Geopolitik heute am Beispiel Syrien

by | 24. May. 2017 | Philosophie & Theorie

Der US-amerikanische Angriff auf den syrischen Luftwaffenstützpunkt Shayrat vom 6./7. April, als Reaktion auf einen angeblichen Giftgasangriff der syrischen Regierung in Chan Schaichun, hat das Thema wieder für alle sichtbar werden lassen. Die schnelle Wendung Trumps von versöhnlichen Tönen gegenüber Russland hin zum Angriff gegen den syrischen Staat, einen weltpolitischen Partner Russlands, ist dabei nur ein Aspekt in einem Konflikt, der immer undurchschaubarer wird.

Aktuelle Lage

Im Nahen Osten treffen die Interessensphären der USA und Russlands aufeinander. Der Arabische Frühling schien geopolitisch zu Gunsten der USA zu verlaufen, ehe er bis dato in Syrien stehen blieb. Im Syrischen Bürgerkrieg gibt es 3 Lager: die syrische Regierung, die sogenannten moderaten Rebellen und den Islamischen Staat (IS). Angesichts der Beteiligung der beiden Großmächte am Konflikt ist es naheliegend, dass es sich hier nicht etwa um einen Bürgerkrieg, sondern um ein geopolitisches Machtspiel handelt. Deshalb soll im Folgenden dargelegt werden, wie sich die jetzige Situation entwickelte.

Ein kurzer Blick auf die syrische Geschichte

Am 17. April 1946 erlangte Syrien die Unabhängigkeit von Frankreich und dieses koloniale Erbe bestimmt noch heute die Politik Syriens. Wie in Afrika orientierte sich auch die Grenzziehung Syriens nicht an ethnokulturellen Gegebenheiten, sondern nur am Machtanspruch der Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien. In diesem neuen Staat leben seither Araber, Kurden, Drusen, Christen, Sunniten und Schiiten zusammen. Der Panarabismus wirkte anfangs als einigende Idee und so schlossen sich 1958 Syrien und Ägypten zur Vereinigten Arabischen Republik zusammen. Bereits drei Jahre später löste sich diese wieder auf und in den folgenden Jahren etablierte sich die Baath-Partei und ihr Vorsitzender Hafiz al-Assad als führende politische Kraft in Syrien.

Mit Beginn der Herrschaft der Baath-Partei entwickelte sich Syrien zu einem „links-autoritären und an Moskau orientierten“[1] Staat. Inhaltliche Schwerpunkte der Partei sind bis heute Panarabismus, Säkularismus und eine eher sozialistisch orientierte Wirtschaft. Tatsächlich gelang es ohne große Ölvorkommen, einen gewissen Wohlstand für alle zu schaffen.

Zwar ist das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner das geringste im Vergleich mit den Nachbarstaaten, doch gab es bis zum Beginn des Krieges 94 intakte Krankenhäuser[2], welche mit Medikamenten versorgt wurden, die zu 90% in Syrien hergestellt  wurden[3]. So sank die Kindersterblichkeit von 1970 bis 2010 von 132 auf 14 je 100.000 Neugeborenen[4]. Weil Frauen 49% der Hochschüler ausmachen, verwundert es nicht, dass der Großteil syrischer Fachkräfte Frauen sind. Die autoritären Sozialismen Ägyptens, Syriens und des Iraks entwickelten sich auf eine ganz andere Art und Weise im Vergleich mit den übrigen arabischen Ländern, die sich immer mehr mit den USA arrangierten.

Wie sich der Konflikt in Syrien entwickelte

Kaum einer weiß heute mehr um die Umstände, die zum Krieg in Syrien führten, darum ist es umso wichtiger, die Wahrheit von Anfang an aufzuzeigen.

Der Arabische Frühling, welcher die politischen Verhältnisse in zahlreichen nordafrikanischen und arabischen Ländern änderte, so z.B. in Libyen und Ägypten, ist auch der Ursprung des Syrienkonflikts. Es gab in Syrien eine wahrhaft moderate Opposition, die die Herrschaft der Baath-Partei kritisierte, jedoch nicht Bashar al-Assad, der immer offen für Reformen war.  Doch schnell wurden die Proteste radikalisiert und das lag an Dschihadisten, die diese friedliche Reformbewegung nutzen wollten, um einen ganzen Staat zu zerstören. So waren auch die Ausschreitungen im südsyrischen Daraa vom März 2011 nicht von syrischen Beamten ausgegangen, sondern von den Islamisten.

