Der Zionismus – die jüdische Antwort auf die Juden-Frage

von | 01. Sep. 2017 | Philosophie & Theorie

Kaum eine Ideologie erhitzte in Vergangenheit und Gegenwart so stark die Gemüter und gab Anlass zu verschwörungstheoretischen Spekulationen wie der Zionismus. Das besondere an dieser Weltsicht ist ihr rein jüdischer Ursprung, d.h. im Gegensatz zu anderen Ideologien, Weltanschauungen und religiösen Politikkonzepten gibt es keine universelle Erscheinungsform. Denn mit Zionismus ist ganz allgemein und ursprünglich das Streben nach einem jüdischen Staat, „Eretz Israel“ (= Gelobtes Land Israel), als Lösung der Juden-Frage gemeint.[1] Antijudaistische Kreise sehen im Zionismus dagegen nur eine Waffe des jüdischen Weltherrschaftsstrebens („Zionist Occupied Gouvernment“), antiislamische dagegen einen starken Verbündeten. Vier Missverständnisse tauchen dabei immer wieder auf:

  • Alle Juden sind Zionisten
  • Der Zionismus ist ein homogener Block
  • Der Zionismus ist heute eine rein jüdische Angelegenheit
  • Der Zionismus hat sein Ziel erreicht.

Der folgende Beitrag soll daher die Fehleinschätzungen klarstellen und ein differenziertes Porträt zionistischer Vielfalt darstellen.

Wie jede neue Idee musste auch der Zionismus durch das Stadium der Einsamkeit und Lächerlichkeit gehen. Gepflegt und heftig diskutiert wurde er Anfang des 20. Jh. im Wiener Kaffeehaus „Landtmann“, in dem gestandene religiöse Juden gegen respektlose jugendliche Zionisten stritten. Das geflügelte Wort „Al tdaber zionut!“ (=Rede keinen Zionismus /Unsinn!) kam in Mode. Die Alten witzelten: „Wer ist ein Zionist? Antwort: Ein Jude, der mit dem Geld eines zweiten Juden einen dritten nach Palästina schickt.“

Der Begriff Zionismus war klug gewählt, drückt er doch die verbreitete Sehnsucht nach Zion, der biblischen Heimstatt der Juden, aus.[2] Seit König David und dem Bau des ersten Tempels in Jerusalem wurde der Zionshügel zum Synonym für den Wohnsitz Jehovas.[3] Nach der Zerstörung des letzten jüdischen Tempels 70 n. Chr. durch die römische Besatzungsmacht zerstreuten sich die Israeliten, ihres Zentralheiligtums beraubt, zunächst entlang des römischen Mittelmeeres und dann immer weiter nach Vorderasien, Europa und Nordafrika. Vor dem erwarteten Erscheinen des jüdischen Messias, der alle Juden sammeln und ins „Gelobte Land“ zurückführt, werden sich feindliche Nationen gegen Zion verbünden, um das „Jüngste Gericht“ einzuleiten.[4] Die Sehnsucht nach Jerusalem und dem jüdischen Land der Bibel /Thora wird durch den Bund Gottes (Jehovas) mit dem semitischen Stammvater Abraham, dessen Sohn Isaak und später Moses legitimiert: „Meine Zusage gilt dir und deinen Nachkommen in jeder Generation; sie ist unumstößlich für alle Zeiten: Ich bin euer Gott und gebe euch das ganze Land Kanaan [etwa das heutige Israel, D.S.]. . . Für immer soll es deinen Nachkommen gehören; denn ich bin ihr Gott.“ (1. Moses 17,7-8).

Die jüdische Religion unterscheidet sich von den anderen monotheistischen in einem wesentlichen Punkt: Im Zentrum steht die Erfüllung der „Mizwot“ (= Gebot, Weisungen), welche Moses am Sinai von Gott erhielt und in der „Halacha“ systematisiert wurden. Der Talmud wiederum fungiert als eine Art Gebrauchsanweisung für deren alltägliche Handhabung. Der Glaube selbst stellt eine Art theologischen Überbau über die Praxis der „Mizwot“ dar – im Christentum wie Islam ist es genau umgekehrt, dort leiten sich die Gebote /Verbote aus der Lehre ab. Für die alltagsreligiöse Praxis ist entscheidend, dass jeder einzelne auch für das Befolgen der “Halacha“ durch andere verantwortlich ist. Die jüdisch-religiösen Hauptströmungen unterscheiden sich in ihrer Stellung zur Gültigkeit der „Halacha“ und deren zeitgemäßer Deutung. Das ebenfalls heterogene „Orthodoxe Judentum“ lehnt jede Veränderlichkeit ab, während das liberale „Progressive“ bzw. „Reformjudentum“ starke Zugeständnisse an den Zeitgeist macht und die Religion eher ethisch und sozial auffasst. Dazwischen steht – wieder in verschiedene Grade aufgeteilt –, das „Konservative Judentum“, das an der „Halacha“ grundsätzlich festhält, jedoch einige Neuerungen zulässt.

Wer ist Jude?

Sind Juden eine Ethnie, Rasse, Kultur- oder Religionsgemeinschaft? Diese Frage bleibt auch unter Juden höchst umstritten, was sich an unterschiedlichen Entstehungstheorien zeigt: so blüht bis heute etwa ein innerjüdischer Forschungszweig auf der Suche nach einer jüdischen Ethnogenese[5]. Eine Antwort schien deshalb so schwierig, weil das Judentum bis zur zionistischen Massenbewegung der 1920er eine versprengte Religionsgemeinschaft ohne gemeinsames Territorium und Sprache war. Zusammengehalten wurden die Juden durch soziale und wirtschaftliche Verflechtungen ihrer herausragenden Exponenten aus Theologie, Wirtschaft, Politik und Kunst, dem Ghettocharakter religiöser Exklusivität und natürlich der vielgestaltigen Judenfeindschaft aller Jahrhunderte. Durchgesetzt hat sich weitgehend der ethno-religiöse Charakter, wonach Juden in erster Linie eine Ethnie darstellen, die aus mehreren Subethnien („Edot“) besteht – und weit weniger eine Religionsgemeinschaft.[6] Vielmehr garantiert das jüdische Auserwähltheitsdenken[7] den ethnischen Bestand und machte vor Assimilationsdruck immun. „Israel ist ein Volk wie kein anderes, denn es ist das einzige Volk in der Welt, das von seinem Anbeginn zugleich Nation und Glaubensgemeinschaft ist.“[8] Nach dem Talmud ist Jude, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde. Die Konvertierung zum Judentum bleibt die Ausnahme. Es ist auch die Frage, zu welcher religiösen Richtung: progressiv, konservativ oder orthodox? Israelischer Staatsbürger kann nur der Konvertit werden, der von der Religionsbehörde orthodoxen Bekenntnisses anerkannt wird.[9] Über nahezu zwei Jahrtausende war die jüdische Diaspora einem starken Verfolgungsdruck ausgesetzt, der sich örtlich und zeitlich verstärkte oder abschwächte. Dieser psychische Belagerungszustand führte zu einer einzigartigen Selektion, da sich vorsichtigere Charaktere von der jüdischen Gemeinschaft durch Mischehe oder Glaubenswechsel absetzten.

Wie nahezu alle Völker besteht das jüdische aus mehreren Rassen und bildet keine eigene wie dies von den Nationalsozialisten behauptet wurde.[10] Die wichtigsten Subethnien sind die Aschkenasim, Sephardim, Mizrahim und einige kleine isolierte Gemeinschaften.

Die ursprünglich in Mittel- und Westeuropa lebenden Aschkenasim[11] wanderten nach Osteuropa und Russland ein, wo sie mit der jiddischen Sprache und eigenem Brauchtum eine neue Tradition begründeten.[12] Das nordamerikanische, australische und südafrikanische Judentum rekrutiert sich aus dieser Gruppe. Die Sephardim dagegen stammten von der iberischen Halbinsel und flohen vor der spanischen Reconquista nach Nordafrika und Levante. Sie flüchteten im Zuge der Arabisch-Israelischen Kriege nach Israel und Südamerika.[13] Die Mizrahim siedelten im Nahen Osten und Zentralasien. Bis auf einige größere Gemeinden im Iran sind sie nach Israel oder Südamerika ausgewandert. Die lateinamerikanischen assimilierten „Türkischstämmigen“ der Osmanen-Zeit sind meist Nachkommen von Mizrahim. Mizrahim und Sephardim werden heute aufgrund ihres Wesens ähnlichen Brauchtums kaum noch unterschieden. Vor ihrer Einwanderung nach Israel waren beide trotz nachbarschaftlicher Nähe getrennt, deren soziale Unterschichtung unter aschkenasischer Dominanz schweißte sie jedoch zusammen. Als Kompromiss bezeichnet Mizrahim die landsmannschaftliche Dimension und Sephardim die theologische. Eine wesentlich kleinere Gruppe stellen die jemenitischen Juden (auch Teimanim) dar, diese und ihre äthiopischen Verwandten (Falascha) sind inzwischen vollständig nach Israel eingewandert. Außerdem existieren so genannte Bergjuden im Kaukasus, die stark georgisch, dagestanisch oder armenisch geprägt sind. Ihre Verbindung zu Israel und jüdischer Diaspora ist mäßig. Die Diasporajuden gehören heute fast ausschließlich den Aschkenasim an.

Die israelische Gesellschaft ist zwischen Aschkenasim und Mizrahim/Sephardim stark polarisiert. Beide Gruppen unterscheiden sich sozioökonomisch, kulturell, sprachlich und politisch. Aschkenasim sind eher mittelständisch, gemäßigt religiös oder säkular und linkszionistisch; Mizrahim/Sephardim gehören meist der Unterschicht an, sind häufig rechtszionistisch und orthodox. Die Juden Russlands gehören zu den Aschkenasim, können aber als eine weitere starke Gruppe betrachtet werden, da sie sich kulturell unterscheiden, fast ausschließlich russisch sprechen und rechtszionistisch-säkular orientiert sind. Die auch räumlich getrennten Gemeinschaften von Aschkenasim, Russischsprachigen und Mizrahim/Sephardim sind stabil, erst seit ca. 20 Jahren verstärkt sich der kulturelle und soziale Austausch (z.B. durch zunehmende Mischehen).

Der Name „Juden“ stammt vom biblischen „Königreich Juda“ („Judäa“), das sich wiederum auf den Stamm des Juda beruft. Nach dem Babylonischen Exil verbreitete sich die Namensgebung „Judäer“ und dann „Juden“, bis sie zur Selbstbezeichnung wurde. Gleiche Bedeutung besitzen die Namen „Israeliten“ und „Hebräer“ (nach der semitischen Sprache Hebräisch). Israeliten bezeichnen also alle Juden, während Israeli nur die Staatsbürger Israels meinen. Eine ethnische Unterscheidung zwischen israelischen Staatsbürgern und der jüdischen Diaspora als Kultur- und Religionsgemeinschaft ist unsinnig, ethnisch sind sie nicht zu trennen, der Austausch bleibt sehr stark.

