Bei folgenden Text handelt es sich um die zusammengefassten Gedanken aus den Diskussionen unseres vergangenen Seminars am 15. Juni sowie der intensiven Analyse bestehender rechter Strategieentwürfe. Werke der rechten Köpfe Benedikt Kaiser und Martin Sellner werden kritisch ausgewertet. Letztlich wird daraus eine gangbare Strategie für die deutsche Rechte mitgestaltet werden. Dazu wird im nächsten Schritt das kommende Spätsommerseminar dienen. Der erste Teil befasst sich mit Kaisers „Die Partei und ihr Vorfeld„.
Die Redaktion
„Siegreiche Krieger gewinnen zuerst und ziehen dann in den Krieg, während besiegte Krieger zuerst in den Krieg ziehen und dann versuchen zu gewinnen.“
Meister Sun in Die Kunst des Krieges
Die Rechte scheint auf dem Vormarsch zu sein. Die Angst woker Journalisten und Politikwissenschaftler vor einem rechtspopulistischen Wahlbeben dürfte angesichts der vergangenen Umfragewerte zunehmen. So ziemlich sicher gilt, dass das Regieren der großen Parteien „der Mitte“ zumindest im Osten immer schwieriger bis unmöglich wird, da die rechte Alternative (AfD) und die linke Alternative (BSW) immer mehr Beachtung und Sympathie beim Wahlvolk genießen. Hinzukommen die vielen kleinen Splitterparteien rechts und links der „Mitte“. Unruhe und Veränderung ist vorprogrammiert. Die objektiven Voraussetzungen für einen sprunghaften Wechsel der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse sind bereits sicht- und spürbar. Der Zeitpunkt für die Ausarbeitung einer ernsthaften Strategie ist längst überfällig.
Mit Wohlwollen beobachten wir daher auch ein zunehmendes Interesse am Thema, obgleich sich die meisten rechten Analysten und „Vordenker“ noch immer an der Oberfläche bewegen. Sie befassen sich mehr mit operativen, also taktischen Fragen, statt mit der Ausarbeitung rechter Strategien. Ernst Rahn hat erst kürzlich den Unterschied zwischen Strategie und Taktik sowie die Dringlichkeit der Entwicklung rechter Zielformulierungen noch einmal submitted in Erinnerung gerufen. Hervorstechen dabei zwei Denker: Bendikt Kaiser und Martin Sellner. Wir wollen daher die Gelegenheit nutzen uns mit ihren Gedanken tiefer auseinanderzusetzen. Zunächst beleuchten wir das Konzept der Mosaik-Rechten und werden aus unserer Sicht wesentliche Schwachstellen aufzeigen. Dabei dient das Kaiser-Buch „Die Partei und ihr Vorfeld“ als gute Vorlage. Im zweiten Teil widmen wir uns dann Martin Sellner. Er sticht mit seinem vielbeachteten Buch „Regime Change von rechts – Eine strategische Skizze“ besonders hervor. Der österreichische Aktivist schreibt selbst im Abschlusskapitel in seinem Buch „Dieses Buch will also kritisiert, ja »widerlegt« werden“[1]. Wir nehmen seine Aufforderung ernst und beteiligen uns hiermit an der Debatte. Beide Analysten haben wichtige Pionierarbeit geleistet, die es nun gilt auf Brauchbarkeit hin zu überprüfen. Überlebenswertes wird übernommen, überflüssiges oder gar falsches verworfen.
Das rechte Mosaik: Die Partei und ihr Vorfeld?
„Aber es ist das Schicksal aller Revolutionen, daß das Bündnis verschiedener Klassen, das bis zu einem gewissen Grade immer die notwendige Voraussetzung jeder Revolution ist, nicht von langer Dauer sein kann.“
Marx & Engels in Revolution und Konterrevolution in Deutschland
Was ist die Mosaik-Rechte?