Seit Beginn der Krise ist eine Zahlentrickserei zu beobachten, welche die Anzahl der zivilen Opfer immer höher erscheinen lässt als die der syrischen Beamten, jedoch muss man beachten, dass die toten Islamisten oft zu den zivilen Opfern zugerechnet werden und die wahren Zivilopfer auf das Konto der Radikalen gehen, da diese wegen ihrer politischen und religiösen Gesinnung nicht in das Weltbild der Islamisten passen.

Schon frühzeitig versuchten westliche Medien mit dem Begriff der „Rebellen“ ein Bild zu zeichnen, dass der Wirklichkeit nicht entsprach. Unsere Presse hat versucht uns eine „Freie Syrische Armee“ (FSA), die den bewaffneten Arm des Widerstandes stellt, als Ansammlung ehemaliger Soldaten der Syrisch Arabischen Armee (SAA) zu verkaufen.

Doch könnte die SAA über einen so langen Zeitraum gegen solch eine Übermacht an vielen Fronten bestehen, wenn Massen fahnenflüchtig wären? In Wahrheit existiert die FSA, sofern sie nicht mit den Islamisten zusammenarbeitet, nicht[5] oder ihre Anhänger zieht es nach kurzer Zeit zu den Terrorgruppen. So oder so gibt es in Syrien keine gemäßigten Rebellen, aber multikulturelle, von den Golfmonarchien finanzierte Dschihadistengruppen.

Das diese Zahlentricks und das Märchen von den Rebellen dennoch von unserer Qualitätspresse im Gleichschritt veröffentlicht werden, hat wohl auch etwas mit der Auswahl ihrer Quellen zu tun. Alle westlichen Medien stützten sich auf Informationen der Syrian Observatory for Human Rights (SOHR, zu dt. Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte), die kein Vor-Ort-Medienprojekt ist, sondern das Projekt des in Coventry wohnenden syrischen Regimegegners Rami Abdurrahman[6].

Es werden im weiteren Kriegsverlauf  von westlicher Seite immer wieder Fakten von suspekten Organisationen vorgelegt, so auch für andere false-flag-Manöver wie das Hula-Massaker oder den Chemiewaffeneinsatz von Ost Ghuta im August 2013. Nach letzterem stand eine US-amerikanische Intervention in Syrien kurz bevor, doch die syrische Regierung willigte, unterstützt von der russischen Regierung, der Vernichtung aller Chemiewaffen ein und verhinderte dies somit.

Im Jahr 2014 rief die mächtigste der Terrorgruppen ein Kalifat aus, welches den Namen Islamischer Staat (IS) trägt. Seitdem konzentriert sich der Kampf des Westens gegen den Terror vorwiegend gegen diese Gruppierung, die seitdem ein Ziel von russischen und US-amerikanischen Luftangriffen ist. Mit nicht geringerem Eifer wird genau deswegen versucht, die „gemäßigten Rebellen“ zu unterstützen, die zwischen den Fronten stünden und Ziel russischer Luftangriffe sind, aber sich ideologisch kaum vom IS unterscheiden. Diese Dschihadisten genießen die Gunst der USA, der sie finanzierenden Golfmonarchien, Israels und der Türkei, während Assad von Russland, dem Iran, dem Irak und der Hisbollah unterstützt wird. Mit diesen Helfern gelang es der syrischen Regierung, den IS zurück zu drängen, der jedoch immer noch präsent ist, aber von unserer Presse kaum noch beachtet wird, weil man mehr damit beschäftigt war, die Befreiung Aleppos aus der Geiselhaft der Terroristen medial schlecht zu reden. Doch war es 2016 das erste Mal seit Jahren für örtliche Christen wieder möglich gewesen, Weihnachten zu feiern.

