Der nachfolgende Text stellt die Meinung des Autors dar und kann daher in Teilen von den Ansichten der Redaktion abweichen.
In einem vorherigen Beitrag habe ich mich mit dem Thema Intermarium befasst.
Meine Absicht war es, den Lesern die Geschichte und den politisch-ideologischen Hintergrund dieser geopolitischen Idee zu präsentieren. Das Intermarium an sich, als ein polnisches, nationalistisches, aber zu gleichen Zeit auch ein multilaterales geopolitisches Projekt, braucht tiefere und weitere Analysen. Neben dem Intermarium schreibe ich auch kurz über den Irakkrieg von 2003 und wie dieser Konflikt im Nahen Osten einen neuen geopolitischen Prozess in Europa ausgelöst hat, der sich erst heute entfesselt.
Gemeinsame polnisch-amerikanische Interessen
Der Irakkrieg in 2003 und die Destabilisierung des Nahen Ostens durch den amerikanischen Angriff verursachten zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges eine Spaltung zwischen den führenden NATO-Koalitionspartnern: der USA auf der einen und Frankreich sowie Deutschland auf der anderen Seite. Der Konflikt im Irak und das militärische Abenteuer der US-Soldaten im Nahen Osten wurden in Paris und Berlin kritisch beäugt. Die damaligen Regierung der beiden Länder weigerten sich, aktiv in den Konflikten mitzumischen. Für die führenden Geostrategen in den USA war diese Verweigerung Deutschlands und Frankreichs ein klares Zeichen, dass die USA andere Alternativen und Bündnisse suchen muss. Die zwei europäischen Wirtschaftsmächte waren und sind auch heute immer noch die wichigsten Partner der Vereinigten Staaten, doch die Beziehungen sind weit davon entfehrnt, ideal zu sein. Zu der Zeit, als der Irakkrieg anfing, waren die zehn Nationen (Polen, Ungarn, Tschechische Republik, Slowakei, Estland, Litauen, Lettland, Malta, Zypern, Slowenien) aus Zentral-Osteuropa einen Schritt vor dem Eintritt in die Europäische Union. In 1999 wurden die einstigen Warschaupakt-Staaten Ungarn, Polen und die Tschechische Republik zu Mittgliedern des NATO-Paktes. Der Irakkrieg war die erste große Prüfung und für die Regierungen dieser Länder das perfekte Szenario, in dem sie aktiv ihre Loyalität den Vereinigten Staaten beweisen konnten. Die Verweigerung Deutschlands und Frankreichs, sich aktiv in den Konflikt einzumischen, gab der polnischen Führung die Möglichkeit, eine aktive Rolle in dem Konflikt zu spielen und die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu vertiefen.
Die bis 2003 für Amerika weniger bedeutenden Länder in Zentral-Osteuropa wurden schnell zu Prioritätspartnern.In den Jahren danach entwickelten amerikanische und polnische Geostrategen neue geopolitische Ideen und Programme, die heute Schritt für Schritt realisiert werden. Die Schlüsselrolle spielt das amerikanische geopolitische und außenpolitische Büro Stratfor. Stratfor ist eine private, aber durch das amerikanische Steuergeld finanzierte außenpolitische Plattform im Auftrag der US-Regierung. Der Gründer Stratfors, George Friedman in Zusammenarbeit mit der US-Regierung und der Regierung aus Warschau, arbeitet seit mehr als zehn Jahren daran, das Intermarium-Projekt zu realisieren. Doch was steht hinter diesem Projekt und warum ist es so wichtig? Im Februar 2016 hielt Stratfor-Gründer George Friedman eine öffentliche Rede vor den Medien, in der er das Hauptziel der amerikanischen Außenpolitik kommentierte: „Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts im Ersten und Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Vereint sind sie die einzige Macht, die uns (Amerika) bedrohen kann. Unser Hauptinteresse war sicherzustellen, dass dieser Fall nicht eintritt.“
