Ethnos und die Sprache der Pflanzen: Blick von rechts auf das Werk des Ethnobotanikers Wolf-Dieter Storl

von | 11. Aug. 2023 | Deutschland und die Welt, Philosophie & Theorie

Der Gastautor Marian Penko, erörtert in seinem Beitrag das Schaffenswerk Wolf-Dieter Storls, der neben seinen biologischen Themenschwerpunkten, auch in das Feld der Anthropologie vorstößt und seine Forschung von der Flora, auch auf die Wechselbeziehungen zum Menschen und seiner Kultur ausweitet.

 

In (neu-)heidnischen Kreisen zählt sein Buch „Die alte Göttin und ihre Pflanzen“ seit nunmehr 10 Jahren als Geheimtipp, der Allgemeinheit ist er hingegen besser bekannt als Autor der Standardwerke schlechthin zur Kräuterkunde, die zum Teil in 16. Auflage erschienen sind. Er dürfte der gegenwärtig führende Ethnobotaniker Deutschlands sein, selbst ist er eigentlich studierter Anthropologe, der in Ohio, Wyoming, Genf und auch in Wien als Universitätsdozent lehrte. Wer ist der sympathische ältere Waldschrat mit dem langen Bart, dem breiten Lächeln und der brummigen Stimme, und wie ist er weltanschaulich zu lesen?

 

Dr. Wolf-Dieter Storl dürfte dank Social Media nunmehr einer größeren – und auch jüngeren – Bevölkerungsschicht bekannt sein[1] (sein Instagram-Kanal zählt 130 Tsd. Abonnenten[2]), davor war er über Hobbygärtner- und Botaniker-Kreise hinaus bislang nur wenig bekannt. Seine Bücher zur Heil- und Waldkräuterkunde zählen zu den Standardwerken, die in mittlerweile mehrfacher Auflage vorliegen. Seine zurzeit jüngste Publikation ist die 12. Auflage eines Buches über Schamanismus, das auch von der Fachwelt lobend rezensiert wurde und wird.

 

Seine Vita dürfte jene überraschen, die ihn aus eher religiös-neuheidnischem Interesse kennen und lesen. 1942 in Sachsen geboren, wuchs er in den USA, im ländlichen Ohio, auf, wo er zur Schule ging und einen Bachelor sowie einen Master in Kulturanthropologie absolvierte – als Kind und Jugendlicher verbrachte er dabei viel Zeit in den Wäldern. 1970 wechselte er als Universitätsdozent nach Wien für ein postgraduales Studium in Völkerkunde; 1974 promovierte er interessanterweise dann in Bern, wo er neben Genf in Folge als Wissenschaftler beruflich tätig sein sollte, bis er für zwei Jahre an eine Universität in Indien gerufen wurde, wo er zu Shiva-Mythologie forschte[3]. Studienreisen führten ihn im Anschluss weiter in den ostasiatischen Raum und wieder in die USA zurück, wo er über Ethnobotanik und amerikanische Ureinwohner las. Bevor er 1988 mit seiner Familie schließlich auf den abgeschiedenen Einödhof im Allgäu zog, hielt er sich noch zu Studienzwecken für einige Zeit in Nepal auf.

 

Obgleich Storl fachlich wohl am ehesten unter Kräuterhexen oder Botanikstudenten rezipiert wird, sind seine Texte durchaus auch auf einer (meta-)politischen Ebene interessant. Sehen wir uns dazu jenes Büchlein an, das in neuheidnischen Kreisen zumindest einige Bekanntheit genießt: „Die alte Göttin und ihre Pflanzen“ von 2014 (auf die Jahreszahl zu sehen, empfiehlt sich übrigens bei Storl, da viele seiner Neuerscheinungen eigentlich Neuauflagen sind). Der Titel allein wirkt dabei recht unscheinbar, auch der Untertitel „Wie wir durch Märchen zu unserer Urspiritualität finden“ dürfte höchstens Märchenliebhaber oder esoterisch Interessierte dazu bewegen, das Buch zu lesen. In Wahrheit handelt es sich jedoch um einen seiner interessantesten Texte, wenn nicht sogar um den Schlüsseltext zu seinem Denken.