Benedikt Kaiser, der als Begründer dieses Propaganda-Begriffes gilt, hat dieses Konzept in seinem Kaplaken-Band „Die Partei und ihr Vorfeld“ ausgeführt. Er bezieht sich dabei u.a. auf Hans-Jürgen Urban, den Vorsitzenden der IG-Metall. Dieser versteht unter dem Begriff der Mosaik-Linken „eine Assoziation von (linken, Anm. d. Red.) Feldakteuren“ (…) „, die die Arbeit an der progressiven Veränderung im eigenen Feld nicht geringer achtet als die Bemühungen, feldübergreifende Handlungsfähigkeit hervorzubringen“. Es handelt sich also um eine arbeitsteilige Zusammenarbeit von linken Akteuren unterschiedlichster Couleur, die sich indirekt zu einer Art „Kollektivakteur“ formieren, ohne dabei ihren ihnen innewohnenden Kern aufzugeben. Sie handeln gewissermaßen unabhängig voneinander, dabei ähnliche bis gleiche Ziele verfolgend. Er setzt, genauso wie Kaiser bei der Mosaik-Rechten, auf die „wechselseitige Anerkennung der jeweiligen Bewegungs- und Organisationskulturen“, die „als Schlüsselressource verstanden und entwickelt werden“ müsse. [2]
Kaiser formuliert es so: „Dieses Mosaik müßte getragen sein von der Überzeugung, daß parlamentarische und außerparlamentarische Akteure mit nicht hintergehbarem Bezug auf ein inhaltlich Einendes bausteinartig ein Gesamtmilieu abbildeten, bei dem jeder in seinem Beritt mit den dort typischen Verhaltens- und Aktionsweisen agierte, die organisationskulturelle Autonomie des Bündnispartners aber akzeptierte.“[3]
Der Begriff deutet, zumindest etymologisch, auf das Zusammenwirken von an sich widersprüchlich zueinanderstehenden Einzelnen (Mosaik-Teilchen), die durch die durch den Widerspruch entfaltenden Bewegungskräfte, ein Ganzes (das Mosaik) formen. Es erinnert an das musivische Pflaster, das nicht nur beim Schach, sondern auch in alten Mythologien immer eine Rolle spielte. Es drückt den Kampf der Gegensätze, die Wechselwirkungen zwischen ihnen und die sich daraus ergebenden Bewegungskräfte aus. Alles ist immer und überall in Bewegung. Diese Bewegung denken zu können, ist eine Kunst, die uns eher linear-denkenden Menschen oftmals mysteriös erscheint.[4]
Doch lesen wir bei Kaiser weiter, so fällt auf, dass er hiermit nicht die (vielleicht bei dem weitaus dialektischer denkenden Urban gemeinte) innere und äußere Widersprüchlichkeit der Akteure ins Zentrum setzt. Er versteht unter dem Mosaik, abgrenzend zum Vorfeld das Zusammenwirken zwischen eben diesem Vorfeld und der Partei plus X, dieses sehr lose und abstrakt definierend[5].
Die Partei nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Er definiert sie wörterbuchartig als „eine Gruppe gleichgesinnter Bürger, die sich die Durchsetzung gemeinsamer politischer Vorstellungen zum Ziel gesetzt haben“[6]. Diese Definition scheint abstrakt betrachtet erst einmal richtig zu sein und dennoch ist sie konkret falsch. In einer Partei versammeln sich immer Menschen- und Menschengruppen, die sich zumindest für eine Zeit lang einem Vertragsgebilde unterziehen. Im Parteipolitischen ist dies das Parteiprogramm. Die Interessen der einzelnen Personen jedoch, können sehr unterschiedlich sein, worauf auch Kaiser hindeutet. Denn, so erkennt er richtig, lockt sie auch Glücksritter an und neigt zur Oligarchisierung gemäß Robert Michels, wodurch sich enorme innere Widersprüche des Akteurs Partei entfalten. „Die“ Partei gibt es also so nicht. Sie ist immer ein Sammelsurium von diversen Strömungen, Abspaltungen und ideologischen Absonderungen sowie organisatorischen Plattformen, die funktional der Partei zwar unterstellt sind, aber durchaus eigene und von der „Parteilinie“ sogar abweichende Positionen vertreten können[7].
Unter dem Vorfeld versteht er den „Schutz-, Unterstützungs- und Rekrutierungsraum“ der Partei. Es handele sich um „jene Organisationen, Vereinigungen und losen Zusammenschlüsse (..), die ideell einer bestimmten Partei nahestehen, deren Position und Begriffe in die Gesellschaft bzw. ihre Teilbereiche einspeisen und damit den Wirkungsradius der Partei vergrößern.“ Demnach ist das Vorfeld unmittelbar an die Partei angeschlossen, ohne direkt Bestandteil dessen zu sein. Es wird aber deutlich und ansonsten würde die Unterscheidung zu „plus X“ keinen Sinn ergeben, dass Kaiser hier eine Abhängigkeit zwischen den beiden Akteuren erkennt, die bei den „X-Akteuren“ nicht gegeben ist. Dabei unterscheidet er zumindest noch zwischen einem engeren und einem weiteren Vorfeld.[8]
„Das »Plus X« besteht“ Kaiser nach „aus Strukturen und Einzelpersonen, die nicht direkt auf die öffentliche Meinungsbildung der politischen Arena hinwirken und außerdem nicht direkt mit der Partei verzahnt oder vernetzt sind“. Als Beispiel bringt er Fußball- und Fangemeinden, die durchaus patriotische Rückzugsräume bilden und indirekt, explizit oder sogar implizit an der politischen Willensbildung teilnehmen.[9]
In Summe bilden also diese vorhergenannten Akteure eine Art „Kollektiv-Akteur“, der mal mehr, mal weniger bewusst an der politischen Willensbildung teilnimmt, dabei gemeinsam auf ein Ziel hinwirkend, wenn auch in unterschiedlicher Formation und Schrittfolge. Die Partei macht dabei den Kern aus, da, nach Kaiser, die politische Willensbildung in der BRD in erster Linie den Parteien unterliegt.
