Vom Märchen der Wohnungsnot 3: Sozialer Wohnungbau „Gestern und Heute“

von | 02. Okt. 2020 | Debatte

In dem folgenden Teil seiner Artikelreihe, geht Manfred Aengenvoort auf die historische Entwicklung des sozialen Wohnungsbau ein. Aengenvoort kann durch seine über 30-jährige Tätigkeit als Immobilien-Investor und Inhaber eines Bauberatungs- sowie Verwaltungsunternehmens auf ein umfangreiches Fachwissen zurückgreifen, welches ihn zu einem regelrechten Experten für Fragen rund um Immobilien macht. Hiermit folgt der dritte Teil seiner Abhandlung, der an die Ausführungen des ersten Teils und zweiten Teils anknüpft. Die Redaktion

Als sich nach dem Eingreifen der US-Amerikaner 1917 die Lage des deutschen Heeres an der Westfront verschlechterte, versprach die Oberste Heeresleitung den Soldaten die Förderung eines „groß“ angelegten, staatlich geförderten Wohnungsbaus für die Zeit nach dem siegreich beendeten Krieg. Es kam bekanntlich anders. Nach dem Reichsheimstättengesetz vom 10.05.1920 entstanden in der Weimarer Republik rund 20.000 Kleinhäuser – nicht Mietwohnungen! – bevorzugt für Kriegsteilnehmer, insbesondere Kriegsgeschädigte, Witwen der im Krieg Gefallenen und kinderreiche Familien. Von 1933 bis 1945, also etwa in demselben Zeitraum, entstanden noch einmal 60.000 Heimstätten (eine besondere, geschützte Form des Eigentums).

Am 15.11.1940, mitten im 2. Weltkrieg, ernennt Adolf Hitler den Führer der Deutschen Arbeitsfront, Dr. Robert Ley, zum Reichskommissar für den „sozialen Wohnungsbau“. Ein Begriff war geboren, der, trotz der allgemeinen Ablehnung des Nationalsozialismus, nichts von seiner Leuchtkraft verloren hat. In dem Erlass heißt es: „Der erfolgreiche Ausgang des Krieges wird das Deutsche Reich vor Aufgaben stellen, die es nur durch eine Steigerung seiner Bevölkerungszahl zu erfüllen vermag. Es ist daher notwendig, dass durch Geburtenzuwachs die Lücken geschlossen werden, die der Krieg dem Volkskörper geschlagen hat. Deshalb muss der neue deutsche Wohnungsbau in der Zukunft den Voraussetzungen für ein gesundes Leben kinderreicher Familien entsprechen.“ Im Architekturbüro der DAF wurden schon bald die ersten Grundtypen vorgestellt. Im 1. Halbjahr 1942 lagen den Werkszeitungen der großen Industriebetriebe Fragebögen zu den Wohnverhältnissen der Gefolgschaftsmitglieder bei. Es kam bekanntlich wieder anders. Nach dem Krieg waren in Westdeutschland einschließlich West-Berlin 22% des Wohnungsbestandes im Jahr 1939 (2,34 Millionen Wohnungen) zerstört. Dazu kamen rund 8 Millionen Heimatvertriebene in den Westzonen und 4 Millionen Heimatvertriebene in der Ostzone (BRD/DDR). Dazu kamen bis 1961 3,3 Millionen Flüchtlinge aus der DDR. Ferner wurden über 4,5 Millionen Deutsche aus der Sowjetunion, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien oder Albanien in der BRD aufgenommen. Bis 1973 kamen 14 Millionen ausländische Arbeitskräfte nach Westdeutschland, von denen 11 Millionen allerdings wieder in ihre Heimatländer zurückkehrten. Insgesamt haben 18,5 Millionen Menschen in Deutschland einen „Migrationshintergrund“. Davon sind 3,2 Millionen abzuziehen, die bereits bei den Aussiedlern erfasst sind. Mithin hat die BRD rund 30 Millionen Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen aufgenommen, für die neben dem Wohnraum für Ausgebombte solcher zu schaffen war.

Diese Aufgabe wurde durch verschiedene Ereignisse erschwert:

  1. Die Währungsreform 1948 vernichtete 90% des Kapitalstocks.
  2. Vom Verbliebenen waren aufgrund der Lastenausgleichgesetzgebung von 1950 50% an den Staat – in den nächsten 25 Jahren – abzuführen.
  3. Ungeachtet steigender Lohn- und Materialkosten blieben die meisten Wohnungsmieten im Rahmen der Wohnraumzwangsbewirtschaftung bis 1965 auf dem Niveau von 1936 (Lohn- und Preisstop) eingefroren. In West-Berlin noch länger. In der DDR bis 1992.

Unter diesen Umständen war kaum freifinanzierter Wohnungsbau möglich.

