Der folgende Text stammt von Dr. Björn Clemens und befasst sich mit dem ethnischen Volksbegriff, welcher vom Verfassungsschutz als zentrales Element zur Begründung der Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextrem“ verwendet wurde. Die Redaktion
Wer in Deutschland das Wort Volk benutzt, und das auch noch in politischen Zusammenhängen, läuft Gefahr, juristische Probleme zu bekommen. Insbesondere wird die tatsächliche oder unterstellte Forderung, an einem ethnisch homogenen Volksbegriff als Grundlage der Staatsbürgerschaft festzuhalten, als verfassungswidriger Verstoß gegen die Menschenwürde angesehen. Wer solches offen in sozialen Netzwerken verkündet oder Gruppierungen angehört oder unterstützt, die entsprechende Forderungen erheben oder denen das nachgesagt wird, kann auf verschiedenste Weise belangt werden. Die Palette staatlicher Maßnahmen gegen die Bürger reicht von Waffenverboten über Disziplinarmaßnahmen gegen Beamte, die Aberkennung des luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeitsstatus bis hin zu Aufenthaltsuntersagungen. Dagegen muss sich beispielsweise der österreichische IB-Aktivist Martin Sellner derzeit vor dem VG Sigmaringen wehren, nachdem er im März 2024 durch die Stadt Potsdam bereits ein Einreiseverbot für ganz Deutschland erhalten hatte, das das VG Potsdam aber aufhob.[1] Für politische Parteien kann eine Einstufung als verfassungsfeindlich existenzbedrohend sein, da sie gemäß Artikel 21 Absatz 2 GG verpflichtet sind, auch in ihren Zielen der FDGO zu entsprechen. Falsches Denken kann in einem Verbot enden.[2] Für Vereine gilt das gemäß Art. 9 GG Abs. 2 GG ebenfalls. Der Compact-Verlag sieht sich dem seit 2024 ausgesetzt, und die AfD wird damit ständig bedroht. Durch den Verfassungsschutz wurde sie als extremistischer Verdachtsfall eingeordnet, unter anderem wegen des Festhaltens an dem stigmatisierten Volksbegriff. Zwei Gerichtsinstanzen, das VG Köln[3] und das OVG Münster[4] bestätigten die Einstufung. Im Berufungsurteil heißt es hierzu:[5]
„Es besteht der begründete Verdacht, dass es den politischen Zielsetzungen jedenfalls eines maßgeblichen Teils der Klägerin entspricht, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen, weil zu ihren zentralen politischen Vorstellungen gehört, dass es eine von der Staatsangehörigkeit unabhängige „ethnisch-kulturelle“ Volkszugehörigkeit gibt, die von entscheidender Bedeutung für die Bewahrung der deutschen Kultur und Identität ist und es deshalb rechtfertigt, bei rechtlichen Zuordnungen danach zu unterscheiden, ob und gegebenenfalls aus welchem Kulturraum deutsche Staatsangehörige oder deren Eltern zugewandert sind. Dies stellt eine nach Art. 3 Abs. 3 GG unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung dar, die mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren ist.
Dabei steht außer Frage, dass bei der Bestimmung des „Volkes“ im Sinn von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG ethnischen Zuordnungen keine exkludierende Bedeutung zukommt. Das Grundgesetz überlässt es dem Gesetzgeber, Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit zu regeln. Danach kann der Gesetzgeber im Staatsangehörigkeitsrecht maßgeblich an das Abstammungsprinzip oder die deutsche Volkszugehörigkeit im Sinn von Art. 116 Abs. 1 GG anknüpfen. Insbesondere bei einer erheblichen Zunahme des Anteils der Ausländer an der Gesamtbevölkerung des Bundesgebiets kann er aber auch dem Ziel einer Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft staatlicher Herrschaft Unterworfenen durch eine Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit für Ausländer, die sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, Rechnung tragen. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, ist aus Sicht der Verfassung unabhängig von seiner ethnischen Herkunft Teil des Volkes.“
Diese Rechtsprechung führt sich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im zweiten NPD-Verbotsverfahren vom 17.01.2017 zurück. Dort liest man unter anderem:
„Menschenwürde ist egalitär; sie gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht (vgl. Isensee, in: Merten/Papier, HGRe, Bd. IV, 2011, § 87 Rn. 168). Dem Achtungsanspruch des Einzelnen als Person ist die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der rechtlich verfassten Gemeinschaft immanent (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 120 <Mai 2009>). Mit der Menschenwürde sind daher ein rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlungen nicht vereinbar (vgl. Höfling, a.a.O., Art. 1 Rn. 35)….[6]“
Im Weiteren stellt es fest, dass ein an ethnischen Kategorien orientierter Volksbegriff mit der Menschenwürde unvereinbar sei.[7] Die Eindeutigkeit seines Verdiktes steht im Gegensatz zum Grundgesetz, denn im vom OVG Münster in Bezug genommenen Art. 116 heißt es in Absatz 1:
„Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“ [H.d.V.]
