Agora Europa – Die Zukunft des Krieges

von | 17. Jul. 2023 | Standpunkte

Der Krieg – wie prägt diese ewige Realität des menschlichen Daseins unser Leben und wie verändert Postmoderne den Krieg? Welche Rolle spielt der „Vater aller Dinge“ im Übergang vom unipolaren zum multipolaren Moment? Diesen Fragen hat sich die vierte Ausgabe von Agora Europa angenommen.

Im Leitartikel: “Europa ein wehrlose Kontinent?” widmet sich Peter Steinborn in zwei Teilen einer ausführlichen Lageanalyse des Kontinents. Im ersten Teil “Vom Untergang des Westens” konstatiert er, dass die europäische Friedensordnung am 24.02.2022 mit der heißen Phase des Kriegs in der Ukraine, der schon seit 2014 andauert, endgültig auseinandergebrochen ist. Dabei wird in diesem Kampf zwischen dem Westen und Russland/Eurasien nicht nur um die Vorherrschaft auf der Eurasischen Halbinsel gekämpft, seine Folgen zeitigen Auswirkungen bis in den Indopazifik am anderen Ende der Welt, wo sich wiederum China dem Hegemonialanspruch der USA entgegenstellt. Die EU erweist sich vor diesem Hintergrund als (militärischer) Papiertiger, aber auch keineswegs als der mächtige, zentralistische Superstaat als den sie viele Rechte kritisieren. Den Europäern wurde ihre militärische Verwundbarkeit schonungslos vor Augen geführt. Durch die Sprengung von Nord-Stream II wurde zudem überdeutlich, dass sich die anderen NATO-Mitglieder in einem Vasallenverhältnis zu den USA befinden. Des Weiteren ist Europa in seiner Haltung zu Russland gespalten: Während beispielsweise Frankreich kompromissbereiter gegenüber Russland auftritt, sind es vor allem neue Mitgliedsstaaten wie Polen und die drei baltischen Länder, die sich zunehmend stärker an den USA anlehnen und bei diesen um Schutz suchen. Angesichts der zunehmenden Zentrifugalkräfte innerhalb von EU und NATO spricht Steinborn hier von einer Auflösung des Westens. Zudem führt die durch den Krieg in der Ukraine beschleunigte Ent-Dollarisierung dazu, dass den USA einer ihrer wesentlichen Stützpfeiler verloren geht. Der Westen wird zunehmend von innen und außen als zerfallende Zivilisation wahrgenommen. Im zweiten Teil “Europäische Neugeburt möglich” betont Steinborn die Chancen, welche aus dem Zerfall des Westens für Europa erwachsen. Der drohende Rückzug der USA aus Europa stellt dieses vor die Herausforderung, sowohl qualitativ, als auch quantitativ aufrüsten zu müssen. Dies betrifft auch den Bereich der Atomwaffen, wo Europa den Machtpolen USA und Russland/Eurasien gegenüber massiv unterlegen ist. Die Europäer müssen zudem anfangen, sich selbst als Akteure in einer multipolaren Welt zu begreifen, wenn sie diese mitgestalten wollen. Während er die politische Union der EU als gescheitert betrachtet, argumentiert Steinborn für eine militärische Union, die die europäische Sicherheitspolitik sinnvoller und kosteneffizienter gestalten kann. Abschließend sieht er mittelfristig nicht einen Großraum Europa kommen, sondern mehrere Großraumnationen entstehen, die miteinander zusammenarbeiten, wobei er auf den Fachartikel “Europa der Räume” von Dominik Schwarzenberger verweist.

Anschließend an diese neue Raumvorstellung für Europa, stellt Tom Dieke in “Die Rückkehr des Kriegers – Skizzierung eines neuen Typus für unsere Zeit” eine Skizze für einen neuen Menschentyp Europas vor: Das ein solcher notwendig ist, wurde angesichts der offensichtlichen Wehrunfähigkeit Europas offenbar, die mit der liberalen idée fixe vom “Ende der Geschichte” zu erklären ist. Da der US-Hegemon weder den materiellen Wohlstand Europas weiterhin garantieren noch Europa schützen kann, wird seine Rolle immer stärker in Frage gestellt. Doch ergibt vor diesem Hintergrund eine allgemeine Wehrpflicht nur dann Sinn, wenn man dazu in der Lage ist ein positives Bild von Volk und Heimat zu zeichnen, die man mittels dieser beschützen will. Dies mag im gegenwärtigen Deutschland ausgesprochen fraglich erscheinen, da das Soldatentum als Schule der Nation nur dort gedeihen kann, wo es auch vom Staat selbst befürwortet wird, dennoch ist es wichtig sich dahingehend Gedanken zu machen. In diesem Zusammenhang spricht sich Dieke für die Beseitigung der Erlebnisarmut bei jungen Menschen aus und plädiert für eine Erziehung hin zum Dienst am Volk, die sowohl Grundlage für die zukünftige Wehrhaftigkeit darstellt, als auch im Sinne eines epigenetischen Stufenplans die Beseitigung des inneren Schweinehunds ermöglicht. Als zentrales Element hebt er hierbei die gemeinsame Kultur als Erlebnis- und Erkenntnisbasis hervor, welche einzig im Stande ist einen neuen, festen Glauben zu formen.