Kritik an der sog. Mosaik-Rechten: Ein Gefälle zwischen Theorie und Praxis
Theorie und Praxis als Widerspruch
Allen Theorien haftet der Makel an, dass sie in Wirklichkeit Ableitungen von Erlebtem, Empirischem und damit der Praxis sind. Die meisten Theoretiker tun so, als würde die Theorie die Praxis bestimmen, aber die Wirklichkeit ist dabei – mal wieder – viel komplexer. Die Theorie befasst sich im besten Fall mit den Möglichkeiten, die im Rahmen der Notwendigkeiten (den objektiven Voraussetzungen) wahrscheinlich sind und letztlich mit der Frage, welche dieser Möglichkeiten tatsächlich zur Wirklichkeit wird. Da die Wirklichkeit aber objektiv ist, kann niemand (auch kein Theoretiker) im Vorfeld wissen, wie sie aussehen wird. Sie kann nur Vermutungen anstellen und sich aus den bereits gemachten Erfahrungen, die wiederum im besten Fall der bisherigen Wirklichkeit nahe sind, ableiten, was möglich[10] ist. Der Praktiker hingegen lebt idealtypisch in der Lage und passt sich der Wirklichkeit an. Er ist Handelnder, er wird Teil der Handlung und leitet nicht im Nachgang aus ihnen eine Theorie ab.
Aufgabe rechter Theorie muss es daher sein hier die Wechselbeziehungen zwischen Theorie und Praxis zu erkennen. Wenn sie nicht mit Demut akzeptiert, letztlich dem Zufall[11] unterworfen zu sein, ist sie nutzlos.
Es gibt kein rechtes Milieu
Dies gilt im Besonderen für das Modell des Mosaiks. Die politischen Mosaike existieren nicht. Weder von rechts, noch von links. Sie sind blanke Theorie, die nur wenig mit der realexistierenden Praxis gemein haben. Dies haben wir bereits submitted in einer Analyse über den Fall Maximilian Krah sehen können. Um als Mosaik gelten zu können, insbesondere wie Kaiser sein Konzept versteht, bedarf es ein gemeinsames Bewusstsein, das derselbe Buchautor auch immer wieder postuliert. Es wird dabei sogar immer wieder von dem sogenannten rechten Milieu gesprochen, was jedoch auch eine völlige Verirrung und Verwechslung der Begriffe darstellt. Denn, das fehlende Bewusstsein füreinander ist eben der Tatsache geschuldet, dass die einzelnen angeblichen „Mosaiksteinchen“ unterschiedlichen Milieus entspringen. Diese Wirklichkeit anzuerkennen ist Voraussetzung für eine saubere und weitestgehend sich der Wahrheit annähernden Analyse. Ein Milieu ergibt sich aus den Lebenskreisen, den sozialen Verhältnissen sowie den Äußerlichkeiten des alltäglichen Lebens. Der Fall Maximilian Krah verdeutlicht dies spürbar. Historische Beispiele lassen sich unzählige anführen. In Parteien, insbesondere in solchen Massenorganisationen wie der AfD sammeln sich, wie bereits oben geschildert, Personen unterschiedlichster politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Überzeugungen. Sie können vielleicht sehr abstrakt zusammengefasst alle als patriotisch im Sinne von „das-eigene-erhalten-Wollen“ beschrieben werden, entspringen aber unterschiedlichen Verhältnissen (Milieus), die ihr Verhalten beeinflussen. Vielmehr schaffen die äußerlichen Umstände eine zeitweise Überschneidung von Interessen der unterschiedlichen Milieus. Erst recht wird dies bei anderen Organisations- und Betätigungsfeldern innerhalb der Rechten wie alternative Medienberichterstattung, Kulturarbeit oder rechten Theoriezirkeln deutlich. Das sog. „Vorfeld plus X“ bildet sich ja eben aufgrund „seiner“ Heterogenität und ist zugleich auch ihr Vorteil. Ein an der Theorie interessierter Vielleser wird eher in einer Denkfabrik oder einer Denkschule landen, als in einer aus Ränkekämpfen bestehenden Partei. Wer selbst ein Industrieller ist oder wie viele der AfD-Wähler aus dem Umfeld von kleinem bis mittleres Unternehmertum kommt, der wird einfach in der Regel andere wirtschaftliche und auch gesellschaftspolitische Positionen vertreten als ein im Kleinbürgertum oder der Arbeiterschaft verhafteter Mensch. Das rechte Minimum (sehr weit bei Kaiser gefasst: „Verteidigung des Eigenen“[12] / etwas enger bei Sellner: Bewahrung „unsere(r) ethnokulturelle(n) Identität und Substanz“[13]) ist dafür nicht ausreichend, um ein eigenes gesamtheitliches rechtes Milieu zu bilden. Wir gehen auf diesen Umstand nachher noch bei Sellner näher ein.[14]
Es gibt daher kein rechtes Milieu, sondern die abstrakt patriotische Rechte weitet sich über mehrere Milieus aus. Aufgabe einer Echten Rechten muss es daher sein, rechtes Denken in möglichst verschiedenen Milieus zu verankern, um einen Paradigmenwechsel hervorzurufen. Wie dies gelingen kann, wird u.a. Gegenstand des nächsten Seminars für rechte Metapolitik am 14.09.2024 sein.