Der Zionismus betritt die Weltbühne

Erste Forderungen, das häufig freiwillige Ghetto in aller Welt aufzubrechen, kamen während der „Haskala“ (jüdische Form der Aufklärung und Säkularisation) auf. Ihr prominentester Vertreter war  Moses Mendelssohn (1729-1784). Im Zuge dieser Modernisierungsphase und des europäischen Völkerfrühlings des 19. Jahrhunderts entwickelten jüdische Gelehrte das als reine Sakralsprache dienende Althebräisch zu einer modernen Sprache (Neuhebräisch). Der zionistische Gedanke, eine eigene jüdische Heimstatt zu begründen, erhielt durch das Phänomen „Antisemitismus“ erst den entscheidenden Impuls: Antisemitismus[14] ersetzte den bis dahin verbreiteten religiösen und wirtschaftlichen Antijudaismus.[15] Die sich immer mehr verstärkenden antijüdischen Pogrome im Russischen Zarenreich und die Dreyfus-Affäre in der angeblichen progressiven Kulturnation Frankreich 1894/95 zeugten vom neuen Trend: Juden wurden nicht mehr aufgrund bestimmter Taten verurteilt, von denen sie sich befreien konnten (z.B. durch christliche Taufe), sondern aufgrund ihres unabänderlichen (genetischen) Wesens. Als Lösung bot sich daher die Schaffung einer eigenen sicheren Heimstatt außerhalb Europas an: der Zionismus war geboren. Bereits der Sozialist Moses Hess (1812-1875) vertrat einen aufgeklärten Nationalismus à la Mazzini und wandte sich gegen die Judenassimilation. Gegen Ende seines Lebens forderte auch Hess die jüdische Nation in Palästina.[16]

Unterschieden werden muss bis zur Gründung Israels 1948 zwischen Praktischem (auch Konstruktivistischem) und Politischem Zionismus. Ersterer forcierte die jüdische Masseneinwanderung nach Palästina und die Schaffung einer eigenen wirtschaftlich möglichst autarken Infrastruktur, um die osmanischen – später britischen Landesherren -, vor vollendete Tatsachen zu stellen und so einen international anerkannten Staat zu erzwingen. Dieser Praxis sah sich auch der Arzt und Journalist aus Odessa Leon Pinsker (1821-1891) verpflichtet, indem er ab 1880 die aschkenasisch-osteuropäische Sammlungsbewegung „Chibbat Zion“ (=Zionsliebende) massiv unterstützte.[17] Die erste jüdische Gemeinschaftssiedlung „Rischon-le-Zion“ (=Erste in Zion) in Palästina war errichtet. Dieser Konstruktivistische Zionismus ohne politische Konzeption war multikulturell orientiert, d.h. die arabische Stammbevölkerung sollte nicht als Konkurrenz, sondern als Partner und Schicksalsgenossen behandelt werden. Die Multikulturalität wurde jedoch nach dem Ersten Weltkrieg 1918 abgeworfen, nachdem arabische Nationalisten die ersten jüdischen Siedlungen angriffen.[18] Der Praktische Zionismus hatte aber einen noch viel mächtigeren Gegner, nämlich den Umstand, dass überproportional viele zionistische (aschkenasische) Juden Akademiker und Händler waren – Bauern, Militärs und Handwerker dagegen fehlten.

Theodor Herzl und der Politische Zionismus

Von weit größerer Bedeutung sollte der Politische Zionismus um Theodor Herzl (1860-1904) werden. Dieser verlangte sofort nach einem eigenen Staatswesen mit Währungshoheit, Armee und eigener Außenpolitik[19] – und zwar bevor die jüdische Masseneinwanderung abgeschlossen war. Im Gegensatz zu den Praktischen/Konstruktivistischen Zionisten legte sich der Wiener Journalist Herzl nicht auf Palästina als Judenstaat fest, sondern favorisierte zeitweise auch Britisch Uganda und Teile des dünn besiedelten Argentiniens. Wie kein anderer zionistischer Vordenker sah er für die jüdische Diaspora in Europa keine Zukunft, so dass nur ein eigener Staat als Lösung übrig blieb. Eine dritte Position jenseits von Nationalstaat oder Ghetto sei nicht möglich.[20] Herzls Positionen stießen innerhalb der jüdischen Diaspora auf noch größeren Widerstand als die Praktischen Zionisten. Die Juden Westeuropas, Australiens und Nordamerika sahen sich in ihren Assimilierungsbestrebungen behindert, weil Herzls Zionismus stark nationalistisch und völkisch ausgerichtet war – das bestätigte gerade notorische Antisemiten[21].

Orthodoxe und konservative Gläubige andererseits bemängelten das Fehlen jeglicher religiöser Aussagen und den säkularen Charakter des Judenstaates.

Bis etwa 1930 dominierten die „Allgemeinen Zionisten“ oder auch „Kongresszionisten“ (nach ihrer parlamentarischen Organisationsform), die sich durch politische Neutralität auszeichneten. Meist gehörten sie der antisozialistischen, liberalen oder gemäßigt konservativen säkularen Mittelschicht an. Die Schaffung einer jüdischen Heimstatt erhofften sie mit diplomatischen Mitteln und setzten auf die Ausstrahlungskraft der Zionisten-Kongresse. Einflussreiche Sympathisanten dieser einst stärksten Strömung aus Politik, Medien, Wirtschaft und Kultur versuchten die jeweiligen Regierungen ihrer derzeitigen Heimatländer für die zionistische Sache zu gewinnen, um die jüdische Nationswerdung zur internationalen Angelegenheit zu erheben. Ihr Erfolg war mehr als bescheiden: Außer unverbindlichen Grußbotschaften und Verständniserklärungen war nichts zu erwarten.[22]

Ab 1905 bildete der Politische Zionismus einen immer stärker werdenden militanten linken Flügel (Sozialistischer Zionismus) aus – und als Reaktion darauf einen militanten rechten Flügel (Revisionistischer Zionismus). Spätestens nach der Gründung Israels 1948 – ihrem Hauptziel – wurden die Allgemeinen Zionisten zwischen den beiden Flügeln zerrieben und schlossen sich in ihrer Mehrheit den Revisionisten an.

Kulturzionismus

Im Gegensatz zu Praktischem und Politischem Zionismus setzte der Kulturelle bereits in der jüdischen Diaspora ein. Noch bevor die konzentrierte Masseneinwanderung nach „Zion“ einsetzen sollte, müsse die Diaspora ein jüdisches Nationalbewusstsein entwickeln und einheitliche Kultur (v.a. Musik und Literatur) ausbilden, dem Erlernen des Neuhebräischen kam dabei eine Schlüsselrolle zu, spielt eine verbindliche Staatssprache doch eine herausragende Rolle zur Nationenwerdung. Besonders Ascher Ginsberg (Achad Ha`am) (1856-1927) setzte sich für eine grundlegende jüdische Kulturreform ein, die die angeblich rückständige Ghetto-Kultur an die Moderne anpassen sollte. Der Philosoph Martin Buber (1878-1965) unterstützte diesen Kurs.

Ein Großteil der jüdischen Diaspora kann heute als kulturzionistisch betrachtet werden, durch die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs festigte sich ein jüdisches Volksbewusstsein, das sich nicht zuletzt an der Fokussierung auf Israel zeigt. Man solidarisiert sich, leidet und feiert mit dem heutigen Judenstaat.

Die israelische Friedensbewegung „Peace Now“ gehört gleichfalls dazu. Sie strebt ein binationales Israel an, in dem Palästinenser gleichberechtigt leben dürfen. Der Zionismus von „Peace Now“ beschränkt sich nur auf die jüdische Zivilgesellschaft, nicht aber auf staatliche Institutionen und Symbole.

Sozialistischer (Linker) Zionismus

Ab 1910 erstarkte der sozialistische Flügel im Politischen Zionismus mehr und mehr.[23] Dieser linke Flügel zeichnete sich durch einen besonderen Aktivismus aus, der sich vom zentristisch-neutralen „Kongress-Zionismus“ deutlich abhob: Statt diplomatischer Verhandlungen und ergebnisloser Diskussionen, gründeten sozialistische Pioniere größere autarke Gemeinschaftssiedlungen (Kibbuzim und Moschavim). Darin glichen sie den Konstruktivistischen Zionisten, erhoben aber darüber hinaus eindeutig politische Forderungen: landwirtschaftliches Gemeineigentum, eine staatliche gesteuerte Industrialisierung und nur kleine Unternehmen in Privathand. Der anfängliche Multikulturalismus, der auch Araber als gleichgestellte Staatsbürger einschloss, wurde jedoch von einem jüdischen Staatsnationalismus mit hebräischer Sprachpolitik verdrängt. Völkische Gedanken sind hierbei keine Seltenheit. Die jüdische Religion spielte zur Identitätsbildung allerdings keine Rolle, im Gegenteil: Religion wird als fortschritthemmend und ghettoerhaltend angesehen.

Die heutige Einteilung israelischer Politiker in radikale „Falken“ und gemäßigte „Tauben“ kann nicht auf Sozialistischen (Linken) und Revisionistischen (Rechten) Zionismus angewandt werden. Großisraelische kompromisslose „Falken“ finden sich auch unter Sozialisten.[24] Der sozialistische Gedanke war undogmatisch und integrierte ein breites Spektrum: Von anarchistischen Vertretern für Arbeiter-Selbstverwaltung über Marxisten[25] für  totale Sozialisierung bis hin zu gemäßigt sozialdemokratischen Spielarten. Mit orthodoxem Marxismus hatte der Linkszionismus allerdings nichts zu tun, er war eher antimarxistisch, weil nach Marx „der Arbeiter kein Vaterland hat“ und der „Proletarische Internationalismus“ dessen Platz einnahm.[26] Der Klassenkampf-Gedanke war nur unter Radikalen vorhanden, ansonsten dominierten wohlfahrtsstaatliche Forderungen des Klassenausgleichs. Typisch „linke“ Positionen zeig(t)en sich auch in feministischen und basisdemokratischen Zielen.

Die inzwischen aufgelöste ursprüngliche „Kommunistische Partei Israels“ gehörte ebenfalls ins linkszionistische Lager, da sie sinnigerweise stark antiarabisch und nationalistisch geprägt war. Das führte zur Abspaltung der moskauhörigen „Neuen Kommunistischen Liste“, die außerhalb der zionistischen Weltanschauung steht. Bis in die 1970er dominierte das linkszionistische Lager die israelische Parteienlandschaft bis sie vom Rechtszionismus abgelöst wurde.

