Nachfolgend interviewte unser Redakteur Peter Steinborn den wohl bekanntesten Sprecher der Eurasischen Bewegung im deutschsprachigen Raum Alexander Markovics zum Krieg in der Ukraine. Das Interview soll zur Diskussion beitragen und Einblicke in die Denkwelt eines Eurasiers bieten. Das Gespräch erscheint aufgrund der länge in drei Teilen. Die Redaktion
– Hier ist das gesamte Interview verfügbar. –
P.S.: Sehr geehrter Herr Markovics, ich freue mich, dass ich Sie für dieses Interview gewinnen konnte. Als Generalsekretär des „Suworow-Instituts“, das sich auch „Gesellschaft zur Förderung des Österreichisch-Russischen Dialogs“ nennt, ist die Ukraine-Krise – mittlerweile kann man unmissverständlich von einem Krieg sprechen – sicherlich auch für Sie ein gewichtiges Thema. Gerade dieses Thema droht zum Spaltpilz innerhalb der Rechten – inkl. der Neuen Rechten zu werden. Oft fehlt ein Ausgleich. Das dem Menschen angeborene Schwarz-Weiß-Denken macht es einem hier nicht leicht, über den Tellerrand hinaus zu blicken. Das Interview möchte ich gerne nutzen, um Ihnen einige kritische Fragen zum Thema zu stellen, die uns hoffentlich der Wahrheit ein wenig näherbringen werden.
Der Einmarsch russischer Truppen in die Ostukraine am 24. Februar 2022 kam trotz der vorhergehenden Offensive seitens des Kremls für viele Menschen überraschend. Es wirkt regelrecht so, als wären plötzlich alte Wunden wieder aufgeplatzt. Seit diesem Schock ist auch die Rechte gespalten. Sie haben sich nun schon mehrfach verständig für diesen Schritt Russlands ausgesprochen. Was sind die Gründe für den Einmarsch und glauben Sie nicht, dass Wladimir Putin damit ggf. die Sicherheit Europas, gar ganz Eurasiens, aufs Spiel setzt?
A.M.: Ich denke es ist wichtig diesbezüglich festzuhalten, dass dieser Konflikt innerhalb der Rechten nur jene Leute spaltet, die geopolitisch größtenteils ahnungslos sind bzw. noch immer an den Ideologien der Moderne festhalten und sich beharrlich weigern, die geopolitischen Interessen Deutschland und Europas abseits der Tagesbefehle aus Washington zu formulieren. Das ist insofern erschreckend, als dass es mit Carl Schmitt, Jordis von Lohhausen, Jean Thirirart sowie Alain de Benoist bereits geopolitische Denker innerhalb der europäischen Rechten gibt, die genau solche Interessen bereits formuliert haben. Nur leider werden sie nicht verstanden, bzw. ignoriert, da man weiterhin in transatlantischen Denkmustern verharrt. Überraschend kam der russische Einmarsch im Rahmen der Militäroperation in der Ukraine nur für diejenigen, die das geopolitische Spiel auf dem Eurasischen Schachbrett seit 2014 aus den Augen verloren haben. Seit dem Maidanputsch 2014, der unter massiver Beteiligung des Westens von statten ging – so stellte der Westen allein mehrere Milliarden Dollar Finanzhilfe für subversive Gruppen – ist die Ukraine kein souveräner Staat mehr, sondern ein US-amerikanischer Außenposten auf der Eurasischen Weltinsel analog zur BRD. Ebenfalls seit 2014 sind die Menschen im Donbass für ihre – aus westlicher Sicht – Unverfrorenheit, aus der westlichen Hegemonie auszubrechen, mit einer Strafaktion des ukrainischen Militärs belegt worden, das die dortige Zivilbevölkerung tagein, tagaus mit Artillerie beschossen und so mehr als 14.000 Tote gefordert hat. Russland und die Führung der beiden Volksrepubliken von Lugansk und Donezk haben acht Jahre lang vergeblich versucht, hier eine friedliche Lösung des Konflikts im Rahmen zweier Minsker Abkommen zu finden. Diese Abkommen wurden von der Ukraine mehrmals gebrochen und schließlich Anfang 2022 öffentlich am G7-Sicherheitsgipfel aufgekündigt. Zusätzlich hat die Ukraine auf diesem Gipfel offen darum geworben, mit westlicher Hilfe Atomwaffen herzustellen. Ebenso existieren auf dem Territorium der Ukraine über 26 Biowaffenlabore, die von den USA und der Ukraine zur Herstellung und der Forschung an Massenvernichtungswaffen verwendet wurden – worauf Russland seit 2018 hinwies und die USA vor kurzem in Gestalt von Victoria Nuland öffentlich zugeben mussten. Schließlich plante die Ukraine eine Offensive gegen den Donbass für den März 2022. Wie man es auch dreht und wendet: Russland ist in diesem Konflikt, der seit mehr als acht Jahren und nicht erst 60 Tagen andauert, nicht der Aggressor. Moskau wurde seit dem Ende des Kalten Krieges von der NATO und den USA trotz anderslautender Versprechen systematisch eingekreist. Die Aufrüstung der Ukraine durch den Westen hat Russland schließlich wortwörtlich die Pistole auf die Brust gesetzt. Ein NATO- und EU-Beitritt hätte schließlich westliche Atomraketen in einem Ausmaß an die russische Grenze verschoben, sodass eine Vorwarnung und ein Gegenschlag nicht mehr möglich gewesen wären. Jeder Mann in der Position des russischen Präsidenten hätte dasselbe wie Putin getan – es sei denn, er wäre nicht an der Sicherheit seines Volkes interessiert.
