Populistische Intellektuelle in Südamerika: Einige Perspektiven

von | 20. Jan. 2021 | Philosophie & Theorie

Der folgende Text wurde von Cristián Barros verfasst und von Alexander Markovics vom Englischen ins Deutsche übersetzt. Barros lehrt an der University of Development in Chile und der Nagaoka University of Technology in Japan. Er ist Autor von sechs Büchern und Umweltaktivist in Patagonien. Markovics ist Historiker sowie Generalsekretär und Pressesprecher des Suworow-Instituts. Des Weiteren hat er zahlreiche Aufsätze verfasst sowie zwei Bücher veröffentlicht. Sein letztes Buch kam 2020 unter dem Titel „Der Aufstieg der Neuen Rechten“ im Arcadi Verlag raus (hier erhältlich). Markovics ist regelmäßiger Autor bei Gegenstrom und referierte in der Vergangenheit auf Seminaren von MetaPol Verlag & Medien.

I

Für das Gros der liberalen und akademischen Vertreter ist der Begriff Populismus genauso vage wie abwertend. Der Populismus ist gesellig, moralistisch, klientelistisch, charismatisch, kathartisch sowie irrational und verfolgt eine kurzsichtige, rein konjunkturelle, umverteilende Wirtschaftsagenda. Als Bewegung hegt er nostalgische Gefühle für Kleineigentümer und verabscheut bürokratische Zentralisierung und Arbeitsteilung. Seine demographische Basis tendiert dazu, sich aus vor-modernen Gruppen wie den Bauern und Handwerkern zusammenzusetzen – oder aber dem Lumpenproletariat. Ziemlich oft wird der Populismus als Nährboden für autoritäre politische Strömungen betrachtet. So gesehen kann das Stigma schnell zum Anathema werden: Der Populismus stellt vielleicht den unbewussten Avatar des Faschismus dar. Daher verwundert es nicht, dass der Populismus ein promiskuitiver Begriff ist, der verschiedene Phänomene charakterisiert und dessen taxonomische Funktion darin liegt, einen cordon sanitaire[1] um eine verdächtige rebellische Entität zu ziehen. Jedoch betrügt die rhetorische Konstruktion des Populismus durch die akademische Orthodoxie die eigentlichen Ängste der liberalen Städter und der akademischen Hauptrichtung, die misstrauisch auf das Auftauchen nicht ausgehandelter Politik, direkter Aktion und plebiszitärer Demokratie schauen. Demzufolge lagen der Populismus und der Intellektuelle scheinbar schon immer miteinander im Clinch, da ersterer die Vergeblichkeit – oder sogar Schädlichkeit – eines klerikalen Standes proklamiert. Nichtsdestotrotz ist der Populismus eine in sich respektable intellektuelle Tradition, deren Fürsprecher von Anfang an in einen kontroversen Dialog mit dem politischen Rationalismus, sowohl in seiner liberalen, als auch in seiner marxistischen Fassung, traten und den letzteren entscheidend beeinflussten! Zugegebenermaßen waren die russischen Narodniki[2] des 19. Jahrhunderts die eigentlichen Pioniere des Populismus und agrarischen Sozialismus‘ und ebenso die ersten, welche eine stimmige Kritik der liberalen und marxistischen Theologien formulierten, wobei sie die Idee des Fortschritts sowohl in seiner linearen, als auch in seiner dialektischen Form verwarfen. Der russische Populismus skandalisierte die bürgerliche Rationalität deswegen, weil er darauf abzielte, das Projekt des Kapitals auszusetzen und die Wirtschaft zurückzubauen, hin zu gemeinschaftlicher Landwirtschaft und Viehzucht. Nichtsdestotrotz war die Ablehnung der kapitalistischen Moderne durch die Populisten weit davon entfernt, eine romantisch-negative Utopie zu sein. Der populistische Ökonom Vasily Vorontsov[3]erachtete Russland, welches zu den Nachzüglern der Modernisierung zählte, als unfähig dazu, zu den gereiften kapitalistischen Ländern aufzuschließen, nachdem er Russlands beschränkten Zugang zu den internationalen Märkten und Technologien betrachtet hatte. In der Tat verfügte der Populismus über eine leidenschaftlichere, weiter entwickelte und weniger mechanische Sicht auf die Zentrum-Peripherie Beziehungen, als der vulgarisierte Marxismus. Interessanterweise entdeckten die Schriftsteller der Narodniki den Zusammenhang der Abhängigkeit im Weltkapitalismus und antizipierten daher die Theorie der ungleichen und gemeinsamen Entwicklung – eine Vorstellung, die fälschlicher Weise dem Trotzkismus zugeschrieben wurde. Anerkanntermaßen fehlte dem kanonischen Marxismus sogar eine Theorie des Imperialismus, welche Lenin improvisierte, nachdem er mit Hobsons‘[4] Imperialism ohne den antisemitischen Zwischentönen herumgebastelt hatte. Marx selbst minderte seine naiv fortschrittliche, den britischen Whigs entsprechende Sicht des Kapitalismus dank der Studien von Kowalewski[5] über die obschina[6] und die landwirtschaftliche Frage (1879). Ebenso beeinflusste der Populist Tkatschow[7] Lenin in taktischen Fragen. Darüber hinaus erweitere Podolinsky[8] Berechnungen zur Ökologie und Energie, um die metabolische Analyse des Kapitalismus zu verfeinern. Nach dem Roten Oktober ersann der Agrarsoziologe Chayanov[9] ein rigoroses Modell bäuerlicher Binnenwirtschaft. Inzwischen Mitglied der Sozialrevolutionären Partei – eines Flügels des parlamentarischen Populismus –  erfasste Kondratieff Langzeitzyklen der technologischen und finanziellen Expansion seit den 1750er Jahren, was zweifellos eine große Errungenschaft darstellte.

