Kommt die nächste Wirtschaftskrise?

von | 09. Jun. 2018 | Philosophie & Theorie

Glaubt man den Ausführungen des in der jüngsten Vergangenheit immer stärker dem patriotischen Lager hin tendierenden Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Max Otte, so stellt sich nicht die Frage nach dem „Ob“, sondern nach dem „Wann“ einer nächsten Wirtschaftskrise. Im April sagte dieser gegenüber dem investigativen Journalisten Alex Quint in www.eingeSchenkt.tv, dass uns eine größere Krise als jene aus dem Jahr 2008 bevorsteht. Als Hauptgrund nannte der Gründer des Instituts für Vermögenentwicklung (IFVE) die hohe Verschuldung von Staaten und der Privatwirtschaft. Prof. Dr. Max Otte ist vor allem durch sein 2006 erschienenes Buch „Der Crash kommt“ bekannt geworden. In diesem prognostizierte er die 2008 ausgebrochene Wirtschafts- und Finanzkrise, welche eine logische Folge der seit dem Frühjahr 2007 sich mehrenden Zahlungsausfälle hinsichtlich Hypothekenkredite war.

Ist die Krise aus 2008 überwunden?

Diese Frage stellte auch Hans-Werner Sinn, seines Zeichens ehemaliger Präsident des renommierten ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, in seinem Buch „Gefangen im Euro“ und beantwortete sie mit folgenden Worten: „Viele Bürger scheinen zu denken, die Finanzkrise sei nun überstanden und alles werde wieder gut. Politik und Medien tun das Ihrige, dass die Bürger in falscher Sicherheit gewiegt werden. Die meisten Menschen übersehen aber, dass die Märkte nur deshalb beruhig wurden, weil sie als Steuerzahler und Rentner die Schulden der Südländer mit neuen Krediten ausgelöst haben und dafür später einmal die Zeche werden zahlen müssen.“[1]

Tatsächlich deutet Sinn hier eine schleichende Enteignung an. Es handelt sich um die dritte Enteignung, die die Deutschen dann in den letzten Einhundert Jahren durchmachen mussten. Für die Ostdeutschen wäre es sogar die vierte Enteignung. Obgleich der Mainstream stetige Wirtschaftswachstumszahlen herbeiredet, ist nicht zu übersehen, dass die Schuldenlast vieler Länder nicht nur absolut, sondern auch relativ zur Wirtschaftsleistung steigt. Des Weiteren wurden die Schrottpapiere, welche zum Crash 2007 (Finanzkrise) führten, in ominöse Bad-Banks[2] verfrachtet und schwirren dort noch in den Büchern rum. Im Jahre 2013 veröffentlichten die Deutschen Wirtschaftsnachrichten (DWN) einen Fachartikel mit dem plakativen Titel „Bad Banks: Deutsche Steuerzahler sitzen auf 600 Milliarden Euro-Zeitbombe“[3]. Demnach schlummerten zu diesem Zeitpunkt noch über 580 Milliarden Euro in den Portfolios deutscher Bad-Banks, die im Zuge der Wirtschaftskrise gegründet wurden, um die toxischen Papiere u.a. aus der Hypo Real Estate (HRE) in den Griff zu bekommen. Zuletzt bleibt festzustellen, dass die Ursache für die damalige Krise nie wirklich von der Politik angemahnt wurde. Der Neoliberalismus läuft auf Hochtouren, sodass die Party fröhlich weitergehen kann – so könnte man zumindest denken.

Die Schuldenlast und die Ponzi-Finanzierung

Fast alle Staaten auf diesem Planeten sind verschuldet. In der Dritten Welt sind enorme ausländische Schuldenberge in Fremdwährungen angehäuft worden. In den USA schlummern Auto-Kredite in enormer Größenordnung. So wuchsen die Autokredite bis September letzten Jahres auf ein Volumen von insgesamt 1,11 Billionen Dollar. Die Verschuldung durch Studentenkredite lag zum selben Zeitpunkt sogar bei 1,486 Billionen Dollar[4]. In Deutschland hatte im Jahr 2014 bereits jeder zehnte Deutsche Konsumschulden – Tendenz steigend[5].

Nicht anders sieht es mit der Privatwirtschaft aus. Auf dem Marktplatz des „freien Spiels der Kräfte“ sammeln sich immer mehr „Zombies“. Das sind Unternehmen, deren Kerngeschäft darin besteht, Geld zu verbrennen, d.h. sie nehmen Kredite auf, um alte zu bedienen bzw. die Zinslast derselben tragen zu können („Ponzi-Finanzierung“). Laut der Rating-Agentur Moody’s stieg die Anzahl der „spekulativen“ Unternehmen seit 2009 um 58 Prozent. „Spekulativ“ werden diese Firmen deshalb bezeichnet, weil sie eine schlechte Bonität besitzen, bei gleichbleibender Verheizung von gepumptem Geld. Etwa 40 Prozent der untersuchten Unternehmen seien sogar „hochgradig spekulativ“ und finanzieren sich á la Ponzi.[6] Der Grund für die hohe Verschuldung dürfte zum einen die langatmige Niedrigzinspolitik der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) sein. Diese betrieb von 2008, also kurz nach der Wirtschaftskrise, bis 2015 eine ultra-lockere Geldpolitik, die dazu führen sollte, dass auch Unternehmen mit geringer Bonität Schulden aufnehmen konnten. Seit Janet Yellen, die bis Februar 2018 Präsidentin der mächtigen Notenbank war, eine moderate Erhöhung des Leitzinses vornahm und ihr Nachfolger Jerome Powell diesen Kurs offensichtlich weiterverfolgt, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die spekulativen Zombie-Unternehmen reihenweise Bankrott gehen und sich damit eine Welle bahn bricht, die zu einer erneuten Finanz- bzw. Wirtschaftskrise führt.  Hierzu reicht das Ausbleiben der erwarteten Wachstumszahlen aus, um die gesamte Börse ins Wackeln zu bringen.

