Carlo Terracciano – Zur Aktualität seines Denkens gegen den Neoliberalismus

von | 13. Okt. 2022 | Debatte, Philosophie & Theorie

Thomas Teufel portraitiert in seinem Artikel den italienischen Politikwissenschaftler und Neu-Rechten Carlo Terracciano, der sein Leben der Idee des Eurasianismus widmete. Er sieht insbesondere in den Völkern des Ostens, welche sich als resilienter gegenüber westlicher Bestrahlung erweisen, die Blaupause für Europa, wieder zurück zu einem gesunden Wertegefüge zu finden.

 

Wer ist Carlo Terracciano?
Zur Person: Carlo Terracciano ist am 10. Oktober 1948 in Bologna geboren und verstarb leider bereits am 3. September 2015 in Florenz. Sein Tod war ein großer Verlust für die italienische Neue Rechte, die sich stärker als jedes andere Land an die Theorien der integralen Tradition von Julius Evola anlehnte. Er schloss sein Studium und sein Doktorat in Politikwissenschaften ab und widmete sich geopolitischen, soziologischen und anderen Themen, wobei der erwähnte ideengeschichtliche Hintergrund eine große Rolle spielte. Ebenso stellte er früh Kontakte zu den russischen Nationalbolschewisten und späteren Eurasiern um Dugin her und war Herausgeber der Zeitschrift „Eurasia – Rivista die studi Geopolici“, welche sich dem eurasischen Gedanken widmete. Auch erwähnenswert ist seine besondere Beziehung zum Iran, in dem er eine Konservative Revolution gegen den Imperialismus am Werk sah und in ihm somit einen potentiellen Verbündeten erkannte.

Revolte gegen die moderne Weltordnung – eine Aktualisierung des evolianischen Werks

In seinem einzigen in deutscher Sprache erschienenen Werk „Revolte gegen die moderne Weltordnung“, erschienen im Regin Verlag, legt Carlo Terracciano eine Aktualisierung von Julius Evola vor.  Evola, der auch tragend für die Neue Rechte war, ging in seinem Spätwerk von einer bipolaren Welt aus, jedoch änderte sich der Zustand der Welt hin zu einer Unipolarität. Die USA stellen seit den 90ern den Anspruch, die alleinige Weltmacht zu sein und sehen den Rest der Welt als eine Art Peripherie und reinen Standort zur Durchsetzung ihrer Interessen als Avantgarde des „Endes der Geschichte“.

 

Aufstand gegen die unipolare Welt – hin zum Ende der US-Hegemonie

In diesem stellt Terracciano fest, dass dieser Zustand eines einzigen Hegemons im Sinne der liberalkapitalistischen Ideologie kein Schicksal ist, sondern auch eine andere Welt möglich wäre. In der konfliktreichen Epoche des frühen 20. Jahrhunderts erhoben sich in der Moderne verhaftete, aber dieser entgegengesetzte Akteure. Die sogenannten „Totalitarismen“ bedrohten die hegemonialen Bestrebungen des Liberalismus, wenn auch mit blutigen und brachialen Methoden. Es gelang den Liberalen jedoch, im Sinne des British Empire die neu entstandenen Mächte gegeneinander auszuspielen. Der italienische Theoretiker umschreibt hier treffend, wie dieser Kampf ablief. Dabei erhebt er sowohl Einspruch gegen einen zeitgeistigen oberflächlichen Antifaschismus, als auch einen ebenso bei Konservativen oft anzutreffenden paranoiden Antikommunismus. In dem es gelang, die auftretenden alternativen Versionen der Moderne gegeneinander auszuspielen, schaltete man zuerst die Faschismen aus. In weiterer Folge wurde Europa in die Machtsphäre der angelsächsischen Hegemonie eingegliedert. Zudem wurde auch Russland nachhaltig geschwächt, welches dann zeitversetzt in den 1990ern, mit Hilfe gezielt geförderter innerer Zersetzungsprozesse, kollabierte.