P.S.: Sie sind der wahrscheinlich bekannteste deutschsprachige Anhänger Alexander Dugins in Europa. Sie beide, also auch Sie, würde ich zu den Vertretern der Eurasischen Bewegung zählen – Dugin selbst ist ja Begründer dieser. Diese Idee fußt allerdings in der russischen Geschichte, Russlands politischer Geographie und letztlich in der geopolitischen Ausrichtung des größten Flächenlandes der Welt. Russland ist ein Eurasisches Land. Doch Deutschland und Österreich sind eindeutig europäische Länder. Wie kommt es, dass Sie als Österreicher, als Deutscher sich dieser Idee angenommen haben?
A.M.: Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Eurasische Bewegung in den 1920er Jahren entstanden ist – Alexander Dugin ist also somit nicht der Begründer der ursprünglichen Eurasischen Bewegung, sondern der Begründer der Neoeurasischen Bewegung, die seit ihrer Entstehung ab den 1990er Jahren immer mehr an Popularität gewonnen hat. Der Eurasismus entstand beinahe zur selben Zeit wie die Konservative Revolution in Europa. Wichtige Vertreter, wie der im Wiener Exil 1938 verstorbene Nikolai Trubetzkoy (auch als „Russischer Oswald Spengler“ bezeichnet), forderten im Rahmen dieser Denkrichtung Russlands Behauptung als unabhängige Macht vom europäisch-westlichen Universalismus. Dabei rekurrierten sie etwa nicht auf die westlichen Ideologien des Liberalismus, Marxismus oder Nationalismus, sondern besannen sich auf das „Erbe Dschingis Kahns“ und die russische Symbiose zwischen christlicher Orthodoxie, slawischer Kultur, finno-ugrischen Völkern und dem Erbe der nomadischen Völker (Zentral-)Asiens. Hierbei wurde, im Sinne des indoeuropäischen Erbes Russland, trotz des asiatischen Einflusses nicht von einer „gelben Gefahr“ gesprochen, sondern auf die kulturelle Symbiose zwischen Russen und Mongolen verwiesen. Russland ist somit eine eigene Zivilisation, kein Teil einer weltweiten westlichen Einheitskultur, die die Identität aller anderen Völker verneint. Man muss an dieser Stelle erwähnen, dass der Eurasismus mehrere Dimensionen hat und nicht nur die russische Zivilisation meint, sondern auf einer weiteren Ebene allgemein das, was beispielsweise 1942 von Carl Schmitt als die Zivilisation des Landes bezeichnet wurde (sie definiert sich durch Heldentum, Traditionalismus, Beständigkeit, Verwurzelung und das Dulden kultureller Vielfalt im Sinne einer geistig-kulturellen Multipolarität), die wiederum im Gegensatz zur Zivilisation des Meeres (definiert durch die Figur des Händlers, Fortschrittsdenken, ein Primat der Wirtschaft über die Politik, einer Uniformisierung der Völker und Kulturen – siehe Globalisierung!) steht. Es liegt also überhaupt kein Widerspruch darin, Eurasier und gleichzeitig Österreicher und Deutscher sowie Europäer zu sein, vielmehr ist das eurasische Denken die notwendige Voraussetzung dafür. Eines dürfen wir in diesem Zusammenhang nie vergessen: Wenn Europa sich kollektiv dazu entscheidet ein Teil der Zivilisation des Meeres zu bleiben und nicht im Sinne des Eurasismus und der Multipolarität seine eigene Souveränität als Zivilisationsblock und Reich einzufordern, dann wird es in naher Zukunft weder Österreicher, Deutsche und Europäer geben, sondern nur noch den amerikanischen Einheitsmenschen. Die Globalisierung ist die historisch gesehen größte Bedrohung, die es jemals für unser Volk und Europa gegeben hat – also ist es notwendig, dieser weltweiten Bedrohung mit einer ebenso globalen Abwehrfront entgegentreten zu können. Der Eurasismus liefert die geistige Grundlage dafür – denn die Zivilisation des Meeres befindet sich nicht nur in Europa und Russland in einer Auseinandersetzung mit der Zivilisation des Landes, die für den eurasischen Gedanken steht, sondern auch in China, Indien, Zentralasien, Südamerika und Afrika, sogar in den USA selbst kämpfen