Ein Platz an der Tafel der Könige Teil 1 – Europa: Machtzentrum oder Brückenkopf ?

by | 12. May. 2023 | Germany and the world, Viewpoints

 – mit Geopolitik und -strategie, waren in der jüngeren Vergangenheit kein wirklichen Kernthemen rechter Debatten- oder gar Standpunktdiskussionen. Dabei bestünde hier dringender Bedarf, denn nicht nur das europäische Ausland weiß um die Bedeutung des europäischen Kernlandes, welches von Deutschland entscheidend kontrolliert wird. Umso größer sind die Fragezeichen in den Augen außenstehender Beobachter, wenn sie das aktuelle Treiben Deutschlands Herrschender begutachten. Bei dem nachfolgenden Artikel, welcher in zwei Teilen erscheinen wird, handelt es sich um den Leitartikel der neuesten Ausgabe der AGORA EUROPA, in dem nicht nur eine Analyse und Einordnung des geopolitischen Status-Quo vorgenommen, sondern auch die geopolitische Vision der Macher der AGORA EUROPA dargestellt wird.

 

Bis zum Ende des 2. Weltkriegs waren es europäische Entitäten, die über Jahrhunderte die Weltpolitik gestalteten. Europa, so man diesen Begriff überhaupt eindeutig definieren und abgrenzen kann, war das Zentrum von Technologie, Philosophie und letztlich politischer Macht. So entstand – wohl auch nicht zu Unrecht – unter den Europäern zunehmend eine eurozentrische Sicht auf die Welt. Doch mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges im Jahr 1914 begann ein einziger 31 Jahre lang anhaltender Krieg, der damit endete, dass 100 Millionen Menschen ihr Leben ließen. Dies war die Folge aus Krieg, Völkermorden und Säuberungsaktionen. Europa hatte bewiesen, dass es mindestens zwei Gesichter besitzt. Das eine, was häufig als das vom Abendland geprägte Schönheitsideal verbunden mit kulturellen und technologischen Errungenschaften gesehen wird – das andere als die hässliche Fratze der Zerstörung.

 

Europäische Entitäten unterjochten die Welt. Gleichzeitig säten sie Zwietracht unter ihren Nachbarn. Dieser Kontinent ist wie kein zweiter, bezogen auf seine Landmasse, kleinteilig zersplittert. Aufgrund seiner geografischen Konsistenz besteht dieser eigentliche Subkontinent aus mehreren Grenzgebieten. Die Vermischung von Völkern und Kulturen ist hier vorprogrammiert. Von Homogenität kann keine Rede sein.

In diesem ersten Teil wollen wir beleuchten, welche Rolle(n) Europa auf der Weltbühne spielt und wo wir Potenziale erkennen können.

 

Europa und Asien: In Wirklichkeit ein Doppelkontinent

Obgleich die beiden geografischen Bereiche Europa und Asien seit der griechischen Antike als eigenständige Kontinente betrachtet werden, handelt es sich in Wirklichkeit um einen Doppelkontinent wie Amerika (Nord- und Südamerika). Das Wort „Kontinent“ stammt vom lateinischen „terra continents“ und bedeutet so viel wie „zusammenhängendes Land“. Demnach ist Eurasien EIN Kontinent und Europa lediglich eine verhältnismäßig kleine Halbinsel darauf. Seit Philipp Johann Tabbert (1677-1747), später von Strahlenberg, verläuft die östliche Grenze Europas am Uralgebirge, am Obschtschi Syrt, an der Wolga und schließlich am unteren Don entlang. Dort sei die Grenze zu Asien, einer von Europa abgrenzbaren Welt. Doch ein Blick auf die Karte macht deutlich, dass diese wenn auch offiziell anerkannten geografischen Grenzen in Wirklichkeit fließend sind. Mindestens gibt es einen Bereich, das eurasische Herzland, der nicht mehr so ohne Weiteres in europäisch oder asiatisch unterteilt werden kann. Eurasien ist ein Großraum, der größte Kontinent auf diesem Planeten, bestehend aus vier großen tektonischen Platten sowie weiteren vielen kleinen Platten und Kratonen[1]. Eurasien ist die größte Weltinsel zwischen Lissabon und Wladiwostok. Dass die in der Zeit von Peter dem Großen gezogenen Grenzen zwischen Europa und Asien zumindest fraglich sind[2], machen u. a. die Diskussionen über die Zuordnung des nördlichen Kaukasus deutlich. Dort liegt z. B. der Elbrus, der mit seinen 5.642 Metern der höchste Berg Russlands ist und damit auch der höchste Berg Europas wäre. Doch wird er allgemein Asien zugeschrieben, was verdeutlicht, wie umstritten diese Grenzziehung auch in der Wissenschaft gesehen wird.