In seinem Artikel zur Kleinem Strategemkunde fordert Steinborn ein Bekenntnis zur List als Mittel der Kriegs- und Lebensführung. Am Beispiel Chinas legt er dar, dass die Kunde von Strategemen (bei denen es sich um keine Strategien handelt) wesentlich für die Metapolitik ist. Letztlich brauche es aber zum Sieg nicht nur die richtige Strategie, die wir aus der Strategemkunde ziehen können, sondern auch den notwendigen Willen und die Macht, um diese umsetzen zu können. In diesem Zusammenhang kann man in der von Markovics beschriebenen Netzwerkzentrierten Kriegsführung eine neue Form der westlichen Kriegskunst erkennen, die sich des Strategems Nr.35, der “Strategem-Verkettung” bedient. Sie stellt ein gutes Beispiel dafür dar, dass nicht nur der Krieg den Menschen verändert, sondern auch der Mensch den Krieg. Die bisher nicht dagewesene Geschwindigkeit bei der Befehlsweitergabe an den einfachen Soldaten wäre ohne postmoderne Erfindungen wie das Internet und ebensolche Führungsstrategien aus dem Wirtschafts- und Coachingbereich nicht denkbar. Dabei können wir an der maßgeblich von US-Admiral Cebrowski mitformulierten Strategie erkennen, dass der Krieg nicht mit den bewaffneten Auseinandersetzungen endet, sondern auch im Frieden weitergeführt wird bzw. anfängt. US-amerikanische Regime-Change-Versuche, die Zersetzungsarbeit westlicher NGOs in den Ländern des globalen Südens usw. zeigen, dass der Netzwerkkrieg einen fließenden Übergang zwischen Krieg und Frieden kennt, nicht zuletzt durch den massiven Einsatz von Spezialoperationen – umso wichtiger ist es, dass wir uns auch aus patriotischer Sicht mit dieser Erscheinung beschäftigen.

Im Weitblick führt Cristián Barros mit dem Krieg in der Ukraine ein Beispiel für diese Konflikte neuen Typs an. Er erkennt in diesem frei nach Mearsheimer einen Versuch des Westens, Russland mit den Mitteln des Imperialismus, und dazu gehört die westliche Sanktionspolitik, in die Knie zu zwingen. Doch wie die wirtschaftlichen Daten beweisen, hat dies paradoxerweise dazu geführt, dass der Westen seine wirtschaftliche Stellung in der Welt verliert, wohingegen er die ökonomische Integration der BRICS-Staaten gestärkt hat. Dieser “Dritte Weltkrieg” werde, so Barros, nicht nur um den Erhalt der westlichen Hegemonie und die Verhinderung der multipolaren Welt, sondern auch zur Verteidigung des Petrodollars und des westlichen Geld- und Finanzsystems führen. Nicht nur die natürlichen Ressourcen der Ukraine, sondern auch deren geopolitische Rolle als Dreh- und Angelpunkt im Herzland Eurasiens stellen dabei den Preis für den Sieger in diesem neuen Völkerringen dar. Dass die neokonservativen Eliten, die die Kriegstreiberei des Westens massiv vorantreiben, sich zu großen Teilen aus den Reihen einer zionistisch-liberalistischen Bourgeoisie mit Wurzeln in den ehemaligen Staaten der UdSSR rekrutieren, gibt dem Konflikt auch den Charakter einer Familienfehde. Dabei stellt er die gewagte These auf, dass es Washington bei den Kriegen der letzten 30 Jahre gar nicht darum ging, diese zu gewinnen, sondern darum diese auf unbestimmte Zeit zu verlängern, um die dadurch entstandene Volatilität der Märkte nützen zu können und dem eigenen militärisch-industriellen Komplex neue Absatzmärkte erschließen zu können. Als “entropisches Reich” strebt der Westen also nicht nach der direkten Ausbeutung der Ressourcen, sondern die Seigniorage des Dollars zu verstärken und Geld zu erpressen. Ein weiterer Konfliktherd, der heiß zu werden droht, ist das Pulverfass des Balkans, als dessen Lunte Serbien gewissermaßen dient. Streitpunkt bleibt hier der Kosovo, die völkerrechtswidrig durch die NATO von Belgrad abgetrennte Provinz Serbiens. In seinem Artikel beschreibt Brakus ebenfalls das komplexe Dreiecksverhältnis zwischen den Brudervölkern Serbien-Russland und der Ukraine. Eine Lösung dieses Konflikts am Balkan ist nicht zu erwarten, solange die USA ihre schützende Hand über die dort erzwungene Ordnung halten werden.