Das Vorfeld, ein irreführender Begriff
Der Vorfeld-Begriff ist irreführend. Viele Rechte machen von ihm Gebrauch und zwar mit unterschiedlichen Konnotationen. Wie bereits oben gesehen, sieht Kaiser in dem Vorfeld die Aufgabe der Partei Schutz und Unterstützung, nicht zuletzt auch als Rekrutierungsraum zu bieten. Er zeichnet dabei das Bild einer Burg (hier die AfD), das von einem Vorfeld geschützt wird[15]. Das Vorfeld wird in der Festungsforschung auch als Glacis bezeichnet, eine Erdaufschüttung vor einem Festungsgraben bzw. Burggraben. Es handelt sich um ein ungedecktes, der Festung oder der Burg vorgelagertes Gelände, das zur Verteidigung der Festung bzw. Burg diente. War dieses Vorfeld eingenommen, war auch die Eroberung der Burg oder der Festung sicher. Es galt sogar als ehrenhaft sich zu ergeben, wenn der Gegner das Vorfeld eingenommen hatte. In einem anderen militärischen Zusammenhang kennt man das Vorfeld als vor der Hauptkampflinie (HKL) liegendes Schlachtfeld. Der Begriff suggeriert also, dass die Burg der Bewegung die AfD, die Partei ist. Das Vorfeld dient einzig und allein dieser Burg, also der Partei.
Viele Akteure, die sich selbst diesem Vorfeld zugehörig fühlen, werden mit dieser Bedeutung eine Reduktion ihrer Rolle als selbstständige Akteure gleichsetzen. Denn es entsteht automatisch ein Abhängigkeits- und Machtgefälle. Götz Kubitschek hatte dazu in einem nach den Europawahlen erschienen Artikel die sehr kluge Frage gestellt „Läßt sich ‚das Vorfeld‘ von der AfD ‚aussuchen‘?“. Darin drückt der Autor seine Abneigung gegen den Begriff aus, kritisiert die Parteinähe vieler Vorfeld-Akteure und mahnt zur Selbstreflektion. Passend schließt er mit den beiden Sätzen: „Weniger Vorfeld, mehr Szene, weniger Parteinähe, mehr Radikalität in Können, Anspruch, Wort und Gespür. Laßt Euch nicht ‚aussuchen‘, Leute“. Kubitschek erweist sich wieder einmal als weitsichtiger und viel selbstreflektierter als viele seiner Kollegen, die sich mittlerweile zu Anhängseln der AfD degradiert haben lassen und tatsächlich immer noch glauben, dass sie mehr Einfluss auf die Partei ausüben, als umgekehrt. Das Bild einer Burg suggeriert zudem falsche Verhältnisse. In Wirklichkeit ist es doch so, dass die rechten Akteure die Burg stürmen müssten. Sie sind die Angreifer und nicht die Verteidiger irgendeiner politischen Organisation. Wenn sie etwas verteidigen, dann ist es das Eigene, nicht die Partei. Die Burg, die sie einnehmen wollen, sind die Schalthebel der Macht, die gerade in den Händen des Feindes sind.