 

Dennoch stellt Eurasien damit keine eigenständige Kultur dar. Häufig wird die Unterteilung in West und Ost vorgenommen. Der Westen sei das Abendland[3] mit seinen griechischen und römischen Wurzeln und der Osten das Morgenland, welches stark durch China, Japan und Arabien beeinflusst sei. Doch in Wirklichkeit ist diese Unterteilung eine Chimäre, denn vor allem für die eurasische Halbinsel gilt, dass es mehrere Europas gibt[4]. Hier einige Beispiele:

* Das Römische Reich war keine rein europäische bzw. auf die eurasische Halbinsel beschränkte Entität. Es handelte sich um ein Weltreich, dessen Einfluss über die kartografisch gezogenen Grenzen hinausging.

* Das Osmanische Reich kann ebenfalls nicht nur als asiatische Macht betrachtet werden und hinterließ seinen Abdruck auf europäischen Boden.

Weiter unten beleuchten wir noch die religiösen Diskontinuitäten.

 

Europa – Zentrum und Zipfel

Die Erdoberfläche besteht zu einer Hälfte aus dem Stillen Ozean, dem Pazifik und zum anderen aus dem Rest. Dieser Rest sind die beiden Festländer (beide Amerikas und Afro-Eurasien[5]). Der Atlantik wirkt dabei verbindend zwischen den Festländern, während der Pazifik eine trennende Funktion aufweist. Auf dem Eurasischen Kontinent ist letzter auch ein eher trennendes Element zwischen Europa und Asien, zwischen der „Weißen“ und der „Gelben Welt“. Geschichtlich war das die eurasischen Kulturen Verbindende die weite Steppe, also das Land, während seit der Öffnung der japanischen sowie chinesischen Häfen, das Meer nun das Feld der einander sich tangierenden Bewegung ist. Mitten in dieser Welt steht die eurasische Halbinsel Europa. Aufgrund der oben beschriebenen Aufteilung der Welt ist die Bewegung zwischen den Festländern eine West-Ost- oder Ost-West-Bewegung. Während die nördliche Halbkugel von den Landmassen gezeichnet ist, die in die Arktis reichen, ist die Südliche reich an Meer rings um den Südpol. Was dem Norden fehlt, ist im Süden reichhaltig vorhanden und umgekehrt: Land und Meer[6]. Europa ist dabei eingekreist von den Kontinenten, genauso wie Neuseeland auf der anderen Seite ein „Zentrum“ der um sich scharenden Meere bildet. Lediglich Australien, Neuguinea, Chile und Argentinien liegen auf der südlichen neuseeländischen Seite[7]. Das „Zentrum“ der festländischen Welt ist demnach Europa. Wer von Afrika in das zentrale Asien, von Asien oder Australien nach Amerika reisen möchte, muss einen europäischen Flug- oder Seehafen passieren.

 

Der Geostratege Jordis von Lohausen schrieb in seinem Buch Mut zur Macht. Denken in Kontinenten richtigerweise, dass „wer das Land zwischen Weser und Weichsel besitzt, (…) den Fuß auf Europa“ hat. „Hier fallen die Würfel[8]. Östlich vom Harz erstreckt sich das schmale Tiefland zwischen den Pyrenäen und der Nordsee. Es handelt sich dabei um das Einfallstor in die sarmatische Tiefebene bzw. der inneren Kammer Europas, womit diese Region eine der wesentlichsten, wenn nicht gar die wichtigste Drehscheibe auf Eurasien darstellt. Zurecht wird Sarmatien auch als die Thermopylen[9] zwischen Europa und Asien betrachtet. Wer die Vorherrschaft über den Eurasischen Kontinent auszuüben strebt, muss Gewalt über die Region ausüben können. Der Don wurde hier zu Zeiten Alexander des Großen als Grenze zwischen Europa und Asien ausgemacht. Mit den derzeitigen Auseinandersetzungen in der Ukraine toben im Grunde genommen zwei Kriege bzw. ein Krieg, der mindestens zwei Ebenen besitzt:

* Es handelt sich zunächst um einen russisch-ukrainischen Krieg, der geschichtlich und kulturell betrachtet längst überfällig ist.

