„Jetzt müssen sie zahlen“ – immer neue Umsetzungsformen für Frankreichs großes Ziel
Wie nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg hatte Deutschland mit seiner Teilvereinigung einen hohen Preis zu zahlen. Die Jubelarien nach dem 9. November 1989 und der Fall des Eisernen Vorhangs mögen das deutsche Herz erfreut haben, doch Schattenseiten waren auch auf ökonomischer Ebene, insbesondere der Währung, zu verzeichnen. Der Preis für die deutsche Einheit war für die Bundesrepublik die Preisgabe eines seiner Identitätssymbole: die Deutsche Mark musste der Kunstwährung Euro weichen.
Konnten die französischen Kriegsgewinnler beim Versailler Diktatfrieden 1918 noch Rache für ihre schmerzliche Niederlage beim deutsch-französischen Krieg 1871 nehmen und unverschämte finanzielle Forderungen stellen, gab es für den Nachbarn im Westen nach dem Vertrag von Maastricht erneut Grund zum Jubeln: Wie nach dem ersten Teil des großen europäischen Bruderkrieges durften antideutsche Kreise links des Rheins in ihrem Sprachrohr „Le Figaro“ erneut verkünden: „Jetzt müssen sie zahlen.“ Diese Einbindungs- und Kleinhaltungsstrategie Frankreichs kulminiert in dem denkwürdigen Diktum der Zeitung „Le Figaro“ am 18. September 1992: „Maastricht, das ist der Versailler Vertrag ohne Krieg.“
Euro-Wunschträume fallen den Eurokraten seit der Finanzkrise 2008 auf die Füße
Prof. Thomas Mayer, u. a. früherer Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, kommt der Verdienst zu, die Mythen um den Euro bei seiner Konstruktion und Konzeption entschlüsselt zu haben. Bei der Frage der Funktionalität des Euro standen vor dessen Schöpfung zwei Theorien im Blickfeld: die Krönungstheorie und die Konversionstheorie.
Im Rahmen der Krönungstheorie wurde angenommen, Voraussetzung für die Funktionalität des Euro, also der Vollendung der Wirtschaftsunion, sei die politische Union. Vom „Vater der deutschen Einheit“ Helmut Kohl wurde die Idee eines europäischen Bundesstaates durchaus ins Spiel gebracht. Aber noch viel mehr als in Deutschland holte er sich bei Briten und Franzosen mit dieser Idee eine blutige Nase.
Die Souveränität des ehemaligen „British Empire“ aufgeben, die „Grande Nation“ in einem europäischen Superstaat auflösen, das ging nicht nur diesen beiden großen europäischen Nationen zu weit. Deutschland sollte in der EU eingehegt und zur Kasse gebeten werden. Dieses Ziel mochte von hoher Bedeutung sein, konnte aber nicht den Wunsch nach Unabhängigkeit und Selbständigkeit übertreffen. Damit war der einzig richtige ökonomische Weg zu einer Einheitswährung nach Installation eines Euro-Bundesstaates vom Tisch.
Nach dem ohnehin vorsichtigen Vortasten in Richtung EU-Bundesstaat insinuierte man fortan als Hilfskonstrukt die wirtschaftliche Konversion des gemeinsamen Währungsraumes. Aufgrund der gemeinsamen Währung, damit der Unmöglichkeit einer eigenständigen nationalen Zinspolitik, der mit der Euro-Einführung verbundenen Annäherung des Marktzinses in den Mitgliedsstaaten und verbilligter Staatsfinanzierung insbesondere der südlichen Euroländer sollten sich die Wettbewerbsfähigkeit im Euroraum annähern.
