Das Ideal des Paneuropäischen Nationalismus

von | 24. Nov. 2022 | Debatte, Philosophie & Theorie

Aus dem Englischen übersetzt von Alexander Markovics

Stefan Brakus geht in diesem Essay auf die Ideologie des paneuropäischen Nationalismus ein, wobei er sich stark auf Sir Oswald Mosley bezieht. Unser Autor beschreibt damit ein Phänomen, welches innerhalb der deutschen Rechten eher vernachlässigt wurde, jedoch mit Zuspitzung und Internationalisierung der Probleme zunehmend vorzufinden ist. Der Artikel ist Bestandteil der Ekklesia in der neuen AGORA, die sich diesmal mit dem Thema der europäischen Geopolitik widmet. Bei der Ekklesia handelt es sich um unseren Diskussions- und Debattenteil, in dem verschiedene Positionen zu Wot kommen und das Leitthema der Ausgabe von diversen Perspektiven betrachtet wird. Die neue Ausgabe der AGORA kann hier erworben werden. Die Redaktion

Der Begriff „Paneuropäischer Nationalismus“ beschwört eine große Zahl von Bildern in unseren Köpfen, da man im Rahmen dessen die Ideologie des Nationalismus auf einen ganzen Kontinent anwendet und sonst für gewöhnlich nur im nationalen Rahmen. Die meisten Nationalisten sind daran gewöhnt, ihre Ideologie auf einer nationalen oder regionalen Ebene anzuwenden, da ihr Sinn für Identität, Gemeinschaft und Souveränität meist mit dem Konzept des Nationalstaates an sich verbunden ist. Jedoch gab es während des 20. Jahrhunderts Menschen, die nach mehr strebten, um der geographischen Ausdehnung ihres Nationalismus zu helfen, indem sie ihn nicht länger von den Grenzen ihrer eigenen Nationalstaaten eingrenzen ließen. Dies sind die paneuropäischen Nationalisten.

Seiner einfachsten Definition zufolge handelt es sich beim paneuropäischen Nationalismus um eine Ideologie, die genauso wie andere Nationalismen funktioniert, jedoch viel weiter geht. Sie betont, dass es notwendig ist, alle Europäer unter einer einzigen europäischen Identität zu vereinigen, anstatt dass sich die Menschen nur zu einer einzelnen nationalen Identität bekennen und nur zu einem Nationalstaat gehören. Zwar gewann diese Ideologie unter verschiedenen nationalistischen Bewegungen der Nachkriegszeit in den 1950er Jahren an Berühmtheit, das Konzept an sich existierte aber tatsächlich bereits im frühen 20. Jahrhundert und wurde von einer großen Anzahl bekannter nationalistischer Persönlichkeiten in ganz Europa vertreten. Der wahrscheinlich berühmteste unter ihnen war der britische Nationalist Oswald Mosley.

Paneuropäischer Nationalismus nach Oswald Mosley

Im Anschluss an das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa, mit dem Zusammenbruch Deutschlands, begannen sich unter deutschen Nationalisten Konzepte wie jenes von der Nation Europa zu bilden, die während der alliierten Besetzung des vom Kriege verwüsteten Landes ihre Ideologie nur im Untergrund ausleben konnten. Im Gegensatz zum untergegangenen Nationalsozialismus wurden Konzepte wie die Nation Europa mit der Vision gemeinsamer nationaler Bindungen zwischen allen Nationen und Völkern Europas erdacht, unabhängig von Ethnizität und Rasse, wodurch der Hass und die Feindschaft des Krieges und der vergangenen Jahrzehnte überwunden wurden. Oswald Mosley, der bis zum Ende des Krieges selbst Deutsch gelernt hatte, war stark von den Ideen deutscher Nationalisten im Untergrund beeinflusst worden[1], ebenso wie von den Werken Benito Mussolinis, die genauso für die Idee einer großen „europäischen Gemeinschaft” eintraten.[2] Trotz dieser Einflüsse der Nachkriegszeit behauptete Mosley selbst bereits im Jahr 1936 für ein politisch stärker vereintes Europa eingetreten zu sein. In einer Abhandlung mit dem Titel The World Alternative (Die Weltalternative), welche im selben Jahr veröffentlicht wurde, gab Mosley folgendes bekannt: „Wir müssen zum fundamentalen 31Konzept der Europäischen Union zurückkehren, dass die Kriegsgeneration von 1918 beseelte…[3]

