Was ist eine Denkfabrik?
Eine Denkfabrik oder häufig auch Think Tank genannt, ist eine „privat oder öffentlich finanzierte, praxisorientierte Forschungsinstitution, die wissenschaftlich fundiert politikbezogene und praxisrelevante Fragestellungen behandeln und im Idealfall entscheidungsvorbereitende Ergebnisse und Empfehlungen liefern“[1].
Tatsächlich entstammt der Begriff „Think Tank“ dem Englischen während des Zweiten Weltkrieges. In abhörsicheren Luftschutzbunkern („tanks“) berieten sich und schmiedeten zivile sowie militärische Experten Ideen und Kriegsstrategien („to think“). Heute wird er allgemein auch außerhalb des Militärs bzw. der Sicherheitspolitik verwendet.
Grundlegende Merkmale eines Think Tanks sind:
- Vorausschau und Weitsicht: Behandlung in die Zukunft gerichteter Themen mittels systematischer Analysen, Vorhersagen (Prognosen) und Darstellung diverser Szenarien
- Netzwerkbildung: Interdisziplinärer Zusammenschluss von Wissenschaftlern, Experten und Intellektuellen sowie Kooperation mit anderen Organisationen und wissenschaftlichen Instituten
- Beratung: Zielsetzung ist die Beratung und Einflussnahme der Politik bzw. des politischen Komplexes.
- Exklusivität: Die Akteure innerhalb des Think Tanks werden anhand ihrer besonderen Fähigkeiten und ihres fachlichen Spezialwissens ausgewählt.
Des Weiteren arbeiten Denkfabriken rein wissenschaftlich, was sie als sachliche Analysten und Ideengeber auszeichnet. Die Fähigkeit, sich nüchtern und sachlich mit zukunftsgerichteten Themen zu befassen, ist innerhalb der Rechten Mangelware. Die meisten Akteure innerhalb des rechten Lagers sind zu sehr von ihren Ideologien vereinnahmt, sodass eine nüchterne und unbefangene Analyse quasi unmöglich ist. Dieser Mangel ist eine entscheidende politische Schwäche des Nationalen Widerstandes. So sind Think Tanks politisch, jedoch besonders parteilich unabhängig. Die Zugehörigkeit zu einer Partei kann zur Befangenheit führen und wirkt zudem unseriös. Es gibt dennoch viele Think Tanks oder Stiftungen, die Nähe zu bestimmten Parteien aufweisen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) z.B. gilt als eine der wichtigsten weltweiten Denkfabriken, obgleich sie eine hohe Nähe zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) aufweist[2]. Gleiches gilt für die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die der Christlich Demokratischen Union (CDU) nahesteht. Um politische Einflussnahme auszuüben, ist es zudem sinnvoll, bewusst politische Akteure in den Think Tank zu holen. Dies ist tatsächlich auch gängige Praxis. Das deutsche Pandon zum New Yorker Council on Foreign Relations (CFR), die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)[3], organisiert und moderiert „unter Beteiligung von hochrangigen Entscheidern aus Politik und Wirtschaft (…) Fachkonferenzen, Gesprächskreise sowie Studien- und Projektgruppen die Diskussionen in der außenpolitischen Community“[4]. Es greift also bewusst auf Entscheidungsträger aus den diversen Komplexen des Systems, um Einfluss geltend zu machen.
Denkfabriken gehören dem 3. Sektor, also dem nonprofit-Sektor[5], an. D.h., ihnen ist charakteristisch, dass sie keine gewinnorientierten Organisationen, sondern zumeist gemeinnütze Gesellschaften, Vereine oder Forschungseinrichtungen darstellen. Es gibt jedoch auch sogenannte Corporate Think Tanks, die bewusst von Unternehmen gegründet werden, um eine eigene Ideenschmiede innerhalb der privatwirtschaftlichen Gesellschaft zu bilden. Sie sollen vor allem einen Beitrag für Führungskräfte zur Entscheidungsfindung leisten. Dies kann ebenfalls durch die Erarbeitung dezidierter Analysen, von Studien und der Konzipierung von Strategien erfolgen. Letztlich darf sich jedoch, um das Ziel im Sinne der Unternehmensziele, auch der unternehmerische Think Tank nicht vor den Realitäten verschließen. Er muss sie sachlich und Ideologie- bzw. Interessenunabhängig analysieren und für seine Zielgruppe verständlich formulieren. Besonders in Zeiten zunehmender disruptiver Technologien[6] bekommt die Beleuchtung zukunftsorientierter Themen immer mehr Gewicht.