An seine Stelle trat der aus Steuermitteln geförderte „soziale Wohnungsbau“ für die „breiten Schichten des Volkes“. Dieser Begriff wurde später geändert. Adressat der Förderung waren nun die „breiten Schichten der Bevölkerung“. Die so errichteten Wohnungen unterlagen für einen längeren Zeitraum einem Belegungsrecht der Gemeinden und für die Dauer der Förderung (ursprünglich 40 – 50 Jahre) der Kostenmiete. Wobei der Vermieter weder bei der Auswahl seiner Mieter mitreden, noch an den teilweise inflationsbedingten Mietsteigerungen partizipieren konnte. Die Einhaltung der Wohnungsbindung und der Kostenmiete (wobei die historischen Kosten zugrunde gelegt wurden), wurde mit großem bürokratischem Aufwand überwacht. Ein großes Übel war auch die „Fehlbelegung“. Wer einmal eine solche Wohnung berechtigt (Einkommensgrenze) bezogen hatte, gab sie nicht mehr auf, auch wenn die Gründe längst entfallen waren. Eine ökonomisch nachvollziehbare, wenn auch unsolidarische Handlungsweise. Um das Jahr 1969 war der Skandal so groß geworden, dass Gesetze „zum Abbau der Fehlsubventionierung“ erlassen wurden. Erneut wurde eine kostenträchtige Bürokratie aufgebaut. In der Regel war es bei Einkommensüberschreitungen bis 50% sinnvoller, die Fehlbelegungsabgabe zu zahlen, als die Wohnung für einen bedürftigen Berechtigten frei zu machen.

Um alle Berechtigten dennoch wohnungsmäßig versorgen zu können, wäre aus einer steuerfinanzierten Maßnahme zur Beseitigung der Wohnungsnot eine Daueraufgabe geworden, obwohl schon lange keine Wohnungsnot (fehlender Wohnraum) mehr bestand. Die Bevölkerung Großdeutschlands einschließlich Österreich, des Sudetenlandes und der Ostgebiete (Ost-Brandenburg, Pommern, West- und Ostpreußen, Schlesien) 79,5 Millionen; 2019: 83,2 Millionen Bevölkerung der BRD (in den Grenzen von 1990), 1939: 59,4 Millionen. Trotz eines Anstiegs der Wohnbevölkerung um nahezu 40%, zunehmender Versingelung und damit Zunahme der Haushalte, die eine Wohnung benötigen, hat die Wohnungswirtschaft – in all ihren Formen – die Not beseitigt und weist einen Leerstand von deutschlandweit 3%, in einigen Bundesländern über 8% aus. Insbesondere herrscht in Ballungsgebieten ein Mangel an preiswertem Wohnraum.

Es gibt Bevölkerungsteile, die sich nicht oder nur schwer mit preiswertem Wohnraum versorgen können. Diesen steht seit 1965 (in Mitteldeutschland seit 1991) mit dem „Wohngeld“ ein ziemlich passgenaues Instrument zur Verfügung. Interessanterweise erklingt seltener der Ruf nach Ausbau dieses Instruments, als der Ruf nach „sozialem Wohnungsbau“. Der will aber trotz großzügiger Geldgeschenke des Steuerzahlers nicht in Gang kommen (in NRW wird den Bauherren 15 – 25% des Baudarlehens geschenkt, der Rest mit 0% verzinst). Offensichtlich gilt hier der Grundsatz, „einem geschenkten Gaul, schaut man nicht in’s Maul“, nicht mehr uneingeschränkt. Ist das zu bedauern oder zu begrüßen?

Dazu wird es je nach Standpunkt unterschiedliche Antworten geben. Die Befürworter müssen sich zunächst erinnern, dass es die Zweckbestimmung „breite Schichten des Volkes“ nicht mehr gibt. Wer in bestimmte Einkommensgrenzen „passt“, hat Anspruch auf eine Sozialwohnung. Sofern diese zur Verfügung steht. Zu allererst – natürlich – die Bezieher niedrigster Einkommen. Das sind Empfänger von Hartz-IV-Leistungen, Asylbewerber, Niedriglöhner (häufig Ausländer). Wer sozialen Wohnungsbau im großen Stil betreibt, schafft soziale Gettos. (In meiner Heimatstadt, im Ruhrgebiet, stehen bspw. 2 Großsiedlungen. 400 Wohnungen aus den 1970er Jahren und 300 Wohnungen aus den 1990er Jahren. Die Bewohner setzen sich aus 120 Nationen zusammen und bedürften vielfältiger Betreuung). Die „Banlieues“ in den Pariser Vorstädten, in die sich kein Polizist mehr hineinwagt, sollten den Entschlussträgern zu denken geben. In Städten wie Düsseldorf und Münster werden nur noch Bebauungspläne aufgestellt, bei denen etwa die Hälfte der Wohnungen preisreguliert sind. Die dort entstehenden Wohnungen müssen auch vom Steuerzahler in der Eifel oder dem Sauerland mitfinanziert werden.

Im Übrigen gibt es neben dem Neubau von Mietskasernen auch andere Mittel zur Vergrößerung des Wohnungsbestandes. Davon beim nächsten Mal mehr. Auch über die Gründe für ständig steigende Bodenpreise muss gesprochen werden.