Während das Bundesverfassungsgericht den im Grundgesetz vorhandenen Begriff der Volkszugehörigkeit für seine Entscheidung schlicht ignoriert[8], verwickelt sich das OVG Münster in einen bemerkenswerten Selbstwiderspruch. Denn zum einen gesteht es dem Gesetzgeber ein Wahlrecht (!) zu, bei der Bestimmung des Staatsbürgerrechts an das Abstammungsprinzip bzw. die deutsche Volkszugehörigkeit oder an die faktische Gesamtbevölkerung anzuknüpfen. Zum anderen sieht es eine politische Zielsetzung als verfassungsfeindlich an, die aus ethnisch-kulturellen Differenzen staatsbürgerrechtliche Folgerungen zieht. Selten hat sich eine Argumentation so widerlegt wie diese. Denn wenn es das Recht des Gesetzgebers ist, die Staatszugehörigkeit aus der Volkszugehörigkeit abzuleiten, dann folgt daraus begriffsnotwendig, dass eine politische Partei, die als gegenwärtiger oder künftiger Teil des Gesetzgebers fungiert, ebenso berechtigt ist, entsprechende Forderungen zu erheben und öffentlich zur Debatte zu stellen. Sie kann demnach nicht verfassungsfeindlich sein. In seiner argumentativen Inkonsequenz hat das Gericht mit erfreulicher, aber womöglich nicht bedachter, Deutlichkeit ausgesprochen, dass Volkszugehörigkeit und Staatsbürgerschaft nicht gleichzusetzen sind. Daher soll im folgenden versucht werden, die Begriffe zu ordnen.
Volk im Staatsorganisationsrecht
Im Grundgesetz taucht der Volksbegriff an unterschiedlichen Orten auf. In der Präambel wird konstatiert, dass es, das GG, nunmehr, nach der Vereinigung West- und Mitteldeutschlands für das gesamte Deutsche Volk gelte. In Art. 1 Absatz 2 bekennt sich dieses Volk zu den „unverletzlichen“ und „unveräußerlichen“ Menschenrechten. Schließlich erscheint es in der organisatorischen Fundamentalnorm des Art. 20 Absatz 2:
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“
Damit wird „das“ Volk zum staatlichen Souverän erklärt, was gemäß Art. 79 Absatz 3 GG als unabänderlich gilt. Nicht einmal ein einstimmiger Beschluss des Bundestages könnte die Volkssouveränität aufheben. Als Souverän wird „Volk“ zum Zentralbegriff der gesamten Verfassungsordnung. Durch die Kuppelung Volk gleich Staatsgewalt wird Volk als Träger, und zwar als alleiniger, staatlicher Rechte definiert. Daraus folgt, dass Volk insoweit als Gesamtheit der Staatsbürger zu verstehen ist, denn Rechte im Staat kann nur ausüben, wer Teil des Staates ist, und wenn das Volk die höchsten Rechte besitzt, kann insoweit nur das Staatsvolk gemeint sein. Das wird durch diejenigen vorangehenden Grundrechte bestätigt, in denen sich der Begriff „Deutsche“ findet, denen das entsprechende Recht vorbehalten ist, zum Beispiel die Versammlungsfreiheit. Im Gegensatz dazu kennt das Grundgesetz auch Jedermannsrechte wie die Meinungsfreiheit. Auch eine solche Differenzierung ergibt nur einen Sinn, wenn man als „Deutsche“ die Inhaber der Staatsbürgerschaft versteht, da Staatsbürger in Konsequenz des eben genannten Artikels 20 alle Rechte haben, demnach auch alle Grundrechte, was für bloße Bewohner nicht gilt. Nach der von Georg Jellinek[9] begründeten Drei-Elemente-Lehre setzt sich der Staat aus Staatsvolk, verstanden als Staatsbürger, Staatsgebiet und Staatsgewalt zusammen. Mit all dem ist aber nur eine funktionale Rechtsstellung beschrieben. Wer Teil dieses Volkes ist, wer also Staatsbürger werden kann, ist damit nicht gesagt.