„Grau, teurer Freund, ist alle Theorie [..]“ (Johann Wolfgang von Goethe)
Die aus der Konversionstheorie erwachsenden Hoffnungen erfüllten sich nur vom Zeitpunkt der Ankündigung der Einführung des Euro bis zu seiner tatsächlichen Umsetzung. Die Zinssubvention für Staaten wie Griechenland mit zweistelliger Verzinsung von Staatsanleihen vor Euro-Einführung bewirkte in der Tat einen Investitions- und Bauboom im Süden Europas. Italien und Spanien sonnten sich in der von Deutschland gespendeten Zinssubvention. Mehr aber auch nicht. Soziale Wohltaten und eine geringe Haushaltsdisziplin flankierten die Jahre bis zur Weltfinanzkrise 2008, die in die Euro-Staatsschuldenkrise mündete. Die Zinssubvention wurde freilich nicht genutzt, die Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu stärken. Deutschland, zur Jahrtausendwende noch der kranke Mann Europas, schaffte mit der epochalen Politikleistung im Rahmen der Agenda 2010 unter Gerhard Schröder die Wende. Damit war die einstige DM-Nation wieder der Spielverderber, mutierte die Bundesrepublik doch erneut zum beneideten Musterschüler bei der bis 2008 anhaltenden Niedrigzinsparty der südlichen Euro-Sündenländer.
Finanzkrise zeigte bereits 2008 das Scheitern der Konversionstheorie auf
Nach der Krise 2008, die schonungslos die Lebenslüge des real existierenden Euro zu Tage förderte, erfolgten irrsinnige Rettungsmaßnahmen. Nach Vorbild Alan Greenspans wurde der Zins gegen Null gedrückt und Liquidität ohne Unterlass in den Markt gepumpt. Da das Interbankensystem zu kollabieren drohte, kann man für letzteres Verständnis aufbringen. Das globale Finanzarmageddon sollte verhindert werden. Aber alle weiteren Rettungsmaßnahmen, die vielzitierten Rettungsschirme für Griechenland & Co., hatten nach Ausbrechen der Euro-Schuldenkrise nur noch ein Ziel: den Euro zu retten.
„Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“ (Dr. Angela Merkel)
Das vielzitierte Diktum der unsäglichen Flüchtlingskanzlerin ist ebenso falsch, wie politisch bestimmend gewesen. Da von gewichtigen Marktteilnehmern auf das Zerbrechen des Euro gewettet wurde und die Zinsen für die südlichen Euro-Sünderstaaten zu explodieren drohten, ersann man im lebenslustigen Land des Bordeaux ein neues Mittel, Deutschland weiterhin zahlen zu lassen.
Da die Euro-Einführung nicht zur gewünschten ökonomischen Nivellierung geführt hatte, musste nun der Versuch unternommen werden, die gute Bonität der solide wirtschaftenden Euro-Länder den Staaten zur Verfügung zu stellen, die bisher in Saus und Braus, die seit Euro-Einführung stets über ihre Verhältnisse gelebt hatten. Die Idee der Schuldenvergemeinschaftung wurde ausgegraben.
„Wenn es kritisch wird, muss man lügen.“ (Jean-Claude Juncker)
Die Idee der Eurobonds wurde nicht zuletzt in Kreisen der frankophonen Eurokraten ersonnen. Dabei ist der Artikel 125 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) eindeutig: „Die Union haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, [..].“ Mit diesem ausdrücklichen Verbot der Schuldenvergemeinschaftung, mit diesem Erlass einer Nichtbeistandsklausel im Falle von Schuldenkrisen der Teilnehmerländer, wurde einer uralten Erfahrung Rechnung getragen: Die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika Mitte des 19. Jahrhunderts als Beispiel für das Konfliktpotential einer Schuldenunion. Verpflichten sich (Bundes-) Staaten im Falle der Schuldenkrise eines Teilnehmers, diesem beizustehen, trägt dies stets den Keim des Zerfalls eines Staatenbundes in sich.
Im Wissen darum, dass einem der erfolgreichere Staat im Falle des eigenen Scheiterns hilft, verleitet dies Teilnehmer tendenziell zu höherer Risikobereitschaft und unsoliderer Haushaltspolitik. Der Weg, der zur geringeren Sorgfalt moralisch erforderlich wäre, ist bereitet. Historisch haben Schuldenunionen stets zum Verfall der Union geführt. Bestes Beispiel hierfür ist der oben angesprochene Konföderationskrieg der USA, also der vielfach in Western verfilmte Krieg der Nord- gegen die Südstaaten. Mag es auch den liberalistischen Verfechtern der Weltauffassung der Gleichheit all dessen, was Menschenantlitz trägt, nicht gefallen: Der Streit um die Befreiung von Negersklaven war nicht der entscheidende Auslöser des US-Sezessionskrieges.
