Die FPÖ und das eherne Gesetz der Oligarchie

von | 08. Sep. 2018 | Debatte

Die FPÖ auf dem Weg von der deutschnationalen Freiheitspartei zum angepassten Koalitionspartner der politischen Mitte?

Die Tendenzen zur geradezu folgerichtigen inhaltlichen und organisatorischen Angleichung von Parteien jedweder Couleur und jedweden weltanschaulichen und ideengeschichtlichen Ursprungs innerhalb eines demokratischen Politsystems fasste der Soziologe Wilhelm Robert Michels bereits Anfang des 20. Jahrhunderts in seinem Hauptwerk zur Demokratieentwicklung unter der Begrifflichkeit des Ehernen Gesetzes der Oligarchie zusammen.

Diesem Denkkonstrukt zufolge zieht die Bildung von Interessensgruppierungen und Parteien aus Gründen der Effizienz eine bürokratische Organisation nach sich, die anfällig für die Herausbildung eines oligarchischen, also ausschließlich am negativen Eigennutz der Führungsfiguren der Gruppe orientierten, elitären Machtklüngels ist, der abgehoben von den idealistischen Gründungsvorstellungen der Organisation nicht mehr den Zweck vieler, sondern nur noch den Selbstzweck im Auge hat.

Anhand dieser Kategorisierung lässt sich erklären, weshalb sich eine traditionsreiche Partei wie die der österreichischen Freiheitlichen in den vergangenen Jahren mit dem klaren Ziel einer inzwischen erreichten Regierungsbeteiligung einer stromlinienförmigen Anpassung an die Kategorien des politischen Markts zu verändern bereit war. Eine Veränderung, die nüchtern betrachtet eine Abkehr von diversen Kernidealen und verdienten politischen Persönlichkeiten bedeutete.

Den folgenden Betrachtungen vorangestellt gehört jedoch die Ansicht des Autors, dass die FPÖ als politisches Vehikel keineswegs nur negativ zu betrachten oder gar als vollständig obsolet anzusehen sei. Trotz der deutlich und offen zu bemängelnden Defizite handelt es sich um eine Organisation, die eine für westeuropäische Verhältnisse durchaus beachtenswerte Diskursverschiebung nach rechts durchsetzen konnte und die unter ihrem Dach vielen weltanschaulich gefestigten Deutschen die Möglichkeiten schafft, in die Zivilgesellschaft der Alpenrepublik hinein zu wirken.

Nach den Erfahrungen der Parteispaltung und dem Entstehen des BZÖ als Konkurrenzorganisation Anfang der 2000er Jahre stand der neue Obmann der FPÖ, Heinz-Christian Strache vor einem politischen Scherbenhaufen. Zu Beginn seiner ersten Vorsitzperiode lagen diverse Landesorganisationen in Trümmern, durch ungeschickte Regierungsarbeit und einen koalitionären Ausverkauf eigener Ideale im Angesicht der Macht waren viele Mitstreiter desillusioniert und die Umfragewerte lagen mit teilweise 3% unterhalb der Schwelle eines Parlamentseinzugs. Strache selbst, dem zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich von einer großen Anzahl nationaler Waffenstudenten und Burschenschafter der Rücken gestärkt wurde, muss klar gewesen sein, dass seine Partei weitere interne Streitigkeiten politisch nicht überleben- und somit eine politische Einflussnahme im Sinne der weltanschaulichen Fundamente des „Dritten Lagers“ verunmöglicht werden würde. So ist es objektiv verständlich, dass seitens der damaligen Führungskräfte zunächst begonnen wurde, die Freiheitlichen als streng geführte Kaderpartei neu aufzustellen. Dies manifestierte sich in der absoluten Loyalität der Unterorganisationen gegenüber der Bundespartei, der Aufstellung von nationalen und regionalen Kandidatenlisten durch den Vorstand und den Ausschluss von Querulanten und notorischen Abweichlern. Diese Umstrukturierung bot jedoch den Nährboden für eine bedenkliche Herausbildung von Machteliten, die den Charakter der Partei nachhaltig verändern sollten.

In den folgenden Jahren als Oppositionspartei schärfte die FPÖ zunächst ihr klassisch nationales Profil, welches unter Haider auf dem Altar der Regierungsbeteiligung geopfert worden war. Provokante Wahlkämpfe wie in 2005, wo postuliert wurde, Wien dürfe „nicht Istanbul werden“, die ikonischen Auftritte Straches mit einem Kreuz oder die politisch eigentlich überflüssige (weil das Thema zu keinem Zeitpunkt ernsthaft zur Debatte stand) Forderung, Israel dürfe kein EU-Mitglied werden, bedeuteten in der Außendarstellung eine aktive Rückbesinnung auf tragende Säulen der frühen Haider-Zeit. Gleichzeitig wurde auch nach Innen eine deutliche Positionierung ausgegeben. Im „Handbuch freiheitlicher Politik“, einem Ratgeber und Leitfaden für Funktionäre von der lokalen bis zur landesweiten Ebene, wurde Österreich als Teil der Schicksalsgemeinschaft des deutschen Volkes bezeichnet, offen eine Wiedervereinigung mit Südtirol gefordert und Integration aufgrund des überfremderischen Charakters jeglicher Zuwanderung kritisch bewertet.