Auch hier sind wir wieder bei dem fehlenden Bewusstsein aufgrund unterschiedlicher Sozialisation und Milieu-Zugehörigkeiten. Kaiser beklagt in seinen Ausführungen immer wieder das fehlende Bewusstsein vieler aus dem nichtpolitischen Umfeld kommender AfD-Mandatsträger und mahnt zur Disziplin. Dies ist allerdings vollkommen vergebens, da die hier angesprochenen Akteure bisher gar nicht die Erfahrungen[16] gesammelt haben und auch „ideologisch“ im bürgerlichen Lager der Mitte zu Hause sind. Diese bürgerliche Mitte zeichnet sich durch Ideologielosigkeit aus, womit jeder ernsthafte Anspruch einer tatsächlichen Wende, also der Erstürmung der Burg ausgeschlossen ist. Sie leben nach dem Motto „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!“. Das Postulat an sie zu richten ist vergleichbar mit der Übertragung der eigenen „Lebensweisheiten“ an die eigenen Kinder. Sie müssen einfach ihre eigenen Erfahrungen machen, sonst ist der Effekt nicht nachhaltig. Nur die Erfahrungen, die sie selbst machen müssen, werden dazu führen, dass hier ein Umdenken entsteht. Im Zuge der Krisendynamiken, die weiter anwachsen, werden sich auch weitere Entwicklungen und Chancen ergeben. Dazu später mehr.
Des Weiteren spielen die ökonomischen Verhältnisse eine tragende Rolle, denn sie bestimmen das gesellschaftliche Sein (Hier auf die Partei und das Vorfeld bezogen). Die AfD ist letztlich auch ein Arbeitsmarkt für viele Rechte, die gesellschaftlich verbrannt sind. Damit hat die Partei auch eine entsprechende Arbeitgeber- oder Kundenmacht ggü. ihren Arbeitnehmern oder Lieferanten. Das sind einfache ökonomische Zusammenhänge. Sie kann sich das Vorfeld also tatsächlich aussuchen und dieses lässt sich auch aussuchen, um Kubitscheks Frage hier zu beantworten. Denn letzter kann sich aufgrund seiner eigenen unternehmerischen Tätigkeiten, die von der Partei unabhängig sind, ganz anders bewegen, als der in den parteilichen Machtstrukturen gefangene Vorfeld-Akteur oder gar der Mandatsträger. Der Fall Maximilian Krah ist eines der prägnantesten Beispiele. Ein Spitzenkandidat, der aufgrund fehlender ökonomischer Alternativen innerhalb des Parteiumfeldes gezwungen ist, sich den Gegebenheiten zu unterwerfen, will er weiterhin parteipolitisch partizipieren.
Letztlich ist der aus der Militärwissenschaft stammende Begriff „Vorfeld“ auch viel zu statisch, um ihn ernsthaft und sinnvoll nutzen zu können. Weiterhin ist es sinnvoller von Milieus zu sprechen, da dies ein dynamischer Begriff ist.
Linearität und Parteienfixierung
Diese Fixierung auf eine Partei verdeutlicht, wie linear und monokausal Kaiser hier an das Thema herangeht. Der Mensch denkt meist linear und er denkt schnell. Das hat nichts mit Intelligenz zu tun, sondern ist eine evolutionär bedingte Eigenschaft, weil es zumindest kurzfristig zum Überleben verhilft, langfristig jedoch ist diese Art der Denkweise nutzlos. Und da Strategien immer langfristig ausgelegt sind, müssen wir lernen nicht-linear zu denken, wollen wir Erfolg damit haben. Die lineare Denkweise basiert auf dem einfachen Kausalitätsprinzip, das besagt, dass Ereignisse und Zustände schrittweise erfolgen und jede Wirkung auf eine Ursache zurückgeht. Daraus folgt, dass der linear denkende Beobachter die Zukunft anhand des derzeitigen Zustandes prognostiziert. Er geht vom status quo aus und projiziert mögliche Entwicklungen linear von diesem Punkt aus in die Zukunft. So glauben viele, dass wer in der Bundesrepublik Politik erfolgreich machen will, dies definitiv über oder zumindest zusammen mit einer Partei realisieren muss. Und so zitiert auch Kaiser aus § 1 Abs. 1 und 2 PartG, in der die verfassungsrechtliche Bedeutung von Parteien herausgehoben wird, um zugleich damit einzugestehen, dass „mit dieser Definition (…) Aufgaben und Spielräume vorgegeben (sind), gegen die theoretisch nichts einzuwenden“[17] sei. Damit wollen wir dem Autor auch nicht widersprechen, doch kommt diese Betrachtung zu kurz, auch wenn Kaiser hier dankenderweise zumindest die Rolle von Vorfeld und anderen parteiunabhängigen Akteuren durchaus als relevant betrachtet. Die Partei, die aus seiner Sicht „mehr sein muß als nur die Kernorganisation“[18], wird damit zu einem unumgänglichen Akteur gemacht, an dem, will man an der politischen Willensbildung teilnehmen, nicht vorbeikommt. Der Partei wird damit unmittelbar die Rolle des Repräsentanten und des eigentlichen Machtorgans zugebilligt, obgleich sie, wie er selber richtig hinweist, dem ehernen Gesetz der Oligarchie nach Robert Michels unterliegt. Der Glaube diese Entwicklung bremsen oder gar komplett aufhalten, vielleicht sogar umkehren zu können, ist vollkommen naiv und hält einer historischen Prüfung nicht stand. Wir gehen so weit zu sagen, dass wenn man sein politisches Glück alleinig in die Hände EINER Partei gibt, möge sie auch noch so gut in einem vielschichtigen Vorfeld verstrickt sein, man bitter enttäuscht wird. Sie folgt anderen Regeln als denen innerhalb von außerparlamentarischen Strukturen.