* Zum Zweiten handelt es sich auch um einen Krieg zwischen dem von den US-Amerikanern beherrschten Westen und Russland[10] als gefürchteter Konkurrent auf dem Eurasischen Kontinent. Auf dieser Ebene geht es nicht um Souveränitätsfragen der Ukraine, sondern um die Beherrschung der Kammer Europas. Wer Europa schützen will, der muss über diese Region die Vorherrschaft ausüben.

 

Europas Lage bietet damit Voraussetzung für eine Weltmachtstellung, jedoch genauso für ein Vasallendasein als Brückenkopf in den asiatischen Westen und den afrikanischen Norden ragend. Als Zentrum des Großteils der weltweiten Landmasse ist Europa der Luxus von geografischer Abgeschiedenheit stets verwehrt gewesen. Die Nähe zu Russland als Eurasischer Akteur bleibt, genauso die Nähe zu Afrika sowie der Zugang aus Übersee über den Atlantik. Mit dem im Westen angrenzenden Ozean, ist es das Tor zur „Neuen Welt“, der Zugang Eurasiens zum Atlantik[11]. Es ist daher Europas geografische Bestimmung, Brennpunkt der Weltpolitik zu sein: Entweder als Spielball außereuropäischer Interessen oder als Vormacht.

 

 

 

 

 

 

Abbildung 1: Weltkarte mit roter Markierung Afrika-Eurasiens[12]

Betrachtet man Europa axial von West nach Ost, so lässt es sich in drei Teile gliedern (siehe dazu Abbildung 2):

* Südwest mit der iberischen Halbinsel (I)

* Die Mitte von Frankreich bis zur Linie zwischen der Nord-Ostsee-Enge zum Adriatischen Meer (II),

* Ost bis zur Linie zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer (III).

 

Kulturell-religiös kann es etwas präziser in

* den katholisch-lateinischen Süden-Südwesten,

* den germanisch-protestantischen Nordwesten

* und den slawischen religiös gemischten Teil

* sowie in einen letzten byzantinisch-orthodoxen Teil im Balkan untergliedert werden.

Jedoch „tanzen“ die multiethnischen Gesellschaften dabei „aus der Reihe“[13]. Auch die katholischen Exklaven im Westen widersprechen dieser etwas einseitigen Einteilung. Wozu gehören die katholischen Entitäten Polen und Litauen? Wie ist die Ukraine mit ihrer multiethnischen und multireligiösen Vielfalt ­einzuschätzen?

 

Diese Einteilung reicht nicht, weshalb es als sinnvoll betrachtet wird, die erste axiale Untergliederung in den Landmassen herzuleiten. Von dort aus gehen die geopolitischen Stoßrichtungen.

Das Rückgrat der eurasischen Halbinsel, die Längsachse Europas, bilden folgende drei Länder:

* Spanien als Torhüter des Mittelmeers sowie Brücke nach Afrika und letztlich Tor in den Atlantik hinein,

* Frankreich als Innenraum und Kernland sowie letztlich Drehscheibe zwischen England und Italien,

* Deutschland als Koordinatenkreuz zwischen der ozeanischen (West) und kontinentalen (Ost) sowie der skandinavischen (Nord) und mediterranen Welt (Süd).

