Eine Anti-Utopie – hören wir auf von „Europa“ zu träumen!

von | 03. Feb. 2023 | Debatte, Deutschland und die Welt

Der Gastautor Uwe Lay, mit einem Beitrag zur Frage der Ost- oder Westorientierung Deutschlands, oder ob Deutschland sein Glück nicht gar allein in der Mitte Europas verfolgen solle.

Der dargelegte Standpunkt ist der des Gastautors und repräsentiert nicht zwangsläufig die Position der Redaktion.

 

Einst moderierte Hans-Joachim Kulenkampff die Sendung: „Einer wird gewinnen“, eine im Vergleich zum heutigen Fernsehprogramm erstaunlich niveauvolle Unterhaltungssendung, in der die Wahrheit der nach 1945 gegründeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) sich manifestierte: Nur wer wird der Gewinner sein? Zuvörderst standen bei dieser Neugeburt die westlichen Siegermächte Pate, die aber mit dieser Namensgebung, dass sich dieser Bund westeuropäischer Staaten „europäisch“ nannte, von Anfang an klarstellten, dass alle osteuropäischen Staaten, damals noch im Verbund mit der Sowjetunion existierend, in die EWG aufgenommen werden sollten: Ihr Platz ist in und nur in dieser EWG. Russland gehörte von Anfang an nicht zu den potentiellen aufzunehmenden Ländern.

 

Bis zum Ende des 2.Weltkrieges gehörte Russland ganz selbstverständlich zu Europa. In allen antirevolutionären Thronbündnissen europäischer Staaten galt gerade das zaristische Russland als Bollwerk gegen das französische Revolutionsvirus und war so den Monarchen Europas ein gerngesehener Verbündeter. Europa war hier nicht primär eine geographische Einheit, sondern eine kulturell-politische Einheit, bestehend aus Thron- und Altarbündnissen der Monarchien mit den jeweiligen Kirchen (Novalis erfasste vielleicht als Einziger die Idee Europas so tiefgründig wie in seiner Schrift: „Die Christenheit oder Europa“, als diese Idee sich schon auflöste). Erst der Kalte Krieg mit seiner EWG-Konzeption erschuf das heutige Europaverständnis, dass Russland nicht zu Europa gehöre, wohingegen die USA ob der Wertegemeinschaft des „Freien Westens“ dazugehörig seien. England garantiert dabei insbesondere, ob der ethnisch-kulturellen Zusammengehörigkeit, die Präsenz Amerikas in diesem Europakonstrukt.

 

Die Rolle Westdeutschlands in der EWG, später in die EU umgeformt, war dabei ambivalent: Einerseits sollte Deutschland durch die EWG und seine NATO-Zugehörigkeit klein gehalten werden und andererseits sollte es gegen den Osten stark gemacht werden als vorderster Frontstaat. Diese Ambivalenz ließ die Rede vom politisch schwachen, aber ökonomisch starken Westdeutschland entstehen. Die Stalinnote 1953 bot uns Deutschen eine Alternative an: Das zweigeteilte Deutschland könne sich wiedervereinen, und seine internen Angelegenheiten selbst regulieren, wenn es sich außenpolitisch für neutral erkläre. Stalin erhoffte sich so einen neutralen Puffer zwischen sich und den aggressiven Expansionsbestrebungen der NATO und der EWG und das wiedervereinte Deutschland als Unterstützer der notwendigen technologischen Modernisierung Russlands. Aber die BRD-Regierung lehnte diesen Vorschlag ab, da ihr die Westeinbindung wichtiger war als die nationale Einheit. So blieb es bei dem antirussischen Konfrontationskurs mit der Doppeloption der Einbindung aller osteuropäischen Länder in die EU und die NATO bei gleichzeitigem Ausschluss Russlands. Diese Konzeption erwies sich im Folgenden als sehr erfolgreich bis zur versuchten Integration der Ukraine als neuen Frontstaat der EU und der NATO gegen Russland.

