„Ich glaube fest an das Gute im Menschen, aber ich rate dennoch sich auf das Schlechte einzurichten.“
Alfred Polger (1873-1955), österreichischer Schriftsteller und Theaterkritiker
Das Wort „List“ erfährt in der westlichen Welt grundsätzlich eine negative Konnotation. Oftmals werden Listen aus Sicht der Moral und Ethik bewertet. Generell neigen insbesondere die Abendländer dazu, die Dinge grundsätzlich zu beurteilen. Im Folgenden untersucht dieser Text daher die List aus einer eher objektiven Perspektive. Es handelt sich hierbei – der Leser sei also bereits an dieser Stelle gewarnt – um eine Apologie der List. Listen sind nicht per seschlecht, sie sind auch nicht grundsätzlich gut. Aber sie sind vorhanden und definitiv integraler Bestandteil unseres Lebens und des menschlichen und auch tierischen Daseins. Wer der List entsagt oder sie gar verteufelt, der wird grundsätzlich jenen gegenüber, die sich ihr bedienen, immer im Nachteil sein.
„List“: Von der Selbstlüge der Europäer
Gerade in Europa werden jene, die sich der List bedienen, oft als „feige“ begriffen. Das christlich geprägte Abendland spricht daher oft von der „teuflischen List“. Bereits am Anfang der Bibel erfährt der Leser mit dem Sündenfall eine negative Konnotation. So steht geschrieben: „Und die Schlange war listiger denn alle Tiere auf dem Felde, die Gott der Herr gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allerlei Bäumen im Garten?“ (1. Buch Mose 3, 1)
Ein Blick in den Duden und in deutsche Wörterbücher zeigt auf, dass es mindestens zwei Definitionen von dem Begriff gibt. Eine eher enge und eine weite Auslegung. Die enge Variante lautet: „Mittel, mit dessen Hilfe jemand (andere täuschend) etwas zu erreichen sucht, was er auf normalem Wege nicht erreichen könnte“.[1] Die Klammer zeigt an, dass es sich dabei um eine Kann-Bestimmung handelt. Denn eine List kann Anwendung finden, ganz ohne, dass jemand getäuscht wird. So wurde niemand über die Absichten der Querdenker- und Corona-Proteste getäuscht und dennoch haben sie die Politik offensichtlich beeinflusst in der Strategie zur Pandemiebekämpfung.[2] Auch ist das Mittel „Provokation“ ein typisches Instrument aus dem Baukasten der Strategeme (ein anderes Wort für Listen), die sich vor allem durch eine offensive Verhaltensweise auszeichnet und eben dadurch zum gewünschten Ziel verhilft.[3]Die weite Auslegung des Begriffes lautet daher: „Mittel, mit dessen Hilfe jemand etwas zu erreichen sucht, was er auf normalem Wege nicht erreichen könnte“.
Anders ausgedrückt handelt es sich bei der List um ein bewusstes, mit Schläue eingesetztes außergewöhnliches Problemlösungsmittel. Eine List ist nichts anderes als ein raffiniert ausgeklügelter Plan, mit dem der Anwender versucht seine Ziele durchzusetzen.
Im westlichen Europa wird der Begriff vermieden und stattdessen finden Synonyme wie „Kniff“, „Kunstgriff“, „Schachzug“ oder gar „Pfiffigkeit“ oftmals Anwendung. Wenn sich ein Held einer List bedient, wird dies dann oft als „Trick“ verkauft. Denken wir nur an die Märchen der Gebrüder Grimm, in denen die Helden meist mit List die Bösewichte bekämpfen. Bis heute sind die Listen des homerischen Heros Odysseus legendär. Das „trojanische Pferd“ steht umgangssprachlich für eine verdeckte Strategie, die auf Täuschung beruht. Tatsächlich handelt es sich dabei um ein Verschleierungs- und Vortäuschungsstrategem.