Volk als soziologischer Begriff
Dazu bringt der zuvor genannte Art. 116 Aufschluss. Seine bemerkenswerte Formulierung knüpft an die klassische Auffassung vom Volk, die wahrscheinlich jeder intuitiv im Sinn hat, wenn der Begriff aufkommt. Der Historiker Friedrich Meinecke formulierte es wie folgt:
„„Gemeinsamer Wohnsitz, gemeinsame Abstammung – oder genauer gesagt, da es keine im anthropologischen Sinne rassenreinen Nationen gibt –, gemeinsam oder ähnliche Blutmischung, gemeinsame Sprache, gemeinsames geistiges Leben, gemeinsamer Staatsverband oder Föderation mehrerer gleichartiger Staaten – alles das können wichtige und wesentliche Merkmale einer Nation sein.“[10]
Ähnliches kann man erstaunlicherweise auch in einem Lehrbuch des nachmaligen Bundespräsidenten Roman Herzog[11] lesen, und wenn der berühmte Staatsrechtler der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts Carl Schmitt den Staat die politische Einheit eines Volkes nennt[12], ist damit ausgedrückt, dass sich der Staat vom Volk ableitet, und nicht umgekehrt. Schmitt ist es denn auch, der knapp aber klar feststellt, dass es ein Volk vor der Verfassung gibt, also, dass erst das Volk besteht, das sich einen Staat konstituiert. Das verlangt aber denknotwendig eine soziologische Eigenheit. Die Staatsbürgerschaft kann nach diesem Verständnis nicht der konstituierende Begriff sein. Das wird durch eine Überlegung aus dem Völkerrecht gestützt. Während des Ersten Weltkrieges brachten die damaligen Entente-Mächte den Begriff des Selbstbestimmungsrechts der Völker auf. Das taten sie selbstverständlich nicht, um eine gerechtere Weltordnung zu errichten, sondern als Propaganda-Parole, um Österreich-Ungarn, den Verbündeten des Deutschen Reichs, zu zersetzen. Denn die Habsburgermonarchie galt als Vielvölkerstaat, der dadurch gekennzeichnet ist, dass unter einer Staatsbürgerschaft zahlreiche „Völker“ zu Staatsbürgern zusammengefasst sind.[13] Im Falle Österreich-Ungarns wäre es demnach unsinnig gewesen, zu sagen, es bestehe neben Serben, Kroaten, Tschechen, Slowenen, Ungarn usw. auch aus Österreichern. Österreicher waren sie alle. Die entsprechende Volkskategorie war insofern die der Deutschen, die ihrem nach dem Krieg verbliebenen Rumpfstaat im ersten Staatsgrundgesetz von 1918 den Namen „Deutsch-Österreich“ gaben und den Anschluss an das Deutsche Reich forderten. Auch die Deutschen in der neu geschaffenen Tschechoslowakei bekannten sich als eben das: (Sudeten-) Deutsche, und nicht etwa als Österreicher oder Böhmen. All das verdeutlicht, dass Volk etwas kategorial anderes ist als Staatsbürger.