II

Während der 1900er Jahre ähnelte Lateinamerika Russland in einigen Aspekten. Beide Regionen schmachteten in relativer Zurückgebliebenheit und Trägheit, periodisch in Schwung gebracht durch unerwartete Gewinne aus Rohstoffexporten. Obwohl der aufgeklärte Absolutismus eine besondere Eigenschaft Russlands war (aber auch Brasiliens bis 1881), bestand der Rest Lateinamerikas aus oberflächlichen Republiken nach der Art Potemkins, die von Händlerklüngeln beherrscht wurden. Demographisch gesehen, bevölkerten Bauern und ehemalige Leibeigene die gewaltigen Räume der beiden Kontinentalblöcke, in denen Analphabetentum und eine chaotische Urbanisierung eine entwurzelte, unorganische Intelligenzija hervorbrachten. Russische Bohemiens und spanische Rastaquoères näherten sich einander an den Pariser Kreuzungen der Belle Époque[10] an und wurden an den Toren der Kulturmetropolen der eigenen Entfremdung gewahr. Daraus erwuchs ein allgemeines Gefühl der Entfremdung. Folglich resultierte daraus ebenso Eile, die eigenen Gesellschaften zu überholen und auf den neuesten Stand zu bringen. Aber war das möglich? Und war es überhaupt erstrebenswert? Der Eifer für das aggiornamento der Russen und Lateinamerikaner verschwand bald und entwickelte sich zur Frustration weiter. Der materielle Fortschritt schien ein immer weiter zurückgehender Horizont zu sein und dann, wenn man ihn endlich erreicht hatte, entmutigten seine schlimmen Konsequenzen die Nachahmer. Daraus bestand etwas Herzens Haltung gegenüber dem Westen, nachdem er dort lange Aufenthalte verbracht hatte – Herzen selbst war ein reuevoller Liberaler, der zum Dekan und Lehrmeister des narodnischestvo wurde. Die Provinzbewohner scheuten davor zurück, das Projekt der universalen Moderne und seine Fuge Richtung Zukunft zur Gänze anzunehmen.

Parallel dazu bestand die lateinamerikanische Antwort auf die moderne Angst im Arielismo, der Poetisierung der ökonomischen Zurückgebliebenheit als Bollwerk gegen die angelsächsische Industrialisierung und ihren Pragmatismus. Ariel war der Geist des Lichts, der Gegenspieler des irdischen Genius Caliban, Shakespeares antagonistische Figuren in der unheimlichen Fassung des Stückes Der Sturm. Ariel verkörperte die meisten der vermeintlich lateinischen Tugenden wie Ehre und Religion, wohingegen Caliban einen tellurischen Dämon darstellte, dessen Entfesselung die Welt in einen niederträchtigen Materialismus stürzen würde. Offensichtlich war dieser Diskurs bloß ein ästhetischer Trost, dennoch offenbart er einen bestimmten Minderwertigkeitskomplex. Bis dahin war der Arielismo ein nettes, harmloses Thema für Gespräche nach dem Abendessen während der oligarchischen liberalen Regime. Es dauerte bis in die 1910er Jahre, bis die öffentliche Meinung insbesondere mit dem Ausbruch der Mexikanischen Revolution einen großen Wandel erlebte. Die ländlichen Massen probten den Aufstand.

