Herbst 2017
Es ist sieben Uhr, als ich die brechend volle S-Bahn betrete. Mit Müh’ und Not ergattere ich den letzten Platz. Die Blicke meiner Mitfahrer sind entweder leer auf einen imaginären Fixpunkt im Nirgendwo gerichtet oder ruhen auf dem Smartphone. So auch bei dem vielleicht 16- jährigen Mädchen mir gegenüber mit den überdimensionalen Kopfhörern, dem gerade der Kugelschreiber von ihrem Schulheft herunterfällt. Schnell hebe ich ihn auf und reiche ihn ihr mit einem Lächeln. Das Mädchen nimmt ihn wirsch entgegen, würdigt mich dabei aber keines Blickes. Den Arm, den sie dabei ausstreckt, zieren Male vom „Ritzen“. Kurz darauf erreichen wir die nächste Haltestelle. Eine stark gebückte alte Frau, die noch die Schrecken des Krieges erlebt haben könnte, betritt das Abteil. Auf der Suche nach einem leeren Platz irren ihre Blicke hin und her. Diesen Platz gibt es nicht. Ich stehe auf und biete ihr meinen Sitz mit einer betont freundlichen Geste an. Das erste Mal schauen meine Mitinsassen kurz auf. Ist der Ausdruck auf ihren Mienen Überraschung oder peinliche Berührung? Wie auch immer, er dauert nicht lange an. Die alte Frau nimmt Platz, bedankt sich und wirkt dabei fast verlegen. Wenig später steige ich aus. Auf der Arbeit angekommen, höre ich im Radio von dem Tod zweier freiwilliger Feuerwehrleute bei einem Einsatz auf einer Brandenburger Autobahn. „Schlimm, oder?“ spricht mich ein Kollege von der Seite an, während er in sein Salamibrötchen von der Tankstelle beißt. „Das ist der Grund, wieso ich den Job nie machen würde.“ Fassungslos blicke ich in die Augen des leicht übergewichtigen Mannes meines Alters. Ich nehme meine Sachen und gehe. Heute im Übrigen etwas früher als sonst, denn das DRK ist im Ort zur Blutspende. Noch gut erinnere ich mich, wie ich bei meinem ersten Gang die nicht mehr junge Schwester nach der allgemeinen Spendenbereitschaft fragte. Ihr bisher so fröhliches Gesicht wirkte plötzlich wie eine starre Totenmaske. „Es werden immer weniger. Wir mussten bereits das Spenderalter heraufsetzen.“ Einen kurzen Augenblick überlegte ich damals, weiterzubohren und sie nach dem typischen Durchschnittsspender zu fragen, verwarf diesen Gedanken aber als unpassend und irgendwie indiskret. Cirka eine Stunde später verlasse ich die Örtlichkeit. Ich bin spät dran. Meine große Tochter muss schon warten. Als ich den Vorraum des Kindergartens betrete, treffe ich die Elternsprecherin. Nach einer kurzen Begrüßung fragt sie mich, ob ich nicht Lust hätte, an dem Erwachsenen-Krippenspiel in diesem Jahr mitzuwirken. Ich willige ein. Ihre Art, wie sie mir vor einem Monat erzählte, dass ich sie und ihre Kinder immer an den Protagonisten einer KiKa-Serie erinnere, war mir irgendwie sympathisch. Abends, als die Kinder schlafen, bekomme ich noch Besuch von einem Freund. In der Schule war dieser immer ein Sport-Ass, doch die Zeit ist lange her. Wir genehmigen uns ein Bier. Wenig später lenkt mein Schulkamerad das Gespräch zu den zwei verunglückten Feuerwehrleuten. Nach einem kräftigen Schluck aus der Flasche bekennt er in einer Mischung aus Unsicherheit und Überzeugung „So was ist doch abzusehen, deswegen würde ich da nie beitreten.“
Präludium in e-Moll
„Der moderne Mensch liebt nicht, sondern er sucht Zuflucht in der Liebe; er hofft nicht, sondern er sucht Zuflucht in der Hoffnung; er glaubt nicht, sondern er sucht Zuflucht in einem Dogma.“
– Nicolas Gomez Davila
Die eingangs beschriebene Alltagssituation steht stellvertretend für ein Sammelsurium an Problemen der Gegenwart. Wie konnte es soweit kommen? Wie wurde aus einer verschworenen „Gemeinschaft“, die dem Schillerschen „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern“ einst so nahe stand, eine ‚impotente’, atomisierte „Gesellschaft“? Ist es das Ende oder kann funktionierendes Gemeinwesen wiedererstehen? Was kann dabei der Einzelne tun, der sich immer noch in Unsicherheit wägt? Wollen wir diese Fragen beantworten, so ist es hilfreich, die Schriften zu erschließen, die sich dem Thema direkt oder indirekt widmen. Es wurden bewusst völlig verschiedene akademische Hintergründe gewählt. Ausschlaggebend war weiterhin der Zeitwert* und vor allem die Zeitnähe.
