Entgegen der gängigen Meinung, bestreitet unser Autor Manfred Aengenvoort, dass es in Deutschland eine Wohnungsnot gibt. Aengenvoort kann durch seine über 30-jährige Tätigkeit als Immobilien-Investor und Inhaber eines Bauberatungs- sowie Verwaltungsunternehmens auf ein umfangreiches Fachwissen zurückgreifen, welches ihn zu einem regelrechten Experten für Fragen rund um Immobilien macht. Die Redaktion
Ein Gespenst geht um in Deutschland. Es heißt „Wohnungsnot“. Ist es ein Gespenst oder ein Faktum? Fakt ist, dass in Deutschland 3% aller marktfähigen Wohnungen keinen Mieter finden, also leer stehen. Bitter für die die ihre Altersvorsorge auf die Vermietung dieser Wohnungen aufgebaut haben. 60% der Mietwohnungen in diesem Land gehören sogenannten Kleinvermietern. In Sachsen beträgt der Leerstand 8%, in Sachsen-Anhalt 10%. Nicht überall ist München oder Berlin!
Ein weiterer Fakt ist der zunehmende Wohnflächenverbrauch pro Person. Dieser ist in Deutschland in den letzten 30 Jahren um rund 40% gestiegen. Tendenz weiter steigend. Ähnliches gilt für den Trend der Versingelung. Stieg die Einwohnerzahl in den letzten 30 Jahren um ca. 3,5%, erhöhte sich die Zahl der Haushalte um 20% (7.000.000). Das macht das Wohnen für den Einzelhaushalt natürlich – bei nur einem Verdiener – gemessen in Prozent des Haushaltseinkommens teurer.
Auch die umfangreiche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Thema „Schönheitsreparaturen“ macht eine Mieterhöhung von rund 1,00 €/m²/Wohnfläche erforderlich. Bei einer deutschlandweiten Durchschnittsmiete von 7,00 € (Netto-Kalt) hätte diese Rechtsprechung, die eine jahrzehntelange Praxis, in den 1970er Jahren vom Bundesminister der Justiz in einem Mustermietvertrag empfohlen, außer Kraft setzte zu einer Mieterhöhung von 14% führen müssen. Eine entsprechende Anhebung gestattete weder der BGH noch der Markt. Die Vermieter blieben auf den Kosten sitzen. Da 1/3 aller Mietverhältnisse (Stichwort – Versingelung!) weniger als 2 Jahre bestehen – Tendenz sinkend – erhöht dies den Renovierungs- und Verwaltungsaufwand des Vermieters, der seit 2015 auch die Kosten der Anwerbung von Mietern alleine tragen muss. Allein die Anhebung der Mehrwertsteuer im Jahre 2006 verteuerte die Kosten der Instandhaltung, die bei einer angenommenen Durchschnittsmiete von 7,00 €/m² (Netto-Kalt) ca. 12% der Nettomiete betragen, um ca. 2,5%. Das hätte eine Mieterhöhung von 0,18 ct/m² monatlich bedeutet. Der Markt verhinderte die Weitergabe dieser Kostensteigerungen.
