Das Ende des liberalistischen Zeitalters

von | 01. Feb. 2018 | Philosophie & Theorie

Wir leben heute in der Lebenswirklichkeit des Liberalismus. Nachdem mit Glasnost und Perestroika ein neues Zeitalter eingeläutet wurde und 1990 in eine Wende innerhalb der Weltordnung mündete, zogen Philosophen und Politikwissenschaftler, wie u.a. der wohl berühmteste Schüler Allan Blooms, Francis Fukuyama, den Schluss, dass das „Ende der Geschichte“ eingetreten sei. Der Liberalismus, also die erste politische Theorie, siegte über den Kommunismus/Sozialismus (die zweite politische Theorie) und den Faschismus/Nationalsozialismus (die dritte politische Theorie). Dem amerikanisch-japanischen Politologen nach ist er damit unangefochtener Sieger ideologischer sowie ökonomischer Art gegenüber allen anderen Erscheinungen, den sog. großen Theorien des 19. und 20. Jahrhunderts. Angesichts der beeindruckenden Landnahme und insbesondere der sich nach dem Anschlag auf das World Trade Center eingestellten Einflussnahme in der ganzen Welt durch den US-amerikanischen Hegemon, konnte dies auch nicht weiter angezweifelt werden. Auch der bekannte Militärstratege Thomas P. M. Barnett prognostizierte 2004 in seinem Buch The Pentagon’s New Map. War and Peace in the Twenty-first Century, dass die Unipolarisierung der Welt nicht aufzuhalten sei. Seine Theorien über die Ausbreitung des Cores – also jener Staaten, die sich kulturell wie geistig im Kern bzw. auf dem american way of life befinden – und der damit verbundenen Marginalisierung der Gaps – also jener Lücken-Staaten, die sich außerhalb des Kerns bewegen – konnten sich sowohl in der Bush- wie in der Obama-Administration einiger Beliebtheit erfreuen. Die Politik der Amerikaner spricht dafür und die aberwitzigen Versuche, sich in einigen Gap-Countries weiterhin Einfluss zu verschaffen, zeigt, dass sich das Pentagon bzw. die Führungsriege des amerikanischen Militärs weiterhin in diesem Glauben bestärkt fühlt.

Das Dividuum als historisches Subjekt der Postmoderne

Doch die Realität zeigt ein anderes Bild. Es ist das Zeitalter einer untergehenden Welt. Die Unipolarität entwickelt sich immer mehr und deutlich in Richtung einer multipolaren Weltordnung, wie es auch Alexander Dugin, der wohl wichtigste Vertreter der Vierten Politischen Theorie, postuliert. In seinem gleichnamigen Buch beschwört er das Ende des Liberalismus herauf. Er wäre von Anfang an eine Ideologie gewesen, die sich selbst abschafft, obgleich sie gegenüber den beiden anderen Theorien genügend Dynamik und Flexibilität aufzubringen vermochte. Nun stehen wir aber vor dem Zeitalter der Postmoderne. Die letzten Überbleibsel der Moderne neigen sich dem Ende zu. Das, was wir einst der modernen Welt zusprachen, ist im Inbegriff, sich selbst aufzulösen. Aus dem Individuum, dem sogenannten historischen Subjekt des Liberalismus, wird nun das Dividuum. Alexander Dugin spricht allen drei politischen Theorien ein historisches Subjekt zu. Das ist die Hauptthematik, der Schwerpunkt oder Kern, um den sich alles innerhalb dieser Ideologien drehte. Bei der zweiten Theorie ist es die Klasse oder das Kollektivwesen gewesen. Der historische Materialismus mit seinem deterministischen Geschichtsbild, welches stets aus dem Kampf zwischen den herrschenden und den unterdrückten Klassen besteht, war das grundlegende Element des Kommunismus bzw. des internationalistischen Sozialismus. Die dritte politische Theorie hingegen verfolgte die Thematik der Rasse beim Nationalsozialismus und des Staates beim Faschismus und legte sich somit auf ihr historisches Subjekt fest. Der Staat stand im Mittelpunkt und war das oberste Credo der faschistischen Gesellschaft, während die „Stimme des Blutes“ (Evola sprach hier auch von den „Materialisten des Blutes“ das Fundament der nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung bildete.

Dieses Dividuum, ist ein gespaltenes, vollkommen autonomistisches und atomistisches Wesen. Es handelt sich hierbei weniger um einen Menschen als vielmehr um eine Art „Cyborg“, der lediglich funktionieren müsse. Ihm obliegt keinerlei Fähigkeit zu denken oder eigene Entscheidungen zu treffen. Er ist ein Gefangener seiner eigenen Belanglosigkeit. Tatsächlich erkennen wir bereits heute die Ansätze dieses sich herausbildenden Dividuums, dieses Cyborgs. Die Diktatur der Belanglosigkeit (Thor von Waldstein) ist ein deutliches Zeichen für das Ende des Liberalismus. Die Zerstörung jeglicher Gruppendynamik, die Emanzipation des Menschen von der Natur und der Religion, waren erst die Anfänge einer wirren Zeit, die bald im Chaos enden könnte.