Tabelle: Charakteristika von klassischen Think Tanks[7]
Die vier Funktionen von Denkfabriken
- Produktion von Informationen und Ideen: Die wohl grundlegendste Aufgabe von Denkfabriken ist es, anwendungsorientiertes Wissen (Informationen) zu produzieren bzw. externe Forschungsergebnisse zu interpretieren bzw. zu verarbeiten. Die Akteure betreiben damit wissenschaftliche Grundlagenforschung.
- Verbreitung der Informationen und Ideen: Um auf Politik, Gesellschaft und Medien Einfluss nehmen zu können, bedarf es nicht nur der Informations- und Ideenerzeugung, sondern auch der Verbreitung derselben, der Diffusion in den politischen und gesellschaftlichen Prozessen. Dazu bedarf es der Vermarktung des gewonnenen Fachwissens. Um dieses an die jeweilige Zielgruppe zu bringen, bedienen sich die Akteure diverser Marketinginstrumente. Dies können z.B. die Publikation von Monographien, die Herausgabe eigener Fachzeitschriften, die Veröffentlichung von Fachartikeln auf Blogs oder in anderen wissenschaftlichen Fachmagazinen, die regelmäßige Erstellung und Versendung von „Newsletter“ oder die Veranstaltung von Fachseminaren, Expertenrunden bzw. Konferenzen sein.
- Allokations- und Netzwerkfunktion: Die Seminare, Symposien, Konferenzen, Vortragsveranstaltungen, aber auch die Blogs im Internet oder Fachmagazine stellen für viele Protagonisten aus Politik und Gesellschaft eine Kommunikationsplattform dar, wo sie sich untereinander austauschen können. Hier treten Personen sowie Interessenverbände aus Politik, Gesellschaft, der Geschäftswelt und Wissenschaft miteinander in Kontakt und bekommen somit die Möglichkeit miteinander zu netzwerken.
- Elitenrekrutierung und Elitentransfer: Denkfabriken können sich als hervorragende Eliteschulen und Kaderschmieden erweisen. In den USA ist es Gang und Gebe, dass Think Tanks, wie der New Yorker Council on Foreign Relation, die Politik mit Personal versorgen bzw. ausgeschiedene Politiker in ihre Kreise aufnehmen. Sie ist Ausbildungsstätte und Sammelbecken für Intellektuelle zugleich. Die hervorragenden Vernetzungsmöglichkeiten und damit auch Karrierechancen, die sich für die Akteure ergeben, strahlen Attraktivität[8] auf vor allem junge Akademiker und Intellektuelle aus.
Die allgemeine Wirkungsweise
Think Tanks sind der Transmissionsriemen zwischen Wissenschaft und Politik. Die Welt der Wissenschaft ist für viele Menschen, einschließlich Politiker, nur marginal nachvollziehbar. Sie spricht ihre eigene Sprache, die der Gesellschaft, der Politik und der Medien fremdartig erscheint. Daher übernehmen Think Tanks die Aufgabe, wissenschaftliche Kenntnisse in Politik und Medien so zu transportieren, dass sie sie auch verstehen bzw. ihnen immanent werden können. Think Tanks stellen somit eine Mittlerrolle zwischen Wissenschaft und dem politisch-medialen Komplex dar.