Doch in Wirklichkeit erfuhr der Begriff in der älteren auch deutschen Vergangenheit eine nicht nur negative Konnotation. So verstand man laut dem „Etymologischen Wörterbuch des Deutschen“ um 800 n. Chr. darunter zwar eine „geschickte Täuschung“, aber auch „raffinierter ausgeklügelter Plan“ oder „Weisheit“, „Klugheit“, „Kunst“, „Lehre“, „Zauberkunst“ sowie „Schlauheit“. Aus dem Gotischen abgeleitet stand es auch für die „Erfahrung“ oder die „Kenntnis“. Auch Jesus ruft seinen zwölf Jüngern letztlich zu, dass sie „klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben“ sein sollen (Matthäus 10, 16). Heerführer wie Napoleon oder der „Wüstenfuchs“ Erwin Rommel werden in Westeuropa wegen ihres Listenreichtums als kluge Füchse gesehen, denn teuflische Täuscher. Die Europäer belügen sich selbst, wenn sie so tun, als wäre die List eine Sache, mit der sie nichts zu tun haben wollen. Sie gehört zum Leben wie die Luft zum Atmen.
Warum wir China nicht verstehen können?
Keine andere Entität hat sich derartig mit Listen bzw. der Strategemkunde befasst und diese kultiviert, wie die des Reiches der Mitte. Die Weisheiten eines Sun Zi bzw. Meister Sun („Zi“ bzw. „Tzu“ ist das chinesische Schriftzeichen für „Meister“) in seinem weltberühmten Traktat „Die Kunst des Krieges“[4] sind bereits mehr als 2.500 Jahre alt und haben ihren Weg bis in die Managementschulen des Westens gefunden. Etwa um 1500 n. Chr., während der Ming-Dynastie, wurden die 36 Strategeme in dem „Geheimbuch der Kriegskunst“ ausformuliert. Das ist der erste und uns bis heute einzig bekannte Versuch, die Fülle von Strategemen in ein Regelwerk zu gießen, das somit auch lehrbar und erlernbar gemacht wurde.
Unter dem Begriff „Strategem“ wird eine Kriegslist verstanden. Die 36 Strategeme, die zum Allgemeinwissen und Kulturgut Chinas gehören, sind also Typen, Arten von Listen, Kriegslisten. Sie dürfen nicht mit dem weitaus enger gefassten Begriff der „Strategie & Taktik“ verwechselt werden. Bei letzterem handelt es sich um ein Gesamtkonzept sowie die zu wählenden Einzelschritte und Mittel, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Das Strategem hingegen steht über der Strategie und der Taktik. Strategeme können sowohl strategisch als auch taktisch eingesetzt werden. Die Art, wie eine Strategie oder eine Taktik angewendet und ausgewählt wird, wird durch das Strategem bestimmt, welchem man sich in der jeweiligen Problemstellung bedienen will.
Diese Lehrart der Kriegslisten lernen Chinesen bereits an den Schulen in ihrer Jugend. Sie bekommen die Listenlehre mit Hilfe von Cartoons beigebracht. Es ist im Reich der Mitte üblich, politische Aktivitäten, Handlungen von Akteuren in Innen- und Außenpolitik aus Sicht der Strategem- d.h. Listenkunde zu beleuchten. Es ist eine Art „Volkssport“ herauszufinden, welches Strategem hinter welcher Nachricht in den Zeitungen, hinter einer Intrige in der Regierung oder dem militärischen Manöver in der Außenpolitik steckt. Gleichzeitig verleugnet man in Westeuropa die Existenz derartiger Lebensgesetze und zieht deshalb auch gegenüber dem chinesischen Drachen oftmals den Kürzeren. So waren viele Unternehmer, Politiker und Beobachter in den letzten Jahren erschrocken zu sehen, wie technologisch fortschrittlich dieser einst nach der maoistischen Kulturrevolution zur Werkbank der Weltwirtschaft degradierte „Standort“ doch geworden ist. Die „billigen“, jedoch leistungsfähigen und fleißigen chinesischen Arbeiter wurden in der westlichen Wirtschaft mit Kusshand empfangen. Verwundert mussten die Vorstände von großen Aktiengesellschaften feststellen, wie haargenau Fabriken dann im Reich der Mitte nachgebaut worden sind. Genauso hieß es noch vor gut einem Jahrzehnt, dass wer global agieren wolle, an dem chinesischen Markt nicht vorbeikäme. Westliche Konzerne unterwarfen sich naiv dem Diktat der KPCh und ließen die Volksrepublik in ihre innigsten Geschäftsgeheimnisse eintauchen. Während es in Europa als linkisch und gemein gilt, Ideen und Marken zu kopieren, wird dies in China nicht nur nicht rechtlich geahndet, sondern sogar gefördert. Chinesen sehen in der Beschwerde der Opfer von Listen nichts weiter als eine Unart des schlechten Verlierens. Dies führt dazu, dass Westeuropäer nicht nur im Wettbewerb das Nachsehen haben, sondern die Verhaltensweisen der Chinesen nicht begreifen. [5]
Das ist ein gravierendes Problem. Die Europäer berauben sich dabei selbst der Fähigkeit, Probleme, die nun mal da sind und auf normalem Wege nicht gelöst werden können, zu bewerkstelligen. Nebenbei gesagt handelt es sich dabei um eine der wesentlichsten Kinderkrankheiten der Rechten.