Regenpfeifer
Mein Hauptaugenmerk lege ich dabei auf „Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“ von Konrad Lorenz, welches zu Recht als Klassiker gilt und dessen Hypothesen wir in gleicher bzw. ähnlicher Form bei den nachfolgenden Autoren finden. Das von dem Hauptprotagonisten der vergleichenden Verhaltensforschung Konrad Lorenz erstmals 1973 publizierte Buch fristet trotz seiner Kenntnisname in der breiten Öffentlichkeit und vieler Nachauflagen ein Dasein, welches dem der Tochter des Primaos, Kassandra, zu ähneln scheint. Ähnlich wie bei Martin Heidegger und Carl Schmitt reichte ja eine mehr oder weniger konstruierte NS-Nähe Lorenz’ aus, um dem Mühsal einer ernsthaften Beschäftigung mit dem Werk und seinen Hypothesen aus dem Weg zu gehen.
Laut Lorenz sind die acht gegen die (menschliche) Natur und Menschlichkeit gerichtete Todsünden folgende:
- Überbevölkerung
- Verwüstung des Lebensraums
- Der Wettlauf mit sich selbst
- Wärmetod des Gefühls
- Genetischer Verfall
- Abreißen der Tradition
- Indoktrinierbarkeit
- Die Kernwaffen
Seine Grundannahme dabei ist, dass all „diese Fehlleistungen Störungen ganz bestimmter, ursprünglich sehr wohl einem Arterhaltungswert entwickelnder Verhaltensmechanismen sind“ (S.12). Als Überbevölkerung bezeichnet Lorenz hierbei hauptsächlich die einhergehende Verstädterung und Vermassung, die den Einzelnen „in seiner Fähigkeit zu sozialem Kontakt […] dauernd überfordert“ (S.20). Teilnahmslosigkeit gegenüber dem nächsten, Vereinsamung, Entmenschlichung und Aggressivität seien die Folgen. In der Verwüstung des Lebensraums behandelt er die scheinbar verlorengegangene Erkenntnis des Menschen von der Endlichkeit seiner Lebensgrundlagen und erkennt in der „Entfremdung gegenüber der lebenden Natur“ (S.28) einen Teil der „Schuld an der ästhetischen und ethischen Verrohung der Zivilisationsmenschen“. Der modernen Architektur bzw. der Verwandlung ganzer Landstriche in Betonwüsten erteilt er eine Absage und vergleicht sie mit einem wuchernden Krebsgeschwür. Sein Fazit: „Ästhetisches und ethisches Empfinden sind offenbar sehr eng miteinander verknüpft“(S.30). Das Kapitel „Der Wettlauf mit sich selbst“ widmet sich dem zivilisatorischen Phänomen, welches man mit den drei Attributen ‚höher, schneller, weiter’ fassen könnte. Ausgehend von der innerspezifischen Selektion zeigt Lorenz hier die Entartung des Menschen zu Utilitarismus und Hypertrophie und seinen damit einhergehenden Verlust der Fähigkeit zur (Selbst-)Reflexion. Das moderne Missverhältnis des Lust-Unlust-Prinzips zugunsten der Lust, Neophilie, sowie die Verweichlichung des Menschen beschäftigen den Forscher in „Wärmetod des Gefühls“**. Verstärkt wird diese Abart der Wohlstandsverwahrlosung in „Genetischer Verfall“ beschrieben, wo er sich auch der Frage nach dem Rechtsgefühl der Sozietät bzw. den Vorraussetzungen zum Erhalt desselbigen stellt. Dabei stellt er fest: „Die Ausschaltung des natürlichen Rechtsgefühls durch die heutige Tendenz zur absoluten Toleranz wird in ihrer gefährlichen Wirkung verstärkt durch die pseudodemokratische Doktrin, dass alles menschliche Verhalten erlernt sei.