 

Irritierend ist, dass diese Vorstellung eines Europakonstrukts scheinbar auch in dem geopolitischen Diskurs der „Rechten“ Erfolg gehabt hat, wo man dem Punkt beistimmt, dass Russland aus Europa auszuschließen sei und alle europäischen Länder in einem Konzept vereint werden sollten.

 

Seit der Reichsgründung durch Bismarck gilt Deutschland in den Augen Frankreichs und Englands als unberechtigter Mitkonkurrent um die Vorherrschaft in Europa. Denn Europa war immer ein umkämpfter Kontinent: Wer ist der Hegemon in Europa: Spanien, England oder Frankreich, nur Deutschland galt als „Parvenü Nation“, gegen die dann zwei Weltkriege geführt wurden, um klar zu stellen, wer hier nichts zu sagen habe. Erst im „Kalten Krieg“ mussten die westlichen Siegermächte Deutschlands neue Stärke akzeptieren, damit es der Frontstaatrolle gerecht werden konnte.

 

Dieses „Europa“ ist seit 1945 nie etwas anderes gewesen, als ein unter der Hegemonialmacht der USA gestiftetes Bündnis westeuropäischer Staaten, mit der Absicht, Osteuropa in den Westen zu integrieren und dabei letztendlich Deutschland klein zu halten und Russland rauszuhalten. Der gemeinsame Feind überwand so die Interessengegensätze der westeuropäischen Staaten untereinander, aber seitdem das „sozialistische Lager“ des Ostens aufgelöst ist, verlor dieses Europa damit auch den sie zusammenschweißenden äußeren Feind.

 

Das ist die Geburtsstunde der sich revitalisierenden nationalen Interessengegensätze der westeuropäischen Staaten untereinander. Gäbe es jetzt nicht den neuen, aber doch so alten Feind: Russland. Da Deutschland auch in wiedervereinter Form nicht mehr als Frontstaat gegenüber dem Osten gebraucht wird, wird jetzt die antideutsche Ausrichtung der EU forciert: Keine Boykottkampagne der EU, die nicht in erster Linie unsere Exportnation schädigt, es sei an den Wirtschaftskrieg gegen Russland und an die sich anbahnenden gegen China und den Iran erinnert. Es ist auch kein Zufall, dass die Migrationsströme zum Schaden Deutschlands zu uns durch die EU gelenkt werden. Die Feindschaft gegen Deutschland revitalisiert sich, seitdem der Feind Sowjetunion besiegt ist, auch wenn des Zusammenhaltes der EU wegen, der neue Feind Putin beschworen wird (Wie erfolgreich dieses neue Feindbild ist, demonstriert, dass das einstige Zentralorgan der Friedensbewegung, die TAZ zum Aufrüsten gegen Putin aufrief, bereits lange vor dem Krimkrieg!).

 

Sollen nun Deutsche sich dieses Europaprojekt zu Eigen machen, um dann noch Optimierungsvorschläge einzureichen? Ist dieses Europa nicht von seinen Grundlagen her ein antideutsches Konzept mit dem Willen, ganz Europa zu verwestlichen, das heißt der angloamerikanischen Kultur zu unterwerfen?

 

Kulturell gehört Deutschland weder zu Westeuropa noch zu Osteuropa; am tiefgründigsten fundiert dies Thomas Mann in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“. Sein Appell lautet, dass wir Deutschen Deutsche zu sein haben wollen und darin unser eigenes Volksleben haben werden und uns nicht verwestlichen lassen sollen. Es soll so kritisch angefragt werden: Manifestiert sich in dem geopolitischen Diskurs der Rechten nicht die Furcht vor dem Wagnis einer neuen nationalen Selbstständigkeit, nachdem auf den 1871 gewagten Versuch zwei Weltkriege die europäische Antwort waren? 1953 haben wir mit dem „Nein“ zur Stalinofferte, „Ja“ zur deutschen Unselbstständigkeit gesagt – warum dieses „Nein“ jetzt in einem neuen Europatraum wiederholen, der leicht zu einem neuen Albtraum für uns werden kann? Ein starkes, auf sich selbst vertrauendes Deutschland, das sich sorgfältig durch bilaterale Verträge Partner sucht, wäre eine gute Alternative für Deutschland!