Keine Metapolitik ohne Strategemkunde
Dabei handelt es sich bei dem in den letzten Jahren unter Rechten inflationär gebrauchten Begriff „Metapolitik“ um die politische Umsetzung von Strategemen. Obwohl sich mittlerweile viele rechte Akteure und Gruppen dieses Terminus bedienen, haben sie keine oder nur rudimentäre Kenntnisse auf dem Gebiet der Strategemkunde. Metapolitik beschreibt im Allgemeinen das, was hinter oder zwischen der offensichtlichen Politik passiert. Wahlkämpfe, parlamentarische Auseinandersetzungen und Parteienkämpfe sind nur Symptome und Konsequenzen von im Hintergrund metapolitisch aufbereiteten Entwicklungen. Metapolitik ist letztlich die Lösung von Problemen bzw. Veränderung von Zuständen, die auf normalem politischen Wege nicht erreicht werden können. Was Antonio Gramsci[6] formulierte, ist nichts weiter als die pragmatische Forderung der Umsetzung von Strategemkunde – auch wenn selbiger sich dieser vielleicht gar nicht bewusst war.
So muss die Theoriebildung durch eine rechte Denkfabrik grundsätzlich auf zwei Strategemen fußen:
Nr. 7 „Aus dem Nichts etwas erzeugen“ und
Nr. 19 „Unter dem Kessel das Brennholz wegziehen“.
Ersteres ist ein Kreator-Strategem, wodurch eine neu konstruierte Idee zum Siege führt. Will man revolutionäre Veränderungen durchsetzen, so muss man verstehen, dass jede Aktion nur dann erfolgversprechend sein kann, wenn sie auf einer attraktiven Idee basiert. Die Massen folgen auf Dauer nur jenen, die konsequent und zielgerichtet ihre Ideen verfolgen. Deshalb scheitern die Gemäßigten auch immer wieder, wenn sie zu früh kommen. Ihre Ideen sind nicht radikal genug und werden nicht stringent verfolgt.
Bei Nr. 19 handelt es sich um die Folge aus Nr. 7. Denn wenn eine neue Idee entsteht und bei den Massen Anklang findet, wird den gegenwärtigen Eliten die Grundlage entzogen, weshalb hier von einem Wurzelbeseitigungs-Strategem gesprochen wird. Wie schon der französische Schriftsteller Victor Hugo formulierte, ist nichts so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist. Denn sie konkurriert mit den bestehenden Ideen und den sich daraus ergebenden Verhältnissen. Wenn dem Kessel das Brennholz entzogen wird, verliert dieser auf Dauer seine Funktion als Kochbehältnis. Eine neue Idee macht die alten Ideen also überflüssig, was sich ebenso auf die Eliten und die bestehenden Verhältnisse auswirkt.
Der Marsch durch die Institutionen der 68er-Bewegung ist dafür ein herausragendes Beispiel. Die Kritische Theorie und der „freudianische Marxismus“ der Frankfurter Schulen waren nichts weiter als die Bedienung von dem Strategem Nr. 7, wobei gem. Nr. 19 dem damaligen längst im Sterben sich befundenen konservativen Bürgertum das Brennholz unter dem Kessel weggezogen wurde. Obwohl sich die Frankfurter Soziologen u.a. auf Karl Marx bezogen, haben sie typische marxistische Begrifflichkeiten vermieden und gem. Nr. 14. sich „für die Rückkehr der Seele einen Leichnam“ ausgeliehen. Dieses Strategem wird im deutschen Sprachraum auch als „alter Wein in neuen Schläuchen“ bezeichnet. Nur so konnten sie in den damaligen antikommunistischen USA überleben.