Revisionistischer (Rechter) Zionismus

Durch den Vormarsch des linkszionistischen Flügels organisierte sich der rechte Revisionistische Zionismus ab 1930 um Wladimir Jabotinski (1880-1940) und den späteren israelischen Ministerpräsidenten Menachim Begin (1913-1992).[27] Die Revisionisten wandten sich gegen sozialistische Wirtschaftsmodelle und setzten auf wirtschaftsliberale. Ideologisch vereint diese zionistische Spielart ein breites Spektrum aus liberalen, konservativen und sogar faschistischen Positionen. In jüdisch-religiösen Fragen dominiert der Laizismus, doch würdigte man den Identität stiftenden Charakter der einzigartigen nicht universellen Religion. Der gemäßigte liberale Flügel setzte sich für einen Dominion-Status (wie Kanada) innerhalb des British Empire ein, der radikale für eine souveräne Republik, während eine kleine monarchistische Strömung ein nominelles Königreich ohne König („Malkhut Yisrael“) verlangte.[28]

Mitte der 1930er erstarkten ein religiöser und ein faschistischer Flügel, die sich von den Revisionisten schließlich abspalteten. Das Hauptziel „Eretz Israel“ sollte ursprünglich neben dem heutigen Israel auch die Sinai-Halbinsel und Jordanien einschließen. Diese großisraelische Forderung wird heute offiziell nur noch von radikalen Strömungen erhoben, sind aber immer noch unter etablierten konservativen Persönlichkeiten zu finden. Gerade Jordanien wurde erst in den 1970ern als legitimer Staat (freilich ohne Westbank) anerkannt. Heute stehen die Rechtszionisten mit ihren wichtigsten Parteien „Likud“[29] und „Kadima“[30] einem Zwei-Staaten-Modell, das einen mehr oder weniger souveränen palästinensischen Staat beinhaltet, eher skeptisch gegenüber. Man argumentiert, es gibt gar keine palästinensische Nation, stattdessen sind Palästinenser Araber und könnten demnach ohne größere Schwierigkeiten in arabische Nachbarländer auswandern.[31] In der Siedlungsfrage vertreten sie folgerichtig einen kompromisslosen Kurs und wenden sich gegen jeden Siedlungsrückbau in Westjordanland und Gaza.

Revolutionärer (Faschistischer) Zionismus

Diese Strömung entstand Anfang der 1930er innerhalb der Revisionisten[32] und wurde gegen Ende der Dekade zur stärksten Fraktion, bis sie sich 1939 – stark abgeschwächt -, als eigenständige Strömung abspaltete. Ihr Wachstum wurde durch die antijüdischen Massaker arabischer Nationalisten 1929 bis 1936 und der britischen Ignoranz, diese zu verhindern ausgelöst. Die Revolutionären Zionisten (auch Revisionistische Maximalisten nach ihren Gebietsansprüchen) können als faschistisch und radikal-völkisch bezeichnet werden: sie bewunderten Mussolini und Anfangs auch Hitler[33], was  freilich zu Irritationen innerhalb des Zionismus führte. Die relative Resistenz gegen die Weltwirtschaftskrise, die Massenmobilisierung und –integration sowie der kompromisslose Antikommunismus der Achsen-Mächte animierten zur Nachahmung. Ein Bündnis mit dem faschistischen Italien, das keinen offiziellen Antisemitismus bis dahin kannte, bot sich an.[34] Als Feindbild dienten nicht nur Araber, sondern auch die britischen Kolonialherren.[35] Die jüdische Religion wurde nur als Identitätsstifterin geschätzt, ansonsten vertrat man eher säkulare Ideen.

Für den antibritischen Unabhängigkeitskampf spielten paramilitärische gewalttätige Guerilla-Organisationen[36] eine nicht zu unterschätzende Rolle: Sie bewiesen, dass Juden nicht nur pazifistische Fatalisten waren, die sich wie Lämmer zur Schlachtbank führen lassen (besonders nach 1945), sondern brachten auch die ungelöste Palästina-Frage auf die weltpolitische Bühne. Die Paramilitärs[37] rekrutierten sich überproportional aus Revolutionären Zionisten. Interessanterweise wurden sie Anfangs sogar als Vorbilder und Leidensgenossen vieler kolonialisierter Völker betrachtet. Explizit die indonesische und algerische Unabhängigkeitsbewegung bezog sich positiv auf die revolutionär-zionistische. Heute existieren einige kleine rechtsnationalistische säkulare Parteien,[38] die sich meist vom „Likud-Block“ abspalteten, aber mit diesem oder „Kadima“ koalieren. Eine Partei der jüdisch-russischen Einwanderer kann ebenso dieser  radikalen Strömung zugeordnet werden.

Exkurs I: Religiöser Antizionismus – „Charedim“

Wie bisher deutlich wurde, waren die meisten Zionisten aller Couleur Laizisten oder nutzten die einzigartige Ethnoreligion zur Nationenwerdung. Zu sehr verdächtigte man gläubige Juden – konservative wie orthodoxe -, für den pazifistischen Ghettocharakter der Diaspora verantwortlich zu sein.[39]  Besonders die osteuropäischen Aschkenasim waren orthodox orientiert genauso wie die Sephardim und Mizrahim in Nordafrika und Nahost. Von zionistischer Seite wurde diesen Orthodoxen vorgeworfen, rückständig, unterwürfig, erstarrt, puritanisch und borniert zu sein. Die Orthodoxen wiederum lehnte jegliches Streben nach einer jüdischen Heimstatt als satanische Versuchung ab.

Woher kam diese unversöhnliche antizionistische Haltung?

Nach jüdischer Tradition war die jüdische Diaspora nur ein vorübergehendes von Gott gewolltes Exil („Galut“) und Prüfungsphase. Dieser Zustand darf vom Menschen nicht beeinflusst oder gar beendet werden. Demnach sah man im Streben nach einer jüdischen Heimstatt – ob in Palästina oder anderswo – eine Sünde wider Gott. Palästina gilt Orthodoxen und teilweise auch Konservativen als Gelobtes Heiliges Land der Thora, in dem Gläubige nur beten oder die Thora studieren dürfen, aber schon praktizierte Landwirtschaft als Beschmutzung gilt. Als Reaktion auf den frühen Zionismus Pinskers und Herzls gründeten sich schon die ersten antizionistischen Gruppen, die teilweise gewaltsam gegen die Sünder kämpften.[40] Die nationalsozialistische Judenverfolgung wird deshalb als gerechte Strafe Gottes angesehen, weil man nicht entschieden gegen zionistische Bestrebungen auftrat.

Nach der Gründung Israels, die natürlich als schwerste Verfehlung angesehen wird, definieren sich diese in Israel lebenden Orthodoxen als Getreue Gottes unter ungläubigen Zionisten. Um keinen weiteren gewaltsamen innerisraelische Konflikt zu provozieren, genießen Orthodoxe und manche religiöse Konservative gesetzlich verankerte Sonderrechte. Die Befreiung vom Militärdienst ist wohl die spektakulärste, bedenkt man die feindselige Umwelt, in der die Festung Israel existiert und dem Bestehen einer Wehrpflicht für Frauen. Damit aber nicht genug, der Staat Israel kam den Orthodoxen aller Couleur auch in fundamentalen Fragen entgegen: Es gibt bis heute keine Zivilehe, nur der orthodoxe Ritus ist für die Eheschließung legitim und religiöse Schulen genießen finanzielle Förderung und Autonomie.

Trotz aller Bemühungen bleibt das religiös-antizionistische Lager eine lautstarke Minderheit. Wie unter Orthodoxen der Diaspora auch, wird meist jiddisch, englisch oder eine andere Sprache gesprochen, da Hebräisch als sakral gilt. Außerdem boykottieren Israels Orthodoxe möglichst viele öffentliche Einrichtungen wie Verkehrsmittel, Banken, Behörden, das Benutzen von Geld, üben Wahlboykott aus usw. Folgerichtig solidarisieren und ermutigen religiöse Antizionisten alle Feinde Israels (z.B. radikale Muslime, arabische Nationalisten), den satanischen Judenstaat zu vernichten, um Gottes Willen wieder zu verwirklichen.

Der Begriff „Säkularer Antizionismus“ wird meist falsch verwendet: Gemeint sind oftmals kompromissbereite proarabische Gruppen der politischen Linken, die sich gegen Siedlungsbau und für einen Palästinenserstaat aussprechen. Den jüdischen Staat Israel stellen sie dagegen nicht in Frage.

Religiöser Zionismus – „Charedi Le`umi“

Der Religiöse Zionismus setzte sich als wirkungsmächtige und separate Bewegung erst nach dem Sechs-Tage-Krieg durch.[41] Vorher stellte er eine marginale Fraktion innerhalb der Revisionisten dar. Diese lange als exotisch angesehene Strömung litt unter dem Misstrauen säkularer Zionisten, die ja von den Religiösen Antizionisten abgeschreckt waren. Wie im „Exkurs I“ deutlich wurde, widersprechen sich Zionismus und jüdische Religion, dennoch findet der Religiöse Zionismus heute in Israel und in der Diaspora mehr und mehr Anhänger. Bereits um 1910 meldeten sich Religiöse Zionisten zu Wort. Aaron David Gordon (1856-1922) vermisste die metaphysische Legitimierung des Zionismus und verurteilte früh dessen rein weltlichen Charakter. Im Gegensatz zu den Orthodoxen Antizionisten sah er in der jüdischen Landnahme den messianischen Prozess eingeleitet. Der Wille Gottes konnte also gerade durch den Zionismus verwirklicht werden. Das jüdische Verharren im Exil „Galut“ wurde nun als sündhaft angesehen, die Umkehr nach Zion dagegen als erwünscht. Gordon beteiligte sich mit seiner Organisation „Hapoel Hatzair“ (=Junger Arbeiter) an Siedlungsprojekten in Palästina. Denn nur Palästina allein durfte das jüdische Land sein.

Der Rabbiner Abraham Issak Kook (1865-1935) sollte zum „Eisbrecher“ im mehrheitlich säkularen Revisionismus werden. Nach Kook kommt dem Gelobten Land die Rolle zu, die Thora erst zur vollen Entfaltung zu bringen, also müssen möglichst alle Gläubigen in „Eretz Israel“ versammelt sein. Der exotische Charakter Religiöser Zionisten änderte sich erst mit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967: Kooks Sohn Zvi Yehuda Kook (1891-1982) interpretierte den für Israel erfolgreichen Krieg gegen seine arabischen Feinde als Geschenk Gottes. Vor dem Krieg, so Kook Jr., war Israel unvollendet, fehlten doch Judäa, Samaria und religiös bedeutende Orte (z.B. Moses-Berg im Sinai). Die Eroberungen derselben im Krieg führten nicht wenige Juden zum Religiösen. Besonders das Erreichen der Klagemauer als einzige Reste des letzten Tempels emotionalisierten die jüdischen Soldaten.

Mit dieser Interpretation des Krieges setzte sich auch der Siegeszug Religiöser Zionisten zur Massenbewegung durch. Die Gründung Israels 1948 wurde zum religiösen Feiertag, der Staat selbst zum Fahrzeug der Erlösung. Mehr noch als für die Erben der Revolutionären Zionisten stellt der Siedlungsausbau im Westjordanland und Gaza eine Herzensangelegenheit dar, einen regelrechten Gottesdienst. Jegliches Zurückweisen muss demnach Gott selbst beleidigen. Politik und Geschichte erfahren durch die Religiösen Zionisten eine neue Bewertung: Hitler-Deutschland übernimmt die Rolle Roms als Bestrafer der Juden für ihre Verfehlungen und die Araber werden zu den neuen Kanaanitern degradiert, denen man ihr Land wegnehmen muss. Das religiös-zionistische Lager ist aufgrund zahlreicher sektiererischer Einzelpersönlichkeiten nach Kooks Ableben stark zersplittert, in Kernisrael vergleichsweise schwach, unter Siedlern überproportional stark.