Art. 125 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) gilt
Mit frankophon-eurokratischer Rabulistik wurden Konstrukte ersonnen, um die von der Idee her eindeutige Nicht-Beistandsklausel des Art. 125 AEUV zu umgehen. Ähnlich wie die Idee erfolgreich umgesetzt wurde, die an sich verbotene monetäre Staatsfinanzierung – also den direkten Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB – zu umgehen, sollte die Schuldenunion durch die Hintertür verwirklicht werden. Hatte man im Falle der verbotenen direkten Staatsfinanzierung ausgelagerte Schuldengarantien und schließlich den ESM als dauerhaften europäischen Stabilitätsmechanismus mit gigantischer Schlagkraft entwickelt, gelang es im Falle der Schuldenunion nicht, den wirtschaftlichen Kern zu verschleiern. War es im Falle des ESM und der indirekten Staatsfinanzierung noch gelungen, den politischen Fokus auf die Rettung des Euro zu legen, erreichte man dies mit dem ersonnenen Modell der Euro-Bonds nicht.
Die Idee mag für die wirtschaftsschwachen Staaten der Euro-Zone verlockend sein, denn mit der gemeinsamen Haftung könnten sich die verschuldeten Euro-Sünderstaaten zu deutschen bzw. wirtschaftssoliden Konditionen refinanzieren. Eine weitere Zinssubvention und Niedrigzinsparty wäre möglich, ohne die strukturellen Wirtschaftsdefizite zu beheben. Letztere wäre nur mit erheblichen sozialen Einschnitten und einer rigiden Sparpolitik möglich. Eine interne Abwertung zur Erzielung einer ähnlichen Wettbewerbsfähigkeit von Frankreich oder Spanien, beide freiwillig gefangen im Euro-Raum, ist aber undenkbar, erfordert es doch eine reale Lohnsenkung um ungefähr 30%.
Nur Billigzinsen und Liquiditätsüberfluss steigern nicht die Wettbewerbsfähigkeit
Allein weitere Kredite auszureichen bzw. Kreditgarantien abzugeben sowie Niedrigzinsen und Liquidität im Überfluss zur Verfügung zu stellen, genügen nicht, um die Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Krisenstaaten zu steigern. Genau dies wäre aber erforderlich, um den Euro überhaupt als zukunftsträchtiges Modell zu etablieren. Fakt ist derzeit: Bei nahezu vergleichbarem Zinsniveau der Euroländer ist aufgrund der Gemeinschaftswährung keine (externe) Abwertung des eigenen Geldes möglich, um die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer zu steigern. Ergebnis: Der Euro ist für Deutschland zu schwach. Es macht unsere Wirtschaft träge und verbilligt bzw. erleichtert die bundesdeutschen Exporte über Gebühr. Für Italien, Spanien, Griechenland und Portugal ist der Euro viel zu stark. Exporte außerhalb des Euroraums werden deutlich erschwert.
Nach der Pandemie bekommen Euro-Bonds einen neuen Namen: Corona-Bonds
Die Corona-Pandemie trifft nun seit März 2020 die Euro-Südländer, die bisher noch nicht einmal die Weltfinanzkrise 2008 richtig überstanden haben. Da nun der Euro-Zusammenbruch erneut aufgrund drückender Schuldenlasten im Süden bei gigantischen, für erforderlich gehaltenen staatlichen Konjunkturprogrammen droht, ersinnt man abermals einen neuen Anlauf zur Schuldenvergemeinschaftung in Anbetracht der Krise: Die Corona-Bonds.
Um explodierende Finanzierungskosten aufgrund steigender Zinsen für Europas Süden zu vermeiden, soll erneut auf die Bonität der soliden Euro-Mitgliedsstaaten zurückgegriffen werden. Corona-Bonds: Alter Eurobonds-Kack im neuen Frack. Da dies für alle wettbewerblich starken Eurostaaten offensichtlich ist, kann diese ökonomische Nonsens-Idee auch im neuen Kleid nicht durchgesetzt werden.