“ (S. 59) In der kumulierenden Tradition sieht der Biologe eine „nie vorher dagewesene Möglichkeit zur Verbreitung und Überlieferung individuell erworbenen Wissens“(S. 68) und wehrt sich gegen den „Irrglaube(n), dass nur das rational Erfassbare oder gar wissenschaftlich Nachweisbare zum festen Wissensbesitz der Menschheit gehöre“(S. 70). Das Zusammenspiel dieses Irrglaubens, der letztendlich in der laut Lorenz irrsinnigen Folgerung „am besten die elterliche Kultur total zu vernichten, um „schöpferisch“ neu aufbauen zu können.“(S.77) gipfelt. Mit den vermehrt aufkommenden Störungen bei der Kindentwicklung durch mangelnde Mutterbindung und dem Fehlen starker Vaterfiguren bzw. klaren Rangordnungen ergibt sich eine weitere Ursache für den geradezu unversöhnlichen Hass, den die Jungen gegenüber den Alten hegen. Aus diesen Mängeln schildert er weiterhin das Entstehen von peer groups/ Subkulturen als Ersatzobjekt zur Triebbefriedigung der Jugendlichen. Die wachsende Indoktrinierbarkeit der Menschen sieht Lorenz durch die Verbreitung der Massenmedien befördert und wendet sich dabei gegen das behavioristische Dogma. Deutlich zeigt er auf, wie Phänomene wie Modeerscheinungen und der Druck des Konformismus auch vor der Wissenschaft keinen Halt machen. Im letzten Kapitel der ‚Kernwaffen’ erkennt er bereits deren Abschreckungspotenzial an, sieht jedoch in der durch sie entstehenden „Weltuntergangsstimmung“ die Beförderung seines bereits im Kapitel „Wärmetod des Gefühls“ beschriebenen „unverantwortlichen und infantilistischen Strebens nach sofortiger Befriedigung primitiver Wünsche und einer entsprechenden Unfähigkeit, sich für etwas verantwortlich zu fühlen, was in ferner Zukunft liegt […]“.(S.106) Setzt man 45 Jahre danach all dies mit dem als „optimistisch“ betitelten Vorwort des Buches in Relation, kommt man nicht umhin, eine geradezu bedrückende Schwere zu empfinden. Fast keine seiner Erkenntnisse wurde seitdem in gebührendem Maße Rechnung getragen.
Eine wichtige Ergänzung erfolgte rund zwanzig Jahre später durch den Lorenz-Schüler und Begründer der Humanethologie Ireneäus von Eibl-Eibesfeldt. „Wider die Misstrauensgesellschaft“ wendet die neusten biologischen Erkenntnisse an und räumt mit den Mythen des vorherrschenden Zeitgeistes auf. Dass er darunter auch die Utopie einer multikulturellen Immigrationsgesellschaft fasste, brachte ihm Anfeindungen ein, er würde Ausländerhass und Unfrieden stiften – allerdings fehlte bei ihm doch die Möglichkeit des NS-Anwurfes allein schon durch die verhältnismäßig späte Geburt. Nun Eibl-Eibesfeldt war darauf vorbereitet, widmete schließlich in seinem Buch einen Absatz dem „Feindbild Biologe“, dem auch Lorenz bereits in seinen „Todsünden“ begegnete und konstatiert ernüchtert „Der immer wieder aufflackernde Streit um die Rolle des „Angeborenen“ zeigt, dass es dem Menschen schwerfällt, die Existenz ihn einschränkender Vorgaben anzuerkennen“ (S.44).