 

Abbildung 2: Die drei Abschnitte der eurasischen Halbinsel[14]

Der in Abbildung 2 eingezeichnete Hals stellt den Zugang bzw. die Übergangszone in das eurasische Rumpfland dar. Europa ist, wenn dann der Kontinent der Brückenschläge wie bereits oben gesehen. Lokal können die Stoßrichtungen an folgenden Meerengen ausgemacht werden:

* Bosporus und die Dardanellen als Einfallstore in den Nahen Osten

* Die Straßen von Gibraltar und Sizilien als Zugang zu Nordafrika

 

Abbildung 3: Die Meerengen und lokalen Verbindungspunkte nach Kleinasien, Naher Osten und Nordafrika[15]

Die Karte zeigt die Meerengen zwischen den Kontinenten. Die roten Markierungen zeigen die Straße von Gibraltar, Sizilien sowie die Dardanellen und den Bosporus (von links nach rechts).

Die Rolle von Meerengen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es galt und gilt weiterhin, dass wer die Meerengen beherrscht, auch die Welt beherrscht. Solche lokalen Punkte auf der Weltkarte waren nicht selten die wesentlichen Auslöser für kriegerische Auseinandersetzungen, denn Meerengen sind klassische Werkzeuge der Einkreisung (Umklammerung und Gegenumklammerung konkurrierender Entitäten). Sie sind der Transportweg der wichtigsten Ressourcen und Güter.

 

Nimmt man die eurozentrische Brille jedoch ab und schaut sich die Weltkarte noch einmal ohne Stoßrichtungen an, so wird überdeutlich, wie klein Europa ohne Russland ist. Die Fläche der EU-27 umfasst gerade mal ein Dreizehntel der gesamten eurasischen Landmasse. Europa mag das Zentrum der Weltpolitik und Brückenkopf in den anderen kontinentalen Bereichen dieses Planeten darstellen, doch ist es letztlich auch der Zipfel dieses schier übergroßen Kolosses namens Afrika-Eurasien, das zwischen den Landmassen aufgerieben zu werden droht. Sollte es beispielsweise zu einem Krieg zwischen den USA und einer der großen eurasischen Entitäten kommen, wäre Europa mit hoher Wahrscheinlichkeit der Kriegsschauplatz Nummer Eins.

 

Die Akteure

Im Grunde genommen gibt es auf der eurasischen Halbinsel nur zwei Hauptakteure und einen weiteren, der gerade dabei ist, seinen Einfluss auf dem Kontinent wieder geltend zu machen:

 

* Germany, als Zentrum Europas, eingekeilt von seinen Nachbarn, ohne natürliche Grenzen, die ihm einen Sicherheitsgürtel bieten. Gleichzeitig ist Deutschland die momentan mit Abstand größte Wirtschaftsmacht Europas und führte insbesondere in der Ära von Kanzlerin Angela Merkel die EU an. Bis heute ist es der wichtigste Brückenkopf für US-Amerika und auch die einzige ernstzunehmende eurasische Macht mit einem Fuß in Europa, Russland hat in der Vergangenheit wiederholt verdeutlicht, Interesse an einer Zusammenarbeit zu haben.

 

* Frankreich ist als einzige europäische Atommacht – mit einem europäischen Interesse, Großbritannien betreibt eine Politik mit außereuropäischen Interessen – in der Lage sich militärisch im Notfall auch auf nuklearer Ebene zu behaupten. Es gehört zu den großen atomaren Mächten dieser Welt und besitzt damit die Grundvoraussetzung für ein souveränes Auftreten. Zudem besitzt es die historischen und kulturellen Voraussetzungen, da es in Frankreich insbesondere in der Politik ein überaus starkes Gespür für die eigenen geopolitischen Interessen gibt. Letztlich besitzt Frankreich auch ein Vetorecht in der UNO und ist somit Deutschland im Bereich der Souveränität überlegen.