Abbildung: Schematische Darstellung der Wirkungsweise von Think Tanks[9]
Die Notwendigkeit rechter Denkfabriken in Deutschland
Wie bereits oben angedeutet, fehlt es innerhalb der Rechten an sachlich ausgerichteten, sich an wissenschaftlicher Grundlagenforschung orientierender Akteure. Mit ihren zunehmend plebejischer werdenden Forderungskatalogen („Soziale Gerechtigkeit“, „mehr direkte Demokratie“, „mehr Mitbestimmung“), wirken rechte Parteien in Deutschland ein wenig elitenfeindlich[10]. Das erschwert die Durchdringung der Idee, auch innerhalb rechter Kreise Denkfabriken zu gründen. Tatsächlich wäre die Entstehung vieler von den Rechten oft so beklagter Probleme (z.B. Globalisierung und ihre Folgeerscheinungen) ohne bestimmte Think Tanks nicht zu denken[11]. Angesichts der Tatsache, dass die Menschen häufig komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge nicht verstehen und es mittlerweile auch in Deutschland eine exorbitante Einflussnahme globalistisch ausgerichteter Gruppen auf Politik, Medien und Gesellschaft gibt, bedarf es einer Art Gegenelite, die sich des Modells der Denkfabrik bedient. Durch bekannte – aus der Perspektive der Rechten – „Negativbeispiele“ wie die Bilderberger, der Council on Foreign Relations (CFR), der European Council on Foreign Relations (ECFR), der Trilateralen Kommission et al., haben viele Nationale und Nationalisten eine innere Abneigung gegen derartige Gesellschaften, obgleich diese Organisationsform sich auch für sie als sinnvoll erweisen könnte. Tatsächlich ergibt sich bei genauerer Betrachtung des Systems – und damit sind alle Komponenten eines Ganzen gemeint, nicht nur das politische System – , dass der politische Komplex für sich allein betrachtet eine hohe Abhängigkeit von anderen Komplexen, wie dem militärisch-industriellen, den medialen oder dem wirtschaftlichen Komplex, aufweist. Sicherlich mögen diese Wahrheiten für einen an Demokratie glaubenden, aufgeklärten Menschen unangenehm, wenn nicht sogar befremdlich wirken. Dennoch sind sie Realität, und das nicht erst seit gestern. Angesichts dieser Tatsachen kann es als grob fahrlässig bezeichnet werden, dass die deutsche Rechte es bisher nahezu verschlafen hat, sich auf dieser Ebene zu engagieren. So ist in Deutschland nur eine in der Öffentlichkeit wahrnehmbare Denkfabrik zu benennen, die auch nennenswerte Erfolge erzielte: Das Institut für Staatspolitik (IfS), das u.a. von Götz Kubitschek und Karlheinz Weißmann initiiert wurde und bis heute u.a. mit ihren Fachkonferenzen und Sommer- wie Winterakademien eine Art rechtes „Hochschulwesen“ etablieren konnte. Weitestgehend mit einem intellektuellen Habitus ausgestattet, zieht es Studenten und junge Akademiker an, die sich in rechten und rechtskonservativen Organisationen engagieren. So wirkt der ehemalige Geschäftsführer des IfS und heutige Verleger des Antaios-Verlages – der als einer der wichtigsten Verlage der vor allem neurechten Bewegung bezeichnet werden kann – als eine Art Spiritus Rector für Teile der Alternative für Deutschland (AfD) und der Identitären Bewegung (IB), die besonders seit der grassierenden Flüchtlingskrise (2015) immer wieder durch kreative und subversiv-wirkende Aktionen auf sich aufmerksam gemacht hat. Ungeachtet der vielen Publikationen und der vorbildlichen metapolitischen Arbeit, die von dieser Denkfabrik ausging, sollte es nicht nur bei dieser einen bleiben. Die Rechte muss, will sie erfolgreich sein, anfangen, sich in Think Tanks, also in Denkfabriken, zu organisieren. Die Vorteile liegen klar auf der Hand und wurden bereits oben deutlich benannt. Vor allem das Fehlen einer klaren Vision und weltanschaulichen Ausrichtung dürfte u.a. an der undifferenzierten Auseinandersetzung mit Theorien und Philosophien liegen. Diese könnten in solchen Denkfabriken stattfinden. Dazu müssten sich jedoch zunächst jene zusammentun, die sich zu einer Elite bekennen. Nicht das Vorhandensein der globalistischen Eliten bedeutet den sicheren Untergang Deutschlands und Europas, sondern das Nichtvorhandensein rechter Gegeneliten, die sich auch als solche verstehen. Damit soll der subversiven Aktion nicht ihre Bedeutsamkeit abgesprochen werden. Jedoch um subversive Aktionen vorbereiten, durchzuführen und nachbereiten zu können, sodass sie in ein dezidiert konzipiertes Gesamtkonzept passen sollen, bedarf eines Rückzugsortes für diejenigen, die die Fähigkeit und den Willen zur Macht haben.