Obwohl man darüber streiten kann, ob die British Union of Fascists (BUF) vor und während des Zweiten Weltkrieges für ein Europa unter einer einzigen Fahne eingetreten ist – und dabei dem Wesen nach noch einheitlicher als die USA – gab Mosley in seinem Buch Tomorrow We Live (Morgen leben wir) im Jahr 1938 bekannt, dass er absolut für die Konzepte eines „Vereinigten Europas“ und eines „Neuen Europas“ eintrete.[4] Es dauerte jedoch bis zur Veröffentlichung seines Buches The Alternative im Jahr 1947, dass Mosleys‘ Fürsprache für ein Europa in Form eines einzigen Nationalstaates ausdrücklich klar gemacht wurde[5]. Indem er argumentierte, dass das althergebrachte Konzept des Nationalstaats-nationalismus unzureichend war, um die wahrhaftigen Ziele der Nationalisten in ganz Europa zu erreichen, kam er zu dem Schluss, dass ein vereintes Europa unter einer einzigen Regierung der nationalistischen Sache auf lange Sicht gesehen viel zuträglicher wäre[6]. Es muss auch angemerkt werden, dass Mosley das Konzept eines föderalistischen und vereinten Europas analog zu den USA – sozusagen die Vereinigten Staaten von Europa – entschlossen ablehnte und sich stattdessen für einen einheitlichen europäischen Nationalstaat unter einer einzigen Regierung aussprach[7]. Ein weiteres Argument von Mosley zugunsten eines vereinten Europas lag darin, dass mit dem Beginn des Kalten Krieges ein einzelner europäischer Nationalstaat das Potenzial hätte, bei weiteren geopolitischen Spannungen zwischen den kapitalistischen USA und den kommunistischen UdSSR abschreckend zu wirken, wobei die vorgeschlagene Einheit der germanischen Rasse als Fundament für die Stabilität des neuen Europas gedient hätte[8]. Auch nicht-germanische Rassen hätten eine Rolle in diesem neuen Europa gespielt, wobei die lateinischen Völker von besonderem Interesse für Mosley waren[9]. Demokratische Wahlen wären in diesem neuen Europa in besonderem Maße korporatistischer Natur, wodurch das Wesen einer Ideologie der Dritten Position reflektiert wird, insbesondere hinsichtlich ihrer sozio-ökonomischen Dimension[10]. Eine detaillierte Beschreibung seiner Vision eines vereinten Europas und der von ihm dafür vorgeschlagenen Regierungsform legte Mosley in seinem 1958 erschienen Buch „Europe: Faith & Plan“ vor.

Mosleys Vision eines geeinten Europas hat seitdem gemischte Gefühle bei Nationalisten in ganz Europa und der restlichen Welt hervorgerufen. Der englische Journalist und Aktivist A. K. Chesterton (der Cousin zweiten Grades des Schriftstellers und Philosophen G. K. Chesterton) wies Mosleys‘ Konzept eines vereinten Europas aufs Schärfste zurück und begründete dies damit, dass sich britische Nationalisten allein auf den britischen Nationalismus konzentrieren sollten[11]. Diese Ansicht teilte die Mehrheit der nationalistischen Wählerschaft Britanniens und führte Einwanderung und andere innere Angelegenheiten als für ihre Wahl entscheidender an als das Konzept eines vereinten Europas[12]. Sympathisanten von Mosleys Konzept eines geeinten Europas waren der französische Philosoph Alain de Benoist, der maltesische Politiker Normann Lowell von der Imperium Europa Partei und der belgische Theoretiker Jean-Francois Thiriart[13]. Mit Thiriart werden wir uns als nächstes befassen.