Chan Shaichun und seine Folgen

Jetzt, da die syrische Regierung das Land Stück für Stück befreit, soll sie wirklich daran interessiert sein, einen unbedeutenden Ort mit nicht mehr vorhandenem Giftgas zu attackieren, um den USA einen Grund für ein militärisches Eingreifen zu liefern, obwohl sich Trump „wenige Tage vorher offiziell gegen einen militärischen Regime change in Syrien ausgesprochen hatte?“ [7]

Die USA reagierten mit einem Angriff auf den syrischen Militärflughafen Shayrat, der mehr als 100 km südlich vom Ort des Giftgaseinsatzes liegt[8] und von wo aus der Kampf gegen den IS koordiniert wird. Nicht nur der Angriff auf eine vom Volk gewählte Regierung und eines UNO-Mitgliedes lässt den Giftgaseinsatz fragwürdig erscheinen, sondern auch die überaus schnelle Reaktion der USA, trotz russischer Gegendarstellung, die besagt, dass ein Munitionslager der Dschabhat Fatah asch-Scham  (vormals al Nusra Front) angegriffen wurde und dabei Giftgasvorräte zerstörte, die daraufhin austraten.

Das geopolitische Spiel in Syrien

Dass es sich in Syrien um einen geopolitischen Konflikt handelt, verdeutlichte der US-amerikanische Angriff Anfang April erneut. Nicht erst die Fake-News-Kampagne zeigt wie wichtig eine öffentlich mediale Darstellung ist. Auch Russland reagierte und richtete auf der Netzseite des Außenministeriums eine Rubrik ein, die Falschmeldungen des Westens entlarvt[9].

Doch der Westen ist dabei geschickter. Im Zusammenspiel von Regierungen und gar nicht so unabhängigen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Medien besteht ein Netzwerk, indem sich die einzelnen Akteure gegenseitig informieren und zitieren. NGOs wie „White Helmets“ oder „Syria Campaign“ arbeiten mit den Rebellen zusammen und ihre false-flag-Manöver leiten sie an Medienkanäle weiter, die damit die Zivilgesellschaft von der moralischen Untragbarkeit Assads überzeugen will und auch ein militärisches Eingreifen westlicher Staaten legitimieren soll. Das die Finanziers von NGOs oft Außenministerien oder transatlantische Einzelpersonen sind, ist unbekannt. Von Unabhängigkeit kann da keine Rede mehr sein, sondern nur von Zweckdienlichkeit. Das große Ziel ist eine full spectrum dominance, was eine „informationstechnische, wirtschaftliche, kulturelle und militärische Dominanz bedeutet“[10].

Eben jene Dominanz benötigen die transatlantisch globalistischen Zirkel in den USA, um ihre Vision vom „Neuen Mittleren Osten“ zu verwirklichen. Für das Ziel arbeitet man auch mit Islamisten, die uns immer als Feinde des Westens vorgestellt werden, zusammen. Denn gerade für das pluralistische Syrien schien es klug, sunnitische Sektierer zu stärken, um den Machthaber Assad zu schwächen. Doch Syrien steht, entgegen westlichen Medienberichten, hinter Assad, weil man um die Vorzüge einer freien Religionsausübung weiß und tagtäglich sehen kann, was radikale Kräfte anstreben.

[1]Mesenhöller, Mathias: Islamismus, 1979 Glaube, Macht, Gewalt. In: Geo Epoche Islam, Nr. 73, S. 145, 149

[2]Anderson, Tim: Der schmutzige Krieg gegen Syrien. S. 205

[3]Ebenda., S. 208

[4]Ebenda., S. 210

[5]https://www.youtube.com/watch?v=IocXK2bb54s

[6]Kaiser, Benedikt: Linke Netzwerke und die Syrien-Berichterstattung. In: Sezession Nr. 72, S. 23

[7]https://sezession.de/57207

[8]https://twitter.com/todayinsyria/status/850238845597564928

[9]https://www.heise.de/newsticker/meldung/Russland-will-Fake-News-blossstellen-3632583.html

[10]Anderson, Tim: Der schmutzige Krieg gegen Syrien. S. 119

 

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