Literaturhinweise und Anmerkungen
[1] Thunert, M. 2003). Think Tanks in Deutschland – Berater der Politik? Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung. Das Parlament. B51, S. 31
[2] Die University of Pennsylvania gab der FES den 13. Platz der weltbesten Think Tanks in ihrem 10. Internationalen Ranking „2016 Global Go To Think Tank Index Report“ vom 26. Januar 2017. Zum Vergleich: Insgesamt existieren demnach 6.846 Denkfabriken weltweit. Verfügbar unter: https://repository.upenn.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1011&context=think_tanks (11.09.2017)
[3] Auch German Council on Foreign Relations genannt.
[4] DGAP (2017). Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik. Der Think Tank, Verfügbar unter: https://dgap.org/de/think-tank/ueber-uns (11.09.2017)
[5] „Überbegriff für die Gesamtheit jener Organisationen, die in einer strikten Auseinandersetzung weder dem idealtypischen Pol „Markt“ noch „Staat“ zugeordnet werden können.“ [Gabler-Wirtschaftslexikon (2017). „Dritter Sektor“. Verfügbar unter: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/dritter-sektor.html (07.09.2017)
[6] Technologien, die aufgrund ihres hohen Innovationsgrades die Erfolgsserie etablierter Technologien stören. Disruptive Technologien führen häufig zu revolutionären Veränderungen in Wirtschaft, Technik und Gesellschaft. Eine disruptive Technologie bzw. ein disruptives Produkt stellt z.B. das iPhone von Apple dar.
[7] Quelle: Poguntke (2014, S. 10). Corporate Think Tanks. Zukunftsgerichtete Denkfabriken, Innovation Labs, Kreativ Foren & Co., Springer-Verlag
[8] So schwärme die Welt in einem am 04.05.2011 erschienenen Artikel „Das sind die besten Denkfabriken der Welt“ von diesen Karrierechancen für junge aufstrebende Doktoranten. Verfügbar unter: https://www.welt.de/wirtschaft/karriere/junge-profis/article13337866/Das-sind-die-besten-Denkfabriken-der-Welt.html (07.09.2017)
[9] Quelle: Land, B. (2006, S. 29). Think Tanks in Deutschland. Eine Netzwerkanalyse der deutschen Think-Tank-Landschaft, Diplomarbeit, eingereicht im Studiengang Verwaltungswissenschaften, Universität Konstanz
[10] Dass diese Postulate als durchaus nicht rechts bezeichnet werden können, wurde bereits in dem von Wolfgang Bendel verfassten Aufsatz „Die Rechte – Heute ein entlegenes, unbewohntes Land“, Verfügbar unter: https://gegenstrom.org/2017/08/02/die-rechte-heute-ein-entlegenes-fast-unbewohntes-land/ (11.09.2017)
[11] Der geopolitische Analytiker F. William Engdahl beschreibt die Einflussnahme von diversen Think Tanks auf Politik, Medien und Gesellschaft in seinem Buch „Die Denkfabriken: Wie eine unsichtbare Macht Politik und Mainstream-Medien manipuliert“, erschienen im Kopp-Verlag.