Viele fragen sich, wie die 68er es geschafft haben, ihre Ideen nachhaltig bis in die Gesellschaft zu transportieren. Eine der wesentlichsten Gründe ist die Anwendung des Strategem Nr. 25 „Die Tragbalken stehlen und die Stützpfosten austauschen“. Hierbei handelt es sich um ein Auskernungs-Strategem. Die 68er haben die bestehenden Institutionen übernommen, ausgehöhlt und die Fassaden bis heute belassen. Sie haben also die Tragbalken und Stützpfosten ausgetauscht und es von außen so aussehen lassen, als gäbe es keine Änderung. Obwohl die Politik der CDU so linksliberal ist wie nie zuvor, hält sie mit dem „C“ und ihren Galionsfiguren wie Friedrich Merz bis heute an ihrer alten konservativ-bürgerlichen Fassade fest. Inhaltlich unterscheiden sich die Parteien nur noch wenig. Äußerlich hingegen legen sie großen Wert darauf, unterschieden zu werden.
Man könnte an dieser Stelle auch sagen, dass die „alten“ Parteien Opfer des Strategems Nr. 24 „Einen Weg für einen Angriff gegen Guo ausleihen“ wurden. Dieses Sprichwort ist auf Wang Yanliang zurückzuführen, der zur Song-Zeit die Taten von Xun Xi im 7. Jh. v. Chr. besang. Xun Xi ging zu dem habgierigen Fürsten von Yu und beschenkte diesen, wobei er gleichzeitig darum bat ihn durch das Reich von Yu marschieren zu lassen, um den Nachbarstaat Guo anzugreifen. Der Fürst willigte ein und der Feldzug konnte stattfinden, mit Erfolg von Xun Xi aus Jin, ohne das Yu dabei angegriffen wurde. Da Yu nun gute Erfahrungen damit machte und Xun Xi sowie seinem Herzog Xian vertraute, willigte dieser drei Jahre später wiederholt ein, ihn passieren zu lassen, damit Guo ein zweites Mal angegriffen werden konnte. Der Herzog Xian führte den Feldzug durch, schlug Guo und überfiel Yu auf dem Rückweg. Es handelte sich also um einen zweistufigen Plan Yu zu erobern. Erst köderten sie ihn mit einem Geschenk, baten ihn um einen Gefallen, bei dem er befürchten musste, selber Leidtragender zu werden, verschonten ihn jedoch bewusst, damit sich dieser in Vertrauen wusste, um beim zweiten Mal knallhart zuzuschlagen und Yu zu vernichten. Die „alten“ Parteien haben sich auch immer mehr gen links geöffnet und glaubten dabei von der grünen Welle zu profitieren. Genau das Gegenteil war der Fall. Von Linkspartei, über SPD bis zur CDU sind alle nur Opfer der Grünen geworden, die stetig aus diesem Trend stärker hervorgingen.
Letztlich war die „Unterwanderung“ der Institutionen, Hochschulen und Parteien durch die 68er-Bewegung die konsequente Umsetzung des Strategems Nr. 30. „Die Rollen des Gastes in die des Gastgebers umkehren“, was auch gerne als Kuckuck-Strategem bezeichnet wird.
Hütet Euch vor Troja und vor schönen Frauen!
Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt. Daher finden wir insbesondere dort einen gewaltigen Listenreichtum. Nach Clausewitz ist der Krieg „eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“. Demnach handelt es sich bei Politik auch nur um Krieg, der mit anderen Mitteln fortgeführt wird. Deshalb befinden wir uns ebenfalls im Krieg, der mit Soft- statt mit Hardpower durchgeführt wird. Es ist daher selbstverständlich, dass sich der Gegner entsprechender Listen bedient und der Opponent „schlau wie die Schlange“ sein muss, um zu gewinnen. Letztlich ist die Listenkunde also auch dafür wichtig, zu erkennen, wann Listen gegen einen angewandt werden.