III

Ironischerweise ist derjenige, der für den ersten Marxisten Lateinamerikas gehalten wird, in Wahrheit sein erster populistischer Theoretiker. Der Schriftsteller und Aktivist Juan Carlos Mariátegui verfasste die Abhandlung Seven Interpretative Thesis on the Peruvian Reality (1928), welche die Überlegenheit lokaler und nationaler Zusammenhänge über passiv erworbenes, eurozentrisches soziales Denken rechtfertigte. Er kritisierte den formelhaften Positivismus der Zweiten Internationale ebenso, wie den in der Entstehung begriffenen sowjetischen Scholastizismus. Er plädierte für eine im Kontext stehende, organische, vor Ort geschehende Interpretation der sozialen Realitäten, die abstraktes doktrinäres Denken vermeiden sollte. Gleichzeitig übernahm er voluntaristische Themen, die zuvor vom revolutionären Syndikalisten Georges Sorel postuliert worden waren, insbesondere den Generalstreik, von dem sich ein neuer mythischer Élan für die Volkskämpfe ableitete. Als er im Italien der 1920er Jahre exiliert war, wurde Mariátegui Zeuge des zweifachen gespiegelten Aufstiegs von Kommunismus und Faschismus, den Erben der verwesenden revisionistischen Sozialdemokratie, ein Vorgang, der ihn faszinierte. Aus diesem Grund nahm er die autochthone Bevölkerung Perus betreffend einen indigenen Standpunkt ein, ein Zugang, der an den alten Populismus erinnert. Obwohl er ein überzeugter Sozialist war, nuancierte Mariátegui subtil die Rolle des Proletariats. Rückblickend betrachtet führen Voluntarismus und Indigenismus Mariátegui – ganz zu schweigen von der Analyse der kolonialen Abhängigkeit –  näher an die populistische Matrix heran, als an den offiziellen Marxismus. In der Tat bleibt der Indigenismus ein starkes Element des lateinamerikanischen Populismus, insbesondere in Mexiko und den Andenstaaten. Seine eigentliche Entpuppung ereignete sich infolge der Mexikanischen Revolution, welche sich in einer korporatistischen Legislatur kristallisierte, die die kollektiven Landgüter der Indianer (die ejidos) beschützte und damit die Subsistenzlandwirtschaft. Wie auch immer, eine ausgereifte Institutionalisierung der Mexikanischen Revolution ereignete sich erst während der Regierung von Lázarao Cárdenas (1934 – 1940), der sowohl berüchtigt für die Verstaatlichung des Petroleums, als auch für die Vertiefung der Agrarreform ist. Die Schlüsselfigur dieser Periode ist José Vasconcelos, Lehrer, eklektischer Universalgebildeter und Apologet der kulturellen wie rassischen Synthese des mexikanischen Volkes. Vasconcelos Abhandlung The Cosmic Race vermittelt eine seltene Mischung aus optimistischem Sozialdarwinismus und säkularem Messianismus. Humoristisch gesehen ist Vasconcelos eine Art umgekehrter Spengler, da der mexikanische Autor die Vermischung der Völker preist und himmelhochjauchzend eine bevorstehende Zukunft postuliert, in der alle menschlichen Unterschiede ihre endgültige Versöhnung finden könnten. Seine Reputation als Humanist erlitt unerwarteter Weise einen schweren Rückschlag, als er seine Unterstützung für die Achsenmächte erklärte. Er bewunderte die faschistischen Experimente für ihren mobilisierenden Eifer während turbulenter Unbeständigkeiten, eine Situation, die damals dem mexikanischen Szenario ähnelte. Obwohl er ein vollendeter Anti-Rassist war, vertrat Vasconcellos einen eigenartigen metaphysischen Patriotismus – daher die Spannung zwischen seinem Universalismus und seinem Nativismus. Währenddessen war Vasconcelos ein intensiver Kritiker der atlantischen Mächte. Gleichauf am Pazifik stehend war Víctor Raúl Haya de la Torre sowohl in Peru als auch in Mexiko eine wichtige Figur, wo er Zuflucht suchte, nachdem er aus seinem Land aus politischen Gründen vertrieben wurde. 1895 in Peru geboren, gründete Haya de la Torre die vielleicht einzige nationale Partei in Lateinamerika mit genuin kontinentalen Projektionen. Er wurde 1924 zum Vater der American Popular Revolutionary Alliance (APRA) einer ehemals sozialdemokratischen Bewegung mit starken populistischen Pflanzenbewegungen, welche schließlich zu Demagogie, parlamentarischen Korruption und ungezügelten Klientelismus degenerierten. Dennoch waren die Anfänge der APRA vielversprechend. Die APRA inspirierte die Gründung der sozialistischen Partei Chiles 1933, die einer anti-imperialistischen und anti-oligarchischen Agenda folgte und dabei nur Lippenbekenntnisse zur marxistischen Pietät leistete. Etwa zur gleichen Zeit kam es zu internen Säuberungen, da stalinistische und trotzkistische Rivalitäten die politische Aktion in den lokalen kommunistischen Parteien behinderten, wodurch ein Vakuum entstand, das bald durch diesen neuen populistischen Sozialismus ausgefüllt werden sollte.