Der paneuropäische Nationalismus nach Jean-Francois Thiriart

Geboren 1922, war Jean-Francois Thiriart ein belgischer Theoretiker, der einen viel interessanteren weltanschaulichen Hintergrund hatte als die meisten anderen Nationalisten in Europa. In eine linksgerichtete Familie hineingeboren, war Thiriart bis zum Zweiten Weltkrieg ein Sozialist und antifaschistischer Aktivist, dann jedoch nahm er die nationalsozialistische Ideologie an, kollaborierte offen mit den Deutschen und diente sogar in der Waffen-SS, wofür er wegen seiner Kollaboration zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Im Anschluss seiner Entlassung aus dem Gefängnis begann Thiriart damit, einen revolutionären paneuropäischen Nationalismus zu propagieren, mit dem ultimativen Endziel eines einheitlichen europäischen Nationalstaates – ähnlich Oswald Mosleys Vision für Europa.

1962 gründete Thiriart die Partei Jeune Europe (Junges Europa), die Thiriarts Vision eines einheitlichen Europäischen Nationalstaats bewarb und Zweigstellen in Frankreich, Italien und Spanien etablierte[14]. Interessant ist hierbei, dass Thiriart öffentlich den Faschismus verurteilte und den Nationalsozialismus als „überholte“ Ideologie bezeichnete[15]. Stattdessen übernahm Thiriart während des Kalten Krieges eine Haltung der Dritten Position, die sowohl anti-amerikanisch als auch anti-sowjetisch war und legte dar, dass Europa das Zentrum der menschlichen Zivilisation sei. Obwohl sein Denken die Kennzeichen einer Ideologie der Dritten Position trug, unterschied sich Thiriart von den anderen Anhängern dieser Ideologie zu seiner Zeit dadurch, dass er ein entschlossener Vertreter der Idee eines vereinten Europas unter einer Einheitsregierung war – womit er Oswald Mosleys‘ Vision für Europa nicht unähnlich war[16]. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Männern war, dass Thiriart in seinem Wesen viel revolutionärer war und sogar so weit ging, eine Zusammenarbeit mit den revolutionären Bewegungen Amerikas vorzuschlagen, die größtenteils marxistischer Natur waren. Es gab auch Anzeichen dafür, dass Thiriart mit den nationalistischeren Elementen des Kommunismus, namentlich dem Stalinismus und dem Maoismus, sympathisierte.[17]

Im späteren Verlauf seines Lebens begann Thiriart damit, den Nationalbolschewismus anzunehmen und sogar mit Persönlichkeiten wie Alexander Dugin zusammenzuarbeiten. Von dieser Phase seines Lebens an bis zu seinem Tod 1992 schlug Thiriart ein „Eurasisches Reich“ vor, welches sich von „Dublin bis Wladiwostok“ erstrecken würde, eine Ansicht, die auch von Alexander Dugin während der Zusammenarbeit der beiden Männer geteilt wurde.[18]

Paneuropäischer Nationalismus im 21. Jahrhundert

Jetzt im Jahr 2022 gibt es nur ein paar wenige politische Parteien und Bewegungen nationalistischer Prägung mit geringer Bedeutung, die sich für einen einheitlichen europäischen Nationalstaat aussprechen. Die einzige Partei, die sich deutlich für ein vereintes Europa ausspricht, ist die maltesische Imperium Europa Partei, welche bis zum heutigen Tag in ihrer Propaganda sehr zurückhaltend ist. Fast jede andere nationalistische Partei oder Bewegung legt den Schwerpunkt auf die Notwendigkeit unabhängiger und souveräner Nationalstaaten, die von allen anderen supranationalen politischen Einheiten losgelöst werden sollen – so auch von der Europäischen Union.

Für Nationalisten stellt es bereits einen Gemeinplatz dar, dass die Europäische Union – eine supranationale „wirtschaftliche“ und politische Union von Nationalstaaten, die linke und liberale Ideologien verbreitet – langsam damit begonnen hat, Positionen zu übernehmen und politische Maßnahmen umzusetzen, die zunehmend dem Nationalstaat selbst ähneln. Im Moment hat die Europäische Union ihre eigene Fahne, Hymne, Staatsbürgerschaft, eigene Gesetze, ein eigenes Parlament, Führungsorgane, einen Präsidenten, Grenzgesetze (oder besser einen Mangel an solchen), eigene Sicherheitskräfte, eine Währung usw. Dabei handelt es sich nicht nur um typische Merkmale des Nationalstaates, die Europäische Union hat sogar in den letzten Jahren ihre eigenen Mitgliedsstaaten dafür kritisiert und tatsächlich bestraft, wenn sie nicht mit dem konform gegangen waren, was die EU als „die Vorherrschaft des EU-Rechts“ bezeichnet. Dies wurde besonders offensichtlich bei den Zusammenstößen zwischen der EU und Ländern wie Polen und Ungarn, welche beide ihrem Wesen nach sowohl gesellschafts- als auch nationalkonservativ sind und wünschen, dies auch zu bleiben, wobei sie es vorziehen, souveräne und unabhängige Nationalstaaten zu sein, mit ihrer eigenen Kultur, Identität und eigenem Nationalstolz.

