Vom zweigeteilten Leib der Kirche – In Memoriam Benedikt XVI.

von | 10. Feb. 2023 | Philosophie & Theorie

Das Thema der Religiosität, ungeachtet der Konfession, findet innerhalb der Rechten wenig Beachtung. Zu wenig, wie wir von MetaPol finden. Der folgende Gastbeitrag von Fabian Stummer bei Gegenstrom, soll gern als Türöffner zu diesem elementaren Themengebiet aufgenommen werden. Stummer übt Kritik an den zeitgenössischen Gewohnheiten der katholischen Kirche und befasst sich eingehender mit dem Rücktritt Benedikts XVI., dessen theologische Beweggründe und nicht etwa gesundheitliche, er als die ausschlaggebenden für diesen Schritt erachtet.

 

 

2015, zwei Jahre nach dem Rücktritt Papst Benedikts XVI., erschien bei Matthes&Seitz der dünne, zwei Vorträge enthaltende Band „Das Geheimnis des Bösen“ in deutscher Übersetzung; Autor der beiden Vorträge ist kein geringerer als Giorgio Agamben, der hier, zwischen Bibelauslegung und Tagespolitik stehend, dem Vorhaben nachging, den Rücktritt Benedikts aus einer theologisch-politischen, genauer gesagt also heilsgeschichtlichen, Dimension verstehen und erläutern zu wollen. Es ist dabei von „Stellenwucher und Ämterschacher“1 [S.10] die Rede, von der „Kurie, die lediglich den Erfordernissen der Wirtschaft und der weltlichen Macht zu genügen versucht“2[S.13], von der Verdorbenheit der internen Kirchenpolitik, aber genauso vom verheerenden, zu großen Einfluss der Weltpolitik auf erstere. So tritt Agambens (und Benedikts, wie von Agamben angenommen) Kritik an der Kirche hierbei klar zutage: Die römische Kirche hat ihre Bedeutung im Gesamtkontext der Heilsgeschichte, ihre katechonische Funktion im Kampf gegen das Ende der Zeiten, nicht nur verkannt, sondern sogar größtenteils vergessen, aufgegeben.

 

Ist, wer nicht aktiv gegen den Antichristen auftritt, für ihn? Für Benedikt, so Agamben, hat sich die Kirche gerade heute in zwei Hälften gespalten. Man ist vielleicht geneigt zu sagen: Die Apokalyptiker und die Nicht-Apokalyptiker. Oder auch: Diejenigen, welche die Eschatologie über die Politik stellen, und diejenigen, welche das Gegenteil tun. Und das hat nichts mit rein fatalistischem Chiliasmus zu tun. Über 100 Jahre früher, genauer im Jahr 1900, hatte Wladimir Solowjow im selben Kontext eine ähnliche, kritische Trennung vorgenommen. In seiner „Kurzen Erzählung vom Antichristen“, welche in Form einer eschatologischen Prophetie über die letzten und vorletzten Dinge abgefasst ist, teilen sich die Gemeinschaften der Gläubigen (hier: Katholizismus, Orthodoxie und Protestantismus) in zwei Fraktionen auf. Eine davon, und es ist die wesentlich größere, huldigt dem falschen Retter, welcher sich als Philanthrop, als übermenschlicher Menschenfreund geriert, und mit seinem irdischen Blendwerk bald die Herden der Gläubigen und Geistlichen um sich geschart hat. Die andere, kleinere Fraktion innerhalb der Kirchen hält hingegen an Christus als ihrem alleinigen Retter fest und erfährt dafür Verfolgung und Ausgrenzung durch die eigenen, vermeintlichen Glaubensgenossen.

 

Warum macht es sich der Antichrist in Solowjows Buch zur ersten und zentralen Aufgabe die Gläubigen untereinander zu spalten? Oder anders gefragt: Warum sind es gerade die Prozesse der Säkularisierung und des Bedeutungsverlustes der Religion überhaupt, welche so sehr im Zentrum der Ideologie der Moderne stehen, und so umfassend vollzogen worden sind? Die Antwort ist wesentlich klarer und einfacher als sie vielleicht erscheinen mag: Weil der Glaube das Gegenmittel zum Nihilismus darstellt. Das politische Paradigma der Moderne ist seinem Wesen nach säkular, das wird kaum jemand abstreiten. Aber noch viel weitergehend muss, aus einer christlichen Perspektive, gesagt werden, dass die moderne Politik und der Säkularismus miteinander im Grunde identisch sind. Rein auf sein irdisches Leben reduziert, wird der Mensch immer mehr zum ständig umkämpften Objekt und bloßen Spielball sämtlicher politischen Bestrebungen. Somit ist die Theologie, und damit genauso jegliche Eschatologie, nicht zuletzt und bedauerlicherweise auch im Raum der Kirche selbst, vollkommen hinter die Ziele der Politik getreten.

 

Aber das Wesen unserer Krise beschränkt sich nicht nur darauf, dass die Politik sich vollkommen säkular zeigt; Denn sie ist heute vor Allem eine Bewegung des falschen Bewusstseins geworden. Sie gründet ihre Prinzipien und Handlungsmöglichkeiten auf der Lüge des „Nur-Irdischen-Seins“ und hat sich von der Offenbartheit und damit auch der Unmittelbarkeit des Wirklichen selbst ausgeschlossen. Denn wenn alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit der Menschen wie des Grases Blume [Petrus 1,24], dann ist das Keimen unserer Herrlichkeit uns insoweit verwehrt, als wir mit Blindheit geschlagen sind, uns selbst mit Blindheit geschlagen haben. Das falsche Bewusstsein resultiert ganz einfach aus der fehlenden Bewusstheit für die Möglichkeiten des Glaubens; Dafür, dass in und durch Christus nichts unmöglich bleibt. Benedikt XVI. selbst, hat einmal vom Verlust der Bedeutung des Glaubens als Instanz einer „lebenstragenden Gewissheit“ gesprochen. Es ist gerade diese Basis des Denkens und, was noch viel wichtiger ist, des Handelns, die als Grundfeste der Lebensgestaltung im Eingedenken an Gott und die eigene Transienz fungiert, welche heute so sehr zu fehlen scheint.