Die traditionsreiche „National-Religiöse Partei“ als wichtigste Vertreterin verliert heute an die vielen weit radikaleren Splittergruppen an Boden. Der Identität stiftende Charakter der jüdischen Religion führt zu einer Spiritualisierung ehemals säkularer Ultranationalisten (Revolutionäre Zionisten), die im Hyperzionismus (Siehe unten) eine neue Heimat finden. Yigal Amir, der Mörder des israelischen Ministerpräsidenten und Friedensnobelpreisträgers Rabin (1922-1995), gehörte ursprünglich zu den Religiösen Zionisten, wurde aber vom Umfeld Kahanes weiter radikalisiert.

Kahanismus – Hyperzionismus

Die von Rabbi Meir Kahane (1932-1990) begründete zionistische Version (von Gegnern als „Hyperzionismus“ bezeichnet) ist eine Symbiose aus militant säkular-völkischen und religiösen Positionen. Anders als die Religiösen Zionisten, die grundsätzlich den Staat Israel religiös reformieren wollen, lehnte Kahane den als weltlich diffamierten Staat ab. Die Staatsgründung sei zwar richtig, aber durch die linkszionistische Prägung von Anfang an eine Totgeburt. Aus dem heutigen Israel muss ein neues, messianisches Israel geboren werden. Jeglicher Kompromiss mit Arabern ist eine Sünde wider Gott. Diese harte Haltung entstammt Kahanes Vorstellung, das Judentum sei von aller Welt gehasst, ständig bedroht und besonders Israel von Todfeinden umzingelt. Er wollte daher die jüdische Opferrolle umkehren und betonte daher die heroisch-kämpferische Tradition der Israeliten. Dazu benutzen seine Anhänger Zeloten[42], Makkabäer[43], Simon Ben Kochbar[44], den Masada-Mythos[45], die zionistischen Pioniere und die revolutionär-zionistischen Terrorgruppen als Ahnherren.

Zur Durchsetzung seiner Ziele gründete er 1968 die „Jüdische Verteidigungsliga“ und 1973 die ordensähnliche Organisation „Kach“ (=Dennoch!).[46] Unter Jugendlichen in Israel und der Diaspora finden beide Gruppen großen Anklang. Wie kaum ein anderer Politiker Israels forderte Kahane die Tötung oder zumindest die Vertreibung aller Araber aus Großisrael.[47]

Zu diesem militanten Lager gehörte auch der Arzt Baruch Goldstein (1956-1994), der eine Moschee überfiel und 29 Muslime tötete. Vom messianischen Charakter des Kahanismus zeugt der vereitelte Plan, den Felsendom in Jerusalem zu sprengen, um Platz für einen neuen jüdischen Tempel als Zentralheiligtum zu schaffen. „Noch alarmierender jedoch war das zusätzliche Motiv der Terroristen. Durch Vernichtung eines derart hoch verehrten islamischen Heiligtums wollten sie obendrein einen verheerenden Krieg zwischen Israel und der muslimischen Welt auslösen. Die Vision der Terroristen bestand darin, dass ein belagerter jüdischer Staat . . . keine andere Wahl hatte, als sein nukleares Arsenal einzusetzen. Das Ergebnis würde dann die vollständige Auslöschung der arabischen Feinde Israels und die Errichtung eines neuen `Königreichs Israel` auf Erden sein . . .“[48]

Exkurs II: Postzionismus

Mit der Intifada von 1987 und deren rücksichtsloser Niederschlagung sowie dem folgenden hoffnungsvollen Friedensprozess von Oslo unter Jitzchak Rabin (1922-1995) und Shimon Perez (1923-2006) entstand der sogenannte Postzionismus. Dessen Verkünder stammen aus der jungen sozialwissenschaftlichen Universitätsgeneration, der Frauen- und Homosexuellen-Bewegung sowie dem Künstlermilieu. Sie sehen in allen zionistischen Strömungen überholte Ideologien. Ähnlich den linksliberalen `68ern Westeuropas setzen sie sich für eine multikulturelle Gesellschaft ohne jüdisch-religiöse wie jüdisch-ethnische Prägung ein. Stattdessen sehen sie im Globalismus und der Hinwendung zur liberaldemokratischen Westlichen Wertegemeinschaft mit Laizismus und Individualisierung (Pluralismus an Lebensstilen, Genderisierung) die Chance auf Neuanfang. Folgerichtig wenden sie sich gegen die praktizierte privilegierte jüdische Einwanderung. Um der gewünschten Multikulturalität Ausdruck zu verleihen, präferieren Postzionisten den Begriff „Medinah“ statt „Eretz“ Israel, also den neutralen Staat, da „Eretz“ jüdisch religiös und völkisch aufgeladen sei.

Besonders deutlich wird die postzionistische Position bei der Bewertung des Holocaust und der Araber Israels. Bei der Thematisierung des Holocaust durch das offizielle Israel („Zionisierung der Schoah“) stößt man sich an dessen Instrumentalisierung zur Rechtfertigung chauvinistischer Machtpolitik und eines ewigen jüdischen Opferstatus (Israel als Staat der ewigen Opfer und Verfolgten), stattdessen wird der universelle Charakter des Holocaust als Metapher aller Völkermorde der Menschheitsgeschichte betont. „Symbolisch ausgedrückt, sind aus Auschwitz zwei Völker hervorgegangen: eine Minderheit, die behauptet: `Es soll nie wieder passieren`, und eine verschreckte, furchterfasste Mehrheit, die behauptet: `Es soll nie wieder uns passieren`.“[49] (2)

Die Postzionisten bekennen sich zu einer kritischen jüdisch-israelischen Geschichtsschreibung, nach der Holocaust und Antisemitismus in erster Linie dem zionistischen Projekt diene und erkennen in der jüdischen Landnahme ein Verbrechen an den arabischen Bewohnern. Die Vertreibung der Palästinenser und die institutionelle Ausgrenzung der Verbliebenen werden als Kolonialismus, Apartheid und Menschenrechtsverletzung gewertet. Ganz im Gegensatz zur offiziellen Interpretation, wonach die arabische Mehrheit nach Aufrufen ihrer Honoratioren geflüchtet war, sehen die Postzionisten eine geplante Vertreibung derselben. (3)

Die durchaus populäre postzionistische Position der 1990er befindet sich seit der Intifada von 2000 und dem allgemeinen Rechtsruck Israels auf dem Rückzug. Die postzionistische Offensive löste einen regelrechten Kulturkampf um die Geschichtsdeutung („Schulbuchstreit“) aus: Die linksliberale Bildungsministerin Schulamit Aloni (1928-2014)  sah in Schülerexkursionen nach Auschwitz eine nationalistische Indoktrinierung der Jugend Israels und favorisierte eine universelle Geschichtsschreibung, während ihre rechtszionistische Nachfolgerin Limor Livnat (*1950) eine jüdischzentrierte Geschichtsschreibung mit dem täglichen Singen der Nationalhymne in den Schulen forderte und im Postzionismus eine besonders perfide Form des Antisemitismus zu entdecken glaubt.

Exkurs III: Christlicher Zionismus

Der Christliche Zionismus ist keine eigenständige Strömung im Zionismus, sondern steht seines nichtjüdischen Charakters wegen jenseits von diesem. Man findet Christliche Zionisten überproportional unter evangelikalen Erweckungschristen, weit weniger in den evangelisch-lutherischen Landeskirchen, kaum im Katholizismus.[50] Allein in den USA und bis Mitte der 1980er auch in Südafrika hatten Christliche Zionisten großen Einfluss in Politik und Wirtschaft, stellen aber keine US-amerikanische Besonderheit dar. Der US-amerikanische Auserwähltheitsglaube („God`s own country“)[51] oder die „British-Israel-Movement“[52] spielen nur eine untergeordnete Rolle. Im Gegenteil: neben verblüffenden Parallelen steht das jeweilige Monopol der Auserwähltheit einer dauerhaften Symbiose entgegen.

Die christlich-zionistischen Theologen argumentieren, die alttestamentarischen Verheißungen beziehen sich selbst nach dem Auftreten Christi allein auf die Juden. Bei Katholiken, Lutheranern und Orthodoxen dagegen auf ihre Kirche als das wahre neue Israel. Diese Interpretation entstand bereits gegen Ende des 19. Jhs..[53] Da die Juden Jesus als ihren Messias zurückwiesen, wurde die Endzeit verzögert. Die christliche Kirche wurde zum historischen Subjekt Gottes, aber mit dem Aufkommen des Zionismus gegen Ende des 19. Jhs. lösten die jüdischen Zionisten die Kirche ab. Die alttestamentarischen Prophezeiungen können damit wieder erfüllt werden und das Judentum bekommt somit seine zweite Chance.

Philosemitismus aus einem schlechten Gewissen wegen vergangenem Antijudaismus ist aber der letzte Antrieb Christlicher Zionisten, sie begrüßten sogar Pogrome gegen Juden und verwehrten ihnen die Aufnahme in die USA. Damit sollte die jüdische Flucht vor Verfolgung und Leid nach Palästina, dem Gelobten Land, gelenkt werden. Tatsächlich sieht man im israelischen glaubenstreuen Juden den wahren Juden und verzichtet vorerst sogar auf christliche Missionierung.

Mit der Gründung des modernen Judenstaates 1948 setzte die Endzeit ein, die Juden sammeln sich in Eretz Israel. Dabei übernehmen die USA als Schutzmacht Israels[54] die Rolle des alttestamentarischen persischen Königs Kyrus, der den Juden die Rückkehr aus dem Exil ebnete.[55] Während der Endzeit[56] erscheint unerkannt der Antichrist und wird den Juden erlauben, den Tempel neu zu bauen. Aus diesem Grund sympathisieren Christliche Zionisten mit den Ultranationalisten Israels: also Vertretern des Religiösen, Revolutionären, Revisionistischen und Hyperzionismus. Jeder Friede mit den antijudaistischen Kreisen muss unter allen Umständen verhindert werden, ansonsten kann Armageddon nicht vollendet werden. Israel wird dann von allen Seiten bedroht und der Antichrist, der wahrscheinlich in Israel herrschen wird, bringt einen vorübergehenden Scheinfrieden. Dieser Frieden darf aber eben nicht von Dauer sein, sondern muss vom alles vernichtenden Atomkrieg abgelöst werden. In dieser alles Leben beendenden Phase erscheint Christus, stürzt den Antichristen und verkündet das „Jüngste Gericht“. Jetzt müssen sich auch die Juden bekehren.[57]

Den Christlichen Zionisten geht es also nicht um das Judentum als solches, sondern um dessen Auftrag. Israel muss hochgerüstet und kompromisslos sein, sonst geht Gottes Plan nicht in Erfüllung. Ein liberales Israel der Gay-Pride-Paraden wird abgelehnt, ebenso jede Gebietskonzession an die Araber (Zwei-Staaten-Lösung), weil Gott 1967 ein Groß-Israel ermöglichte. Landrückgabe bedeutet Gotteslästerung. Säkularisierte, pazifistische und antizionistische Juden ziehen folgerichtig den christlich-zionistischen Hass auf sich.