Gepaart mit dem beinahe fanatischen Streben des liberalistischen “Europäertums”, welches von vielen pro-EU-Aktivisten in Europa vertreten wird, aber auch dem Verlangen bestimmter Individuen wie Guy Verhofstadt, Viviane Reding, Matteo Renzi und Martin Schulz für die sogenannten “Vereinigten Staaten von Europa” und dem zunehmend bundesstaatlichen Wesen der Europäischen Union, ist dies ein klarer Beweis dafür, dass der paneuropäische Nationalismus keine Ideologie ist, die ein weiteres Überbleibsel der Geschichte des 20. Jahrhunderts darstellt. Vielmehr handelt es sich bei ihm um eine Idealvorstellung, die von den herrschenden linken und liberalen Politikern mit der Absicht gekapert wurde, die Nationalstaaten zu zerstören und all das auszulöschen, was uns Europäern ein authentisches Gefühl von Zugehörigkeit zu unserem geliebten Kontinent gibt, der von unseren stolzen Ahnen im Laufe der vergangenen Jahrhunderte errichtet und konsolidiert wurde. Während wir mit großer Wahrscheinlichkeit in eine neue Weltordnung der Geopolitik eintreten, können wir nur darauf hoffen, dass wahrhaftiges Europäertum – eine nationalistische Form des Europäertums – dazu in der Lage ist, unter dem Albdruck der Kräfte zu überleben, die danach streben, alles zu zerstören, was uns Jahrhunderte lang lieb und teuer war.

Literaturhinweise

[1] Richard Thurlow, Fascism in Britain: A History, 1918 – 1985 (Basil Blackwell, 1987) S. 238

[2] Geoffrey Harris, The Dark Side of Europe: The Extreme Right Today (Edinburgh University Press, 1994) S. 31

[3] Oswald Mosley, My Life (Nelson, 1970) S. 382

[4] Ibid.

[5] Graham Macklin, Very Deeply Dyed in Black: Sir Oswald Mosley & the Resurrection of British Fascism After 1945 (I.B. Tauris, 2007) S. 36

[6] Richard Thurlow, Fascism in Britain: A History, 1918 – 1985 (Basil Blackwell, 1987) S. 237

[7] Roger Eatwell, Fascism: A History (Random House, 2011) S. 330 – 331

[8] Graham Macklin, Very Deeply Dyed in Black: Sir Oswald Mosley & the Resurrection of British Fascism After 1945 (I.B. Tauris, 2007) S. 79 – 80

[9] Ibid., S. 80

[10] Ibid., S. 82

[11] Ibid., S. 36

[12] Richard Thurlow, Fascism in Britain: A History, 1918 – 1985 (Basil Blackwell, 1987) S. 245

[13] Martin A. Lee, The Beast Reawakens (Warner Books, 1998) S. 170 – 174schen

[14] Eric Wilson, Government of the Shadows: Parapolitics & Criminal Sovereignty (Pluto Press, 2009)

[15] Martin A. Lee, The Beast Reawakens (Warner Books, 1998) S. 170 – 172

[16] Andrea Mammone; Emmanuel Godin; Brian Jenkins, Mapping the Extreme Right in Contemporary Europe: From Local to Transnational (Routledge, 2012) S. 4

[17] Walter Laqueur, Fascism: Past, Present, Future (Oxford University Press, 1996) S. 93

[18] Wayne Allensworth, The Russian Question: Nationalism, Modernisation & Post-Communist Russia (Rowman and Littlefield, 1998) S. 251und