 

Das Buch eröffnet Storl mit einer Problematisierung des Matriarchatsdiskurses mittels einer Kulturkritik der industriellen Massengesellschaft. Storl argumentiert dabei, dass der moderne Matriarchatsbegriff über den Feminismus aufgrund der sinnentleerten Stellung der Hausfrau aufkam und in weiterer Folge auch durch den Marxismus rezipiert wurde. Mit einem technikkritischen Zugang verortet er die Ursprünge des Feminismus also nicht in der Ungleichstellung der Geschlechter, sondern in den Auswirkungen der Industrialisierung, die den Hausfrauen einen Halt gebenden Sinn nahm und dadurch eine Bedeutungslosigkeit evozierte. Diese Sinnkrise wurde durch Autoren wie Johann Bachofen und den Freimaurer Henry Morgan befeuert, die in den alten Stammesgesellschaften matriarchale Gemeinschaftsformen zu erkennen glaubten und diese als die „ursprüngliche“ Gesellschaftsform vermuteten.

Auf ihnen beruht die gängige Vorstellung vom historischen Matriarchat, doch Storl enttarnt witzigerweise diese Theorien als quasi „autosuggestiv“, da beide Autoren, und auch Marija Gimbutas, enorm durch ihre Mütter dominiert wurden. Es handelt sich somit eher um Projektionen als um ernstzunehmende historische Wahrheiten: „Die Große Göttin des Matriarchats ist eher eine moderne, ideologische Fantasie, eine kulturelle Konstruktion, die die gegenwärtige Geschlechterproblematik spiegelt“. Storl widmet sich daher der „wahren“ Großen Göttin hinter diesen Hypothesen und verortet diese in Vorstellungen des kollektiven Unbewussten, die in die Steinzeit (Paläolithikum) zurückzuführen wären.

 

Storls Zugang – seine Methodik gewissermaßen – ist zum Einen die Erklärung aus und über unsere Volksmärchen heraus – die für ihn „Urerinnerungen“ darstellen – und zum anderen über die Rolle bzw. den Konnotationen der Pflanzen in diesen als „schweigende Zeugen unserer kollektiven Stammeserfahrung“. Diese einzigartige kulturanthropologisch-ethnobotanische Zugangsweise ist in nahezu all seinen Büchern zu finden und, wenn man so will, eine Art roter Faden, der sich durch sein gesamtes Werk zieht. So rückt er die Rolle der Großen Göttin, der Urmutter, zurecht, indem er ausführt, dass in den paläolithischen Gesellschaften wie auch bei den späteren europäischen Waldvölkern (ebenfalls eine Art „Lieblingsbegriff“ Storls) die Große Göttin nie für sich alleine stand, sondern immer in Begleitung ihres Gefährten, in den meisten Fällen des Himmels- oder Donnergottes, oder in Gestalt eines Hirschs oder Bären. Hier wird – selten aber doch – Storl regelrecht politisch: „Die absurde Idee eines Geschlechterkampfes, das Auseinanderdividieren von Mann und Frau, ist eine neuzeitliche Erscheinung, gehört zur Konsumgesellschaft, die Menschen zu konkurrierenden, egozentrischen Monaden degradiert. Männer sind Väter und Frauen sind Mütter von Töchtern und Söhnen. Sie gehören zusammen.“

 

Ein anderes Kapitel lautet „Wer waren unsere Ahnen?“, worin er keine Sympathie für die Nationalismen des 19. Jahrhunderts bekundet, jedoch festhält, dass „ohne Zweifel“ die meisten Mitteleuropäer germanische Vorfahren hätten, wobei jeweils nach Westen das keltische Element zunehme und gegen Osten das Slawische usw. Was Storl jedoch wichtiger erscheint – und auch hier sehen wir den ethnobotanischen Zugang: „Maßgebend in der Prägung dieser Kulturen ist die natürliche Umwelt.“ Sein Referenzpunkt ist daher weder das Germanische noch das Keltische (das er übrigens im gegenwärtigen Diskurs für viel zu überbelichtet hält), sondern – da wir eben seit 4.000 Jahren einen kaum veränderten Genpool aufweisen – die „europäischen Waldvölker“; ein Begriff den er aus der amerikanischen Ethnologie entlehnt (vergleiche die indianischen „woodland cultures“). Die Edda sei jedenfalls für das Weltbild der alten mitteleuropäischen Waldvölker nicht repräsentativ.

