Was genau ist Zukunft? Sie ist das, was noch nicht ist. Sie ist nicht. Im heidegger’schen Sinne ist die Zukunft das, was sein wird. Dieses „es wird sein“ ist allerdings zweifelhaft und im Gegensatz zu den anderen beiden „Ektasen der Zeitlichkeit“ – die Gewesenheit und die Gegenwart – nicht beweisbar. Wir können die Zukunft lediglich anhand der uns aus der Vergangenheit und der Gegenwart bekannten Tatsachen erahnen. Letztlich bleibt höchstens eine Wahrscheinlichkeit, mit der wir die Zukunft vorhersagen können. Ihr Eintritt oder die Form derselben ist jedoch mehr als fragwürdig, da sie einfach noch nicht ist. Zwar ist es möglich, diese Wahrscheinlichkeiten zu berechnen, doch sind auch diese Berechnungen allesamt unnütz, wenn unvorhergesehene Ereignisse eintreten. Denken wir nur an das Auftreten des iPhones, das als eine disruptive Technologie ganze Märkte und das komplette Kommunikationswesen revolutionierte. Wer hätte solche Veränderungen vor dem Eintreten dieser Technologie vorhersagen können? Die Vergangenheit hingegen ist anwesend in der Gegenwart, auch wenn wir diese ebenfalls nicht mit absoluter Sicherheit kennen werden. Dennoch war sie bereits, sodass sie eine Rolle in unserer Wahrnehmung der Gegenwart spielt.
Dabei sind wir bereits bei dem philosophischen Problem unseres Zeitalters angelangt. Das 19. und 20. Jahrhundert war von jenen Ideologien geprägt, die in erster Linie progressiv, d.h. fortschrittlich ausgerichtet waren. Die Zeit ist eine in eine konkrete Richtung gerichtete Größe. Innerhalb des Fortschrittsdenkens, der dem Abendland immanent zu sein scheint, ist sie stets nach vorne gerichtet. Sie kann also nicht umgekehrt werden. Der übriggebliebene Liberalismus fordert den Progressivismus, der von einem vorwärtsstrebenden, prädeterminierten Evolutionsprozess spricht. Dabei bewegt sich der abendländische Mensch geradewegs in die von mir bereits in einem früheren Artikel erwähnte „Postmoderne“, dessen historisches Subjekt das Dividuum darstellt. Dieser Postmensch ist dann entpolitisiert, autonomisiert, mikroskopisiert und letztlich transhumanisiert (also letztlich entmenschlicht). Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma ist die Umkehrung der Zeit.
Kann sich Geschichte wiederholen?
Die Frage kann mit „ja“ und mit „nein“ beantwortet werden. Natürlich wiederholt sich die Geschichte nicht so, wie sie einst mal gewesen war. Sie ist deshalb Geschichte, weil sie der Vergangenheit angehört. Dennoch ist auch die Zukunft die Mündung des kontinuierlichen Verlaufes der Gegenwart. Mit dem Eintreten der Zukunft wird sie Gegenwart und ihr ging eine Gewesenheit voraus. Auf Grundlage der Gewesenheit, also der Vergangenheit, wird die Gegenwart gestaltet. Sie ist tatsächlich nur dann zu verstehen, wenn der Beobachter die vorgehenden, also gewesenen Ereignisse, die zu dem Gegenwärtigen geführt haben, aufmerksam studiert hat. Von daher wiederholt sich die Geschichte auf einer gewissen Art und Weise doch. Dominique Venner beispielsweise beschrieb in dem Buch Ein Samurai aus Europa. Das Brevier der Unbeugsamen das „der Geist aller großen Völker und Kulturen“ unzerstörbar ist und etwas modifiziert immer wieder zutage tritt. Er beschreibt in demselben Buch, dass sich der Geist der Ilias, also eines homerischen Epos, wie eine Art unterirdischer Strom unterhalb der Gegenwart bewegt. Dieser Strom könne nie ganz versiegen. So wiederholen sich Ereignisse oder verloren gedachte Ideologien und Geister werden wieder zum Leben erweckt.