 

Terraccianos Kritik an der Globalisierung: Gegen Chaos, Kulturindustrie und Geldadel

Daher kritisiert Terracciano den Globalismus, welchen er mit dem im deutschsprachigen Raum unbekannteren Begriff des Mondialismus (gemeint ist die Globalisierung) bezeichnet, keineswegs wie einige historische Materialisten als einen deterministischen Prozess. Terracciano zeigt klar, wie dieser Prozess der Globalisierung stattfindet, in dem man bei gleichzeitiger Zerstörung der autochthonen soziokulturellen Regelkreise schrittweise die politischen Strukturen unterwandert. Dieser Prozess ist also die Folge einer schrittweisen Entwurzelung, die klar von einer globalen Elite und ihren Strukturen vorangetrieben wird. Ein kleiner Teil an Menschen verfügt in der Globalisierung über sämtlichen Reichtum und kann auf die Handelsstrukturen in der Welt zugreifen. Er baut auf der Verschuldung von Staaten auf, die man teils im Sinne eines neokonservativen Konzepts des kreativen Chaos gegeneinander ausspielt und in die Konkurrenz zueinander getrieben hat. Dieser kleine Teil privatisierter Akteure installiert sich dort, wo er Möglichkeiten findet, an der Macht zu partizipieren und agiert in seinem Selbstbild als eine Art neues Herrenvolk. Die USA selbst agieren hier als ein wichtiger Standort der Globalisierung, sie sind jedoch nur eine Bastion einer an sich heimatlosen kosmopolitischen Elite. Carlo Terracciano beschreibt diese Elite, welche er als neue Herrenmenschen nennt, als eine Ballung der Macht. Diese Macht setzt sich für ihn durch einen oligarchischen Geldadel, der über einen Großteil der Weltfinanzen verfügt, und  einer Kulturindustrie, die man heute am „American Way of Life“ und der damit zusammenhängen Unterhaltungsindustrie ausmachen kann, zusammen.

 

Die Globalisierung ist kein Schicksal

Hieraus ergibt sich, dass die Globalisierung vor allem in ihrer heutigen Form kein alternativloses Schicksal ist, aber ebenso darf man sie nicht in marxistischer Weise so denken, dass sie am Ende durch ihre inneren Widersprüche ihr Gegenteil gebärt. Die Globalisierung ist das Resultat einer tragenden Elite, die wiederum sich selbst durch diesen Prozess in ihrer Macht bestärkt. Man kann dies als einen Kreislauf betrachten, da die Globalisierung von außerhalb der herkömmlichen Politik stehenden Akteuren vorangetrieben wird, sie hebt wiederum Akteure in die Höhe, die sich der staatlichen Kontrolle und der Gebundenheit an einen Raum entziehen.

Rechte, Linke, Christen und Moslems in einer Querfront gegen die Neue Weltordnung
Die Alternative besteht für Terracciano in einer Sammlung jener Kräfte, die aktiv gegen den hegemonialen Status der Moderne kämpfen, aber auch jene Institutionen wie z. B. die westlichen Kirchen, welche unterwandert wurden und im Moment nur mehr als leere Hülle ihrer selbst existieren. Hierzu zählt Terracciano auch den Regionalismus und die Ökologie fern des Klimaschutzes als Kritik an der Entfremdung. Weiter sieht er aber auch in den gegen die Hegemonie antretenden Kräften von rechts und von links, ebenso wie auch im Islam große Antipoden des Neoliberalismus, die es in einer gemeinsamen Front zu vereinen gilt. Carlo Terracciano hat sich während der damals aufkommenden Islamophobie, die durch Neokonservative instrumentalisiert wurde, um die Gegner des amerikanischen Imperialismus zu spalten, aber auch um Scheinfeindbilder zu kreieren, klar gegen diese gestellt. Ebenso erteilte er einer politischen Nostalgie eine Absage, die sich weder der aktuellen politischen Lage bewusst ist, noch neue Bündnisse bilden kann.