 

* Russland ist das flächenmäßig größte Land und ressourcentechnisch überaus reich. Dennoch erweist sich diese gigantische Fläche als größte Herausforderung. Zum einen grenzen dadurch mit 14 Nachbarn auch ebenso viele potenzielle Gegner und territoriale Konkurrenten an dem Bärenreich an. Mit Weißrussland und der Ukraine muss es insgesamt eine etwa 2.500 km lange Grenze im Westen und eine noch weitaus größere Grenze im Süden (alleine mit Kasachstan teilt es sich eine Linie von fast 7.000 km) zu verteidigen wissen, was unmöglich ist. Ähnlich Deutschland, besitzt es keine wirklich natürlichen Grenzen. Die großen Gebirge sind die Karpaten (Ukraine), der Kaukasus (Kasachstan) und die Himmlischen Berge (vor allem Mongolei), welche außerhalb des Grenzgebietes liegen. Auch im Norden genießt es keinen Schutz. Die Arktis ist zum Großteil zugefroren. Es ist zum einen eine der größten Atommächte auf dem Planeten und besitzt zum anderen ebenfalls ein Vetorecht in der UNO. Spätestens mit der Offensive in Georgien 2008 spielt Russland eine zunehmend wichtiger werdende Rolle auf der Halbinsel. Mit der jüngsten Invasion der Ostukraine und der offenen Bekundung, einen Regime-Change in Kiew hervorrufen zu wollen, ist der russische Bär wieder auf das eurasische Parkett zurückgekehrt.

 

Alle drei Entitäten stehen mal mehr, mal weniger in einem engen Austausch miteinander. Frankreich scheint ähnlich zu Zeiten von Charles de Gaulle eine Vermittlerrolle in dem Konflikt einnehmen zu wollen. Auch Deutschland wird von den teilnehmenden Mächten trotz seiner fehlenden Souveränität als wichtiger Vermittler gesehen. Der Einfluss, den das ukrainische Außenministerium insbesondere auf die Politiken der Bundesrepublik auszuüben versucht, macht deutlich, wie wichtig bis heute dieser Akteur für die Region ist.

 

Europa, ein französisch-deutsches Projekt

Die Europäische Union ist ebenfalls ein Produkt französischer sowie deutscher Politiken. Die Römischen Verträge von 1957 wurden von den beiden westeuropäischen Hauptakteuren ausgehandelt. Sie sind ebenfalls nur ein Kompromiss zwischen den beiden Staaten gewesen, nachdem die Ratifizierung der Verträge zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zu Zeiten Konrad Adenauers scheiterten. Während Deutschland seinen Vertrag in der Hoffnung, damit Souveränität zurückzuerlangen, unterzeichnete, weigerte sich das damalige französische Parlament, das Vorhaben zu ratifizieren – mit der Begründung, dass man ein deutsches Oberkommando nicht akzeptiere. Beide Akteure sind allerdings davon beseelt, ein geeintes Europa zu schaffen, wenn auch die Intentionen und Konzepte dazu unterschiedlich sein mögen. Während Frankreich tatsächlich ein eigenes geopolitisches Konzept anstrebt, von dem der amerikanische Geostratege Zbigniew Brzeziński sagte, dass es von dem US-Amerikas in wesentlichen Punkten abweiche[16], scheint das Engagement des Kriegsverlierers Deutschland aus seinem Willen zur Wiedergutmachung herzurühren. Frankreich sieht sich als Vormacht bzw. Anführer und beäugt die Erfolge der deutschen Außenpolitik in Europa mit Argwohn. Insbesondere Frankreich sucht immer wieder den Austausch mit Russland und versucht, Großbritannien gegen Deutschland aufzubringen. Auch wenn derzeit noch innerhalb der EU physisch Frieden herrschen mag, so kommt es auf wirtschaftlicher Ebene immer wieder zu harten Auseinandersetzungen. Insbesondere in der europäischen Fiskal- und Finanzpolitik gibt es hier immer wieder starke Divergenzen zwischen den Akteuren. Während Deutschland die starken nordeuropäischen Geberländer vertritt, ist Frankreich das Sprachrohr der südeuropäischen Nehmerländer.