die Gegner des Globalismus gegen das totalitäre System, das ausnahmslos alle Identitäten und Völker innerhalb der Logik des Freien Marktes auflösen will. Die zuerst von Alex Jones und Anhängern Donald Trumps ausgegebene Parole des „Großen Erwachens“ gegen den Great Reset zur Rettung des westlichen Projekts ist somit ein Auftrag mit weltweiten Dimensionen. Ich denke, dass auch wir Europäer uns diesem Kampf für das Land und gegen das Meer anschließen müssen. Auch wenn es das Schlachten Heiliger Kühe voraussetzt, ohne die anscheinend viele Rechte, die keine ausreichende Bildung über ihre Geschichte und Kultur besitzen, nicht leben können. Damit meine ich explizit den weit verbreiteten bürgerlich-chauvinistischen Nationalismus, neofaschistisches Denken ((Euro)Faschismus des Dritten Jahrtausends) und neokonservative Denkfiguren, die leider bei vielen Rechten noch immer präsent sind. Dieses falsche Denken dient nur der Aufrechterhaltung der westlichen Hegemonie und den nostalgischen Neigungen vieler Menschen – es macht jedoch eine wirkliche, und das bedeutet auch geistige, Souveränität Europas vom amerikanischen Empire unmöglich. Wer sich darüber hinaus umfassend über das Thema Eurasismus informieren will, der sei auf mein Interview mit Alexander Dugin in der kommenden dritten Ausgabe der Zeitschrift Agora Europa verwiesen ! (Hier geht es zur AGORA Europa, die dritte Ausgabe ist noch nicht raus, Anm. d. Red.)
P.S.: Was ist mit nichtchauvinistischen Nationalismen wie ihn u.a. ein Frank Kraemer oder Autoren-Kollegen von Ihnen von der Deutschen Stimme vertreten? Dominique Venner – ohne Zweifel Begründer der Neuen Rechten in Frankreich – bezeichnete sich selbst als Europäischer Nationalist, womit er dem Nationalismus eine gewichtige Rolle zusprach, ihn aber auf eine europäische Dimension holen wollte. Kann man nicht Nationalist sein und dennoch traditionale Werte vertreten?
A.M.: Das ist eine gute Frage. Zuvor ist es jedoch wichtig festzuhalten, dass Dominique Venner definitiv ein Wegbereiter der Neuen Rechten war, aber nicht ihr Begründer, diese Rolle fällt Alain de Benoist zu. Er war der Vertreter eines revolutionären Nationalismus, grob vergleichbar mit den Nationalrevolutionären der Konservativen Revolution in Deutschland und ist im Wesentlichen in der Denkströmung des europäischen Nationalismus einzuordnen, wie ihn auch Jean Thiriart vertreten hat. Dieses Verhaftetbleiben in der Moderne kann man zum Beispiel auch an seinem Bezug auf eine vermeintliche Überlegenheit der weißen Rasse erkennen, von der er zum Beispiel in „Für eine positive Kritik“ spricht. Bei diesem Denken in Rassen mit sozialdarwinistischen Implikationen handelt es sich um eine klassische Position der Moderne, die mit traditionellen Werten nicht vereinbar ist. Natürlich kann man als europäischer Nationalist traditionelle Werte vertreten, jedoch kommt man hier zwangsläufig in den Widerspruch des archeomodernen Denkens nach Alexander Dugin. Ähnlich wie in Serbien nach dem Ende der osmanischen Besatzung bedeutete dies ein Nebeneinander freimaurerischer und jakobinischer Ideen der Moderne mit Elementen der europäischen Tradition. Die Archeomoderne bringt dabei die schlechtesten Eigenschaften beider Denksysteme zum Vorschein und gebiert letztlich eine schizophrene Gesellschaft, die nicht dazu in der Lage ist, den Fortbestand des Volkes und der Volksgemeinschaft zu garantieren, wie zahlreiche historische Beispiele solcher Formen der Staatlichkeit beweisen. Ich denke, dass das Denken des europäischen Nationalismus genauso wie die Konservative Revolution wichtige Schritte auf dem Weg hin zur Neuen Rechten und der Vierten Politischen Theorie im Sinne eines Großen Erwachens der Völker waren, dass sie aber nicht das Endziel auf unserem Weg zur kompletten Überwindung der Moderne sein können.