Eine der wohl erfolgreichsten Listen, ist die des Strohmannes oder wie es in der Strategemkunde in Nr. 29 lautet „Einen Baum mit Blumen schmücken“. So finden wir immer wieder schön geschmückte Bäume, die in Wirklichkeit einen verdorbenen Kern besitzen. Auch Jesus hat uns vor den Verführern gewarnt, indem er sagte: „Hütet euch vor den falschen Propheten; sie kommen zu euch wie (harmlose) Schafe, in Wirklichkeit aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ (Matthäus, 7, 16). So werden auch immer wieder im rechten Lager Personen hofiert, die in Wirklichkeit inhaltlich nicht viel zu bieten haben. In den USA ist es Donald Trump, der genauso wie sein brasilianisches Pendant Jair Bolsonaro politisch kaum definiert werden kann. In Europa finden wir mit Marine Le Pen, Friedrich Merz, Matteo Salvini oder Geert Wilders einige solcher trojanischen Pferde. Putin repräsentiert die Bedienung dieses Strategems in Russland. Sie werfen gem. Nr. 17 „Einen Backstein (…), um einen Jadestein zu erlangen“, was bedeutet, dass sie mit vollkommen unbedeutenden Gaben einen großen Gewinn für sich erzielen. Dies wird auch als das Wurm-Fisch-Strategem bezeichnet. Die falschen Propheten werfen einen mickrigen Köder aus und fangen damit einen dicken Fisch. Die Forderung von Le Pen bspw. bezieht sich heute nur noch auf die De-Islamisierung Frankreichs, wobei der Zuzug von islamisch geprägten Ausländern nur ein Symptom darstellt. Doch islamkritische Töne erwirken bei der (auch rechten) Wählerschaft Hoffnungen, die letztlich nicht erfüllt werden. Wenn der Islam das alleinige Problem wäre, dann dürften christliche Kongolesen die demografischen Herausforderungen in Deutschland lösen können. Allerdings darf bezweifelt werden, dass dieser Vorschlag tatsächlich auf Gegenliebe bei den meisten Rechten stößt.
Auch Sex und schöne Frauen sind übliche Instrumente der Listenkunde. „Sex sells“ weiß jeder gute Marketer. Das heißt nicht, dass man nicht schöne Frauen für die Werbung der eigenen Ideen einsetzen soll. Es funktioniert ja schließlich. Aber der Leser sei davor gewarnt, sich durch die Fassade wie bei allen anderen Strategemen von den Inhalten ablenken zu lassen. Das Strategem der schönen Frau ist übrigens Nr. 31 im chinesischen Strategem-Katalog.
Machiavellis für Anfänger: Schlau wie ein Fuchs und stark wie ein Löwe
Doch die Anwendung von Listen soll nicht dazu führen, dass jene, die sie anwenden ihre Ideale vergessen oder gar aufgeben. Im Gegenteil soll dieser Text dem Revolutionär dienen, der verstehen muss, dass keine Revolution ohne die Anwendung von Listen erfolgreich sein kann. Goliath mag gegen David mit Schild und Schwert angetreten sein, während sich Letzterer einer List bediente. Doch letztlich war es David, der als Sieger aus dem Kampf hervorging und nicht Goliath. Seine Überheblichkeit hat ihm das Leben gekostet. Er schmiegte sich fälschlicherweise in Sicherheit, weil er den kleinen jüdischen Viehhirten nicht ernst nahm. Doch letztlich gewann der spätere König, weil er seinen Gegner ernsthaft bekämpfen wollte. Dafür griff er eben zu Methoden, die außergewöhnlich waren.
Machiavelli, der zu Unrecht oft als kalter Machtmensch dargestellt wird, empfahl in seiner weltberühmten Schrift „De principatibus“ (z. Dt. „Der Fürst“), dass sich der Herrscher zweier Gesichter bedienen solle, um sein Volk zu führen. Zunächst sei es wichtig, dass er schlau wie ein Fuchs agiere und auf einen großen Listenschatz zurückgreifen können muss. Doch um das Volk auf Dauer zu führen, muss er zugleich auch stark wie ein Löwe sein. Während also der Fuchs allgemein für Listenreichtum und Schläue steht, symbolisiert der Löwe das Wahrhaftige und Starke. Der erfolgreiche Fürst muss beide Gesichter in sich vereinen, denn auch wenn er schlau und listig ist, so folgen die Massen auf Dauer nur jenen, die wahrhaftig und echt sind. Herrscher, die immer nur ihre Untertanen für sich kämpfen lassen, ohne selbst von sich entsprechende Opfer abzuverlangen, haben keinen nachhaltigen Rückhalt im Volk. [7] Friedrich der Große war der „Erste Diener seines Staates“, Peter der Große schonte sich selbst nicht und baute eine goldene Stadt mitten in einem Sumpfgebiet. Napoleon mag auf Menschenleben nicht viel Wert gelegt haben, doch was er von seinen Gefolgsleuten verlangte, hatte er unzählige Male in der Schlacht vor ihnen geleistet. Die „falschen Propheten“ erkennen wir letztlich auch an ihren Früchten. Sie sind zwar listig wie Füchse, doch es fehlt an Taten, die nur ein echter Löwe zustande bringt.