 

Man kann Russland nicht isolieren

Russland benötigt den Zugang über die Ukraine und Weißrussland, um erstens eine eurasische Macht zu bleiben, und zum anderen, um seine für Europa wichtigen energetischen Ressourcen sicher und für Russland lukrativ transportieren zu können. Würden die Transitländer einen zu hohen Aufschlag für den Durchlass nehmen, würde dies einen enormen wirtschaftlichen Schaden bedeuten. Noch schlimmer wäre oder ist eine Blockade eines der Transitländer. Hinzu kommt der für Russland wichtige Zugang zum Schwarzen Meer. Dieses Gebiet besitzt jedoch auch einen emotionalen Wert, da es als Wiege aufgefasst wird. Wie wichtig diese Region für Russland ist, machen der derzeitige Konflikt und die damit auch verbundenen ökonomischen Probleme für Europa überdeutlich. Der Krieg in der Ukraine ist kein Ausdruck blinder Expansionswünsche seitens Russland. Das Land ist, wie oben bereits gesehen, bereits jetzt zu groß, um wirklich regiert und beschützt werden zu können. Der Kreml kann es aus wirtschaftlichen, geostrategischen und insbesondere sicherheitspolitischen Gründen nicht zulassen, dass eines dieser Länder aus der Reihe tanzt. Während man auf Weißrussland zumindest noch erheblichen Einfluss ausübt – was sich jederzeit ändern kann[17] – ist das Grenzland Ukraine ein akuter Fall für die sicherheitspolitischen Interessen in Moskau. Der Einmarsch auf der einen und das Heraushalten der USA als wichtigste NATO-Macht auf der anderen Seite zeigen, dass Russland wieder zu den dynamischsten Akteuren auf der Halbinsel gehört. Man wird Russland auf Dauer nicht isolieren können. Dafür tanzen zu viele NATO-Bündnispartner aus der Reihe (Türkei, Ungarn, Frankreich, Serbien als Teilnehmer des Friedensprogramms der NATO). Deutschland und Frankreich als wichtigste westperipheren Mächte auf der Halbinsel werden die Linie zu Moskau nur dann abtrennen, wenn Washington ein entsprechend lukratives Angebot macht. Derzeit allerdings lässt letzteres Berlin und Paris allein in dem Konflikt. Die Nato ist ohne die USA ein mehr oder weniger zahnloser Tiger und militärisch zumindest auf nuklearer Ebene Russland nicht gewachsen.

 

Abhängigkeiten

Alle drei Entitäten sind aufeinander angewiesen. Europa droht zwischen den Großmächten zerrieben zu werden. Ein Szenario, in dem Russland mit den US-Amerikanern in einen offenen Streit tritt, ist denkbar. Ausgetragen dürfte dieser mitten im Zentrum der Halbinsel werden. Für Deutschland und Frankreich ist es daher nur zielführend, mindestens eine Äquidistanz, also einen gleichen Abstand sowohl zu den USA im Westen, als auch zu Russland und China im Osten einzunehmen. Denn obgleich es insbesondere aus deutscher Sicht ein natürliches geopolitisches Interesse an einer Verbindung zu Russland gibt, darf es auch nicht in seinen Ambitionen unterschätzt werden. Russland ist ein Reich, und spätestens seit Iwan dem Schrecklichen[18] besteht das geopolitische Konzept vom „Einsammeln Russischer Erde“[19]. Das Geschichtsbewusstsein russischer Geopolitik ist denen westeuropäischer Entitäten weit überlegen. Obgleich es für Russland keine andere Wahl gibt, als auf seine Nachbarn massiven Druck (siehe gerade Ukraine, zuvor Georgien) auszuüben und es derzeit nüchtern betrachtet kaum Expansionsbestrebungen haben kann, darf der Wille einzelner, auch mächtiger Fraktionen im Kreml das alte Moskowitenreich und seine Nachfolgerin, die Sowjetunion wiederzubeleben (zumindest die alten Grenzen zurückzuerlangen), nicht unterschätzt werden. Russland gehört historisch betrachtet zu den großen Weltmächten. Auch wenn es derzeit bestenfalls noch eine Großmacht in Eurasien darstellt, gibt es ein tiefes Bewusstsein für Größe im Reich des russischen Bären. Der „Alte Fritz“ soll einmal gesagt haben: „Von allen Nachbarn Preußens ist das russische Reich der gefährlichste, ebenso sehr vermöge seiner Macht als seiner örtlichen Lage. Die, welche nach mir dies Land regieren werden, haben Ursache, mit diesem Barbaren Freundschaft zu pflegen“. Diese Worte sollten der Nachwelt eine Warnung sein. Insbesondere den Deutschen. Eine Zusammenarbeit mit Russland ist unausweichlich. Eine Isolation Russlands ist nicht möglich, eine Kränkung des Bären kann sich explosiv auswirken. Dennoch ist Vorsicht geboten. Russland muss seine Grenzen kennen.