Wer sein Buch darüber hinaus aufmerksam liest, kommt nicht umhin zu bemerken, dass das genaue Gegenteil der erwähnten Vorwürfe der Fall ist und sein Antrieb einzig die Konfliktvermeidung ist. Dabei greift er viele Erkenntnisse seines Lehrers Konrad Lorenz auf, so auch bei der folgenden: „Wir schufen uns mit der anonymen Großgesellschaft, der technischen Zivilisation und der modernen Großstadt eine Umwelt, für die wir nicht geschaffen sind“ (S. 59) oder bei der Suche nach konkreten Lösungsvorschlägen: „Die Angst des Menschen vor dem Mitmenschen belastet die zwischenmenschlichen Beziehungen […]. Dieser Angst kann man durch städtebauliche Maßnahmen entgegenwirken […]. Für die freundliche Einstimmung, Entspannung und heimatliche Einbindung spielt auch die ästhetische Gestaltung der Wohnumgebung eine große Rolle.“ (S.98 f.)*** Eine weitere große Gefahr sieht Eibl-Eibesfeldt in der Immigration nicht-europäischer Populationen, besonders durch deren höheres Bevölkerungswachstum und ihren Hang zur Bildung von Solidargemeinschaften **** (siehe Parallelgesellschaften, Anmerkung des Verfassers). Wertfrei fasst er zusammen: „Ein friedliches Zusammenleben von Völkern ist am besten gewährleistet, wenn jedes Volk über ein eigenes Land verfügt und sich in diesem Gebiet nach eigenem Gutdünken selbst verwalten und kulturell entfalten kann.“(S. 157)
Zu seinen weiteren Bedenken sozialer Natur, wie höherer Arbeitslosen- und Kriminalitätsrate unter Ausländern, gesellen sich auch Bedenken rein ökologischer Natur. Führen Befürworter der Immigration wirtschaftliche Gründe für die Einwanderung an, so weist er diese scharf als unmoralisch zurück und geißelt die Linke beispielsweise für ihr Versagen im Arbeitskampf um angemessene Löhne. Als Triebfeder dieser „Tugendterror“ (S.172) und „inhaltsleere Phrasendrescherei“ (S.147) ausübenden Immigrationslobby, welche „für die sich abzeichnenden Schwierigkeiten im Zusammenleben mit Immigranten […] vereinfachend fremdenfeindliche Agitatoren verantwortlich [macht]“(S.173) seien zudem Komplexe bzw. Züge pathologischer Natur wie Selbsthass (Oikophobie) nicht auszuschließen. („Wie sonst sollte man sich erklären, dass […] zwar für die Aufnahme von Migranten aus aller Welt plädiert wird, gleichzeitig aber gegen die Aufnahme von deutschen Aussiedlern polemisiert wird?“, S. 161). Auch hält Eibl-Eibesfeldt in seinem Werk ein leidenschaftliches Plädoyer für den Nationalstaat und einen „kritischen Patriotismus“. Dabei zitiert er auch andere prominente Stimmen wie den Publizisten und frühen Ideengeber der österreicherischen Grünen Günther Nenning, welcher 1990 in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung den Feinden der europäischen Nationalstaaten folgendes mit auf den Weg gab: „Die wiedererwachten europäischen Nationen sind ebenso viele kleinteilige Widerstandsnester gegen die Verwandlung des Erdteils in einen großökonomischen Einheitsbrei, der Natur und Seelen mordet […]. Wer dieses neue Europa […] nicht mag, soll gefällig ehrlich dazu seufzen: >Unterm Stalin hätt’s das alles nicht gegeben.<<< (S.167). Einen geschichtlichen Sonderweg der Deutschen, der diesen Dingen dabei moralisch entgegenstehen würde, kann Eibl-Eibesfeldt nicht erkennen („Die Geschichte lehrt, dass unter bestimmten historischen Konstellationen fast jedes Volk Europas als Eroberer auftrat […]“ und „Über lange Zeit ihrer Geschichte waren sie (die Deutschen. Anmerkung des Verfassers) eher verträglicher als ihre Nachbarn.“ S.163)
In dem „kritischen Patriotismus“ als Gegenbegriff zu dem negativ konnotierten Nationalismus sieht der Humanethologe die Funktion der Sicherung der Errungenschaften des Gemeinwesens, ohne den Deutschland über kurz oder lang nicht auskommen werde. Dazu ein aus dem Buch entnommenes Zitat der Professorin für Kommunikationswissenschaft Elisabeth Noelle-Neumann, welches sich auch tiefenpsychologisch der verletzten Volksseele nähert: „Wenn Deutschland nicht zu einem natürlichen, innenorientierten Nationalismus zurückfindet, sich selbst findet, wird es seinen inneren Frieden nicht finden. Wer aber seinen inneren Frieden nicht findet, kann den äußeren Frieden langfristig nicht sichern oder stiften.“(S.165)
„Wider die Mißtrauensgesellschaft“ ereilte dasselbe Schicksal wie „Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“ und es liest sich heute (leider) noch genauso aktuell wie zum Zeitpunkt seines Erscheinens.