Es ist darauf hinzuweisen, dass der Weg zum Antijudaismus sehr nahe liegt, wenn das Judentum seine Mission erfüllt hat oder nicht erfüllen will.[58][59] Gerade die „Christian Identity Movement“[60] – ebenso keine US-amerikanische Spezialität -, sieht in allen Juden Kinder oder zumindest Diener des Antichristen.

Es gibt noch weitere explizit prozionistische Strömungen außerhalb des Judentums, die aber aus reinem machtpolitischen und nicht religiösem Kalkül entstanden: Solidaritätsbekundungen mit Israel von Seiten mancher europäischer und indischer Hindu-Nationalisten. Einige europäische Nationalisten warfen ihren Antisemitismus über Bord, nachdem sie im Islam und islamischer Einwanderung den Hauptfeind zu erkennen glauben. Sie sehen in einem starken Israel einen Vorposten im Herzen der islamischen Welt, das dort einen Stellvertreterkrieg für Europa führt. Bei indischen Nationalisten aller Couleur verhält es sich ähnlich, da das islamische Pakistan der äußere Hauptfeind ist und die riesige muslimische Minderheit im Inneren dessen angebliche fünfte Kolonne.

Innerisraelische Konfliktlinien

Der Zionismus steht auch nach Schaffung einer jüdischen Heimstatt vor neuen Herausforderungen. Eigentlich wäre sein Daseinszweck erfüllt, gäbe es nur einen monolithischen Zionismus und alle Juden versammelten sich in Israel. Seit der Unabhängigkeit desselben konkurrieren die oben aufgeführten „Zionismen“ um die innere Gestaltung des Judenstaats. Folgende offene Fragen bestimmen die innerisraelischen Widersprüche:

  • Israel als Schmelztiegel aschkenasischer Leitkultur oder ein Israel aus allen jüdischen Subethnien („Edot“)?
  • Welche religiöse Spielart (orthodox, konservativ, reformerisch) soll in welchem Grad Staat und Gesellschaft formen (theokratisch, kulturjüdisch, laizistisch)?
  • Wie soll sich Israel gegenüber der globalistischen Herausforderung verhalten?
  • Soll Israel Bestandteil der „Westlichen Wertegemeinschaft“ sein?
  • Welche Stellung sollen die in Israel verbliebenen Araber, religiösen Minderheiten und Gastarbeiter erhalten?
  • Wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Israel und der jüdischen Diaspora (Israel als „Rettungsboot“, Israel als Anwalt, Israel als Führer)?

Zum Verhältnis der jüdischen Subethnien („Edot“)

Die de facto Leitkultur wird heute immer noch von den angelsächsisch geprägten Aschkenasim bestimmt, die in Politik, Militär, Wirtschaft, Kunst und intellektuellem Leben dominieren. Allerdings darf die aschkenasische Assimilationspolitik als gescheitert angesehen werden, da v.a. Russischsprachige und Mizrahim/Sephardim an Selbstbewusstsein gewannen und sich nur deren überschaubare soziale Aufsteiger „aschkenasisieren“. Die aschkenasische Dominanz zeigt sich v.a. in der Geschichtsschreibung: nur Aschkenasim waren zionistische Siedlungspioniere, Pogrom- und Holocaustopfer und Unabhängigkeitskämpfer.

Zur innerjüdischen Heterogenisierung tragen die hohe Geburtenrate der „Orientalen“ und die hohe russischsprachige Einwanderung bei. Das israelische Judentum orientalisiert, während sich die Diaspora aschkenasisiert. Durch das Anwachsen der Nichtaschkenasim wird auch die Integration in die Westliche Wertegemeinschaft in Frage gestellt, was unter der aschkenasischen Elite Ängste hervorruft. Exemplarisch sei der liberale(!) Politiker Yosef Lapid (1931-2008) zitiert: „Wenn unsere Ausrichtung nach Westen unterminiert wird, haben wir keine Chance. Lassen wir erst zu, dass uns das osteuropäische (die Russischsprachigen, D.S.) und das nordafrikanische (die Mizrahim/Sephardim, D.S.) Ghetto dominieren, dann haben wir nichts mehr, worauf wir uns verlassen können. Wir würden uns in die semitische Region integrieren und in einem furchtbaren levantinischen Misthaufen versinken.“[61] Nach wie vor bilden die Nichtaschkenasim die untere soziale Schicht, weshalb es inzwischen Quotenregelungen bei der Vergabe öffentlicher Ämter gibt.

Die Russischsprachigen stellen eine besondere Herausforderung dar: sie zeichnen sich im Gegensatz zu den „Orientalen“ durch eine hohe Bildung aus und sind nach 1991 aus sozialen Gründen eingewandert, nicht aus Verfolgungsdruck. Wegen der großzügigen Einwanderungspolitik für Juden mit dem Recht auf Familiennachzug wanderten auch sehr viele angeheirate Nichtjuden und deren Nachkommen mit ein – ein jüdischer Großelternteil reicht aus[62]. Das Dilemma der Russischsprachigen besteht darin, dass sie in der UdSSR als Juden registriert wurden, wenn der Vater Jude war, während es in Israel nach der Mutter geht.

Die Russischsprachigen sehen sich trotz ihrer volklichen Heterogenität als kulturelle Einheit, was sich an ihrer räumlichen Konzentration in Entwicklungsstädten und dem Vorhandensein einer eigenen Infrastruktur (russischsprachige Medien, Theater, Parteien) zeigt, zudem pflegen sie noch zahlreiche russisch-christliche Bräuche und verzehren das tabuisierte Schweinefleisch. Wegen der Konkurrenzsituation um billige, unattraktive Arbeitsplätze und dem Mangel an jüdischer Religiosität stehen sie auch im Widerspruch zu Mizrahim/Sephardim. Es lässt sich sogar das Phänomen Antisemitismus beobachten, wenn die abgelehnten Neueinwanderer in eine zuvor kaum vorhandene russisch-nationalistische Identität flüchten.

Die aus Äthiopien stammenden Falaschas – Eigenbezeichnung „Beita Israel“ (=Haus Israel) -wurden erst 1975 von aschkenasischen und sephardischen Rabbinern als authentische Juden anerkannt, nachdem sie nochmals zum (orthodoxen) Judentum konvertieren mussten, um die israelische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Die Falaschas bekannten sich zuvor zwar zur Thora, nicht aber zu deren rabbinischen Interpretationssammlung Talmud. Bis heute stehen die Falaschas trotz aller Fördermaßnahmen außerhalb der jüdischen Gemeinschaft, da sie ihres negriden Einschlags wegen stark diskriminiert werden und im Alltag amharisch sprechen. Symptomatisch dafür war der Blutskandal von 1996, als von Falaschas gespendetes Blut für Krankenhäuser wegen pauschalen HIV-Verdachts vernichtet wurde.

Israel und die jüdische Religion

Das Verhältnis von Staat und Religion ist ambivalent: Trotz der zugesicherten Religionsfreiheit wird die jüdische Konfession orthodoxer Prägung privilegiert, gleichwohl auch säkulare Tendenzen innerhalb der Gesellschaft zunehmen. Das hängt mit dem jüdischen Charakter Israels sowohl im ethnischen als auch religiösen Sinn zusammen[63]. Staat und Religion lassen sich nicht immer klar abgrenzen, so gibt es vier Säulen der Kompetenzverteilung:

1)         Regelung von Personenstandsfragen nach religiöser Vorschrift, kein ziviles Familienrecht[64]

2)         Shabat und religiöse Feiertage als gesetzliche Ruhetage

3)         Einhaltung von Speisevorschriften in öffentlichen Einrichtungen

4)         Autonomie orthodoxer Bildungseinrichtungen und sonstiger  Infrastruktur,

Befreiung Orthodoxer vom Militärdienst[65]

Als Folge kann z.B. nur innerhalb der gleichen Religion geheiratet werden, weshalb interreligiöse wie auch zahlreiche innerjüdische Trauungen nur im Ausland stattfinden können, die dann in Israel Anerkennung finden. Innerjüdische Trauungswünsche werden nämlich vom orthodoxen aschkenasischem wie sephardischem Rabbinat begutachtet. Von begutachteter mangelnder jüdischer Religiosität sind häufig russischsprachige Einwanderer betroffen, die dann in die Religionsstatistik als „ohne Religionszugehörigkeit“ eingehen[66]. Die Macht des Rabbinats zeigt sich auch darin, dass Nichtjuden (auch Säkulare) eigene Friedhöfe benötigen, Obduktionen nur sehr selten durchgeführt werden dürfen und öffentliche Verkehrsmittel und Einrichtungen am Shabat nicht in Betrieb sind.

Gegen diese starke rabbinische Bastion formierte sich in den letzten zwanzig Jahren eine starke säkulare Gegenbewegung, weshalb heute ein regelrechter Kulturkampf tobt. Dabei können die Säkularen in den Großstädten an Boden gewinnen, am Shabat bleiben hier Geschäfte und Kinos geöffnet. Überhaupt polarisiert die Gesellschaft zwischen wachsenden Säkularen und einer durch hohe Geburtenratenrate wachsenden Orthodoxie, während sich die gemäßigten religiösen Positionen der Progressiven wie Konservativen in die eine oder andere Richtung anschließen, um nicht zerrieben zu werden. Eine Konfliktlinie der Zukunft zeichnet sich hierbei in ihren noch gar nicht abschätzbaren Ausmaßen für das ohnehin zerrissene Land ab.

Unter den heterogenen Orthodoxen gibt es auch einen Wandel: Die ursprünglich mehrheitlichen Antizionisten (Siehe Exkurs I: Religiöser Antizionismus) wandeln sich zu religiös motivierten Zionisten (Siehe Religiöser Zionismus und Kahanismus), die in Israel zwar immer noch eine areligiöse Fehlgründung sehen, dessen staatlichen Rahmen sie aber religiös gefüllt wissen wollen. Dabei lässt sich dieses Umdenken bei sephardischen Orthodoxen stärker beobachten als bei den skeptischen aschkenasischen.

Die arabische Minderheit

Die wachsende arabische Minderheit auf dem israelischen Gebiet[67] von 1948-1967 lebt relativ friedlich neben den Juden, aber eben nicht mit ihnen. Bis heute werden die Araber misstrauisch als potentielle fünfte Kolonne beobachtet. In ihren Artikulations- und Partizipationsmöglichkeiten sind sie stark beeinträchtigt: Bis 1966 standen sie unter Militärverwaltung und ihre Bewegungsfreiheit wurde behindert[68]. Erst seit 1967 gibt es regelmäßigen Kontakt zu den palästinensischen Arabern des Westjordanlands. Bis heute verhindert der israelische Staat die Ausdehnung arabischer Ortschaften, um nicht noch größere geschlossene Siedlungsgebiete zu schaffen. Die jüdische Hegemonie und interethnische Ungleichbehandlung zeigen sich deutlich bei Wehrpflicht und Einwanderung: hier sind Araber (außer Drusen und bestimmte Beduinen) vom Wehrdienst ausgenommen und dürfen diesen „freiwillig“ ableisten, wohl wissend, dass dies in der Praxis äußerst selten geschieht. Der privilegierten jüdischen Einwanderung steht ein de facto arabischer Zuzugsstopp (auch bei der Familienzusammenführung) diametral entgegen. Bemerkenswert ist die von der offiziellen jüdischen Öffentlichkeit tabuisierte Eheschließung zwischen Juden und Arabern, was als Verrat am Judentum angesehen wird. Da es keine Zivilehe gibt, können auf israelischem Boden auch keine von der Halacha verbotenen Ehen zwischen Juden und Nichtjuden geschlossen werden.