 

Großbritannien und Türkei

* Großbritannien ist, trotz seiner militärischen und wirtschaftlichen Macht, kein Akteur mit Interesse auf eine Führungsrolle in Europa. Das Empire wird durch den Ärmelkanal vom Festland getrennt, der zugleich wohl einer der wichtigsten Gründe dafür ist, dass es bis zum heutigen Tage kein geeintes Europa gab. Dieser Meeresarm, der je nach Wetterlage Nordsee- oder Atlantikwasser treibt, scheint unbezwungen zu sein und bot England grundsätzlich Schutz. Weder vermochten es die Spanier 1588, noch Napoleon rund 220 Jahre später den Ärmelkanal zu durchbrechen. Ebenfalls scheiterte Hitler im 20. Jahrhundert. Trotz gewaltigem militärischen Aufgebot blieb die Insel uneinnehmbar. Nach der Schlacht am Kap Trafalgar begann die Ära der britischen Seemacht. Das britische Erbe übernahmen die USA nach 1945. Seitdem fungieren die Briten als „Anhängsel“ US-Amerikas, wobei diese Zusammenarbeit gewissermaßen auf Augenhöhe stattfindet, aber Washington eindeutig die Führung innehat. Wo einst englische Mode und englischer Stil auf der Halbinsel nachahmungswert waren, war es nun das neue US-Amerika, was Faszination ausübte. Die britischen Ambitionen in Europa sind eher verhalten. Man schaut auf den Großen Bruder und bleibt ihm treu[20]. Mit dem Brexit wurde dies noch einmal in der Neuzeit unterstrichen. Großbritannien ist die mächtigste Entität der Inseln in der Nordsee und kann damit als Regionalmacht agieren. Das alte Empire wird weiterhin Einfluss auf die eurasische Halbinsel ausüben und betreibt seine Politik der Balance of Power (diesmal im Sinne US-Amerikas) weiter. Aber die Zeiten als hauptsächlicher Akteur sind vorbei. Großbritannien ist heute mehr Brückenkopf als Akteur.

 

* Die Türkei wird häufig nicht als Teil Europas betrachtet, zeigt aber umso deutlicher, wie schwer definierbar die Grenzen dieses „Kontinents“ zu ziehen sind. Geologisch betrachtet, gehören etwa drei Prozent des Landes zu europäischem Boden. Etwa 12 Prozent der türkischen Bevölkerung (ges.: ca. 84 Mio.) lebt in Ostthrakien. Zudem ist unbestreitbar, dass auch sein Vorgänger, das Osmanische Reich, einen erheblichen Einfluss auf die Halbinsel ausübte. Die permanente Diskussion um den Beitritt in die EU macht deutlich, dass es von Seiten der EU-etablierten Mächte Missfallen an dem Gedanken gibt. Die Türkei, so wichtig sie geopolitisch für Europa auch sein mag, wird durch seine einerseits kulturelle Fremdheit, andererseits durch die Tatsache, dass sie alle Voraussetzungen beinhaltet, um Brennpunkt zu sein, von den Europäern mit Misstrauen betrachtet. Auch innenpolitisch wird von der derzeitigen Führung dieses Gesuch, der EU beizutreten, immer wieder betont, jedoch mit dem Wissen, dass diese Forderung ohnehin nicht umgesetzt wird. Durch seine geografische Lage als Zugang zu Europa im Südosten der Halbinsel ist die Türkei einer der wichtigsten Dreh- und Angelpunkte des eurasischen Doppelkontinents. Sie kann entscheiden, wer die Halbinsel betritt und wer nicht, was immer wieder im Rahmen der anhaltenden Zuwanderung aus Kleinasien nach Europa im Fokus der Diskussion stand. Wer aus Kleinasien kommend Europa passieren will, muss durch die alte Stadt Konstantinopel (heute: Istanbul). Sie ist Drehkreuz zwischen diesen beiden Welten. Mit den Dardanellen, dem Marmarameer und dem Bosporus haben die Türken geografisch die wichtigste Voraussetzung, eine starke Seemacht zu werden. Für Russland ist diese Wasserstraße, die vom Schwarzen Meer bis in das Mittelmeer ragt, essentiell und gar überlebensnotwendig, womit die Türken ein wichtiges Druckmittel ggü. dem Bären besitzen, jedoch zugleich der Gefahr ausgesetzt sind, zum Spielball zu werden. Auch die Türkei ist kein Hauptakteur, wird jedoch zunehmend selbstbewusster und tritt derzeit sogar als Mittlerin zwischen Russland und dem Westen auf. Auch wenn der „Kranke Mann vom Bosporus“ bis heute die alte Stärke des Osmanischen Reiches nicht zurückerlangen konnte, schlummert in ihm dennoch dieses Erbe, weshalb er nicht unterschätzt werden sollte.

