Identitäre Bewegung auf Abwegen?

von | 16. Sep. 2018 | Debatte

Ende August plante die ungarische Filiale der Identitären Bewegung, ein Plakat auf dem Kelenberg in Budapest aufzuhängen. Auf dem Banner prangten vier Namen: Der von Stephan I. der Heilige sowie jene von Recep Erdogan, Vladimir Putin und Angela Merkel. Die Namen der drei letzteren Staatschefs waren durchgestrichen, während jener des legendären ungarischen Königs unberührt blieb. Die Botschaft: Merkel, Erdogan und Putin bedrohen die Souveränität des Landes – der Name Donald Trumps bzw. der USA, welche eine kulturelle wie militärische Hegemonie über Europa ausüben, fehlte offensichtlich.

Ungarn, Orbans „Polizeistaat“?

Die ungarische Polizei griff beherzt ein und verweigerte den Aktivisten das Aufhängen des Transparents. Die Reaktion von Seiten des Leiters der ungarischen IB Abel Bodi: „Ungarn ist ein Polizeistaat!“. Wer glaubt, dass alles ist frei erfunden, irrt – genau so hat es sich zugetragen. Was insbesondere an der der Aktion folgenden Videobotschaft falsch ist und warum sie symptomatisch für so vieles steht, was auch osteuropäische nationalistische Bewegungen falsch machen, bedarf einer näheren Betrachtung.

Eine patriotische Bewegung auf globalistischen Abwegen?

In der Videobotschaft führt Bodi die Polizeiintervention nicht nur auf nachlässigen Umgang mit der Kommunikationssicherheit zurück, sondern auch darauf, dass man die Regierung von der richtigen Seite kritisiere – nämlich von der Mitte. Die eigenwillige Kritik an der ungarischen Außenpolitik vergisst dabei viele fundamentale Tatsachen:

1. Dass Ungarn als souveräner Staat aufgrund seines kulturellen Erbes immer sowohl ein Teil Europas war, als auch besondere Beziehungen zur Türkei pflegte (Siehe Panturanismus[1]). Somit sind gute Beziehungen zur Türkei, solange sie nicht auf einen Kolonisationsprozess hinauslaufen (was im Falle Ungarns definitiv nicht der Fall ist), für Ungarn ein natürliches Interesse.

2. Russland setzt sich lediglich gegen die amerikanische Expansion zur Wehr (Ukraine, Georgien) und bekämpft in Syrien völkerrechtlich gedeckt den amerikanischen Imperialismus und seine nützlichen Idioten (Al Nusrah, „Rebellen“, IS). Die russische Außenpolitik schadet Europa nicht, sondern nützt ihm.

3. Das Deutschland Angela Merkels ist samt seiner suizidalen Einwanderungspolitik eine Konsequenz des Liberalismus als herrschende Ideologie. Diese wiederum wird in Europa nicht nur von der Europäischen Union, sondern auch von den USA und ihrer Besatzung in geistiger und (pop-)kultureller Form verkörpert. „Merkel muss weg!“ zu fordern, aber dabei den Liberalismus und die amerikanische Hegemonie in Europa zu vergessen, ist fahrlässig.

Viktor Orbans Außenpolitik gehört neben jener von Italien unter Salvini zu einer der konsequentesten im Sinne eines wahren Populismus: Angela Merkels „Refugees welcome!“-Politik wurde nach anfänglichen Zögern und Druck von Seiten Laszlo Toroczkais die kalte Schulter gezeigt. Zur Türkei unterhält der Staat aufgrund kultureller Verwandtschaft besondere Beziehungen, welche aber nicht seinen europäischen Charakter und sein christliches Erbe gefährden. In Bezug auf Russland verfolgt Ungarn eine Annäherung an Russland im Sinne eines gemeinsamen Kampfes gegen den westlichen Liberalismus. Der Ausverkauf der eigenen Unabhängigkeit sieht anders aus. Vielmehr trägt auch Ungarn seinen kleinen Teil zur Erschaffung einer multipolaren Welt bei, in der alle Zivilisationen der Welt vom Alpdruck der westlichen Hegemonie befreit werden und auch Europa wieder eine unabhängige Kraft sein wird. Vielleicht nicht „Weltmacht“ wie von Bodi gewünscht, aber unabhängig und mächtig um sich gegen die Globalisierung zu behaupten. Doch das geht nicht, solange man in alten Nationalismen verhaftet ist und auf jede Macht hin drischt, sei es Russland oder die Türkei, welche im Rahmen eines bodenständigen Großraumdenkens ein Interventionsverbot für raumfremde Mächte innerhalb der eigenen Zivilisation fordert.