Nun ist es so, dass – und insoweit geben wir Kaiser auch Recht – die derzeitigen Gegebenheiten so sind, dass der Parlamentarismus tatsächlich zum Wesen des politischen Systems der BRD gehört und es sicherlich hilfreich ist, wenn Personen sich auf diesem Gebiet befleißigen. Allerdings können diese auch noch so idealistisch sein, sie werden von den Regeln und dem Apparat getilgt oder passend gemacht. Personen, die dies verstehen und ihre Berufung woanders sehen, sollten sich bestärkt fühlen trotzdem (Meta-)Politik zu machen, auch oder sogar insbesondere, wenn sie von Parteien komplett unabhängig ist. Zwar weist Kaiser mit seinem Zusatz „plus X“ diesen Akteuren ein Plätzchen zu, aber es ist eben nur ein Plätzchen. Sie wirken bei ihm kaum relevant. Hingegen sehen wir insbesondere die Aufgabe von Medienhäusern, Zeitschriftenprojekten, Denkschulen und Denkfabriken, wobei letztere vor allem unbedingt parteiunabhängig und organisationsübergreifend sein sollten, als eine der Wesentlichsten innerhalb der Bewegung an. Was unter rechten Denkfabriken zu verstehen ist und welche Rolle sie in der Bewegung spielen, haben wir hier ausführlich behandelt. Das auch von Kaiser immer wieder hervorgehobene Frankreich kann dabei als ein sehr gutes Beispiel benannt werden. Hier gibt es, ähnlich wie in Italien, viele rechte Denkfabriken, die eben nicht als „Vorfeld“, als Anhängsel des Rassemblement National (Front National, FN) fungieren. Sie beeinflussen selbigen durch ihre ideologischen, wissenschaftlichen und personellen Erzeugnisse und Transfers[19].
Auch die Herausbildung und Förderung von weiteren am besten von der AfD rechtsliegenden Parteien und Organisationen, wäre begrüßenswert. Sind sie doch die einzigen, die die AfD tatsächlich vor sich hertreiben können. Denn die außerparlamentarische (Jugend-)Bewegung kann und wird nicht „als dysfunktionaler Stachel (…), der bewußt destabiliseren(d)“ wirkt, fungieren[20], weil sie keine Konkurrenz ist. Sie steht gar nicht im Wettbewerb. Eine Partei kämpft oberflächlich betrachtet um Wahlerfolge. Der Mandatsträger, der sein Mandat und seinen sicheren Posten behalten will, konkurriert um seinen Arbeitsplatz also nicht mit außerparlamentarisch organisierten Aktivisten, Theoretikern oder Medienberichterstattern. Er wetteifert mit anderen Parteien und sich zur Wahl stellenden Personen. Die ökonomischen Verhältnisse bleiben, wie oben bereits betrachtet im Ungleichgewicht. Anders ist dies mit einer rechten Partei, die also in den gleichen Gewässern fischt. Sie kann ernsthaften Druck auf eine Massenpartei ausüben, wenn sie nennenswerte Ergebnisse von 5 + X Prozent zu erwarten hat. Dann gilt tatsächlich die althergebrachte Wahrheit „Konkurrenz belebt das Geschäft“[21].
Was bleibt?