Von der Unipolarität zur Multipolarität

Während der o.g. Zustand vom Menschen deckungsgleich mit den Gesellschaften westlicher Demokratien ist, entwickelt sich in einigen sich im Osten befindenden Staaten Eurasiens eine Rückkehr zum Traditionalen. Dort scheint die Zeit sich allmählich zurückzubewegen. Besonders Russland hat sich unter Putin neu formiert. Die Zeit der Wirren, die von einem Jelzin bestens repräsentiert wurde, ist vorbei. Eine neue erstarkende Macht im Osten, der alte russische Bär ist erwacht. Fukuyma, Barnett und Brzeziński haben sich geirrt. Sie glaubten, dass Russland und China sich einlullen lassen werden von der amerikanischen Lebensphilosophie. Sie unterschätzten vor allem das ethnische Element und waren sich der Stärke von kultureller Identität nicht bewusst. China hat sich zwar einem wirtschaftlichen Liberalismus hingegeben, besinnt sich aber unter der (national-)kommunistischen Regierung auf seine alte Religion und Kultur. Russland hat sich ebenfalls in der christlichen Orthodoxie wiedergefunden und weiß, eine Großmacht zu bilden. Die Wirtschaftssanktionen drängen Russland weiter in die Ecke und führen zu einer Forcierung der Eigenbesinnung. Des Weiteren scheint sich der russische Bär mit seinem alten Todfeind, den Türken zu versöhnen, jedoch zumindest näher zu kommen. Russland und China spielen in ihren Regionen eine immer stärkere Rolle als Ordnungsmächte. Ebenfalls der Einfluss auf den zu einer mittelgroßen Macht heranwachsenden Iran ist ein deutliches Zeichen einer sich erweiternden Multipolarität.  Hinzu kommt Indien als weiterer möglicher Kandidat auf dem geopolitischen Schachbrett. Auch hier ist eine immer stärker werdende regionale oder gar subkontinentale Ordnungsmacht durchaus denkbar.

Globalismus und die Gegenstrom-Bewegung

Die Erstarkung einer immer größer werdenden antiglobalistischen Widerstandsbewegung ist dazu zu zählen. Die Proteste, die allmählich in Widerstandsaktionen umschlagen, sind besonders auf das Auseinanderklaffen zwischen den Eliten und den Völkern zurückzuführen. Jahrzehntelange Suggestion von der Selbstbestimmung des Individuums sowie das Pathos von der aufgeklärten Gesellschaft veranlasst den gutgläubigen Bürger zu Augenreiben, angesichts der ignoranten Haltung der Eliten, die das Volk wie eine Art Impertinenz behandeln. Selbst der National Intelligence Council (NIC), der als Think Tank der CIA fungiert, beschreibt in seinem Bericht „Global Trends. Paradox of Progress“ eine nicht gerade rosige Zeit der liberalistischen Ideologie bzw. dessen wichtigster Protagonisten auf dem geopolitischen Schachbrett. Auch er geht von der Zunahme der Nationalismen und der Entstehung mehrere Machtzentren, die eine multipolare Weltordnung begründen werden, aus. Bereits heute ist eine zunehmende Spaltung Europas zu verzeichnen. Im Westen befinden sich die progressiven, eher hedonistischen und sich den außereuropäischen Kulturen anbiedernden Staaten, während im Osten ein Bollwerk des Traditionalismus entsteht, der sich archetypischen Gebilden hinwendet und sich auf die eigene Kultur besinnt. Selbst die Visegrád-Staaten Polen, Tschechen, Ungarn und Slowakei, die sich vor dem alten Hegemon aus dem Osten fürchten, wenden sich gegen die prowestlich ausgerichtete EU-Politik. Auch das Intermarium-Projekt ist mehr eine mitteleuropäische Union innerhalb der Europäischen Union und dient den V4 als möglicher dritter Weg. Das Zeitalter des Liberalismus bewegt sich also dem Ende zu. Der Übertritt zur postmodernen Welt steht uns mitten bevor.

 

Die Vierte Politische Theorie von Alexander Dugin sieht dafür nur eine Möglichkeit diesem fatalen Schicksals zu entweichen: Die Zeit muss umgekehrt werden und die eurasischen Völker sich auf ihre Traditionen zurückbesinnen. Der Progressivismus und das Bacon’sche Postulat des Empirismus müssen überwunden werden. Statt Fortschritt strebt Dugin bewusst den Rückschritt an. Statt ein reines Individuum oder ein reines Kollektiv sieht er den Menschen als einen Teil einer Gemeinschaft an, die sich durch ethnische sowie kulturelle Merkmale definiert.

Die Vierte Politische Theorie wirft einige Fragen auf, die wir hier auch später noch weiter beleuchten werden. Fest steht: Die Welt verändert sich. Seien wir darauf gefasst!