Ungarn ist ein Polizeistaat, wir sind ein Teil der Mitte

Einen noch schrilleren und politisch absurderen Eindruck hinterlässt schließlich die Behauptung, Ungarn unter Viktor Orban sei ein Polizeistaat. Dass die ungarische Polizei bei der Aktion vor Ort war, wundert nicht, angesichts der sorglosen Kommunikation der Gruppe, wie Bodi selbst zugibt. Sie ist aber auch logisch und folgerichtig. Denn wenn eine Gruppe wie die ungarische IB sich in der Regime-Change-Rethorik der amerikanisch subventionierten „Odpor!“ übt und Orbans Ungarn einen Polizeistaat nennt/mit George Orwells „1984“ vergleicht sowie sich als Kritiker aus der „Mitte“ (ein Code für liberalistische Ansichten) ausgibt, dann schrillen zurecht bei jedem Staatschef, der die Souveränität seines Landes verteidigen will, die Alarmglocken. Noch dazu, wenn er zu zwei der Staatschefs (Putin und Erdogan) auf dem Banner gute Beziehungen verfolgt.

Vom Spartaner zum „Rainbow-Warrior“

All das, von der Fixierung auf die Theoretiker des „Regime Changes“ bis auf die stramm westliche Ausrichtung, ist Ausfluss eines Wechsels in der Strategie der IB. Immer mehr geht man vom Konzept der Bewegung ab, da man von Frankreich ausgehend gemerkt hat, dass man zur Massenmobilisierung nicht in der Lage ist und das Risiko bei Aktionen größeren Ausmaßes nicht kleiner wird. Stattdessen versucht man sich als NGO und lässt dabei den Aktivismus größtenteils sein. Platte Wohlfühlkampagnen, welche von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen werden, und reine Kulturveranstaltungen paaren sich mit einer „taktisch“ gedachten liberalen Rhetorik, die immer mehr zur Strategie wird. Am Ende wurde aus dem Typus des Spartaners, des Aktivistentypen, der versuchte der europäischen Jugend wieder eine Form zu geben, der „Rainbow-Warrior“ im Sinne des Greenpeace-Aktivisten. Durchamerikanisiert,  mit metrosexuellem Aussehen und vom Charakter her Hipster, der sich nur noch über amerikanische Schuhe und Kleidung definiert, spült man den Rest der ethno-kulturellen Identität Europas in sich mit einem Schluck „Thomas Henry“ hinunter und schaut dabei debil grinsend wie der Letzte Mensch Friedrich Nietzsches dem Untergang Europas entgegen.

Nicht Beliebigkeit, sondern alleine Weltanschauung verändert Europa

Anstatt Systemalternative im Kleinen zu sein, wird man zur abertausendsten jugendlichen Subkultur, welche sich im Konsumwahn der Moderne verliert. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass man sich von den eigenen Wurzeln in der Neuen Rechten Stück für Stück verabschiedet hat. Weltanschauung ist auf dem Weg zur totalen Beliebigkeit eines Populismus um seiner Selbst Willen in NGO-Form wohl nur ein Hindernis. Was bleibt, ist entweder stumpfe Islamkritik oder der hypermodernistische „Archeofuturismus“ Guillaume Fayes. Im schlimmsten Fall mischt man beides und landet im systemstabilisierenden Rechtsliberalismus. Mag dies von manchen als „Leisertreten“ befürwortet werden, im Endeffekt schützt es einen weder vor staatlicher Repression wie der österreichische Fall zeigt, noch motiviert es junge Menschen, sich so einer Bewegung anzuschließen bzw. ändert es etwas am liberalen Totalitarismus. Es bleibt zu hoffen, dass man diese Fehlentwicklungen erkennt und im Sinne des Andenkens an Dominique Venner bekämpft. Dazu müsste man wieder im Geiste von Alain de Benoist‘ „Kulturrevolution von rechts“ handeln und den Liberalismus in seiner Gesamtheit (gesellschaftlich und wirtschaftlich) kritisieren, in Worten und in Taten.


Anmerkung

[1] Die panturanistischen Bewegung fußt auf einer Ideologie, die davon ausgeht, dass die Turkvölker, die Mongolen, die mandschu-tungusischen sowie finnougrischen Völker – wozu auch die Ungaren zählen – einen gemeinsamen Ursprung besitzen. (Anm. d. Red.)