 

Agamben betont, wie bereits angedeutet, aber auch, dass die Eschatologie nicht in einen rein auf das Weltende bezogenen Fatalismus verfallen darf. Wir stehen nicht am Punkt der letzten, sondern der vorletzten Dinge. In Anbetracht dessen, und im Hinblick auf die politische Problematik, die damit einhergeht, ist er bemüht uns wiederholt die verborgene Bedeutung von Benedikts Entscheidung in Erinnerung zu rufen: Eine Entscheidung, welche nicht durch die vorgeschobene körperliche Gebrechlichkeit, oder einfach durch Resignation zu erklären ist, sondern als Zeichen des Mutes und der Mahnung, als Weckruf an die Gesamtheit der Ekklesia, so sehr sie auch in sich gespalten sein mag, verstanden werden muss. Benedikt hat in seinen Schriften und während seines gesamten Wirkens wiederholt betont, dass der Glaube, selbst in Zeiten des radikalen Individualismus (der vielmehr eine Bewegung hin zur totalen Vereinzelung des Menschen darstellt), nicht zur reinen Privatangelegenheit verkommen darf. Kann also, in Anbetracht dessen, im Bewusstsein der Selbstentäußerung und der vollständigen Hingabe an sein Amt, Benedikts Rücktritt ernstlich nur auf das Schwinden seiner „vigor corporis et animae3 [S.64] (Kraft des Körpers und Geistes) rückgeführt werden?

 

Täuschen wir uns nicht. Der Petrusdienst ist ein dermaßen großer Dienst, dass er ein Leben ganz und gar für sich vereinnahmt und in Anspruch nimmt, der Person des Stellvertreters Christi auf Erden, also dem Menschen dahinter, alles abverlangt. Wieviel größer aber ist der Verzicht auf die heilige Würde dieses höchsten Amtes? Und noch wieviel größer sind die Implikationen dieses Verzichtes im Gesamtzusammenhang der Heilsgeschichte des Abendlandes? Benedikts theologische Bewandtnis, welche zweifellos zu diesem Schritt beigetragen hatte, muss dermaßen groß gewesen sein, dass wir, der Autor und die Leser dieser bescheidenen Zeilen, wohl kaum ermessen können, mit welch tiefer Bewusstheit und mit welchem Vertrauen in die Offenbarung eine solche Handlung vollzogen werden konnte. Wie bereits zu Beginn angemerkt, war es Agamben, mit dem Hinweis auf das Vorbild Benedikts, ein Anliegen der Kirche aufs Neue ihre zentrale Rolle im großen Drama (Mysterium) der Eschatologie in Erinnerung zu rufen. Ein Handeln im Angesicht der vorletzten Dinge, welche ihrerseits schlussendlich auch die Ausmaße der letzten Dinge bestimmen werden, erscheint heute mehr denn je geboten zu sein, denn: „Nur so kann sie [die Kirche] sich eines Handlungskriteriums versichern, das nicht – wie gegenwärtig der Fall – von der profanen Politik und dem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt abhängt, denen sie in der vergeblichen Hoffnung, ihnen Grenzen setzen zu können, überallhin nachläuft.“4 [S.57] Eine solche Kritik mag manchen unzeitgemäß oder gar zu streng erscheinen, aber wir müssen uns dennoch beständig die Worte Desjenigen, der Amen heißt, an den Engel der Gemeinde von Laodizea in Erinnerung rufen: Welche ich liebhabe, die strafe und züchtige ich. So sei nun fleißig und tue Buße! [Offenbarung 3,19]

 

Am 31.12.2022. ist Papst Benedikt XVI. Emeritus, geboren Joseph Ratzinger, aus seiner irdischen Heimat geschieden und zu Gottvater gegangen. Er hinterlässt uns, der Gemeinschaft der Gläubigen, neben seinem umfangreichen theologischen Werk und einer Vielzahl an weiteren Zeugnissen seiner Liebe zu Gott und zum Menschen, mit dem lebendigen Angedenken an die Notwendigkeit unseren Stolz und unsere Verzweiflung abzulegen, und in den Botschaften Christi Freude zu finden, ohne die elementare Dringlichkeit und Wichtigkeit des Mitleids und der Nächstenliebe im Hinblick auf die letzten Dinge aus den Augen zu lassen. Rufen wir uns in Erinnerung, dass die Ekklesia nicht nur aus den Geistlichen, sondern eben aus der gesamten Gemeinschaft der Gläubigen besteht. Und rufen wir uns ebenso in Erinnerung, dass er einmal gesagt hat: „Die größte Verfolgung der Kirche kommt nicht von den äußeren Feinden, sondern erwächst aus der Sünde in der Kirche.“

Vergelt’s Gott, Benedikt!

 

 

[1] Giorgio Agamben: Das Geheimnis des Bösen. Benedikt XVI. und das Ende der Zeiten. S.10

[2] Ebd. S.13

[3] Ebd. S.64

[4] Ebd. S.57