Aber auch das Verhältnis zu den geflüchteten bzw. vertriebenen Arabern war lange gespannt. Die Daheimgebliebenen galten als Verräter und „Israelisierte“. Dem Selbstverständnis nach sahen sie sich auch bis etwa 2000 primär als arabische Israelis denn Palästinenser. Das änderte sich mit der Intifada von 2000, als sich Israels Araber weitgehend mit der Rebellion solidarisierten, ja identifizierten und sich folglich als kolonialisierter palästinensischer Zweig des arabischen Volks definierten. Auch nimmt die Rückbesinnung auf die islamische sunnitische Orthodoxie zu, was sich am Erstarken politisch islamischer Parteien zeigt. Mit Israel identifiziert sich nur eine liberale, drusische und christliche  Minderheit. Das äußert sich deutlich an den Feierlichkeiten zum israelischen Unabhängigkeitstag, der als „Tag der Katastrophe“ („Nakba“) begangen wird. Es kann ganz klar von einer arabischen Parallelgesellschaft mit eigener Infrastruktur und Parteien gesprochen werden. Was diese Araber jedoch trotz alledem zurückhalten lässt, sind die materiellen Vorteile und rechtsstaatlichen Sicherheiten, die sich von den arabischen Nachbarstaaten abheben. Arabisch ist immerhin zweite Amtssprache, wird jedoch immer wieder in Frage gestellt, um den jüdischen Charakter Israels zu betonen.

Hat der Zionismus die Juden-Frage gelöst?

Mit der Gründung Israels 1948 hat der ursprüngliche Zionismus sein Hauptziel erfüllt – die dargestellten, häufig gegensätzlichen zionistischen Strömungen aber nur bedingt oder gar nicht. Deren Vertreter versuchen auch weiterhin Israels Politik maßgeblich zu gestalten.

Ist die Juden-Frage mit der Staatsgründung gelöst oder hat sie sich verschärft?

Israel fühlt sich heute mehr denn je allein und von Todfeinden belagert. Der zionistische Traum, alle Juden in einem eigenen Staat zusammenzuführen, kehrt sich ins Gegenteil um: Immer mehr Juden wandern wieder aus Israel aus, besonders junge und qualifizierte. Das lässt sich auf ökonomische Probleme zurückführen und natürlich auf die prekäre Sicherheitslage.[69] Hinzu kommt das Bewusstsein, ohne finanzielle und materielle Zuwendungen der Diaspora, USA und Deutschland könnte die eigene Nation nicht existieren: Das heutige Israel ist überbevölkert und besitzt ohnehin  geringe natürliche Ressourcen, dafür Wasserknappheit, einen begrenzten Binnenmarkt, einen fehlenden Zugang zu Märkten seiner (arabischen) Umwelt und sehr hohe Verteidigungsausgaben. Die demographische Entwicklung[70] verspricht zudem einen massiven Rückschlag zionistischer Wünsche. Die große arabische Minderheit im Kernland und in den 1967 eroberten Gebieten nimmt zahlenmäßig rasant zu, auch die Zwei-Staaten-Lösung wird da nur verzögernd wirken.

Die Diasporajuden nehmen zwar großen Anteil am Schicksal Israels, bringen dem Staat jedoch kaum gestalterisches Interesse entgegen.[71] Vielmehr herrscht eine Art von schlechtem Gewissen vor, weshalb man als Jude das Angebot eines eigenen Staates nicht nutzt. Um sein Gewissen zu beruhigen spendet man dann für dies oder jenes israelische Projekt.

Die bereits angesprochene Polarisierung zwischen Aschkenasim und Mizrahim/Sephardim ist an der wachsenden Distanz von Diaspora und Israel nicht unschuldig. Die orientalischen Juden haben weit höhere Geburtenraten als Aschkenasim, was zu einer „Orientalisierung“ und „Semitisierung“ Israels führen muss. In der Diaspora leben aber nahezu ausschließlich Aschkenasim, die an einem sephardischen Israel wenig Interesse haben. Auswandernde Aschkenasim können darum viel leichter in die Diaspora integriert werden als ihre sephardischen Glaubensbrüder.

Zur Sicherung des jüdischen Charakters Israels und zur Rechtfertigung der außenpolitischen Narrenfreiheit, die sich gegen UNO-Resolutionen hinwegsetzt, spielt der Holocaust als Anlass der Staatsgründung eine immer wichtigere Rolle. „Der symbolisch-sakrale Charakter des Holocaust wird am `Tag des Holocaust` (Schoa) erkennbar, der jedes Jahr genau eine Woche vor dem Unabhängigkeitstag begangen wird. Holocaust und staatliche Unabhängigkeit, Vernichtung und weltliche Auferstehung werden in einen unmittelbaren zeitlichen und damit inhaltlichen Zusammenhang gebracht. [. . .] Der Holocaust summiert und symbolisiert das gesamte Leid der langen und leidvollen Geschichte des jüdischen Volkes; er wurde zum Kürzel jüdischer Geschichte. Dabei geschah etwas ebenso Merkwürdiges wie Typisches für alle Gruppen, die sich von ihrer religiösen Tradition lösen und zunehmend verweltlichen. Im Zuge dieser `Säkularisierung` wird Leid nicht mehr . . . als göttlich vorbestimmt verstanden, sondern als rein diesseitige Geschichte erfahren, das heißt als Menschenwerk und nicht als Gotteswerk. [. . .] Die Dejudaisierung des Judentums durch die Historisierung des jüdischen Leids und die religiöse Entleerung bewirken, dass die jüdische Geschichte sowie Israel, das heißt die jüdische Situation und nicht mehr die Religion, jüdische Identität stiften. Israel und die Juden brauchen daher den Holocaust als allgemeines und Deutschland als besonderes Symbol.“[72] Die religiöse Entleerung hat Bewusstsein störende Folgen: „Wenn die Juden und Israel `wie alle anderen Völker` werden, müssen zwangläufig zwei Entwicklungen eintreten: Zum einen wird die jüdische Diaspora ihre jüdische Substanz verlieren und sich assimilieren; zum anderen verliert Israel innerjüdische Anziehungskraft . . . Der jüdische Staat ist kein Notanker mehr. . . [. . .] Der Israelismus, das heißt ein nur ein auf den Errungenschaften Israels aufbauender und jüdisch-religiös entleerter Nationalismus, ist kein Ausweg aus dieser Situation. [. . .] Die messianischen Obertöne des Zionismus zeigen, dass israelischer Nationalismus . . . kein Nationalismus wie viele andere sein darf und noch nie sein durfte; er würde sich dann selbst in Frage stellen.“[73]

Die Juden-Frage hat sich nicht trotz, sondern wegen Israel und dem Holocaust verschärft: Noch nie waren Juden weltweit so sehr verhasst wie heute. Israels maßlose Härte gegen die Araber, seine außenpolitische Arroganz und die exzessive Instrumentalisierung des Holocaust als singuläres Ereignis[74] haben den Antijudaismus – v.a. im Zeichen des Antizionismus – universalisiert.[75] Die Anklagen der Juden gegen ihre Verfolger werden mit dem Vorgehen Israels von Antizionisten aus aller Welt gegenübergestellt, Zionismus und Nazismus deshalb als wesenverwandt erkannt.

Israel wird wahrscheinlich noch im laufenden Jahrhundert als eigenständiger Staat verschwinden und seine jüdischen Bewohner ein zweites Mal in alle Welt ausweichen. Es fragt sich, welchen Eindruck der neuzeitliche Judenstaat in den Geschichtsbüchern hinterlässt. Eine erneute Staatsgründung anderswo (z.B. Südamerika) hat deutlich mehr Überlebenschancen, doch hat kein Staat der Erde Land zu verschenken. Absurd zu glauben, alle Juden der Erde könnten je in das sehr begrenzte Israel einwandern. Bleibt zu hoffen, die christlich-zionistischen Erwartungen erfüllen sich nicht: „Wir haben einige hundert Atomsprengkörper und Raketen und können sie auf Ziele überall werfen, vielleicht auch auf Rom … Wir haben die Möglichkeit, die Welt mit uns zusammen untergehen zu lassen. Und ich kann Ihnen versprechen, daß dies auch geschieht, bevor Israel untergeht …“[76]

Anmerkungen und Literaturhinweise

[1] Die Juden-Frage kam genau wie die Deutsche oder Soziale Frage erst im 19. Jh. ins Bewusstsein. Im Zuge des europäischen Völkerfrühlings und dem beginnenden Erwachen europäischer Kolonien in Übersee kam die Frage nach der jüdischen Identität und dem Verhältnis zur nichtjüdischen Umwelt auf. Diese elementare Frage wurde von jüdischer Seite selbst und Nichtjuden gestellt.

[2] Nachweislich tauchte „Zionismus“ erstmals in Nathan Birnbaums (1864-1937) Beitrag „Die nationale Wiedergeburt des jüdischen Volkes in seinem Lande“ (1893) auf.

[3] Vgl. Jesaja 8.18 Psalm 48; 76; 84; 87

[4] Vgl. Psalm 2: „Was soll der Aufruhr unter den Völkern? Wozu schmieden sie vergebliche Pläne? [. . .] Die Herrscher der Erde lehnen sich auf, die Machthaber verbünden sich gegen den Herrn und den König, den Er erwählt hat . . . Doch der Herr im Himmel lacht . . . `Ich habe meinen König eingesetzt! Er regiert auf dem Zion, meinem heiligen Berg.` [. . .] `Du bist mein Sohn [der jüdische König, D.S.], heute habe ich dich dazu gemacht. Fordere von mir alle Völker, ich schenke sie dir; die ganze Erde gebe ich dir zum Besitz. Regiere sie mit eiserner Faust! Wenn du willst, zerschlag sie wie Töpfe aus Ton!`“

[5] Zu den Pionieren gehören z.B. Franz Weidenreich (1873-1948) mit seinem „Wissenschaftlichen Institut zur Erforschung der Biologie der Juden“, Wilhelm Nußbaum (1908-1975) von der „Arbeitsgemeinschaft für Jüdische Erforschung und Erbfolge“ sowie Arthur Czellitzer (1871–1943) von der „Gesellschaft für jüdische Familienforschung“. Vgl. Lipphardt, Veronika: Biologie der Juden. Jüdische Wissenschaftler über „Rasse“ und Vererbung 1900 – 1935, Göttingen 2008.

[6] Die These zahlreicher Antizionisten, wonach die Juden eine reine Religionsgemeinschaft sind, wird vom Verfasser nicht geteilt. Für den gegenteiligen Standpunkt steht der israelische Geschichtsprofessor Shlomo Sand. Vgl. Sand, Shlomo: Die Erfindung des jüdischen Volkes – Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand, Berlin 2011.