Es ist Benedikt Kaiser zu verdanken, dass die Debatte zu rechten Strategien über den Tellerrand hinausgeht. Die Rechte schmort förmlich inzestuös im eigenen Saft. Da sie keine Tradition der Strategiebildung besitzt, sollte sie sich auch über die ideologischen Grenzen hinaus Anleihen besorgen. Insbesondere die Hervorhebung einer arbeitsteiligen Rechten ist hier zu erwähnen. Das dies heute Eingang in die Diskussion gefunden hat, ist in erster Linie Kaiser zu verdanken. Der Fokus auf linke Intellektuelle ist dabei ebenfalls zumindest begrüßenswert, wenn auch darin die Gefahr besteht, dass hier zu viel unhinterfragt adaptiert wird. Denn auch in den Ausführungen von Urban erkennen wir die Schwäche von Theoriearbeit, die zu weit von der Praxis entfernt ist. Im Gegensatz zu Kaiser spricht Urban allerdings nicht von dem Linken Mosaik, das bereits bestünde, sondern von einem möglichen Konzept, das noch immer Gegenstand von links-intellektuellen Debatten ist. Seine auf Elmar Altvater gestützte Losung „Die Stärke einer mosaiklinken Bewegung wäre »die Verschiedenheit, ihre Schwäche die politische Fragmentierung«“[22], kann und sollte nicht gänzlich auf die Rechte übertragen werden. Die Rechte hat, im Gegensatz zur Linken, keine eigenen über die Lagergrenzen hinausragenden Ikonen, auf die sie ihre politische Tradition fußt. Sie ist und wird fragmentiert bleiben – auch politisch. Sie ist heterogen und sollte sich dessen auch bewusstwerden. Insoweit gehen wir auch bei Kaiser mit. Die politische Fragmentierung allerdings ist eben keine Schwäche, sondern eine Stärke, die es gilt zu erkennen und auszubauen. Indem Kaiser einen Großteil der außerparlamentarischen Rechten zum Vorfeld der AfD degradiert, verlieren sie ihren weltanschaulichen Kern, ihren Leitfaden. Eine Identitäre Bewegung fungiert dann nur noch als Wahlkampfhilfe. Wir behaupten nicht, dass Benedikt Kaiser dies hier im Sinne hat[23], ist es doch aber die logische Konsequenz seines theoretischen Ansatzes. Die Mosaik-Rechte ist also nichts weiter als ein gutklingender Propaganda-Begriff, für den im besten Fall ein kleiner Teil der innerhalb der Akteure aktiven Individuen ein Bewusstsein entfaltet werden kann. Es wäre hierbei grundsätzlich die Frage zu stellen, wer denn genau dazu gehört? Welche Rolle erfüllen Denkfabriken in diesem Umfeld? Welche Abhängigkeiten bestehen? Hier wird es natürlich Akteure geben, die diese Funktion des von Kaiser postulierten Vorfeldes ausüben. Projekte wie z.B. Compact oder auch Martin Sellner als Influencer haben eine so gewaltige Marktmacht, dass sie – treten sie als AfD-Korrektiv auf – nennenswerten Einfluss ausüben können, weil die ökonomischen Verhältnisse dies zulassen. Für viele andere Akteure bliebe jedoch nur die Funktion des Anhängsels. Eine breitere rechte Parteien- und parteiunabhängige Organisationslandschaft, würde sich als sehr erträglich erweisen. Wir verwerfen also das Werkzeug „Vorfeld“ und würden es gerne gegen den des „vorpolitischen Raums“ oder besser der „Metapolitik“ ersetzen, denn nichts Anderes machen alle Akteure, die sich nicht direkt an Parteipolitik hängen, dabei trotzdem mittelbar wie unmittelbar Einfluss nehmend.
Mit zunehmender Krisendynamik erwarten wir jedoch diese Entwicklung und zugleich auch ein Zusammenwachsen von Akteuren, das heute vielleicht noch nicht absehbar ist. Als nicht-lineare Denker müssen wir den Zufall in unsere Überlegungen miteinbeziehen. Bei Sellner werden wir fündiger und widmen uns im nächsten Teil seinen Gedanken eines metapolitischen Wegprogramms.
Im zweiten Teil befassen wir uns mit Martin Sellners „Regime Change von rechts“. Im kommenden Seminar werden u.a. basierend auf der vorliegenden Kritik gangbare Wege für die echte Rechte diskutiert und vorgezeichnet.
[1] Sellner, M. (2023, S. 284). Regime Change von rechts. Eine strategische Skizze. Antaios-Verlag, Schnellroda
[2] Urban, H.-J. (2020). Vorlauf zu einem HKWM-Artikel Mosaik-Linke. Erschienen auf der Internetpräsenz von Hans-Jürgen Urban www.hans-juergen-urban.de. Verfügbar unter: https://hans-juergen-urban.de/wp-content/uploads/2020/02/DA331-URBAN-Mosaiklinke.pdf (24.08.2024)
[3] Kaiser, B. (2024, S. 12). Die Partei und ihr Vorfeld (3. Auflage). Antaios-Verlag, Schnellroda
[4] Der deutsche Philosoph Gottfried Stiehler schrieb dazu vergleichbar: „Allgemein bestehen die Wechselbeziehungen der Gegensätze darin, daß sie in ihrer Wirkung ein bestimmtes Ganzes konstituieren.“ (1967, S. 39). Der dialektische Widerspruch. Formen und Funktionen. Akademie-Verlag, Berlin
[5] Kaiser, B. (2024, S. 36 f.).