EU-Wiederaufbauplan von Merkel/Macron: Helikoptergeld für Pleitestaaten
Nach dem Abwinken aus insbesondere deutschen, österreichischen und niederländischen Kreisen zur Schuldenvergemeinschaftung durch Euro- bzw. Corona-Bonds kommt nun das unzertrennliche Duo der Polit-Wahnsinnigen Merkel/Macron mit einem noch irrsinnigeren Projekt um die Ecke: Weil die Corona-Not so groß sei, sollen im Rahmen eines 500 Milliarden schweren Programms durch Instrumente der EU nicht etwa Kredite ausgereicht oder garantiert werden, sondern es sollen gleich Zuschüsse aus dem EU-Haushalt fließen. Die gleiche gemeingefährliche Idee des Helikoptergeldes für Privathaushalte und kleine Unternehmen soll nun also Europas Wirtschaft – in Wahrheit den Euro und die Eurokratie – retten. Widerstand regt sich auch hier zum Glück von Österreich, den Niederlanden & Co.– was aus deutscher Sicht derartigem ökonomischen Schwachsinn entgegengesetzt wird, bleibt abzuwarten.
Merkel, Macron, Lagarde & Co. mangelt es an Respekt vor dem Gesetz
Der Art. 125 AEUV steht. Er hat eine ganz klare Stoßrichtung. Keine Schuldenvergemeinschaftung. Damit verbunden ist die Vermeidung mangelnder Sorgfalt bei der Haushaltspolitik. Mit dieser Grundkonzeption sollte der Spaltpilz für die gegründete Gemeinschaft vermieden werden. Mit immer neuen Anläufen versucht man – teilweise formell korrekt – diese entscheidende Säule der Gemeinschaftswährung zu umgehen. Da der EU-Wiederaufbaufonds mit nicht zurückzuzahlenden Zuschüssen in Anbetracht der Krise arbeitet, wird ein neuer Anlauf genommen, diese Säule einzureißen. Was aber klar wird: Merkel, Macron und Lagarde haben keinerlei Respekt vor dem Gesetz, vor dem zentralen Anliegen einer Regelung. Zur Rettung des Hirngespinsts Euro scheint jedes Mittel recht, nicht zuletzt frankophone Eurokraten-Rabulistik.
Böhm-Bawerk-Theorem wird mittelfristig Fakten schaffen
Der große deutsche Ökonom, Eugen Böhm-Bawerk, hat im Rahmen seines Aufsatzes „Macht oder ökonomisches Gesetz“ ein wirkkräftiges Theorem entwickelt, das mittelfristig auch im Hinblick auf den Euro Fakten schaffen wird. Nach Böhm-Bawerks Auffassung brechen sich ökonomische Gesetzmäßigkeiten auch dann Bahn, wenn die Politik massiv entgegensteuert.
Im Falle des Euro ist es höchste Zeit, dem Rechnung zu tragen: Der Euro ist eine Fehlkonstruktion- ruppiger ausgedrückt: eine Missgeburt. Kredite im Überfluss, Dauerflutung des Marktes mit Billiggeld, jetzt sogar angedachte Zuschüsse für Euro-Krisenländer – Helikoptergeld für Euro-Versager, all das wird nicht helfen. Entweder Italien, Spanien und Griechenland scheiden zunächst vorübergehend aus der Eurozone aus (Idee der atmenden Währungsunion von Hans-Werner Sinn) und führen zumindest wieder eine eigene nationale Parallelwährung ein, oder die Geschichte des Euro findet sein Ende.
Historisch betrachtet ist bisher noch jede Gemeinschaftswährung gescheitert. Dem Euro droht das gleiche Schicksal, wenn die politisch Verantwortlichen nicht den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten Rechnung tragen – wenn sie zu lange am Traum des stabilen Euros in Nord und Süd festhalten. Am Ende gilt: Was strukturell instabil ist, muss nach (vielleicht) überstandener Krise konzeptionell umgestaltet werden. Verschließt man sich dieser Erkenntnis, dann ist der Euro in Kürze Geschichte.