Sinnbildlich für die Mentalität der FPÖ in dieser Zeit steht wohl die Feuerrede des heutigen Klubobmanns im Nationalrat, Johann Gudenus, bei einer korporierten Sonnwendfeier 2006. In dieser forderte er „Zukunft für unsere Deutsche Heimat“ und erteilte einer „globalen Einheitswelt“, regiert von Kapital und „selbsternannten Weltsheriffs“ wie dem „Weltterroristen“ George W. Bush eine klare Absage. Er rief zum Widerstand angesichts einer „dritten Türkenbelagerung“ auf und sprach hinsichtlich der Degradierung der „Volksgemeinschaft zur herz- und identitätslosen Multi-Kulti-Gesellschaft“ durch eine bewusst gesteuerte Ethnomorphose von der Inanspruchnahme eines „kollektiven Notwehrrechts“.

Nahezu folgerichtig und im heutigen Diskurs fast zur Gänze verdrängt wurde, dass im September 2007 auf Einladung des damals führenden FPÖ-Strategen und Europaparlamentarier Andreas Mölzer in Brüssel mit Udo Voigt und anderen Funktionären offen über die Einbeziehung der NPD in eine gemeinsam zu etablierende europäische Rechtspartei verhandelt wurde.

Diese klare Positionierung war in Teilen zwar sicherlich der Tatsache geschuldet, dass die Partei aufgrund der Spaltung und einer drohenden Bedeutungslosigkeit auf pointierte und provokante Forderungen sowie deren lebensnotwendige Rezeption durch die österreichische Medienlandschaft setzen musste, aber resultierte auch aus dem strategischen Denken der Parteiführung, die die FPÖ angesichts der desolaten letzten Regierungsbeteiligung ausschließlich als Oppositionspartei verstanden, die durch ihre klare Haltung neue Räume für rechte Diskurse innerhalb der Gesellschaft schaffen sollte.

Erst nachdem 2013 bei der Nationalratswahl die 20%-Schallmauer durchbrochen worden war und man aufgrund der Zersplitterung der Parteienlandschaft von dem Ergebnis her auf Augenhöhe mit Volkspartei und Sozialdemokratie agieren konnte, gelangte der Gedanke einer möglichen weiteren Regierungsbeteiligung erstmals erneut in den Fokus des FPÖ-Führungszirkels. Diese würde neben gut dotierten Ministerposten und völlig neuen Möglichkeiten der machtpolitischen Einflussnahme auch eine gewisse gesellschaftliche Rehabilitierung der Parteigranden bedeuten. Insbesondere der psychologische Effekt des Letzteren auf Parteichef Strache, der seit den 1990er Jahren zu einem Hassobjekt der politischen Linken wie auch der medialen Klasse avanciert war und auf den sich seit dem Beginn seiner Obmannschaft alle Ablehnung gegen die FPÖ als Partei kanalisierte, sollte aus Sicht des Autors nicht unterschätzt werden.

In den darauf folgenden Monaten begannen Kreise um Parteiobmann Strache sowie die heutigen Minister Herbert Kickl und Norbert Hofer eine einschneidende Korrektur des inhaltlichen und öffentlichkeitswirksamen Erscheinungsbilds der FPÖ. Erstes Opfer dieser Politik wurde der langjährige Mandatar Andreas Mölzer, der in Vorbereitung der EU-Wahl 2014 in bislang vertrauter FPÖ-Rhetorik Klartext redete. Für die Bezeichnung der EU als „Negerkonglomerat“ und die Feststellung, die Verwaltungsvorschriften ihres Bürokratieapparats wären illiberaler als die des Deutschen Reichs, musste er von seiner Kandidatur nicht nur als Spitzenkandidat- sondern vollständig zurücktreten. Mölzer, stets Freund der freien Rede, beklagte im Anschluss den „offensichtlichen Vertrauensverlust“ seiner Partei in ihn, der für diese Entscheidung ursächlich gewesen sei.

Eine politische Kaltstellung erfuhr in dieser Zeit ebenfalls die Bundespräsidentschaftskandidatin von 2010, Barbara Rosenkranz, die mit der Forderung nach einer Abschaffung des NS-Verbotsgesetzes (vergleichbar mit den Paragraphen 130 und 86a des deutschen StGB) in den Wahlkampf gezogen- und ein für eine Personenwahl aufsehenerregendes Ergebnis von über 15% erringen konnte.

Während still und heimlich der Bezug auf die deutsche Volksgemeinschaft in FPÖ-Leitfäden durch einen Verweis auf die Zugehörigkeit zu einem breit gefassten deutschen Sprach- und Kulturraum ersetzt wurde, näherte sich auch das Verhältnis der Partei zu Israel zumindest im Wollen einem Niveau des politischen Mainstreams an. Mehrere Israelreisen des Parteichefs inklusive der Klagemauer, ein deutliches Bekenntnis und somit eine Parteinahme für Israel im Nahostkonflikt und die nahezu verzweifelten Versuche in Gespräche mit der israelitischen Kultusgemeinde einzutreten, stellten Etappenziele im Bereich der Verschiebung der Partei in Richtung politische Mitte und somit hinsichtlich einer Angleichung an den Mainstream dar.