Ganz auf metaphysischer Ebene betrachtet der italienische Kulturphilosoph Julius Evola den Verfall. Er beginne „wenn der einzelne verfällt, wenn er seine grundsätzliche Freiheit benutzt, um den Geist zu verneinen, um sein Leben von jedem höheren Bezugspunkt loszulösen und >nur für sich< zu sein.“ (Tradition und Herrschaft, S.119) Lorenz nicht unähnlich, richtet auch er sein Augenmerk dabei auf die Gefühlswelt des Menschen und den Abriss der Traditionen. So „betrifft die Krise […] auch die Art des Fühlens, betrifft […] auch den Untergang der Mythen und Ideale von gestern, denen die Menschen nach den Umwälzungen und Zusammenbrüchen der jüngsten Vergangenheit immer weniger entsprechen, und denen sie immer weniger abgewinnen können.“ (Cavalcare la Tigre, S.195) Für ihn begannen die gesellschaftlichen Auflösungsprozesse bereits mit „dem Untergang der mittelalterlichen Ökumene“. (ebd., S.196) In den sich bildenden Nationalstaaten sah Evola nichts Positives. Schon in ihrer Entstehung sei „das Prinzip antiaristokratischer Gleichmacherei“ (ebd.) erkennbar und man stelle „eine beginnende Zerstörung von Bindungen und der organischen Gesellschaft fest (ebd.). Mit Blick auf den drohenden „Untergang des Abendlandes“ erscheint Evolas Schilderung der traditionellen Welt als ein System, das komplett aus sich selbst heraus funktioniert und in dem der Faktor Zeit (oder anders, die Spengler’sche „Alterung“) keine Rolle mehr zu spielen scheint, geradezu paradiesisch: Sie sei eine natürliche Ordnung gewesen, die ohne die Zuhilfenahme künstlicher Konzeptionen wie der einer Nation oder staatlich geförderter Aufbauschung ethnischer Wurzel auskam.*****
Den Tiger reiten
Die 68er-Generation hat nach ihrem Marsch durch die staatlichen Institutionen die Tür hinter sich fest verschlossen. Dies erkannte bereits Julius Evola und formulierte: „im Klima von Demokratie und Sozialismus sind die Spielregeln dergestalt, dass sie dem anders seienden Menschen eine Teilnahme am Spiel nicht mehr gestatten“ (Cavalcare la Tigre, S.189).
Natürliche Reaktion desselbigen hierauf sei die antike Apolitea. Diese innere Haltung „meint die unwiderrufliche Distanz zu dieser Gesellschaft und ihren Werten, die Weigerung, ihr durch keine moralische oder spirituelle Verbindung anzugehören.“ (ebd., S.190) und berge „ein Potenzial für die Welt von morgen“ (ebd., S.198). Dem Handeln erteilt er dabei aber keine grundsätzliche Absage. So sei „eine positive Überwindung des Nihilismus“ (ebd., S.190) dann möglich, „wenn das Fehlen von Sinn, das Handeln der Person nicht lähmt“ (ebd.). Wie auch schon bei seiner Haltung gegenüber dem Nationalstaat erkennbar, hat der italienische Baron dabei aber ein anderes Bild vor Augen, wenn er von der „Überwindung, in der sich „die alten Grundsätze in neuer Form […] entfalten können“(ebd., S.197) spricht. Als wünschenswert erachtet Evola die Bildung von „übernationale(n) Formationen, wie sie die verschiedenen Zyklen kaiserlicher Dynastien kannten […] (198)
Die Stunde kommt, da man dich braucht
Die Vergangenheit hat für die Rechte, sofern man diesen Begriff zur Verallgemeinerung nutzen will, schmerzlich gezeigt, wie kurzsichtig die Jagd nach dem schnellen politischen Erfolg war. Befanden wir uns auch „In der Falle des Kurzzeitdenkens“ wie ein weiterer Titel von Irenäus Eibl-Eibesfeldt so schön heißt? Wie viele Existenzen wurden durch geradezu messianischen Eifer zerstört oder endeten in der totalen Resignation? Welche Rolle spielte dabei der Dienst an der Allgemeinheit und der Aufbau von Strukturen fernab derer einer Partei, wie sie in den Zeiten vor dem Zweiten europäischen Bruderkrieg stets ein wichtiger Bestandteil rechter DNA****** waren? Wo wurde noch flächendeckend erreicht, sich „im Volk wie ein Fisch im Wasser“ zu bewegen? Sicher, eine schwierigere Ausgangslage für die Befreiung der Menschen als die sinnentleerte konformistische Konsumgesellschaft unter Ägide der Massenmedien ist schwer vorstellbar. Wie bereits in Herbert Marcuses „Der eindimensionale Mensch“ beschrieben, scheint der subversive Geist nur noch bei den Außenseitern, einigen Intellektuellen und in Randgruppen beheimatet zu sein, denen somit naturgemäß die Mittel zum wirksamen Protest genommen wurden.