Halten wir also fest: Die Änderung der Rechtsprechung des BGH zu den Schönheitsreparaturen, die Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Überwälzung der Maklerkosten auf den Vermieter entsprechen einer Preissteigerung von ca. 20% der Durchschnittsmiete von 7,00€. Der Markt tut ein Übriges. War es zu Beginn der 1990er Jahre noch durchaus üblich, dass ein Mieter die angemietete Wohnung selbst tapezierte, ist eine Wohnung mit Gebrauchsspuren kaum noch marktgängig. Tatsächlich sind die Mieten seit 1991 schneller gestiegen, als die Verbraucherpreise im Allgemeinen, um 30%. Addiert man zu der Durchschnittsmiete des Jahres 1991 von 4,50€ die durch Richterentscheidungen und Gesetzgeber verursachten Preissteigerungen von 1,40€ hinzu, sind die Durchschnittsmieten seit 1991 um 19 % gestiegen. Vermutlich wird der geneigte Leser an dieser Stelle unwirsch feststellen, dass er durchschnittlich nicht 7,00€ sondern 10,00 €/m²/Wohnfläche zahlt. Und hat recht! Die Differenz von durchschnittlich 3,00€/m²/Wohnfläche für Betriebs- und Heizkosten interessiert den Vermieter nur am Rande. Diesen „Einnahmen“ stehen zwingend Ausgaben in gleicher Höhe gegenüber. An dieser Stelle ist er nur Eintreiber und selbstschuldnerischer Bürge des Mieters gegenüber den Kommunen, Wasserwerken, Versicherungen usw. Rund 70% dieser Kosten sind durch politische Entscheidungen beeinflusst (Erhöhung der Mehrwertsteuer, der Versicherungssteuer, der Grundsteuerhebesätze, Pflicht zum Einbau von Wasseruhren usw.). Allein die Kosten für Raumwärme, Warmwasser, Licht etc. sind in den letzten 10 Jahren um 65% gestiegen. Sie sind nirgendwo in Europa teurer als in Deutschland. Folge einer Energiepolitik, für die naturgemäß die Politiker und keinesfalls die Vermieter die Verantwortung tragen.
Der Autor bewirtschaftet seit über 30 Jahren Mietwohnungen im Ruhrgebiet, seit über 20 Jahren im Raum Merseburg und im Erzgebirge. Die hier allein interessierenden Nettokaltmieten in Merseburg sind für 1994 renovierten Altbau nach Mietsenkungen inzwischen wieder bei der 1994 erzielten Miete. Neubauten konnten gegenüber der ursprünglich vereinbarten staatlich subventionierten Miete um 22% gesteigert werden. Im Erzgebirge ebenfalls. Im Neubau, sind sie unverändert auf einem Niveau von 1998 nach teilweisen Mietsenkungen in der Zwischenzeit. Im Ruhrgebiet stieg die Miete um 60%. Ähnlich wie der Verbraucherindex (55%). Im Neubaubereich im Raum Merseburg stieg die Miete unterhalb der Lebenshaltungskosten (27%).
Alles keine Hinweise auf explodierende Mieten!
Betrachtet man den Mietpreis einer Neubauwohnung 1991 im Ruhrgebiet mit dem Jahr 2020, ergeben sich allerdings Mietpreissteigerungen von 100%. Aber: Die Neubauwohnung von heute zeichnet sich durch erheblich mehr Komfort aus als vor 30 Jahren. Die älter werdende Gesellschaft verlangt nach Aufzügen, selbst in zweigeschossigen Häusern. Die Anforderungen an die Wärmedämmung steigen seit Jahren durch den Gesetzgeber. Die dadurch eingesparten Heizkosten gleichen bei weitem nicht die gestiegenen Baukosten aus. Aus Bädern wurden Erholungsräume. Auf die Frage “Wanne oder Dusche“ antwortet der Nutzer heute “Wanne und Dusche“.
Türhohe Fliesen sind durch deckenhohe Fliesen ersetzt worden. Aus der Klingel mit Gegensprechanlage ist eine Videoanlage geworden. Muslimische Mieter verlangen häufig neue WC-Töpfe und neue Oberböden, wenn die Wohnung für ½ Jahr nach Renovierung einen Vormieter hatte. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.
Alles keine Zeichen für eine Wohnungsnot in Deutschland!
Dabei soll nicht bestritten werden, dass im 1. Halbjahr 2020 die Angebotsmieten in München um 2%, in Hamburg um 3%, in Köln um 5%, in Offenbach und Reutlingen sogar um 10% gestiegen sind. Die größten Preiszuwächse gibt es in Städten, die in der Nähe von großen und hochpreisigen Wirtschaftszentren liegen. Das Preisniveau in diesen klassischen Pendlerwohnorten zieht zwar an, ist aber weiterhin unter dem in den nahe gelegenen Großstädten. Eines sollte deutlich geworden sein. Es gibt den „Immobilienmarkt“ nicht. Dieser ist vielmehr vielfach gespalten. Darüber an anderer Stelle mehr.