Die Beziehungen zwischen Polen und den Vereinigten Staaten werden auf gemeinsamen Interessen aufgebaut. Polens Ernüchterung nach Jahrzehnten kommunistischer Diktatur und der neuerrungenen Unabhängigkeit nach dem Zerfall der Sowjetunion resultierte in einer Mobilisierung der polnischen staatlichen Elite und der Konsolidierung polnischer nationaler Interessen. Das Hauptinteresse Warschaus ist die politische und militärische Sicherung Polens sowie ein schnelles Wirtschaftswachstum. Beide Ziele wollen verwirklicht sein durch eine enge Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten. Die polnische Außenpolitik in Europa ist nach dem Eintritt in die EU darauf fokussiert, ein Investitionsziel zu sein und somit die Wirtschaftsstabilität Polens zu sichern. Polen ist eines der EU-Länder, die am meisten Förderungsgelder beantragen und zugleich genehmigt bekommen. Daraus resultieren aber auch große Nachteile. Wirtschaftlich ist das Land abhängig von Brüssel und Deutschland, als zwei der größten Investitionspartner. Die Industrie in Polen basiert zu einem großen Teil auf Zusammenarbeit mit deutschen Konzernen, die auch in Polen ihre Betriebe aufgebaut haben. Was Energie und Rohstoffe betrifft, ist Polen komplett von Russland abhängig. Die polnisch-russischen Beziehungen waren nie sehr gut, und die Warschau-Washington Politik scheint einen Dialog und eine Entspannung zwischen Moskau und Warschau unmöglich zu machen. Obwohl die zwei Staaten gut aufgebaute Kontakte haben, scheint eine Politik des Vertrauens unmöglich zu sein.
Vertrauen und Kooperation zwischen Berlin und Moskau dagegen werden mit der Zeit intensiver und immer deutlicher, was in Warschau und Washington für Unruhe sorgt. Die starke amerikanische Lobby und der ideenlose Mainstream in Berlin sind auch leider unfähig, die offensichtlich vielversprechenden Beziehungen und großen Potenziale Russlands positiv auszunutzen.
Eine Vertiefung der deutsch-russischen Beziehungen würde das Ende der EU-Politik bedeuten und zugleich ein Tabu-Thema auf den Tisch bringen, das in der deutschen Politik nie angesprochen wird: Die Frage nach der deutschen Souveränität. Ein politisch impotentes Deutschland, das seine politische und wirtschaftliche Kraft und Kapazität auf die Stärkung der EU-Föderation richtet, anstatt auf ihre eigenen nationalen Interessen, kann einen politischen Wandel innerlich aber auch äußerlich nicht hervorbringen. Ein großes Problem Deutschlands ist die offene militärische Besatzung, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine Kontinuität darstellt. Die russisch-deutschen Beziehungen sind stark spürbar im politischen „Untergrund“ – meistens sind es deutsche patriotische und rechte Organisationen, Parteien und individuelle Personen, die auf verschiedenen Ebenen mit Russland politischen oder wirtschaftlichen Kontakt suchen.
Von der russischen Seite her kamen auch offene Vorschläge der Zusammenarbeit gen Berlin, doch aus schon erwähnten Gründen werden diese gekonnt ignoriert. In Polen wird die deutsch-russische politische Interaktion genau beobachtet. Historisch gesehen betrachtet Polen Russland und Deutschland als Konkurrenz, in Teilen sogar als feindlich. Die Furcht von einer deutsch-russischen Zusammenarbeit oder auch einer zukünftigen Allianz ist groß. Wenn man in die Geschichte blickt, ist es nicht schwer zu verstehen, wieso Polens Sorgen so groß sind. Es ist auch aus polnischer Sicht legitim, das Land schützen zu wollen um seine eigene Souveränität zu erhalten, doch eine Zusammenarbeit mit dem Welthegemon, der Westeuropa in den Abgrund schiebt, sollte nicht der Weg sein um diese legitimen Ziele zu verwirklichen. Europa braucht Einigkeit und Zusammenarbeit.
