In Brasilien mehren sich die Berichte über gestohlene Impfstoffe. Gesundheitsstationen und Spitäler werde ausgeraubt und die entwendeten Dosen illegal weiterverscherbelt. Dass die Kriminellen sich dabei kaum um Kühlketten scheren und die Vakzine beim Weiterverkauf bereits unbrauchbar sein dürften, ist vielen Käufern offensichtlich nicht bewusst. Aber Angst, Panik und Ignoranz kennen in dieser Angelegenheit auch in Brasilien keine Grenzen mehr.
Nachdem im April ein Höchststand von gut 4.000 Toten erreicht worden war, sind seitdem die Zahlen wieder rückläufig. Zuletzt waren es noch 1.500 Tote täglich. Angesichts dieser Zahlen sollte man allerdings die Bevölkerungszahl des Landes berücksichtigen. Inzwischen leben in dem größten Staat Lateinamerikas 211 Millionen Menschen.
Noch in der zweiten Hälfte des Vorjahres schien das Land das Gröbste überstanden zu haben. Die Infektionszahlen gingen deutlich zurück, und Präsident Bolsonaro hatte durch schnelles und unbürokratisches Handeln die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie in den Griff bekommen. Eine sofort ausbezahlte Notfallhilfe führte in den ärmeren Stadtvierteln sogar zu einem gewissen Boom, da viele Menschen plötzlich über ein zwar kleines, dafür aber garantiertes Einkommen verfügten.
Seitdem vor einigen Monaten eine zweite Welle der Krankheit begann, verschlechterte sich das Bild jedoch zusehends. Die Gründe dafür sind vielfältiger Natur. Es tauchte eine neue Mutation P1 des Virus auf, die ansteckender als das ursprüngliche Virus ist. Hinzu kam eine große Sorglosigkeit der Bevölkerung, die sich bereits mit dem Gedanken angefreundet hatte, die Normalität sei zurückgekehrt und das Leben könne wieder in gewohnten Bahnen verlaufen. Die im Herbst des Vorjahres stattgefundenen landesweiten Kommunalwahlen, bei denen regelmäßig große Menschenmengen zu den Wahlveranstaltungen kommen, taten ihr Übriges. Erschwerend kommt hinzu, dass das brasilianische Gesundheitssystem chronisch überlastet ist, gut ausgebildete Fachkräfte fehlen und die medikamentöse und technische Ausstattung der Krankenhäuser zu wünschen übriglässt. Allesamt Missstände, die schon vor dem Auftreten der Pandemie virulent waren und durch diese jetzt unübersehbar wurden.
Inzwischen wurde eine Parlamentarische Untersuchungskommission (CPI) eingesetzt, die die Verfehlungen der Zentralregierung im Zusammenhang mit der Krankheit aufdecken soll. Die Verantwortung der lokalen und regionalen Behörden, also der Städte, Landkreise und Bundesstaten wurde dabei bewusst ausgeklammert. Ein grotesker Vorgang, da damit signalisiert wird, die untergeordneten Behörden und staatlichen Strukturen hätten keinerlei Verfehlungen begangen beziehungsweise seien für die Situation im Lande nicht ebenso verantwortlich zu machen wie die Regierung in Brasília. Man fragt sich schon, warum es untergeordnete Verwaltungsstrukturen gibt, wenn diese nichts tun müssen, für nichts verantwortlich sind und alles, was schiefläuft, auf die Bundesregierung schieben können. Es ist zu erkennen, dass es sich bei der CPI um ein politisches Instrument handelt, das zum Ziel hat, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Bolsonaro einzuleiten. Eine tatsächliche Aufarbeitung der vielen Missstände im brasilianischen Gesundheitssystem ist eindeutig nicht Sinn und Aufgabe der CPI.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Bolsonaro häufig die Dinge laufen lässt statt das Land tatsächlich zu regieren. Nachdem er im Streit seine Partei PSL verließ, ist er zudem ohne eine fest gefügte organisatorische Basis und muss sich auf Zufallskoalitionen verlassen. Dass das auf Dauer nicht gut gehen kann, ist unübersehbar. Die einseitig gegen ihn gerichtete CPI ist der beste Beweis dafür.
In Brasilien sind vier Vakzine zugelassen. Dies sind die Produkte von AstraZeneca, Pfizer (BioNTech) und Janssen (Johnson & Johnson), die auch in Deutschland verwendet werden. Hinzu kommt der in China entwickelte Impfstoff CoronaVac, der in Brasilien produziert wird. Letzterer wird in Deutschland nicht als Impfstoff anerkannt, da er bei uns nicht zugelassen ist.
Inzwischen erhielten 40 Prozent der Bevölkerung die erste Dosis, 15 bereits die zweite. Eine Impfpflicht gibt es nicht. Dies gilt übrigens auch für Argentinien[1].
[1] https://www.argentina.gob.ar/coronavirus/vacuna/preguntas-frecuentes#16. Entgegenlautende Meldungen, dort herrsche Impfpflicht, sind falsch.