IV

Im Allgemeinen ist man der Auffassung, dass Lázaro Cárdenas[11] in Mexiko, Gétulio Vargas[12] in Brasilien und José Domingo Perón[13] in Argentinien beispielhaft für die Abenteuer des Populismus im ganzen Kontinent stehen. Der letzte von ihnen ist das wohl am meisten erforschte Fallbeispiel von allen dreien, gleichzeitig stellt er das dramatischste und prominenteste Modell des politischen Systems Argentiniens bis heute dar. Wie ein Chamäleon und launisch sammelte der Peronismus eine Reihe verschiedenartiger Tendenzen: Maurrasianischen[14] Integralismus, Syndikalismus[15], Faschismus, Kooperativismus[16] und sogar Trotzkismus[17]. Obwohl sein Eintreten für die Arbeiterschaft bereits früh während der Herrschaft Peróns auftrat, wurde seine antiimperialistische Leidenschaft erst wirklich mit der Kubanischen Revolution von 1959 entfacht, diese verlor ihre Ketten in der Episode beim Auftauchen städtischer Guerillas während Peróns Ostrazismus[18] im franquistischen Spanien. Ursprünglich war der offensichtliche Archetyp des Peronismus der italienische Faschismus, von welchem der argentinische General sowohl das Programm als auch den Stil kopierte. Logischerweise entwickelte die soziale Gesetzgebung vehemente Unterstützung für die Arbeiterklasse, insbesondere für die Arbeiter aus dem Mestizohinterland, die sogenannten cabitas negras – „kleine Schwarzköpfe“, was eher einem ornithologischen Gleichnis, als einer rassistischen Denkfigur gleichkommt. Besonders merkwürdig ist, dass ausgerechnet eine Gruppe desillusionierter, ehemals sozialliberaler Intellektueller den Weg für den Peronismus als politische Ideologie bereiteten. Sie bildeten ein Konklave ausgesprochen revisionistischer Historiker, die kritisch die liberalen Gemeinplätze über Argentiniens republikanische Vergangenheit hinterfragten, welche selbst von der kolonialen Abhängigkeit gegenüber Großbritannien geprägt war – da dies so war, stellte die Ankunft der Moderne für Argentinien keine Befreiung, sondern einfach imperiale Unterwürfigkeit dar. Der Name der Gruppe FORJA (Schmiede, Feuerprobe) sollte vermutlich den Eindruck viriler Richtigstellung durch Anstrengung und Ausdauer vermitteln, ebenso wie die Andeutung einer industriellen Wiedergeburt. FORJA umfasste offiziell ein ganzes Jahrzehnt (1935 – 1945), obwohl seine bekehrenden Echos bis heute nachhallen. Ihre produktivsten Mitglieder waren Arturo Jauretche[19] und Raúl Scalabrini Ortiz[20], den eindringlichen Propagandisten eines linksnationalistischen Evangeliums. Als aufrührerischer Skandalreporter mit rustikalen baskischen Wurzeln klagte Jauretche das Zentralbankensystem an und den Eintritt Argentiniens in den IMF (siehe den Prebitschplan von 1956) als vom atlantischen Imperialismus gesetzten Abhängigkeitsmechanismus. Er verbündete sich herzlich mit Perón, dessen erste Regierung (1946 – 1955) ihm darin folgte, Argentinien von den Forderungen der internationalen Finanz abzuschirmen. Auf ähnliche Weise war Jauretche auch ein relevanter Vertreter des historischen Revisionismus Lateinamerikas, folglich verstieß er gegen die konventionellen Mythen des liberalen Dogmas seit der Unabhängigkeit 1810. Er prognostizierte das Gros der Entdeckungen der Dependenztheorie, jedoch drückte er dies mit einer idiosynkratischen, unbeständigen, journalistischen Eleganz aus. Insgesamt war er ein Ökonom des armen Mannes und arbeitete während des frühen Peronismus als Bankdirektor. Anekdotisch sei erwähnt, dass Jauretche selbst einen bestimmten Einfluss auf den jungen Ernesto Laclau hatte, der Vater von letzterem unterhielt freundliche Beziehungen mit dem alten Herrn von ersterem – Laclaus Schrift On Populist Reason (2005) hat erst kürzlich die Gelehrsamkeit über unser Thema von der postmarxistischen Warte aus erneuert. Rückblickend könnte man annehmen, dass die Jahre 1910, 1929 und 1959 die axialen Reisewege des Populismus für Lateinamerika waren. Die Mexikanische Revolution lieferte die agrarischen und indigenistischen Themen, während der Wall Street Crash den exportorientierten Volkswirtschaften Lateinamerikas einen Schock versetzte, womit er protektionistische und auf Entwicklung gerichtete Antworten aus dieser zerbrochenen Hemisphäre provozierte. Drei Jahrzehnte später elektrisierte die Kubanische Revolution neue Generationen und drängte den plebejischen Nationalismus in einen offen anti-imperialistischen Standpunkt. Zufällig kam mit der Linkswende der Katholischen Kirche eine weitere interessante Verbindungsstelle für das populistische Überschäumen auf. Dies wurde auf eloquente Weise sowohl von der Bischofskonferenz in Medellín 1968, als auch in Puebla 1979 verkörpert. Folglich belebte die Befreiungstheologie die Tradition der Gegenreformation und katalysierte die sich rasant ausbreitende Welle bäuerlicher Gemeinschaften. Insbesondere in Nicaragua und Brasilien, wo der Sandinismus[21] und die MST (Bewegung der Landarbeiter ohne Boden) gegenwärtig wichtige Spieler in der politischen Arena sind.