Die Geschichte kann sich also doch wiederholen. Wer z.B. hätte damit gerechnet, dass nachdem 1917 das alte bourgeois System Russlands abgeschafft wurde und Lenin eine proletarisch-sozialistische Gesellschaft implementierte, einst ein von Oligarchen beherrschtes russisches Reich wieder auferstehen würde. Tatsächlich ist es passiert.
Die zyklische Zeitauffassung
Bereits im 19. und 20. Jahrhundert gab es philosophische Strömungen, die eine dem Abendland diametral entgegen gerichtete Zeitauffassung vertraten. So z.B der französische Metaphysiker und später zum Sufismus konvertierte René Guénon oder Julius Evola, die von dem Bestehen eines integralen Traditionalismus ausgingen. Demnach kämen geistige Bestandteile der Vergangenheit immer wieder – ähnlich, wie es Venner formulierte. Es ist hier die Rede von der Philosophia perennis et universalis, nach der auch die Existenz universell und ewig gültiger Wahrheiten möglich, wenn nicht sogar absolut sicher ist. Die Zeiten wiederholen sich also gewissermaßen. Innerhalb der Vierten Politischen Theorie ist dies nicht nur möglich, sondern es ist geradezu verpflichtend, um der Postmoderne zu entweichen. Es ist demnach möglich, zu einem bestimmten Punkt in der Geschichte zurückzukehren und von Neuem zu beginnen. Es wäre also durchaus möglich, zu der Zeit eines Karl d. Großen zurückzukehren und auch ein imperium europa im 21. Jahrhundert ist durchaus denkbar.
Die Subjektivität der Zeit
Nach Alexander Dugin ist Zeit eher Subjekt und Raum eher Objekt. Sie ist geschichtlich, weshalb sie auch als subjektiv zu betrachten ist. Tatsächlich geht Dugin so weit, dass er die Zeit als eine politische Kategorie betrachtet. Sie soll durch die Politik im Kontext mit der Vierten Politischen Theorie institutionalisiert werden. Von diesem Blickwinkel aus betrachtet, wäre die Zeit umkehrbar, was einer Entweichung der postmodernen Welt des postmodernen Menschen, der eine Art Cyborg darstellt, gleichkommen würde. Andererseits wäre damit die Zeit keine feste Größe mehr. Diese Auffassung klingt durchaus attraktiv. Bietet diese Theorie doch eine Möglichkeit, dem scheinbar unaufhaltbaren Schicksal des Abendlandes zu entgehen.
Hier sehe ich allerdings eine gewaltige Diskrepanz zwischen dem faustisch-abendländischen Wesen und dieser Art der Zeitauffassung. Nach Oswald Spengler unterscheidet sich der Abendländer in erster Linie von anderen Kulturmenschen durch seine Auffassung von Raum und Zeit. Während bspw. der antike Mensch stets einen geometrisch abgeschlossenen Raum im Kopf hatte, wenn er vom „Raum“ als solchen sprach, ist der abendländische Mensch hier grenzenlos, was letztlich auch in seiner Auffassung vom unendlich und ewig sich ausdehnenden Universum deutlich wird. Oder denken wir hier an die Infinitesimalrechnung eines Isaac Newton. Der faustische Menschenschlag ist in seinem Unendlichkeitsstreben geradezu gefangen. Genauso verhält es sich mit der Zeit. Der typische Abendländer, insbesondere der Deutsche, ist geradezu auf seine Uhr fixiert. Auch wenn Pünktlichkeit und Fleiß heute nicht mehr diesen Stellenwert innerhalb der Gesellschaft haben wie es noch vor einem halben Jahrhundert der Fall war, so ist die Bemessung des Lebens in Zeiteinheiten doch ein wesentlicher Bestandteil des abendländischen Denkens.
Dem abendländischen Europäern – der seine prägnanteste Form in der goethe’schen Figur Dr. Faustus findet – scheint eine zyklische Zeitauffassung wesensfremd zu sein, wenngleich dem antiken Menschen eher die zyklische Variante immanent ist. Um also Praxis zu werden, wird die Vierte Politische Theorie über das Credo der „Umkehrbarkeit der Zeit“ hinauskommen müssen. Sie ist mit Sicherheit, besonders in der Dritten Position, eine ernstzunehmende und für die „Zukunft“ denkbare Ideologie, doch wird die zum großen Teil eher progressiv ausgerichtete Rechte sich zunächst dagegen widerstreben.