Eine Alternative
Das Intermarium ist und bleibt aber das Hauptprojekt und Ziel der polnischen und amerikanischen Strategen. Polens Wunsch, sich als Regionalmacht in Mittel-Osteuropa zu etablieren, soll mit der finanziellen und militärischen Hilfe der Vereinigten Staaten Wirklichkeit werden. Doch das Intermarium (Zwischenmeerraum) ist nicht nur Polen. Das Intermarium soll alle Länder vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer und der Adria zusammenfügen. Eine Alternative zur EU mitten in der EU. Ein fast politisches Paradox. Die Auswirkungen der Formierungen des Intermariums würden für Deutschland und Europa schwere Konsequenzen haben. Meistens wirtschaftlich, aber auch geopolitisch wird Westeuropa isoliert. Das Intermarium ist eine Pufferzone zwischen Deutschland und Russland. Wenn das Intermarium politische Realität sein sollte, wird eine deutsch-russische Zusammenarbeit fast unmöglich sein. Die Ökonomie spielt dabei eine große Rolle. Mit der Formierung des Intermariums wird es Russland schwer haben, Rohstoffe nach Westeuropa zu liefern. Der sogenannte Nordstream 2, den die polnischen Politiker als einen zweiten Molotov-Ribbentrop-Pakt bezeichnet haben, wird nicht genug sein, um Deutschland und den Westen mit Gas zu versorgen. Das Intermarium an sich wird wirtschaftlich von Amerika abhängig sein. Schon jetzt wird besprochen, dass die EU und Washington LNG Gasterminals finanzieren wollen in den Ländern, die Teil des Intermariums sein sollen. Kroatien soll das Hauptzentrum der Gasversorgung sein. Auf der Adriaküste soll das größte LNG Terminal Südeuropas aufgebaut werden, welches amerikanisches Öl und Gas speichern und weiter in die Länder des Intermariums liefern soll. So will man Polen und Europa zwischen Deutschland und Russland unabhängig von den zwei Staaten machen, doch dafür abhängig von Amerika, die ihre Rohstoffe viel teurer in den Ländern verkaufen werden, die Teil des Intermariums sein sollen. Ein weiteres LNG Terminal für Erdgas ist auch in Danzig geplant.
Die große Frage ist, welche Alternativen haben Europa, Deutschland, Polen und Russland? Das Hauptproblem Europas ist, dass Deutschland als einflussreichste und führende Wirtschaftskraft keine politische Souveränität hat. Zu einer positiven Entwicklung kann es nur kommen, wenn in Deutschland ein politischer Wandel vollzogen wird. Eine Abbrechung der Brüssel-Politik ist notwendig und eine national-orientierte Politik muss zum Schwerpunkt werden. Deutschland, Europa und Russland können zusammen den offensichtlich schädlichen amerikanischen Einfluss auf unseren Kontinent beenden und eine feste, sichere und langfristige Union bilden, die unsere Souveränität, Kultur, Selbstständigkeit und ethnische Identität sichern kann, mit unbegrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten. In der gesamten europäischen Geschichte gab es nie so viel Verlangen nach einem vereinten Europa wie heute. Auch Polens Ansprüche und Bedürfnisse sollen akzeptiert werden. Der Schlüssel zu Frieden und Kooperation in Europa soll eine Politik der offenen Zusammenarbeit sein, nicht eine für Europa schädliche Politik, die einem bestimmten Staat Vorteile bringt und den Rest des Kontinents dafür bezahlen lässt. So eine Politik kann nur mit neuen Konflikten und potenziellen Kriegen in der Zukunft resultieren, aus denen kein europäisches Land etwas Gutes erben würde, nur die Feinde Europas. Eine konkrete geopolitische Alternative zu EU, NATO und dem Intermarium bietet der russische Philosoph und Geostratege Alexander Dugin mit seinem Konzept des Euroasianismus und der „vierten politischen Theorie“. Es gilt sich dieser künftig zu widmen, sie ausgiebig zu studieren und in einem europäisch-asiatischen Kontext zur Debatte zu stellen.