Wer die Welt verändern, wer Macht ausüben will, muss auch die Größe besitzen, dieser Macht gerecht zu werden. Ein starker Löwe, der wie Goliath kämpfen kann, aber sich letztlich in Hybris verirrt, ist wie ein Herrscher, der seine Gefolgsleute im Stich lässt, weil ihm sein Stolz wichtiger ist. Gleichzeitig ist der Fuchs, der zwar die Strategemkunde beherrscht, aber damit nichts anzufangen weiß, nur ein Taschentrickser. Wer die Listen mit einem wahrhaftigen Willen und seinen Idealen zu verbinden weiß, hat auch das Zeug zum Siegen.
Dieser Artikel ist in unserem Heft AGORA EUROPA – Die Zukunft des Krieges erschienen.
[1]Duden. List. Verfügbar unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/List_Finte_Schlaeue (29.01.2023).
[2]So haben sich die Proteste auf nur wenige Persönlichkeiten wie Karl Lauterbach oder zuvor Jens Spahn fokussiert, obwohl kaum eine einzige Person für die Gesundheitspolitik verantwortlich gemacht werden kann – auch dann nicht, wenn es der Gesundheitsminister persönlich ist. Damit bediente man sich dem Strategem Nr. 11 „Den Pflaumbaum anstelle des Pfirsichbaums verdorren lassen“ (Sündenbock-Strategem) und Nr. 18 „Will man eine Räuberbande unschädlich machen, muss man deren Anführer fangen“ (Kopfstoß-Strategem).
[3]Typische Strategeme für die Provokation sind Nr. 13 „Auf das Gras schlagen, um die Schlangen aufzuscheuchen“ (Provokations- oder Erregungsstrategem) und Nr. 28 „Auf das Dach locken, um dann die Leiter wegzuziehen“ (Sackgassen- oder Kaltstellungs-Strategem).
[4] Der Verfasser ist im Besitz der deutschen Übersetzung des Werkes, welches von James Clavell über den Nikol Verlag herausgegeben wurde. 14. Auflage 2015.
[5]Exemplarische Berichte dazu sind u.a. zu finden in Welt (2015). „Dank deutscher Naivität schnappt China-Falle zu“. Verfügbar unter:https://www.welt.de/wirtschaft/article143307503/Dank-deutscher-Naivitaet-schnappt-China-Falle-zu.html (05.02.2023) oder Manager Magazin (2010, 86 ff.). „Mit List und Tücke“. Ausgabe 9/2010 oder Absatz Wirtschaft (2006). „China kopiert alles. Das frustriert“. Verfügbar unter: https://www.absatzwirtschaft.de/china-kopiert-alles-das-frustriert-188113/ (05.02.2023).
[6]Antonio Gramsci (1891-1937) war ein albanischstämmiger Marxist aus Süditalien, der sich nach seiner Verhaftung durch die Faschisten intensiv mit der Theorie der Hegemonie befasste und somit heute sowohl unter linken wie auch rechten Intellektuellen als Begründer der Metapolitik verstanden wird.
[7] Machiavelli verweist u.a. auf das Leben des Römischen Kaisers Septimius Severus, der Albinus in Frankreich Würde und Leben nahm. So schreibt er auf S. 79: „Wer diese Geschichte aufmerksam erwägt, wird den mutigsten Löwen und den schlauesten Fuchs erkennen: Man wird sehen, wie er von allen gefürchtet und geehrt wurde und beim Kriegsheer nicht verhasst war“. Es finden sich weitere Stellen in dem Werk, die auf diese tierischen Analogien abzielen. So schreibt er an anderer Stelle zusammenfassend: „Denn der Löwe ist nicht geschützt gegen die Schlingen und der Fuchs nicht gegen die Wölfe. Er muss also Fuchs sein, um die Schlingen zu kennen, und Löwe, um die Wölfe zu schrecken. Die sich nur auf die Löwennatur verstehen, sind nicht gut beraten.“.