[7] Nicht-Auserwählte werden als „Gojim“ bezeichnet, was sowohl als fremdes gottloses Volk als auch als „Bestie“ zu deuten ist. In jedem Fall besteht eine negative Konnotation.

[8] Martin Buber: Hebräischer Humanismus, in: ders.: Der Jude und sein Judentum, Gerlingen 1993, S. 724.

[9] Seit 1951 existiert ein Staatsbürgerschaftsgesetz in Israel, wonach jeder einwandernde Jude automatisch die Staatsangehörigkeit erhält. Es gilt hier also das Abstammungsprinzip. Bei jüdischen Israelis wird im Personalausweis unter „Nationalität“ noch das Wort „Jude“ vermerkt, bei arabischen Isarelis „Araber“. Zwischen Nationalität und Religion wird also bei Juden nicht unterschieden.

[10] Die „Black-Hebrew-Movement“ reklamiert für die Negride Rasse, die wahren Juden zu sein. Entstanden ist diese Bewegung Ende des 19. Jh. in Nordamerika und Karibik. Man beruft sich dabei auf die Nachkommenschaft von König Salomon und der schwarzen Königin von Saba (Jemen).

[11] Auf die Theorie, Aschkenasim stammen von den turanischen Chasaren ab, kann an dieser Stelle nur verwiesen werden. Es existieren zu viele Spekulationen und zuwenig Gewissheiten. Der chasarische Erbanteil muss aber im Zuge weiter Assimilierungstendenzen marginal sein. Tatsächlich ist der semitische Erbanteil an den Sephardim und Mizrahim deutlich größer. Vgl. zur Pro-Chasaren-Theorie: Koestler, Arthur: Der dreizehnte Stamm. Das Reich der Khasaren und sein Erbe, Wien 1977. Vgl. zur Kontra-Chasaren-Theorie: Preiser-Kapeller, Johannes: Das „jüdische“ Khanat. Geschichte und Religion des Reiches der Chasaren, in: Karfunkel. Zeitschrift für erlebbare Geschichte Nr. 79 (2008/2009) S. 17-22.

[12] Das Tragen von dunklen Kaftanen ahmte die Mode polnischer Adliger nach.

[13] Unter den Sephardim gibt es ein Pendant zum Jiddischen: „Ladino“ – das Judenspanische. Dieses wird heute kaum noch gesprochen.

[14] Der Begriff geht auf den ehemaligen Anarchisten Wilhelm Marr (1819-1904) zurück, der in seiner Auseinandersetzung mit dem verhassten Karl Marx dessen jüdische Wurzeln als unabänderliches Kainsmal heraushob, um den Vater des „Wissenschaftlichen Sozialismus“ zu diskreditieren.

[15] Die offene Juden-Frage des 19. Jh. wurde in den einzelnen Staaten Europas unterschiedlich gestellt. Frankreichs jakobinisches Nationalverständnis lehnte z.B. die religiöse jüdische Sonderstellung ab und forderte die staatsbürgerliche Integration in den „contract social“.

[16] Vgl. Hess, Moses: Rom und Jerusalem. Die letzte Nationale Frage 1862.

[17] Vgl. Pinsker, Leon: Autoemancipation! Mahnruf an seine Stammesgenossen von einem russischen Juden (1882)

[18] Einen ersten Höhepunkt markierte der Tod des ersten jüdischen Offiziers der Russischen Armee, Joseph Trumpeldor (1880-1920), der 1911 nach Palästina auswanderte und im antiarabischen Verteidigungskampf starb. Trumpeldor wird heute als wichtigster Märtyrer in Israel verehrt.

[19] Vgl. Herzls Hauptwerke „Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage“ 1896 und sein sozialutopischer Roman „Altneuland“ (1902)

[20] „Ich glaube zu erkennen, was im Antisemitismus roher Scherz, gemeiner Brotneid, angeerbtes Vorurteil, religiöse Unduldsamkeit – aber auch was darin vermeintlich Notwehr ist Ich halte die Judenfrage weder für eine soziale noch für eine religiöse, wenn sie sich auch noch so oder anders färbt. Sie ist eine nationale Frage…“ (Der Judenstaat, S. 6)

[21] Herzl erkannte auch im Rassenantisemitismus ein positives Moment: Assimilierungswillige Juden wurde auf diese Weise wieder zu bewussten Juden gemacht. „Dabei bemerkt man [. . .] nicht, dass unser Wohlergehen uns als Juden schwächt und unsere Besonderheiten auslöscht. Nur der Druck presst uns wieder an den alten Stamm, nur der Hass unserer Umgebung macht uns wieder zu Fremden.“ (Theodor Herzl: Der Judenstaat, S. 14)

[22] Erinnert sei exemplarisch an das Umherlavieren britischer Regierungen, die einmal auf Juden (z.B. Balfour-Deklaration und das Aufstellen einer „Jüdischen Legion“ im Ersten Weltkrieg), andermal auf die Araber zugingen.

[23] Zu den wichtigsten Organisationen dieser Strömung gehör(t)en: die radikale marxistisch-nationalistische Poale Zion (Arbeiter Zion) aus Osteuropa, die Gewerkschaftsbewegung Histraduth und die heutigen sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien. David Ben Gurion (1886-1973) gehörte zu den prominentesten Vertretern.

[24] Eine wesentliche Wurzel des rechtskonservativen „Likud-Blocks“ war die sozialistische „Arbeiterbewegung für Großisrael“, die sich von der sozialdemokratischen Arbeitspartei abspaltete.

[25] Es handelt sich um revisionistische Marxisten, die Marx als originell jüdischen Denker verehren und eben nationalistisch ausgerichtet sind.

[26] Jüdische Marxisten waren meist Mitglied in den nationalen Sektionen der Zweiten bzw. ab 1919 der Kommunistischen Internationale oder im Fall Russlands des „Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbunds“. Nach marxistischer Diktion war die Juden-Frage Angelegenheit der kapitalistischen Weltordnung und mit deren Sturz gelöst, der Zionismus war als nationalistische Ideologie ebenfalls Teil des Kapitalismus und spaltet nur die Arbeiter-Internationale.

[27] Mit der „Neuen Zionistischen Organisation“ gründete Jabotinski 1935 einen eigenen globalen Dachverband, der sich 1946 wieder mit der ursprünglichen „Zionistischen Weltorganisation“ vereinte.

[28] Diese ungewöhnlich anmutende Lösung resultiert aus dem Problem, gar keinen legitimen Thronanwärter zu haben. Der müsste nämlich aus dem Hause David stammen. Eine solche Interimslösung wurde auch im königslosen Königreich Ungarn 1920-1944 verwirklicht bzw. in Estland 1919, Tschechoslowakei 1919, Polen 1918 und Finnland 1919 diskutiert.

[29] Mit der Gründung des „Likud-Blocks“ (etwa: der Zusammenschluss, Festung) 1973 wurde das zersplitterte revisionistische Lager vereint. In dieser großen säkularen Sammlungspartei existieren liberale, konservative und faschismusähnliche Fraktionen. Immer wieder kommt es zu radikal-nationalistischen Abspaltungen und Fusionen.

[30] Kadima! (=Vorwärts!) wurde 2005 als gemäßigte Abspaltung vom „Likud-Block“ gegründet. Auch in „Kadima“ sind ultranationalistische Fraktionen präsent.

[31] In dieser Identitätsfrage sind die Palästinenser selbst uneins. Manche sind panarabisch orientiert, andere großsyrisch und die wichtigsten politischen Organisationen (z.B. PLO und HAMAS) national-palästinensisch arabischer Kultur. Letztere leiten ihre volkliche Entwicklung von den antiken Philistern ab (Palästina heißt auf Arabisch auch Filistan). Der Begriff „Palästina“ stammt von den römischen Kolonialherren und wurde erst von den Briten wieder entdeckt. Als Eigenbeizeichnung dient „Palästinenser“ erst seit den 1970ern, als man von den arabischen Brüdern enttäuscht wurde.

[32] Maßgeblich wurde diese Fraktion vom Journalisten Abba Achimeir (1897-1962) geprägt.

[33] „Nichts scheint ihm (Hitler, D.S.) wertvoller, höher, heiliger zu sein als die Ehre und das Wohl seines deutschen Volkes. Ihm zu helfen und zu dienen, es aus Not und Versklavung herauszuführen, ihm die Freiheit und Ehre wiederzugeben, es stark und glücklich zu machen, ist sein Traum. Ihn zu verwirklichen schreckt er vor nichts zurück, bekämpft er Kommunisten und Marxisten . . . Er setzt sich über Fronverträge hinweg, schüttelt das unerträgliche Joch der Siegerstaaten ab . . .“ Elieser, Gedalja Ben: Jüdisches Volk, antworte! Notwendigkeiten, Wege und Ziele eines völkischen Zionismus, Viöl 1998 (Reprint von 1937), S. 197f..

[34] Mit dem beginnenden Kriegszustand Deutschland – Großbritannien wurde ein strategisches Bündnis vieler Revolutionärer Zionisten mit den Achsen-Mächten erneut populär. Erstens sorgte Hitlers Staatsantisemitismus für die gewünschte Auswanderungswelle, zweitens wurden sich viele Juden wieder ihres Judentums bewusst und drittens war für die Revolutionären Zionisten London der Hauptfeind und nicht das ferne Berlin.

[35] Vgl. zu diesem komplexen Thema Nicosia, Francis R.: Hitler und der Zionismus. Das Dritte Reich und die Palästinafrage 1933-1939, Leoni a.S. 1989.

[36] Die legendäre „Haganah“ (=Verteidigung“) von 1920 bis 1948 wird als erste bewaffnete Selbstschutzorganisation angesehen. Allerdings fehlte ihr das offensiv-aggressive Element der Revolutionären Zionisten und die antibritische Stoßrichtung.

[37] Es handelt sich dabei um die heute in Israel verehrten Gruppen: „Irgun-Nationale Militärorganisation“ von 1931 und deren noch radikalere Abspaltung „Lehi-Kämpfer für die Freiheit Israels“ von 1940.

[38] Vgl. Sprinzak, Ehud: The Ascendance of Israel`s Radical Right, Oxford 1991.

[39] Exemplarisch für die orthodoxe Sicht: „Es gibt schlechte, sehr viel schlechte Menschen unter uns, Juden voller Sünden . . . Gott aber findet sie einer Buße, einer Straf zu niedrig, zu unwürdig, und wählt hierzu nur die Besten, Edelsten und Frömmsten aus. Denen erweist er die Gnade und Ehre, für alle schlechten Taten ihrer sündhaften Stammesgenossen büßen zu dürfen, indem er sie von dieser Welt abberuft und um sich versammelt. Und genauso verhält es sich mit dem jüdischen Volke in seiner Gesamtheit. Es ist von Gott dazu auserkoren, für die Sünden aller Völker zu leiden.“ Elieser, Gedalja Ben: Jüdisches Volk, antworte! Notwendigkeiten, Wege und Ziele eines völkischen Zionismus, Viöl 1998 (Reprint von 1937), S. 179.

[40] Dazu zählen die „Haredin“ (=Die vor Gott Erzitternden) Vgl. Jes. 66.5 und ab 1939 die „Wächter der Stadt“.