Vielleicht war diese schwere Bürde genau der Grund, wieso die Rechte oft einfach mit einem Mal zuviel wollte, ihre Ambitionen viel zu hoch steckte? Wer wollte anhand des drohenden Untergangsszenarios der europäischen Völker noch einmal beginnen in kleineren Dimensionen und Einheiten zu denken?
Fürwahr es gab auf Parteienbasis so manche Versuche unter dem Etikett der „Graswurzelarbeit“. Ist das Parteibuch dabei der richtige Weg, um in nicht-staatliche gesellschaftliche Strukturen „einzusickern“? Der Erfolg der 68-Linken bei ihrer „feindlichen Übernahme“ ist ja gerade darauf zurückzuführen, dass man sich nicht zu erkennen gab und das Spielen mit offenen Karten tunlichst vermied. Man machte sich „nichtangreifbar“. Das Dilemma ist, dass diese Art der Kriegsführung dem Rechten fremd ist, seine Liebe zur Wahrhaftigkeit zwingt ihn förmlich in die offene Feldschlacht.
Wer hier Kritik entdecken will, den bitte ich, diese auf mich allein zu beziehen. Ich bin mittlerweile in einem Punkt in meinem Leben angekommen, an dem ich den „verlorenen Jahren“ etwas wehmütig anhänge und auch den Jüngeren wünsche, bedachter als ich vorzugehen. Jahrelang habe ich das eigentliche Subjekt meines Agierens vernachlässigt, ja außerhalb von Wahlkämpfen „den Gemeinen“ sogar gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Es erschien mir manchmal als nebensächlich, denn „unsere Weltanschauung“ musste von ihm wie eine einfache Gleichung in der Mathematik irgendwann als richtig anerkannt werden. Doch blieb zurückblickend manchem meiner Weggefährten beispielsweise die Gründung einer Familie versagt, weil er seine besten Jahre in politisch-philosophisches Welterklärertum investierte, der erwartete Umsturz jedoch nie kam.
Ich habe erkannt, wie wichtig für eine Änderung der Verhältnisse der persönliche Einsatz ist, auch dann, wenn er sich vordergründig nicht im politischen Raum abspielt. Wer das Überleben der europäischen Völker in den von der Islamisierung am stärksten bedrohten Regionen als aussichtslos betrachtet, sollte in Lösungsmodellen wie dem Projekt des Ethnostaates partizipieren. Wer hingegen die Preisgabe eines noch weniger stark gefährdeten Landesteils verhindern will, muss dort die Strukturen festigen, die auch in „einem neuen Deutschland“ die Stützen der Gesellschaft sein werden. Um Missverständnissen dabei im Vornherein zu begegnen: Es geht dabei einzig um die Stützung des Rückgrates unseres Volkes und einer gesunden Aufrichtung desselbigen. Nicht aber verlängern wir unnötig das Haltbarkeitsdatum eines Apparates, der unser Volk bekämpft und den „Großen Austausch“ vorantreibt. Übrigens, ein netter Nebeneffekt dieser Tätigkeiten besteht darin, miterleben zu dürfen, wie totgeglaubte Tugenden unseres Volkes beispielsweise in Teilen des Wohlfahrts- und Vereinswesen fortbestehen. Die Suche und das Hoffen vieler Menschen von heute scheinen unbestimmt zu sein. Der Drang zu diesem kommt aber tief aus der Seele – einer Seele, die wir mit ihnen teilen. Vielleicht kann so mancher von uns dabei der Lotse sein, welcher das Schiff sicher durch die Untiefen leitet. Evola betonte, wie wichtig es ist, „dass in gewissen Menschen etwas als Wirklichkeit lebt, das in den übrigen sich nur im Zustand eines Ideals, einer Vorahnung, einer unklaren Bestrebung befindet.“ (Tradition und Herrschaft, S.119)
Unser Gegner fürchtet sich und warnt nicht von ungefähr auf allen Kanälen vor dieser „Übernahme von rechts“. Und er tut gut in seiner Furcht, denn schon allein der schiere Mangel an Freiwilligen für die Ehrenämter und die Nachwuchsprobleme der Vereine spielt uns dabei in die Hände.