 

Das ist für (neu-)rechte Zusammenhänge sicherlich unüblich, auch seine Kritik an der Edda, die für Storl keine authentische Quelle darstellt. Ein recht unüblicher Einwand ist beispielsweise, dass in neolithischen Zeiten Donar/Thor jedenfalls nicht der Sohn Wodans/Odins gewesen sei und letzterer auch kein Kriegsgott, sondern ein Schamanengott, und an seiner Stelle als Götterhäuptling ursprünglich Donar saß. Die Wanen seien als alt- bzw. ureuropäische Götter ferner auch die älteren Götter. Demnach könne man Freya als „indigene Urgöttin“ ansehen. Worauf Storl jedenfalls hinausmöchte, ist, dass Märchenmotive  (allen voran Frau Holle/Perchta) viel authentischer vom Weltbild der alten Waldvölker erzählen und die darin vorkommenden Pflanzen eine uralte Konnotation aufweisen. Die persönliche Beschäftigung mit der Pflanzenwelt und mit dem Wald ist also nach Storl der eigentlich direkteste Pfad zu den eigenen Ahnen und ihrem Weltbild. „Noch heute nähren die bunten, vielschichtigen Bilder, die der Wald unseren Ahnen schenkte, unsere Seelen und prägen unsere Symbolik, unsere Folklore, Sagen, Märchen, Lieder und Gedichte. […] Der Wald hat unsere innere Bilderwelt bis in die Sprache, bis in unser kollektives Unterbewusstsein geprägt.“

 

Diese Erkenntnis hat Wolf-Dieter Storl mit seiner letzten größeren Publikationen zu unterstreichen versucht; in „Wir sind Geschöpfe des Waldes“ von 2019 wandelt Storl ein wenig in den Fußstapfen Peter Wohllebens, gibt dem Thema aber einen anthropologisch-kulturhistorischen Impetus. Diesmal mit einem umfangreichen wissenschaftlichen Quellenverzeichnis ausgestattet, hebt er darin die Fragestellung seiner vorherigen Bücher auf ein höheres Niveau.

 

In diesem Buch versucht er in erster Linie all seine bisherigen Erkenntnisse an einem Ort zusammenzufassen und zum Teil ausführlicher zu behandeln, was andernorts zu kurz kam, wird nun aber auch in seinen kulturkritisch-politischen Aussagen deutlicher. Was ihn dazu bewegt hat, dieses Buch zu schreiben? „Bildschirme, sei es TV, PC oder iPhone, saugen unsere Seelen in Scheinwelten hinein. Dabei rückt die wahre Natur in die Ferne. […] Zunehmend verlieren wir nicht nur die Verbindung mit der Natur sondern auch mit den Mitmenschen und schließlich mit unserem Seelenkern.“

 

Überraschend deutlich wird Storl beim Thema der Klimapolitik: Im Namen von Klimaneutralität und Nachhaltigkeit fräse man Schneisen in uralte Wälder und betoniere sie mit Windrädern und Abertonnen von Beton zu. „Diese Bäume sind die Opfer einer lebensentfremdeten Geisteshaltung. Sie sind Opfer der von internationalen Konzernen gesteuerten Ideologie des Konsums, wo nicht nach wirklichem Bedarf gewirtschaftet wird, sondern ausschließlich zur Maximierung des Profits.“ Insbesondere seine Ausführungen zu den Eiszeiten dürfte Storl harsche Kritik vom Establishment eingebracht haben; unser Holozän sei wahrscheinlich eine weitere Zwischeneiszeit, in der letzten, der Eem-Warmzeit, hatte es zwei bis vier Grad höhere Durchschnittstemperaturen. Auch relativ plötzlich eintretende Erwärmungen von zwei bis drei Grad in nur wenigen Jahrzehnten hätte es bereits gegeben, so bspw. vor 12.000 Jahren. Man dürfe aber nicht außer Acht lassen, dass dies massive weltweite Flutkatastrophen zur Folge hatte.

 

Besonders interessant sind die Schlussworte des Buches, wo er versucht nachzuzeichnen, weshalb das Thema des Waldes für ihn eine solche Bedeutung besitzt: Als deutsches Kind in Amerika, das gerne im Wald und bei den Pflanzen gewesen sei, war ihm aufgefallen, dass die Amerikaner keine „Waldkultur“ kannten, keine Ausflüge in den Wald oder Waldlieder; sie teilen die Welt in Gut und Böse, in Zivilisation und Wildnis. Im Forstwirtschaftsstudium wurden ihm primär Abholzungstechniken gelehrt und nicht das Leben und Funktionieren des Waldes. In Deutschland sei dies hingegen anders: „Trotz aller Veränderungen ist die deutsche beziehungsweise mitteleuropäische Waldkultur nicht ausgestorben“.

 

 

[1]Seine professionell gestaltete Homepage ist für einen ersten Überblick sehr empfehlenswert: https://www.storl.de/

[2]https://www.instagram.com/wdstorl/

[3]Er hat dazu auch publiziert, siehe: Wolf-Dieter Storl: Shiva. The wild god of power and ecstasy; https://www.storl.de/shop/english-books/shiva-2/