In der Kategorie „Zur Sache“ bittet Alexander Markovics diesmal Leonid Savin zum Interview über die Zukunft des Krieges. Darin benennt der russische Experte den Great Reset als Instrument zur Durchsetzung der Unipolarität und Kriegserklärung an alle freien Völker, um diese der westlichen Hegemonie zu unterwerfen. Die Vierte Industrielle Revolution demaskiert er dabei als Wunschtraum Klaus Schwabs, dem die empirische Realität dafür fehlt. Ausgehend von seinen Büchern zu den Konzepten des Netzwerkkrieges/Hybridkriegs/Coaching War zeigt er auf, dass der Westen andauernd Krieg gegen seine Feinde, neutrale Staaten, aber auch Verbündete führt, wobei er vermehrt auf Spezialoperationen zurückgreift. Als eine solche Methode westlicher Aggression bezeichnet er auch die grüne Postwachstumspolitik des Westens, die nichts anderes als praktizierter Neomalthusianismus ist, um das Wachstum des globalen Südens zu bremsen bzw. gleich aufzuhalten und so seine Hegemonie aufrecht erhalten zu können. Zur Verteidigung gegen die letzten Zuckungen des unipolaren Machtanspruchs empfiehlt Savin die psychische Stärkung durch ein geistiges Pluriversum, quasi eine intellektuelle Multipolarität. An dieser Stelle empfiehlt er dem patriotisch-europäischen Widerstand sich auch außerhalb Europas Inspiration zu holen, um seinen Kampf gegen die amerikanische Hegemonie erfolgreich führen zu können. Peter Steinborn stellt im Artikel „Hybride Smart Power: PsyOps und die „neue“ Art der Kriegsführung” die Frage, inwiefern die sogenannte hybride Kriegsführung nicht an alte Strategeme anknüpft. Dabei stößt er bei Clausewitz auf das berühmte Diktum vom Krieg als Fortführung der Politik mit anderen Mitteln und weist auf die Zerstörung der feindlichen Moral als wichtigen Punkt der psychologischen Kriegsführung hin. Dabei bleibt er aber nicht bei dem alten Strategen Preußens stehen, sondern zeigt anhand der Feldzüge Mao Zedongs die Wichtigkeit der Metapolitik in der asymmetrischen kriegerischen Auseinandersetzung zwischen unterschiedlich starken Kontrahenten auf. Im politischen Kampf bedeutet dies, dass sich der Revolutionär in einem ungleichen Kampf mit dem politischen System wiederfindet, den er dennoch gewinnen kann. Dabei wird die ausgereifte, durchschlagende und ihrer Zeit gemäße Idee zur Waffe, die die Unzufriedenheit der Massen befeuern und eine immer kraftloser werdende Elite fragmentieren kann, so lange, bis diese abtritt.

Der gegenwärtigen Lage in den USA und der Aussicht auf ihre Zukunft widmet sich in dieser Ausgabe Dominik Schwarzenberger. In seinem pessimistischen Ausblick rechnet er zwar nicht mit einem Bürgerkrieg wie 1861 – 1865, jedoch mit einem sicheren Auseinanderbrechen der Vereinigten Staaten, da weder Demokraten noch Republikaner sich dazu in der Lage zeigen, das zunehmend polarisierte Land wieder zu versöhnen. Dabei weist er “Rassenkriegsprognosen” zurück, auch wenn er die ethnischen Spannungen anerkennt, ebenso wie die Idee vom Zerfall der Union in 50 Einzelstaaten. Texas, Florida, ein geteiltes Kalifornien, Hawaii und Alaska sieht er als mögliche Kandidaten für eine Sezession, ebenso wie einen schwarzen Ethnostaat im Süden, wohingegen er dem Rest des Landes eine stärkere Föderalisierung prophezeit. Überraschend ist auch seine Erwartung einer Vereinigung der USA mit dem sich ebenso als anationalen Staat begreifenden Kanada.