Anmerkungen

[1] Sperrgürtel zum Schutz gegen das Einschleppen epidemischer Krankheiten oder später auch als Bezeichnung für Grenzposten an einer Militärgrenze benutzt. (Anm. d. Red.)

[2] Die „Volkstümler“ stellten eine der sozialrevolutionären Gruppen im Russischen Kaiserreich des 19. Jahrhunderts dar, die sich gegen die Zarenherrschaft auflehnten. (Anm. d. Red.)

[3] Vasily Vrontsov (1847-1918) war einer der einflussreichsten russischen Ökonomen und Soziologen Ende des 19. Jahrhunderts, die in der großen Debatte zwischen der marxistischen und der sozialrevolutionären ökomischen Ausrichtung stritten. (Anm. d. Red.)

[4] John Aktinson Hobson (1858-1940) war ein englischer Publizist und Ökonom, der die wohl erste Imperialismustheorie im Jahre 1902 entwickelte. (Anm. d. Red.)

[5] Maxim Maximowitsch Kowalewski (1851-1916) war ein russischer Soziologe, Jurist und Historiker, der einen Lehrstuhl an der Staatlichen Universität in St. Petersburg innehatte. Kowalewski war Zeitgenosse und Freund der beiden Gründer des Marxismus, Karl Marx und Friedrich Engels. Letzterer wurde maßgeblich von den Arbeiten Kowalewskis beeinflusst. (Anm. d. Red.)

[6] Die russische Dorfgemeinschaft. (Anm. d. Red.)

[7] Pjotr Nikititsch Tkatschow (1844-1886) war ein Theoretiker, der sehr stark von den Schriften Karl Marx beeinflusst wurde und sich seitdem der materialistischen Weltanschauung verschrieb. (Anm. d. Red.)

[8] Sergei Andreević Podolinsky (1850-1891) war ein russischer Sozialist, Physiker und Begründer der Ökologischen Ökonomie. (Anm. d. Red.)