P.S.: Es ist umstritten, wo die wahrlichen Grenzen Europas beginnen und aufhören. Die Ukraine z.B. wird allgemein zu Europa hinzugezählt, während das ja für Russland nicht mehr so eindeutig ist. Was ist aus Ihrer Sicht Europa und welchen Platz könnte es in einer Eurasischen Ordnung einnehmen?
A.M.: Grundsätzlich sind Zivilisationsgrenzen genauso wie Staatsgrenzen verschiebbar. Oswald Spengler zum Beispiel identifizierte die Ostgrenze Polens mit der Grenze Europas. Die Ukraine war bis 1991 Teil der Sowjetunion – ich denke nicht, dass 30 Jahre nationalistische Propaganda etwas an der Zugehörigkeit der Ukraine zu Eurasien (deren Name auf Deutsch wortwörtlich Grenze bedeutet) geändert haben. Vielmehr war es seit Jahrhunderten ein Ziel europäisch-westlicher Außenpolitik – von den Jagiellonen, über den österreichisch-ungarischen Generalstab, über das nationalsozialistische Lebensraumdenken bis hin zum amerikanischen Institut Stratfor – die Ukraine Russland zu entreißen. Oder um es mit den Worten des amerikanischen Geostrategen Zgbigniew Brzezinski zu paraphrasieren: Die Zugehörigkeit der Ukraine verändert Russlands Gestalt. Ohne die Ukraine ist Russland eine asiatisch orientierte Mittelmacht, der Ungemach mit ihren muslimischen Nachbarn drohen kann, mit der Ukraine ist sie eine eurasische Großmacht, die automatisch zu einem Pol in einer multipolaren Weltordnung wird. Gegenwärtig ist Europa aufgrund einer langen geistigen Fehlentwicklung, die bis zur Renaissance zurückreicht, ein Teil der Zivilisation des Meeres. Europa hat sich buchstäblich von seiner Tradition gelöst und ist im Verbund mit Nominalismus, Individualismus, Kapitalismus und Moderne zu einem „Anti-Europa“ geworden. Als Vertreter der Neuen (echten) Rechten – die man im Übrigen als europäische Ausprägung des Eurasismus betrachten kann – ist es mir ein Anliegen, dass Europa wieder ein Teil der Zivilisation des Landes wird, damit es überhaupt die Möglichkeit bekommt, seine kulturellen Wurzeln neu zu entdecken, wieder an seiner Tradition und Gott anzuknüpfen und wieder ein souveräner Block zu werden. Das jetzige „Anti-Europa“ weiter nach Osten ausbreiten zu wollen, ist in meinen Augen so, als würde man einen gefährlichen Virus in der Welt verbreiten wollen. Wir haben diesen Virus in uns, ganz Europa ist von ihm befallen. Die Europäer geben mit überwältigender Mehrheit ihre eigene kulturelle, völkische und geschlechtliche Identität auf. Europa ist zu einem Ort geworden, den man im orthodoxen Christentum mit der Hölle identifizieren kann. Georges Battaile meinte noch, die Europäer müssten das Herz der Hölle erreichen, um ihre eigene Identität zu begreifen – heute befinden wir uns bereits dort. Wenn wir jetzt im Rahmen des Großen Erwachens dazu in der Lage sind, aufzuwachen und zu begreifen, dass wir bereits im Herzen der Hölle sind, dann ist eine Wiederauferstehung Europas möglich. Reden wir uns aber weiterhin ein, dass die jetzige Situation gut ist, dann wird es keine Möglichkeit mehr zum Aufwachen geben. Die Postmoderne ist kein Schicksal, sondern genauso wie die Moderne in erster Linie eine Geisteshaltung. Wir haben heute die Wahl zwischen Postmoderne und Tradition, Meer und Land, jeder von uns kann sich entscheiden, welche Position er in diesem globalen Kampf der Geister, der Noomachie, einnehmen will. Ich habe mich für die Seite der Tradition und der Zivilisation des Landes entschieden und hoffe, dass es mir möglichst viele Europäer gleichtun werden. Gegenüber dem Westen kann Europa nur eine Position als Peripherie einnehmen und ein Sklave sein. Innerhalb einer multipolaren eurasischen Ordnung würde Europa eine Position auf Augenhöhe gegenüber den anderen Machtpolen einnehmen.