Das aber leugnen die Vertreter der Gegenwartslehre. Sie meinen, aus dem ersten Halbsatz des Artikels 116 „Deutscher ist, wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt“, folgern zu können, dass sich das Volk an sich (und ausschließlich) von den Bürgerechten ableite und es daher dem Gesetzgeber freistehe, nach Belieben den Kreis der Volksangehörigen zu erweitern (nicht aber zu verringern, denn dagegen spreche die Menschenwürde, siehe oben). Die Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts bewirkt also die Veränderung des Volkes und somit des Souveräns selbst. Genau das geschah erstmals im Jahre 1999, als das bis dahin geltende Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz durch das Staatsangehörigkeitsgesetz abgelöst wurde. Damit wurde das Abstammungsprinzip durch das Bodenprinzip ersetzt. Deutscher ist nun, wer in der Bundesrepublik geboren wird, egal woher seine Vorfahren kommen. Seitdem wurde das Gesetz immer wieder verändert, im Propagandasprech der Verantwortlichen „modernisiert, um die Möglichkeiten zur Einbürgerung umfassend zu erweitern. Jüngst geschah das 2024, um einen neuen Überfremdungsschub herbeizuführen. Über die ständige Reform des Staatsbürgerrechtes die Änderung bzw. partielle Ersetzung des Souveräns zu erwirken, ist aber faktisch nichts anderes, als ein staatspolitischer Umsturz, der das Prinzip der Volkssouveränität auf kaltem Wege außer Kraft setzt.
Darüber hinaus steht einem solchen Vorgehen Art. 79 Absatz 3 GG entgegen, wonach die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze „Ewigkeitswert“ genießen, nicht, auch nicht einstimmig geändert werden können. Das mindeste, was bei einer Entscheidung solcher Tragweite zu verlangen wäre, wäre, dass der Souverän dazu befragt würde, also eine Volksabstimmung der bisherigen Staatsbürger stattfände. Richtigerweise hielten zwei der führenden deutschen Staatsrechtler, die Professoren Hans-Jürgen Isensee und Rupert Scholz, den Anschlag auf das bis dahin geltende Recht im Jahre 1999 für unzulässig. Isensee sprach sogar von einem Staatsstreich durch das Parlament.[14] Mit ihrer Kritik blieben die beiden Juristen ungehört. Aber in der Sache hatten sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Das bedeutet, dass nahezu jede Einbürgerung und Verleihung der Staatsbürgerschaft an Fremde seit 1999 verfassungswidrig war bzw. ist, und zwar in einer Offensichtlichkeit, dass man sie für nichtig halten könnte.
Das Wahrungsgebot
Ein abschließender Blick auf eine der wenigen verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zum Volksbegriff unterstreicht die vorgenannten Überlegungen. Es handelt sich um den Teso-Beschluss vom 21. Oktober 1987.[15] Dem lag die Frage zugrunde, ob ein in der DDR aufgewachsener Bürger, der über seine Mutter (auch) die italienische Staatsbürgerschaft besaß, nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik „Deutscher“ im Sinne des Art. 116 GG sei. Im Schwerpunkt ging es um das Verhältnis der Staatsbürgerschaft der DDR zu der der Bundesrepublik, bzw. um die Frage einer einheitlichen Staatsbürgerschaft, unabhängig von dem Bestehen zweier deutscher Staaten. Bekanntlich vertrat die alte BRD bis zuletzt den Standpunkt der einheitlichen (deutschen) Bürgerschaft, weshalb DDR-Flüchtlinge in der Bundesrepublik nicht eingebürgert wurden, sondern automatisch als Deutsche und damit als bundesdeutsche Staatsbürger galten. Aus dem Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes leitete das Bundesverfassungsgericht daher ein Wahrungsgebot bezüglich der Staatsangehörigkeit ab. Der erste Leitsatz des Beschlusses lautet:
„Aus dem Gebot der Wahrung der Einheit der deutschen Staatsangehörigkeit (Art. 116 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 GG), das eine normative Konkretisierung des im Grundgesetz enthaltenen Wiedervereinigungsgebots ist, folgt, dass dem Erwerb der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik für die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland in den Grenzen des ordre public die Rechtswirkung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit beizumessen ist.“
In der Begründung führt das Gericht sodann aus:
„Aus dem Wahrungsgebot folgt insbesondere die verfassungsrechtliche Pflicht, die Identität des deutschen Staatsvolkes zu erhalten. Diese Pflicht ist nicht statisch auf den Kreis derjenigen Personen begrenzt, die bei Inkrafttreten des Grundgesetzes deutsche Staatsangehörige waren, und auf jene, die später zufolge des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben und noch erwerben werden.“
„Die im Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes enthaltene Wahrungspflicht gebietet es auch, die Einheit des deutschen Volkes als des Trägers des völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts nach Möglichkeit zukunftsgerichtet auf Dauer zu bewahren.“
Die Verfechter der multikulturellen Auflösung behaupten nun, dass aus der Anknüpfung der Entscheidung an das Staatsbürgerrecht (und nicht an das Volkstum) dem Abstammungsprinzip vom Gericht eine Absage erteilt worden sei.[16] Aber das ist ein Denkfehler. Denn das Gericht verlangt, die Identität des Staatsvolkes in der Form zu erhalten, wie es sie durch das RuStG von 1913 seinerzeit besaß. Wenn also von einer Identität in Bezug auf das Staatsbürgerrecht gesprochen wird, dann ist damit eine Identität auf das in dem damaligen Staatsbürgerrecht festgeschriebene Abstammungsprinzip inbegriffen. Ein anderes Urteil[17] gesteht allerdings dem Gesetzgeber zu, über das Staatsbürgerrecht die Zusammensetzung des Staatsvolkes zu ändern. Es setzt sich jedoch nicht mit den grundlegenden Fragen von Abstammungsvolk und Staatsvolk auseinander und denkt auch eher an erleichterte Einbürgerungen als an eine komplette Revision der Staatsbürgerschaft. Dabei ist anzumerken, dass noch nie, auch im Kaiserreich die Staatsbürgerschaft einem monolithischen, völkischen Block entsprach. Grundsätzlich spricht auch nichts dagegen, sie in Maßen unabhängig von der Ethnie zu vergeben, es sei denn, damit soll der große Austausch zulasten der autochthonen Bevölkerung juristisch abgesichert werden.
Fazit:
Das heißt, dass vom ursprünglichen deutschen, auch bundesdeutschen, Staatsbürgerrecht der ethnische Volkstumsbegriff vorausgesetzt und dieser in jenem enthalten ist. Seine Abschaffung über die einfachgesetzliche Änderung der Staatsbürgerschaft im Jahre 1999 war ein verfassungswidriger, rechtstechnischer Taschenspieletrick, der die Stellung des Staatsvolkes im Verfassungsgefüge ignorierte.
Wenn man der hier vertretenen Auffassung folgt, ergibt sich eine interessante politische Konsequenz: Parteien wie die AfD oder Gruppen wie die IB oder andere sind es nämlich dann, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Die Faesers, Haldenwangs und wie sie heißen, sind es hingegen nicht.
[1] Klage gegen das Aufenthaltsverbot: VG Karlsruhe 9 K 4719/24, zum Einreiseverbot von Potsdam siehe: legal tribune https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/martin-sellner-einreiseverbot-aufgehoben-vg-potsdam.
[2] Umfassend zur Thematik eines ideologisch begründeten Parteiverbots: Schüßlburner, Demokratie-Sonderweg Bundesrepublik, Königstein 2004.
[3] VG Köln Urteil 13 K 326/21 vom 08.03.2021
[4] OVG Münster Urteil 5 A 1218/22 vom 13.05.2024. Die urteile sind bei Eingabe der Aktenzeichen leicht im Netz zu finden. Auch im Falle von Compact bildet der völkische Volksbegriff einen Schwerpunkt der Vorwürfe.
[5] Randnummern 206 und 207.
[6] Rn. 541.
[7] Rnrn. 688 bis 691.
[8] Grundlegende Kritik an dem Urteil bei Thor v. Waldstein, Wer schützt die Verfassung vor Karlsruhe, 2017.
[9] Allgemeine Staatslehre, 3. Auflage, 1928, S. 394ff.
[10] Friedrich Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, 2. Aufl., München und Berlin, 1911, S. 1.
[11] Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a.M., 1971, S. 43.
[12] Verfassungslehre, 8. Aufl., 1993, S. 3. Im Begriff des Politischen, erste Seite des Haupttextes, nennt er den Staat den Status (zustand) des in territorialer Geschlossenheit organisierten Volkes.
[13] Das erfährt der Leser sogar bei Wikipedia, Stichwort Vielvölkerstaat.
[14] Scholz/Uhle, NJW 1999, 1510ff; Isensee, Die Welt (sic!), 06.01.1999.
[15] BVerfGE 77, 137.
[16] So die Frankfurter Rundschau in gewohnt pseudoironisch-herablassenden Stil am 07.01.2019, https://www.fr.de/politik/angeblicher-verfassungsauftrag-11024520.html.
[17] BVerfGE 83, 37 vom 31.10.1990..