupttriebe der Politik sehen, um sich zu erklären, warum viele Konflikte zu Gunsten der einen Macht ausgingen und nicht der anderen. Warum z. B. die Alliierten den Ersten Weltkrieg gewannen – nach mehr als viereinhalb Jahren. Das hing nicht nur mit Fehlentscheidungen der Führer der Mittelmächte zusammen, sondern erklärt sich ganz einfach dadurch, dass die Alliierten über ein vielfaches demographisches Übergewicht verfügten und gleichzeitig auch über eine ebenbürtige Technik. „General Hunger“ gab darüber hinaus den Mittelmächten den Rest.

Es ist nicht auszuschließen, dass die USA als Supermacht in den nächsten Jahrzehnten abgelöst wird. Werfen wir einen Blick auf die Vergangenheit: Um 1900 hatten die USA eine Bevölkerung von ca. 90 Millionen und Deutschland etwas mehr als 60 Millionen. Großbritannien verfügte über eine Bevölkerung in seinem Imperium von über 400 Million und ca. 45 Millionen saßen auf den Britischen Inseln. Frankreichs Bevölkerung lag bei knapp 40 Millionen, Italien hatte ca. 40 Millionen. Russland stand mit ca. 140 Millionen da und in Österreich – Ungarn lebten ungefähr 40 Millionen, während das Osmanische Reich 18 Millionen Einwohner hatte. Heute sieht es anders aus. In der Türkei, obwohl flächenmäßig wesentlich kleiner geworden, leben 80 Millionen Menschen. Das Russland von heute hat ca. 145 Millionen Einwohner, Deutschland 82-83 Millionen und die USA ca. 320 Millionen. Großbritannien und Frankreich jeweils ca. 60 Millionen. Und das GEWICHT, das diese Länder politisch auf die Weltbühne zum Tragen bringen, spiegelt diese demographischen Verhältnisse auch wider.[3] Weiß denn überhaupt einer aus der “feinen Intelligenz” im informellen amerikanischen Imperium, dass Syrien über 30 Millionen Einwohner hat, und dass das ehemalige Osmanische Reich 1915-1918 proportional mehr Menschenverluste zu beklagen hatte als Europa? Ägypten lieferte damals eine Mehrmillionenarmee für die Briten, wovon mehr als 500 000 in Kämpfen und an Krankheiten starben. Heute ist dort die Bevölkerung auf fast 99 Millionen angewachsen. Was sagt uns das über ein Bevölkerungswachstum, das nicht kontrolliert wird?

Die natürlichen GROSSMÄCHTE der Zukunft sind in erster Linie China, Indien, Indonesien und womöglich ein neues politisches Gebilde im subsaharischen Afrika unter der Führung von Nigeria. Europa hat nur eine Chance sich zu behaupten – durch einen Zusammenschluss MIT Russland. Brasilien und die USA sind verdammt, in der zweiten Liga spielen zu müssen – auch wenn die Bevölkerung von Brasilien sehr schnell wächst. Dort vervierfachte sich zwar die Bevölkerungszahl in den letzten 50 Jahren, dieses Wachstum verlangsamte sich allerdings in der nahen Vergangenheit deutlich.

So wird die Welt der nahen Zukunft aussehen, sobald Afrika, Indien und China den Westen technisch eingeholt haben. Der Osten wird wieder zum Zentrum der Welt, zusammen mit dem Nahen Osten und diesmal unter Anschluss von ganz Afrika. Und dass der Westen das zu verhindern sucht, müsste eigentlich jedem klar sein, auch wenn nie offen darüber gesprochen wird. Deswegen ist der ganze Diskurs so verworren und verlogen. Das ist kein Zufall. Die heutige Machtpolitik erfordert, dass die Menschen schön bei der Stange bleiben. Und gleichzeitig ist das ein Grund, warum Merkel tut, was sie tut und tat und warum es mit „Flüchtlingsströmen“ nach Europa niemals für die nächsten paar Generationen aufhören wird. Das würde nämlich eine komplette Umstellung der „Machtpolitik“, im Zusammenhang mit der „Wirtschaftspolitik“ erfordern, d. h. eine Umstrukturierung der Gesellschaft weg von den Bedürfnissen der Raubtierfinanzbarone. Und dazu sind die Oligarchen und die Plutokraten dieser Welt mit ihrer Machtbasis in den USA absolut nicht bereit. Die sehen die Gefahren nicht, sie sehen nur ihre Profite. Wirtschaft und Gesellschaft “umzudenken”, kommt für sie daher nicht in Frage.

Es ist also im Auge zu behalten, dass Bevölkerungswachstum eng mit drei Faktoren zusammenhängt: Kultur und die Bräuche einer Gesellschaft; und diese sind beeinflussbar und wandeln sich unter Druck von außen. Medizinische Versorgung, höhere Bildung und wirtschaftlicher Wohlstand führen üblicher Weise zu einer niedrigeren Geburtenrate oder sogar zu einem Einbruch der Geburtenrate hin zu einem Minuswachstum, weil Kinder plötzlich als teure Investition gesehen werden und man gleichzeitig keine Angst mehr zu haben braucht, sie schon in der frühen Kindheit zu verlieren. Mit anderen Worten, ein oder zwei Kinder „reichen“. Diese Faktoren, vermengt im Rahmen einer Welt von Gesellschaften, die heute auf verschiedenen Gleisen und in verschiedenen Geschwindigkeiten im Zeitgeschehen vorangehen, gestalten den weltgeschichtlichen Wandel von heute. Die Frage ist, wie kann man hier zum Ausgleich und zum positiven Zusammenwirken eingreifen, um eine Katastrophe zu verhindern. Wer beispielsweise glaubt, er kann den “Klimawandel” stoppen, ohne die Bevölkerungsexplosion zu stoppen, versteht überhaupt nichts vom Planeten Erde.

Anmerkungen und Hinweise

[1] https://www.nzz.ch/international/interview-laender-wie-nigeria-koennten-die-grossmaechte-der-zukunft-werden-ld.1639113?reduced=true

[2] Vieles was ich hier erkläre, ist nicht klar dem Interview von Paul Morland mit der Zürcher Zeitung zu entnehmen, beziehungsweise sofort ersichtlich oder wurde auch nur angesprochen. Mir geht es auch nicht darum, seine Hauptpunkte noch einmal durchzukauen. Vielmehr will ich vieles, was hier angesprochen wurde, in ein Gesamtbild stellen. Das Interview löste bei mir diese Reaktion aus, und ich habe mich bemüht klarzumachen, was wir uns zu fragen haben: Wohin führt uns die Reise in die Zukunft unter den heutigen Umständen?

[3] Nebenbemerkung: der Gründer der Pan-Europa Bewegung, Coudenhove-Kalergi, hatte das im Jahre 1919 schon verstanden, und dies war die zentrale politische Einsicht, die in seinen Augen einen Zusammenschluss von Europa rechtfertigte und notwendig machte. Dass er in Wien heimisch und Österreicher aus gehobenen Verhältnissen war – Vater ein ehemaliger Diplomat, seine Mutter eine Japanerin – half freilich auch….