Die Party ist bald vorbei: Nach der Hausse folgt auch wieder eine Baisse

Tatsächlich ist der Markt wieder da, wo er einst in den Jahren vor 2007 war. Die Börse und darunter auch einige erstzunehmende Ökonomen – zumindest wenn man nach dem Mainstream geht – verheißen eine Zeit, in der es keine Konjunkturzyklen mehr gibt. Es ist ein nicht seltenes Bild im Kapitalismus. Solange die Wirtschaft wächst, ist alles in Ordnung. Schulden können auch dann bedient werden, wenn ihnen eine geringe Liquidität gegenübersteht. Die Notwendigkeit für die Bildung großer Rücklagen wird in der Breite der Marktteilnehmer nicht erkannt. Des Weiteren fangen die Akteure, insbesondere einige von Gier getriebene Investmentbanker, an, sich an das Wirtschaftswachstum zu gewöhnen und zu glauben, dass eine Stagnation oder gar eine Bewegung in entgegengesetzter Richtung ausgeschlossen ist. Damit tritt der Kapitalismus in seine zyklische Krisenphase ein.

Nach Hyman P. Minsky, einem russischstämmigen amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler (1919-1996), ist der Kapitalismus absolut krisenimmanent. Laut Minsky, nach dem auch der sogenannte “Minsky-Effekt“ oder das „Minsky-Moment“ benannt ist, gib es drei Arten von Kreditnehmern:

  1. Kreditnehmer, die in der Lage sind ihre Schulden zurückzuzahlen,
  2. Kreditnehmer, die zwar noch in der Lage sind die Zinsschuld zu tilgen, nicht mehr aber den Kredit als solches,
  3. Kreditnehmer, die weder dazu in der Lage sind die Zinsschuld noch den Kredit zu tilgen. Diese Art von Schuldnern nehmen Kredite auf, in der Hoffnung auf enorme Preissteigerungen bei den Gütern, die sie von der Schuld finanzieren. Da dies auf reiner Spekulation beruht und aufgrund der bewussten Zahlungsunfähigkeit den Makel des Betruges trägt, wird diese Art der Kreditaufnahme auch als „Ponzi[7]-Finanzierung“ bezeichnet.

Laut Minsky tritt im Kapitalismus, gleich welcher Couleur, irgendwann die Phase ein, in der die Akteure bzw. Kreditnehmer nachlässig werden und anfangen zu glauben, dass die Zeit der Zyklen vorbei sei. Durch diese Unvorsichtigkeit neigen sie dazu, Kredite auch dann aufzunehmen, wenn bereits bei Aufnahme absehbar wird, dass der Kredit selbst nicht getilgt werden kann. Die Phase, in der die Ponzi-Finanzierung Schule macht, leitet bereits den Anfang vom Ende ein. Es entsteht ein Schneeballsystem wie in Zeiten der Subprime-Krise in den USA. Beim ersten Windstoß bzw. sobald das Wirtschaftswachstum rückläufig wird, verramschen die Ponzi-haften Spekulanten ihre Waren bzw. Wertpapiere. Es entsteht ein Herdentrieb, der ganze Märkte ins Wanken bringt. Finanz- und Wirtschaftskrisen sind die logische Folge. Da weltweit mit zurückgehenden Wachstumszahlen zu rechnen ist, kann die Party bereits als beendet angesehen werden – auch wenn so mancher noch volltrunken am Tresen hängt, während selbst der Wirt keine Getränke mehr auszuschenken hat.[8]

Eurozone droht auseinanderzubrechen: 154 Ökonomen warnen vor Haftungsunion

Wie ernst es bereits um die europäischen Volkswirtschaften bestellt ist, macht ein längst überfälliger Aufruf von 154 namhaften Ökonomen aus Deutschland deutlich: Darin bekräftigen die Wirtschaftswissenschaftler, von denen die meisten zum Mainstream gehören, dass die europäische Finanz- und Wirtschaftspolitik der EU zum Scheitern verurteilt ist und zu massiven Einschnitten der Gesellschaften führen wird. So kritisieren die Experten die Pläne zur Verwendung des ohnehin umstrittenen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) als Back-Up zur Sanierung für schlecht wirtschaftende Banken, was logischerweise dazu führt, dass es keinen Anreiz mehr zur Reinigung fauler Kredite gibt. Letztlich erkennen nun auch immer mehr Mainstream-Ökonomen, dass die EU zu einer Transferunion verkommt, in der die immer weniger werdenden Geberländer, die immer mehr werdenden Nehmerländer durchfüttern müssen und somit Anreize für eine vernünftige Ökonomie – zumindest für Finanzinstitutionen sowie Staatshaushalte – negiert werden.