Nach der ersten Runde der österreichischen Bundespräsidentschaftswahl erreichte der freiheitliche Kandidat Norbert Hofer überraschenderweise mit 35% den unumstritten ersten Platz und beinahe fünfzehn Prozentpunkte mehr als sein nächster Konkurrent, der ehemalige Grünen-Politiker Alexander van der Bellen. Der Sieg in der Personenwahl um das höchste Amt im österreichischen Staat schien plötzlich und unvorhergesehen in greifbarer Nähe. In Vorbereitung auf die Stichwahl wurden im Sinne der Wählbarkeit erneut zentrale inhaltliche Eckpfeiler aufgegeben. Mit einer Distanzierung Hofers von der Landeseinheit Tirols ebenso wie von einem zuvor mehrfach ins Spiel gebrachten Referendum über den Verbleib Österreichs in der Europäischen Union und einer Distanzierung von der Kornblume als Symbol des Deutschnationalismus versuchte er insbesondere gegenüber bürgerlichen Wählern ein stark gemäßigtes Wohlfühlimage aufzubauen. Diese Strategie ging beinahe zur Gänze auf, trotz der Unterstützung aller anderen Parteien für Hofers Gegner errang der Freiheitliche beinahe die Hälfte der abgegebenen Stimmen.

Umfragen für die Nationalratswahl 2017 zeigten die FPÖ lange auf Platz Eins. Angesichts einer durchsichtigen Medienkampagne im Sommerloch des Jahres war sich die Partei jedoch nicht zu schade, den langjährigen außenpolitischen Sprecher der FPÖ-Fraktion, Dr. Johannes Hübner, aufgrund einer als antisemitisch bezeichneten Redepassage über den Vater der österreichischen Bundesverfassung als Kandidaten abzusägen. Obwohl der Rückzug Hübners öffentlichkeitswirksam seitens der Partei floskelhaft bedauert wurde, gehen Beobachter und Kenner der Partei von einer massiven Beeinflussung dieser Entscheidung durch Druck seitens der Parteiführung aus.

Ins Bild fügt sich schließlich der Auftritt der Parteigranden seit der Regierungsbeteiligung Ende letzten Jahres ein. Um eine erneute, vorhersehbare Medienkampagne aus dem linken Lager gegen verbindungsstudentische Kreise zu kontern und sich der israelitischen Kultusgemeinde anzudienen, nutzte Vizekanzler Strache ausgerechnet den Akademikerball der schlagenden nationalen Burschenschaften als Bühne, um zum Kampf gegen einen angeblichen Antisemitismus aufzurufen, was von vielen der Anwesenden mit spontanem Auszug aus dem Saal quittiert wurde.

Inhaltlich scheint die Partei nun von oben derart politisch oligarchisiert worden zu sein, dass zwar künftige Koalitionschancen gesichert sind, der Charakter der FPÖ als nationales Politkorrektiv in der österreichischen Parteienlandschaft aber jedoch verloren gegangen scheint. So scheint man sich auf ausländer- und asylkritische Leuchtturmprojekte zu verlagern, die medial ausgeschlachtet werden, der generelle Zustand des Landes, das weiterhin einer massiven Überfremdung ausgesetzt ist, wird aber stillschweigend verwaltet.

Bleibt nun noch die Frage, weshalb die Parteibasis diesen diversen Kurswechseln bislang ohne Murren zu folgen scheint, obwohl es insbesondere auf lokaler- aber auch auf Landesebene durchaus noch diverse betont nationale Freiheitliche gibt, die mit dem burschenschaftlichen Milieu zusammen über eine signifikante Hausmacht verfügen. Insbesondere im direkten Austausch mit Basismitgliedern und Funktionären der untersten Ebenen der FPÖ wird klar, dass diese mehrheitlich im wahrsten Sinne des Wortes unpolitisch sind und von weltanschaulicher oder ganzheitlicher Politik in der Masse nicht wirklich viel verstehen.

Mit dem Ergebnis der letzten Wahlen hat die FPÖ aus Sicht des Autors ihren Zenit erreicht, insbesondere weil bei einer Regierungsbeteiligung als Juniorpartner naturgemäß die Stimmenanteile dazu verdammt sind, zurückzugehen. Solange es aber von Wahl zu Wahl weiter nach oben ging, ergab sich kein Anlass für interne Debatten bezüglich Inhalten, Auftreten oder Personal.

Obwohl ein Absturz wie zu Beginn der 2000er Jahre nicht zu erwarten ist, sollte man die inhaltliche Zukunft der FPÖ danach bewerten, welche politischen Forderungen im Nachgang an unweigerlich zu erwartende Wahleinbußen formuliert werden. Im Augenblick besteht jedoch die reelle Chance, die Partei erneut auf ihren traditionellen Kurs zu bringen.