Reich oder Regionalismus? Auf dem Weg zur Souveränität Europas
Nun erblickt Terracciano im Regionalismus jedoch ein noch größeres Hindernis für Europa, auf seinem Weg wieder zu einem Subjekt der Geschichte zu werden, als in den nationalen Egoismen. Die Lösung dafür, die immer wieder in der menschlichen Geschichte als Organisationsform auftrat und auf ewigen Prinzipien der Kulturen fußt, erkennt er im Imperium, dem Reich. Er sieht darin eine Lösung für die zu wahrenden, naturverhafteten Regionalitäten, da diese auf übergeordneten geistigen Prinzipien gründen und eine spirituelle Stütze bieten, gleichzeitig auch von einer aristokratisch-kriegerischen Elite getragen werden. Im Reich erkennt er eine durchaus gerechte Basis, die sich weitgehend auf das Regionale besinnt und von einer Aristokratie eines wahren Staates regiert wird und nicht nur eine vertraglich geregelte ökonomische Einheit darstellt.

Ex oriente lux – Eurasien als Licht der Hoffnung für Europa
Die Hoffnung auf einen Wandel sieht er jedoch nicht im Westen keimen, da dieser in seinen Augen durch den Individualismus sowie Hedonismus schon vollkommen entkernt wurde und nicht mehr das traditionelle Europa darstellt. Heute ist der Westen zu einem reinen Nihilismus des Konsums im Sinne des „American Way of Life“ degeneriert. Die Institutionen, die wie erwähnt noch bestehen, sind  nur noch ihres Sinnes beraubte Hüllen, die wiederum dem Kitsch überlassen und verschleudert werden. Zum Optimismus rührt Terracciano die Konzeption von Thiriarts „Europa von Wladiwostok bis Rjekavik“. Gerade die Völker des Ostens weisen laut ihm noch eine spürbare Vitalität auf, da sie durch die entbehrungsreiche Schule des Sowjetsystems gingen, die sich jedoch in kultureller Hinsicht als weniger zersetzerisch erwies als jene des Westens und noch einen Kern des Widerstands gegen den Modernismus in den Völkern des Ostblocks wahrte. Durch den Osten und einen eurasischen Großraum kann auch Europa wieder zu sich gelangen sowie zu einer autarken Basis werden, die sich dem Globalismus entgegenstellt. Ein Gedanke, der heute aktueller denn je ist, vor allem im Hinblick auf die Ideen des „Great Reset“, die von Klaus Schwab et al. propagiert werden.

 

Revolution und Tradition: Kein Widerspruch, sondern Abbild der ewigen Ideen

In den letzten Kapiteln wendet er sich den Frontstellungen unserer Tage zu, dabei geht er, ähnlich wie Evola, von einem aktiven, bei Friedrich Nietzsche geliehenen, Nihilismus aus. Man muss an dieser Stelle erkennen, dass Tradition und wahre Revolution wie bei Julius Evola keine Kontraste sind, da ein rein auf die Zukunft gerichteter Revolutionswahn nur eine Adaption der Hegemonie darstellt. Ein bloßes Festhalten an entleerten Institutionen bedeutet hingegen nichts anderes als schlichte Romantik und Verfälschung wahrer Prinzipien. Die Tradition gründet darauf, die Formen danach zu bewerten, inwieweit sich Prinzipien in ihnen spiegeln, also das, was Platon die ewigen Ideen nannte. Hierin sind alle Kräfte zu fördern, die jene verfälschten Formen und Normen attackieren und zerstören, selbst wenn die Ziele verschieden sind. Es gilt hier zugleich, eine Haltung zu entwickeln, die die erwähnten Prinzipien nicht nur zu propagiert, sondern auch darzustellen weiß. Ihr Endziel muss darin bestehen, den Charakter der kommenden revolutionären Kader zu formen.

 

Carlo Terracciano – ein Autor, dessen Werk unsere Aufmerksamkeit verdient

Hält man sich die wichtigsten Gedankengänge in seinem Werk „Revolte gegen die moderne Weltordnung“ vor Augen, wäre es begrüßenswert, wenn mehr Werke von Terracciano in deutscher Sprache veröffentlicht werden würden. Zum Beispiel einige Beiträge seiner Publikation „Eurasia“ oder „Nazionalbolscevismo“. Carlo Terracciano war nicht nur ein Autor, der den heute für die Neue Rechte immer bedeutender werdenden Julius Evola ins 21. Jahrhundert übersetzte, sondern steht auch als Denker in einer Reihe mit Alexander Dugin und Alain de Benoist, womit er einen wichtigen Beitrag für die geistige Schulung einer revolutionären Avantgarde geleistet hat.