Die Probleme liegen tiefer

Tatsächlich liegen die Probleme jedoch tiefer. Die EU bzw. die Euro-Politik war von Anfang an zum Scheitern zu verurteilen, weil hier massiv gegen die Regeln des Marktes verstoßen wurde. Die gesamte EU-Wirtschaft ist Planwirtschaft. Die viel verheißenden Regeln der freien Marktwirtschaft werden hier ad absurdum geführt. Die gesamte Währungs- und Geldpolitik läuft schief. Minsky hat seinerzeit bereits herausgefunden, dass der Kapitalismus krisenimmanent ist und ohne staatliche Eingriffe jede Ökonomie früher oder später das Zeitliche segnen wird müssen, wenn man sie sich selbst überlässt. Der Homo Oeconomicus[9]existiert in der Realität nicht und auch die schönen Gauß’schen Glockenkurven sind eher etwas für das Lehrbuch als für die in Wirklichkeit exponentiell, also zufällig verteilten Finanzmärkte. Hier bedarf es einer tieferen Untersuchung unseres Geldwesens sowie der Auffassung von Wirtschaft und ihren Aufgaben. Es soll auch Aufgabe dieses Blogs bzw. von MetaPol sein, über diese Themen nicht nur zu berichten, sondern Lösungsvorschläge zu beleuchten.

Anmerkungen und Literaturhinweise

[1] Sinn, Hans-Werner (2014, S. 113-114). „Gefangen im Euro“

[2] „Bad Banks“ sind Finanzinstitute, die gegründet werden, um toxische Papiere  abzuwickeln bzw. zu entsorgen. „Toxische Papiere“ sind Wertpapiere, die die Bonität von Kreditinstituten gefährden, da es sich um nicht einlösbare Kreditforderungen bzw. schwer zu verkaufenden Wertpapiere handelt. Nachdem die „Bad-Bank“ ihren Auftrag erfüllt hat, soll sie i.d.R. in eine „Good-Bank“ umgewandelt werden.

[3] DWN (2018). „Bad-Banks: Deutsche Steuerzahler sitzen auf 600 Milliarden Euro-Zeitbombe“. Fachartikel. Verfügbar unter: https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/06/19/bad-banks-deutsche-steuerzahler-sitzen-auf-600-milliarden-euro-zeitbombe/ (06.06.2018)

[4] Finanzmarktwelt (2018). Volumen der Kreditkartenschulden, Auto- und Studentenkredite in den USA auf Allzeithoch. Verfügbar unter: https://finanzmarktwelt.de/volumen-der-kreditkartenschulden-auto-und-studentenkredite-in-den-usa-auf-allzeithoch-73349/ (28.05.2018)

[5] Welt-Online (2018). „Kaufrausch auf Pump stürzt Deutsche in den Ruin“. Verfügbar unter: https://www.welt.de/finanzen/verbraucher/article134057480/Kaufrausch-auf-Pump-stuerzt-Deutsche-in-den-Ruin.html (28.05.2018)

[6] CNBC (2018). „Moody’s warns of ‚particulary large‘ wave of junk bond defaults ahead“. Fachartikel. Verfügbar unter: https://www.cnbc.com/2018/05/25/moodys-warns-of-particularly-large-wave-of-junk-bond-defaults.html?__source=sharebar|twitter&par=sharebar (06.06.2018)

[7] Charles Ponzi (1882-1949) war ein italienischstämmiger US-amerikanischer Immigrant und wurde als einer der gewieftesten Betrüger seiner Zeit bekannt. Der Name „Ponzi“ steht heute somit für einen Betrüger bzw. für ein betrügerisches Verhalten.

[8] Hier sei u.a. auf die weltweit rückläufigen Exporte verwiesen. Mit den USA, China und Japan sind drei der größten Handelsnationen (auf die Exportumsätze betrachtet) bereits in diesem Trend gefangen. Sobald die EZB die Leitzinsen anheben wird – und sie wird es früher oder später müssen – dürften auch hier mit signifikanten Rückläufen zu rechnen sein. Siehe dazu auch DWN (2018). „Wachstum in Export-Ländern geht weltweit zurück“. Fachartikel vom 17.05.2018. Verfügbar unter: https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2018/05/16/weltwirtschaft-wachstum-exportstarken-laendern-geht-zurueck/ (06.06.2018)

[9] Der „Homo Oeconomicus“ ist ein Begriff aus der Entscheidungstheorie. Er beschreibt einen ausschließlich rational und wirtschaftlich denkenden Menschen, der wiederum Grundlage vieler finanzmathematischer Untersuchungen ist. In der Operation Research unterstellt man den Marktteilnehmern, dass sie nach dem Prinzip des Homo Oeconomicus handeln.