In der Ekklesia haben wir diesmal zahlreiche Beiträge aus dem Ausland versammeln können. Für Brasilien schreiben Raphael Machado und Lucas Leiroz zu den BRICS-Staaten und den antirussischen Sanktionen des Westens. Machado betont in seinem Beitrag die Rolle des Wirtschaftsbündnis BRICS als Grundlage der multipolaren Welt. Die westliche Allianz der G7 erscheint für ihn als Sackgasse, die versucht die unipolare Hegemonie des Westens krampfhaft zu erhalten. Doch bereits jetzt umfassen die BRICS-Staaten mehr als 40% der Weltbevölkerung und schicken sich an, eine Alternative zu den globalistischen Institutionen zu errichten. Ein Schlüssel zur Errichtung der multipolaren Welt liegt darin, die Institutionen des Westens zu verlassen und an ihrer Stelle multipolare Institutionen nach dem Muster der BRICS und der Shanghaier Kooperation aufzubauen, die diese ersetzen können. In seinem Artikel zu den antirussischen Sanktionen des Westens erkennt Lucas Leiroz in diesen ein traditionelles Mittel des Imperialismus und der Meeresmacht, die letztlich auch Europa zum Opfer der US-amerikanischen Sanktionspolitik machen, indem es dazu gezwungen wird gegen seine eigenen Interessen zu handeln. Nur wenn die Europäer ihre Lage erkennen, können sie den von Washington erzwungenen Ausbeutungsverhältnissen ein Ende setzen und ihren eigenen Platz in der multipolaren Welt festigen. Die Position der Türkei wird im Artikel zur geopolitischen Neuausrichtung des Landes von Alpaslan Babala besprochen. Als Mittelmacht zwischen Asien und Europa wird das Land durch seine noch immer starke Bindung an die USA davon abgehalten, die Rolle eines gleichermaßen zuverlässigen Mittlers für Asien und Europa auszuüben. Im Laufe einer ausführlichen Betrachtung der türkischen Geschichte zeigt Babala auf, dass zum kulturellen Erbe der Türkei nicht nur eine konservative (keine extremistische) Auslegung des Islams gehört, sondern auch eine starke intellektuelle Bindung zu Europa, wie wir etwa im Antiimperialismus und Nationalismus Kemal Atatürks sehen können. Folgt man Babala, ist Recep Tayyip Erdogan kein wahnsinniger Extremist, der nach einem Neoosmanischen Reich strebt, sondern vielmehr ein Politiker, der die Souveränität der Türkei stärken will und dementsprechend verschiedene rechte Strömungen im Staat am Bosporus miteinander zu vereinen versucht. Zweifellos kann man dennoch den türkischen Präsidenten aus europäischer Sicht kritisch sehen, da er insbesondere in Deutschland lebende Türken auch für seine Politik zu instrumentalisieren weiß und dies auch tut.

Die postmoderne Kriegsführung erinnert zunehmend an den Ersten und Zweiten Weltkrieg, wie Marco Malaguti aus Italien in seinem Beitrag aufzeigt. Präzisionswaffen wie die Kinschalrakete treffen auf den Stellungs- und Abnützungskrieg, der massive Einsatz von unbemannten Fluggeräten (Drohnen) auf erbarmungslose Häuserkämpfe. Fernab davon zu einem Duell zwischen Maschinen zu werden, nimmt die Bedeutung der Technik in der Kriegsführung auch im 21. Jahrhundert weiter zu, ohne den Faktor Mensch auf die hinteren Plätze zu verweisen. Gleichzeitig zeigt sich aber anhand von IT-Attacken, Psy-Ops in den Medien und den Destabilisierungsversuchen in feindlichen Gesellschaften die rhizomatische Logik der postmodernen Philosophie und des liquiden Kapitalismus im Kampf des Westens gegen die Landmächte Eurasiens. Nur gegen die Bedrohungen, die man versteht, ist man in der Lage sich zu verteidigen. Nur Listen, die man durchschaut hat, kann man gegen den eigenen Feind wenden. Dahingehend ist es für uns als Deutsche und Europäer wichtig, uns mit den neuesten Entwicklungen der Kriegsführung zu beschäftigen, damit wir wieder dem Tod ins Angesicht schauen und zu einer wehrhaften Zivilisation werden können.

„Der dem Tod ins Angesicht schauen kann. Der Soldat allein ist der freie Mann.“ (Friedrich Schiller: Reiterlied aus dem Wallenstein. 1797)

 

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