Ohne unser Zutun an den richtigen Stellen wird sich die erhoffte Situation, in der „ die unten nicht mehr wollen“, so fürchte ich, nicht mehr rechtzeitig einstellen. Ein Vordenker der amerikanischen Rechten, der viel zu früh von uns gegangen ist, teilte mit einem meiner Freunde einmal die Erkenntnis, dass es nicht ausreiche, eine mit Fackeln und Heugabeln bewaffnete Untertanenschar vor der Burg des Tyrannen zu versammeln, wenn niemand hinter den Mauern sei, um für die Aufständischen die Zugbrücke herunterzulassen. Die Frage, ob wir uns dabei nur frei nach Friedrich Gundolfs Worten „als letzten Scheit auf das Feuer werfen“ oder das Fundament für den Neuanfang bauen, sollte unser Tun dabei nicht beeinträchtigen. Denn wie schrieb Ernst Jünger in seinem vielbeachteten Essay „Der Waldgang“: Ideen können zünden wie der Blitz. Andere entwickeln sich lange, manche nie. Auf alle Fälle führt die Hoffnung weiter als die Furcht.
Anmerkungen:
* Der ist beispielsweise bei Alexis de Toqueville‘s Schilderung des „sanften Totalitarismus“ in der liberalen und demokratischen Gesellschaft in seinem „De la démocratie en Amérique“ weiterhin sehr hoch, obwohl die Darstellung mehr als 180 Jahr alt ist.
** Freunde des amerikanischen Horror-Thrillers „Saw“ werden wohl bei der Präsentation wirksamer Heilungsmethoden ein Deja-vu-Erlebnis haben – wenngleich in ungleich wenig drastischer Form.
***Wer glaubt, in unserer Zeit gab es dahingehend keine Bestrebungen, empfehle ich u.a. die Beschäftigung mit der entworfenen englischen Musterstadt „Poundbury“.
****Vollständige Assimilation, wie sie bei früheren innereuropäischen Migrationsbewegungen (Hugenotten, Holländer, Flamen, Polen etc.) nach Deutschland der Fall war, ist für Eibl-Eibesfeldt übrigens die Bedingung zur Vergabe der Staatsbürgerschaft und des Wahlrechts.
***** Eine weiterführende Literaturempfehlung möchte ich mit Manfred Kleine-Hartlages sehr klar formuliertem „Die liberale Gesellschaft und ihr Ende“ (Antaios-Verlag, 2013) geben. Der Diplom-Sozialwissenschaftler verortet das Überschreiten des Rubikon im Zeitalter der Aufklärung und kommt zu einem recht ähnlichen Ergebnis wie Evola: „Indem die Aufklärung alles Transzendente, alles Vorgefundene, einschließlich der Natur des Menschen selbst, als Menschenwerk deutet und damit seiner selbstverständlichen Autorität entkleidet, indem sie Ethik zu einer Frage individueller Erkenntnis macht, stellt sie bestehende Konsense in Frage. Diese Konsense bleiben dann sozusagen nur noch aus Gewohnheit erhalten und verlieren an bindender Kraft in dem Maße, wie sie der Kritik ausgesetzt sind. Das daraus resultierende Problem der Entsolidarisierung und Entstrukturierung der Gesellschaft fordert >>Lösungen<< heraus, die bei aller Unterschiedlichkeit dies gemeinsam haben, einen neuen Konsens durch politische Entscheidung, letztlich durch Gewalt, zu oktroyieren und Kritik daran unmöglich zu machen – >>Lösungen<< also, die totalitär sind. (S.78)“
******So ging das gemeinnützige Engagement der Eisernen Garde in Rumänien sogar soweit, selbstständig Infrastrukturprojekte in Angriff zu nehmen, die zu einer merklichen Besserung der Lebenssituation des Volkes führten.