[41] Vgl. ausführlich: Segev, Tom: 1967. Die zweite Geburt, München 2007.

[42] Die Zeloten waren kleine bewaffnete – quasi Guerrilla -, die ab 6. n. Chr. gegen die römischen Besatzer kämpften. Außerdem waren sie erbitterte Gegner Jesus` und des frühen Christentums. Die Zeloten garantierten also auch religiös die jüdische Integrität.

[43] Die Makkabäer kämpften gegen die hellenisch-seleukidische Fremdherrschaft und begründeten 165 v. Chr. bis 63 v. Chr. die rein jüdische Herrschaft der Hasmonäer als Hohepriester.

[44] Der herausragende Führer der zelotischen Nachfolger, er führte 132-135 den letzten jüdischen Widerstand gegen Rom an.

[45] Diese Bergfestung dient als zentrales Symbol des jüdischen Selbstbehauptungswillen: Nach langer Belagerungszeit durch die Römer töteten sich die jüdischen Verteidiger selbst, um als freie Menschen aus dem Leben zu scheiden.

[46] „Kach“ wurde nach einigen spektakulären Wahlerfolgen vom Staat Israel wegen Extremismus und Rassismus verboten. In den USA und EU wird die Organisation als terroristische Vereinigung geführt. Auf „Kach“ beziehen sich einige Nachfolgeorganisationen in Israel und Diaspora.

[47] Vgl. Hoffman, Bruce: Terrorismus – der unerklärte Krieg. Neue Gefahren politischer Gewalt, Frankfurt a.M. 1999, S. 132f.

[48] Hoffman, Bruce: Terrorismus – der unerklärte Krieg. Neue Gefahren politischer Gewalt, Frankfurt a.M. 1999, S. 134.

[49] So der Wissenschaftshistoriker Yehuda Elkana (1934-2012). Zitiert nach: Zuckermann, Moshe: Zweierlei Holocaust. Der Holocaust in den politischen Kulturen Israels und Deutschlands, Göttingen 1998, S. 64f. (Hervorhebung im Original).

[50] Vgl. Clark, Victoria: Allies for Armageddon: The Rise of Christian Zionism, New Heaven 2007.

[51] Das us-amerikanische Sendungsbewusstsein speist sich aus zwei Quellen: aus einer freimaurerisch-liberal-republikanischen und aus einer pietistisch-protestantischen. In beiden Fällen erschien Nordamerika als Ziel verfolgter christlicher und liberaler Eiferer. Nach der Unabhängigkeitserklärung 1776 gingen beide Wurzeln us-amerikanischer Identität eine unheilvolle Synthese ein, wonach der „American way of life“ und die US-Verfassung auch göttlich inspiriert sind und die gesamte Menschheit beglücken müssen.

[52] Diese immer kleiner werdende Bewegung glaubt, die Angelsachsen seien die Nachkommen der verschwundenen Stämme Altisraels und damit die wahren Israeliten. Das britische Königshaus soll demnach direkt von König David abstammen, wie Jesus auch. Vgl. Herbert. W. Armstrong (1892-1986): The United States and Britain in Prophecy 1954.

[53] Hierbei ist der Brite John Nelson Darby (1800-1882) mit seinem apokalyptischen Millenarismus als wichtiger Stammvater zu nennen. Seine Anhänger gründeten 1919 die „World`s Conference of Christian Fundamentals“.

[54] Mearsheimer, John J. /Walt, Stephen M.: Die Israel-Lobby: wie die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird, Frankfurt a. M. 2007.

[55] Vgl. Jesaja 45.1-5 „Der Herr sagt von Kyrus: `Ich habe ihn erwählt und als meinen König eingesetzt. Ich stehe ihm zur Seite, ich unterwerfe ihm die Völker und nehme ihren Königen die Macht; ich öffne ihm Türen und Tore.` Und zu Kyrus selbst sagt er: `Ich gehe vor dir her und beseitige alles, was dir im Weg steht. [. . .] ich liefere dir die verborgenen Schätze und die versteckten Vorräte aus. Daran sollst du erkennen, dass ich . . . dich in meinen Dienst genommen habe . .  . denn durch dich will ich meinem Volk Israel helfen. . .`“ (Jesaja 45,1-5) Kann man da dem Christlichen Zionisten George W. Bush wirklich nachtragend sein?

[56] Vgl. Mattäus 24.3ff.

[57] Vgl. Römer 11.25f.

[58] Bsp. für eine alternative Sicht auf Holocaustpolitik, Landnahme und Araberpolitik siehe: Segev, Tom: Die siebte Million. Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung. Rowohlt, Reinbek b. Hamburg 1995; Zuckermann, Moshe: Die Parzellierung der Shoah-Erinnerung im heutigen Israel. Vom historischen Ereignis zum Gegenstand ideologischer Projektion, in: Gephart, Werner /Saurwein, Karl-Heinz (Hrsg.): Gebrochene Identitäten: zur Kontroverse um kollektive Identitäten in Deutschland, Israel, Südafrika, Europa und im Identitätskampf der Kulturen, Opladen 1999, S. 47-60; Zuckermann, Moshe: Zweierlei Holocaust. Der Holocaust in den politischen Kulturen Israels und Deutschlands, Göttingen 1998; Kimmerling, Baruch: Politizid. Ariel Sharons Krieg gegen das palästinensische Volk, München 2003.

[59] So warnte der Politiker Yossi Sarid (1940-2015): „Für die Evangelikalen ist die Rückkehr der Juden in ihr Land, besonders ein von Moslems freies Groß-Israel, eine Grundvoraussetzung für eine umfassende christliche Erlösung, die neben anderem die Austilgung der Juden als Volk einschließt.“ zitiert nach: Bartholomew, Richard: „Eine seltsame kalte Zuneigung“. Christlicher Zionismus und „die Juden“, in: Loewy, Hanno (Hrsg.): Gerüchte über die Juden. Antisemitismus, Philosemitismus und aktuelle Verschwörungstheorien, Essen 2005, S. 236.

[60] Diese heterogene Bewegung existiert v.a. in Nordamerika, Südafrika und Australien. Die Christenheit wird mit den weißen Völkern gleichgesetzt, wonach alle Nichtweißen Abkömmlinge von Dämonen sind. Als besondern bösartig werden die Juden empfunden – sind sie doch für den Kreuztod Christi verantwortlich. Der Ku-Klux-Klan gehört als sehr frühe Organisation dazu.

[61] zitiert in: Timm, Angelika: Israel – Gesellschaft im Wandel, Opladen 2003, S. 270.

[62] Im Rückkehrgesetz heißt es: „Die Rechte eines Juden im Sinne dieses Gesetzes gelten in gleicher Weise für Kinder und Enkel von Juden, für Ehepartner von Juden, und für Ehepartner von Kindern und Enkeln von Juden; ausgenommen diejenigen, die Jude waren und aus eigenem Willen zu einer anderen Religion übergetreten sind.“ zitiert nach: Timm, Angelika: Israel – Gesellschaft im Wandel, Opladen 2003, S. 19.

[63] Das ist schon an den Staatssymbolen ersichtlich: Davidstern und Leuchter („Menorah“) sind zugleich völkische, religiöse und historisch-traditionelle Symbole. Der zionistische Urvater betonte dagegen die ethnische säkulare Dimension: „Heer und Klerus sollen so hoch geehrt werden, wie es ihre schönen Funktionen erfordern und verdienen. In den Staat, der sie auszeichnet, haben sie nichts dreinzureden, denn sie werden äußere und innere Schwierigkeiten heraufbeschwören.“ (Der Judenstaat, S. 102)

[64] Andere Religionen sind in Personenstandsfragen ebenfalls autonom.

[65] In orthodoxen Autobussen müssen Frauen getrennt von Männern sitzen und hinten ein- und aussteigen. Alle paar Jahre gibt es Versuche, die Befreiung vom Militärdienst aufzuheben, was jedoch immer wieder scheitert.

[66] „Weil mein Vater beweisen konnte, dass er Jude ist, bin ich jüdisch (im ethnischen Sinn, D.S.) genug, um israelische Staatsbürgerin zu sein, aber ich bin nicht jüdisch (im religiösen Sinn, D.S.) genug, um hier einen Juden zu heiraten.“ zitiert nach: Rosenthal, Donna: Die Israelis: Leben in einem außergewöhnlichen Land, München 2007, S. 170.

[67] Die Araber Ostjerusalems und der Golanhöhen kamen erst nach 1967 zum Staat Israel und verzichteten weitgehend auf die israelische Staatsbürgerschaft.

[68] Israels Araber sind überproportional ohne Arbeit und arabische Siedlungen von staatlichen Subventionen nahezu ausgenommen

[69] Lange Zeit war die Auswanderung aus Israel tabuisiert. Das zeigt sich im Begriff „Jerida“ (=Abstieg vom Zion), der als Schimpfwort benutz wird. Die zionistische Presse verurteilt Auswanderer regelmäßig als „Fahnenflüchtige“. Das Gegenstück bildet „Alijah“ (=Aufstieg zum Zion) auch als qualitativer Aufstieg. „In der Emigration manifestiert sich das Wesen vieler Juden nach der Emanzipation. Sie sind entwurzelt, beweglich und schlau, und ihre wichtigsten (und manchmal einzigen) Motive sind Gewinnmaximierung und die Steigerung des materiellen Einkommens. Ihre `Heimat` ist immer dort, wo der Gewinn größer ist.“ (Segev, Tom: 1967. Die zweite Geburt, München 2007, S. 161.)

[70] Israel hat wie andere Wohlstandregionen dieselben inneren Probleme: sterbende Familien, Drogenmissbrauch, hohe Scheidungsraten, Kindermangel, Spaßgesellschaft.

[71] Dieses Interesse variiert von Staat zu Staat: Frankreichs und Argentiniens große Judengemeinden zeigen sich eher gleichgültig; Deutschlands, Südafrikas, Großbritanniens und die der USA mehrheitlich engagierter. In diesen Staaten üben sie starken Druck auf die jeweiligen Regierungen zugunsten Israels aus.

[72] Wolffsohn, Michael /Bokovoy, Douglas: Israel. Grundwissen-Länderkunde, Opladen 1996, S. 46f..

[73] Wolffsohn, Michael /Bokovoy, Douglas: Israel. Grundwissen-Länderkunde, Opladen 1996, S. 49.

[74] Von einer solchen Hierarchisierung der Opfer fühlen sich auch andere Völker der Weltgeschichte benachteiligt: Schwarze in den USA, Aborigines in Australien, Armenier im Osmanischen Reich, Eskimos in Grönland oder Indianer in den Amerikas. Der Vorwurf: Wieder fühlen sich Juden auserwählt, diesmal als DAS Opfer der Weltgeschichte.

[75] In China war Antisemitismus weitgehend unbekannt, erst Israels Außenpolitik nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 brachte dem Judenstaat den Vorwurf ein, auch nur ein imperialistischer Aggressor zu sein. Auch Israels Nähe zu Washingtons – oder Washingtons Nähe zu Israel? – verstärken die Skepsis gegenüber Juden.

[76] so der israelische Militärhistoriker Martin van Crefeld für die niederländische Wochenzeitung Elsevier vom 9/2003