[6] Ebd., S. 31
[7] Als Bsp. dient hier so gut wie jede Jugendorganisation. Sie ist meist idealistischer, weltanschaulicher geprägt und verfolgt radikalere Interessen, was durchaus zu Kämpfen zwischen der Mutterpartei und ihrer Tochter führen kann.
[8] Ebd., S. 36 – 41
[9] Ebd., S. 41
[10] Hierbei ist „möglich“ nicht mit statistischer Wahrscheinlichkeit gemeint. Der Mensch ist kein probabilistisches Wesen, wie Daniel Kahnemann und Amos Tversky in ihren eindrucksvollen Schriften bereits mehrfach nachwiesen.
[11] Unter Zufall verstehen wir hierbei ein unvermeidliches Ereignis, das subjektiv aufgrund seiner komplexen Struktur nicht vorgesagt werden kann. Der Zufall ist also objektiv. Würde der Mensch das Ganze kennen, könnte er den Zufall vorhersagen. Da er nur Teil-(Wahrheiten) kennen kann, ist es ihm unmöglich ihn zu prognostizieren. Um ihm „richtig“ begegnen zu können, muss der Akteur sich dieses Umstandes bewusstwerden. Getreu nach dem Motto: Hoffe auf das Beste, aber sei auf das Schlimmste vorbereitet!
[12] Kaiser, B. (2024, S. 13)
[13] Sellner, M. (2023, S. 25)
[14] Herausragende Analysen zur Zeit der März-Revolution zu einzelnen Ländern und Gesellschaften, die solche historischen Beispiele bilden, findet der Leser in Marx & Engels (1953). „Revolution und Konterrevolution in Deutschland“, Dietz-Verlag, Berlin. Es handelt sich um eine Sammlung von Aufsätzen, die zwischen 1851 und 1852 in der Daily Tribune erschienen sind.
[15] So spricht er immer wieder von den Burgherren oder Burgdamen der AfD. Siehe u.a. Kaiser, B. (2024, S. 64). Tatsächlich steht dies allerdings im Widerspruch zu einer Textstelle in seinem Vorwort (S. 10), worin er das gesamte Mosaik als Burg bezeichnet. Das allerdings ergibt keinen Sinn. Entweder gehört das Vorfeld zum Mosaik, dann kann es jedoch nicht gleichzeitig die Burg sein oder es gehört nicht zum Mosaik und dann wäre die Frage, woraus dieses dann noch bestehen soll. Die Begriffe scheinen selbst vom Urheber nicht stringent genutzt zu werden.
[16] Die Erfahrung ist die Wurzel jeglicher Aktivität, wusste Lenin in seinen strategischen Werken immer wieder zu vermitteln. Wir gehen später noch gesondert drauf ein.
[17] Ebd., S. 35 f.
[18] Ebd., S. 22
[19] Hier sind Wissen, Nachrichten, Personen, Teilnehmer auf Seminaren sowie Akademien gemeint, die z.B. von in Denkfabriken mitarbeiten, davon profitieren und das Netzwerk sowie die Ideen in die Parteien hineintragen.
[20] Kaiser, B. (2017). Mosaik-Rechte und Jugendbewegung. Verfügbar unter: https://sezession.de/57218/mosaik-rechte-und-jugendbewegung (25.08.2024)
[21] Siehe dazu auch MetaPol (2024). Der Fall „Maximilian Krah“ zeigt, wie dringend es eines AfD-Korrektivs bedarf. Verfügbar unter: https://gegenstrom.org/der-fall-maximilian-krah-zeigt-wie-dringend-es-eines-afd-korrektivs-bedarf/ (25.08.2024)
[22] Urban, H.-J. (2020).
[23] In einer Replik auf Götz Kubitscheks Kritik an dem Begriff hat Kaiser nochmal eine Differenzierung vorgenommen, die ein weitaus dynamischeres Verständnis verdeutlicht. Allerdings zeigen die widersprüchlichen Aussagen in der Replik, dass er selbst nicht sicher im Gebrauch seiner eigenen Begrifflichkeiten ist. Teilweise spricht er sogar plötzlich vom „Vorfeld als eigener Kosmos“. Siehe dazu Kaiser, B. (2024A). Notizen zu einer Debatte um das “Vorfeld”. Verfügbar unter: https://sezession.de/69374/notizen-zu-einer-debatte-um-das-vorfeld (26.08.2024).