[9] Alexander V. Chayanov (1888-1937) war ein Agrarwissenschaftler, der in der Sowjetunion Bekanntheit erreichte. (Anm. d. Red.)

[10] Damit ist die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg gemeint. (Anm. d. Red.)

[11] Lázaro Cárdenas del Río ( 1895-1970) war ein mexikanischer Politiker und General, der zwischen 1934 und 1940 Präsident Mexikos war. (Anm. d. Red.)

[12] Getúlio Dornelles Vargas (1882-1954) war Präsident Brasiliens von 1930 bis 1945 und von 1950 bis 1954. Vargas regierte das Land insgesamt 18 Jahre lang, und damit länger als jeder andere Herrscher. (Anm. d. Red.)

[13] Juan Domingo Perón Sosa (1895-1974) war General, Minister der Militärregierung und später zweimal argentinischer Präsident. (Anm. d. Red.)

[14] Auf Charles-Marie-Photius Maurras (1868-1952) zurückgehend. Maurras war ein französischer Autor, Politiker, Dichter und Kritiker. Zudem war er Organisator sowie ideologischer Fundamentgeber der Action Française. (Anm. d. Red.)

[15] Der Syndikalismus ist eine Spielart des Sozialismus, der die Aneignung der Produktionsmittel durch die Gewerkschaften forderte. Diese politische Strömung ist unmittelbar mit dem französischen Solidar-Anarchisten Pierre-Joseph Proudhon (1809-1865) verbunden. Dabei lehnten die Syndikalisten den Parlamentarismus ab und forcierten eine Konzentration der politischen Macht in der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeiterschaft. (Anm. d. Red.)

[16] Der Koorperativismus beschreibt das Modell der Genossenschafts-Ökonomie, wie sie u. a. von Jean-Pierre Proudhon vertreten wurde. Das Modell ist solidarisch-genossenschaftlich ausgerichtet, wobei es unterschiedliche Ansätze gibt (z. B. Verbraucher- und Arbeitergenossenschaften).

[17] Auf den russischen marxistischen Theoretiker Leo Trotzki (1879-1940) zurückzuführen. Im Kern geht der Trotzkismus von der Theorie der permanenten Revolution aus. Diese war die Dritte Position innerhalb der russischen Sozialdemokratie neben Menschewiki und Bolschewiki, die davon ausging, dass nur eine direkte Machtübernahme durch die Arbeiterschaft in Form von Arbeiterräten eine sozialistische Revolution auslösen könne. Diese sei ein steter Prozess und führe langsam aber sicher zu einer Transformation von der alten bürgerlichen (bourgeoisen) zur sozialistischen Gesellschaft. (Anm. d. Red.)

[18] Vom griechischen ostrakon abgleitet, was so viel wie „Tonscherbe“ bedeutet und im alten Athen als Scherbengericht (altgr. Ostrakismos)galt. Das antike Scherbengericht bestand in einer Abstimmung der Athener über die Verbannung oder den Verbleib eines Bürgers. Heute wird der Ostrazismus in der Psychologie noch für die Beschreibung der gezielten Ächtung und Ausgrenzung von Personen aus einer sozialen Gruppe verwendet. (Anm. d. Red.)

[19] Arturo Jauretche (1901-1974) war ein argentinischer Politiker sowie Journalist, der über die Konservativen zu Peron kam und sich Anfang der 1950er Jahre von ihm abwendete. (Anm. d. Redaktion)

[20] Raúl Scalabrini Ortiz (1898-1959) war befreundet mit Jauretche und machte sich ebenfalls als Schriftsteller in Argentinien einen Namen. In seiner Jugend schloss er sich einer marxistischen Gruppe an, um später zu FORJA zu kommen und sich dort schriftstellerisch zu betätigen. Er war einer der Pioniere des argentinischen Geschichtsrevisionismus und wurde später einer der einflussreichsten Köpfe des antiliberalen Nationalismus. Erst nach seinem Tod entfaltete er seinen schriftstellerischen Einfluss. (Anm. d. Red.)

[21] Basierend auf den Guerillakämpfer Augusto César Sandino (1895-1934), der damit eine marxistisch-leninistische Bewegung in Nicaragua in 70er- und 80er-Jahren begründete, die sich gegen die nordamerikanischen Imperialisten richtete.