 

Europa: Das Reich, das keinen König hat

Europa ist ein Flickenteppich, uneinig, kulturell und ethnisch sehr heterogen. Wirtschaftlich besitzt es ein gewaltiges Gefälle zwischen West und Ost, ebenso wie zwischen Nord und Süd. Gleichzeitig ist es durch seine zentrale Lage Schauplatz von Kämpfen um die Vorherrschaft Eurasiens und somit der Welt, da erstes die maßgebliche Achse dieser Welt darstellt. Obgleich es durch die o. g. Gründe beste Voraussetzungen zur Weltmacht hat, scheitert es an folgenden Punkten:

* Durch die oben skizzierte Diversität gibt es kein einheitliches Verständnis unter den Völkern, was unter Europa zu verstehen ist. Es gibt, wenn dann, mehrere Europas. Diese lassen sich teilweise topografisch, teilweise kulturell voneinander trennen. Die historischen Reiche innerhalb der Halbinsel dienen zumindest als Ausgangspunkt zur Analyse und werden in dem Artikel von Dominik Schwarzenberger Europa der Räume in dieser Ausgabe vertieft.

* Europa hat eine verhältnismäßig junge Geschichte. Gleichzeitig gibt es aufgrund der topografischen Lage keine gemeinsame Geschichte, da der Austausch zwischen den Kulturen in der weiten Vergangenheit nur marginal stattfand. Somit beschränkt sich die gemeinsame Erinnerung an Europa auf nur wenige Ereignisse der Verteidigung (z. B. gegen die Mongolen und Hunnen) neben der Christianisierung und den weltumspannenden Reichen sowie die Zeit der Aufklärung und die in Frankreich ihren Anfang genommenen Revolutionen.

* Durch die beiden vorher genannten Punkte gibt es heute kein europäisches Sendungsbewusstsein. Insbesondere die Rechten in Europa, die neben nationalen Bestrebungen europäische oder gar paneuropäische Ideen verfolgen, sind meist eurozentrisch ausgerichtet und übersehen die Vielfalt und die damit verbundenen Hindernisse für eine Vereinigung. Des Weiteren wird Europa selbst von diesen heute nur noch als Spielball betrachtet. Exit-Strategien wie die von Johannes Scharf stehen dafür anschaulich Pate.

* Es gibt keinen König, keinen Herrscher bzw. keine Vormacht in Europa, wofür momentan auch die Legitimation fehlt. Weder Paris, noch Berlin, erst recht nicht Moskau besitzen dafür das notwendige Vertrauen, die Legitimation, die sich durch einen Universalismus ergibt.

* Die fehlende Souveränität europäischer Entitäten im Zusammenspiel mit den beiden auf Europa zugreifenden Großmächten, worunter mit US-Amerika eine Weltmacht Anspruch erhebt, ist zwar ein bekanntes Problem, kann jedoch nicht auf rechtlicher oder völkerrechtlicher Ebene gelöst werden. Hier zählen nur harte Fakten wie Ressourcen, Menschenmaterial, Ökonomie und Waffen. Wer diese besitzt, kann sich seine Souveränität erwerben. Auf dem eurasischen Schachbrett ist kein Platz für romantische Jurisprudenz.

 

Legitimation durch Integrations-Mythos

Legitime Herrschaft bedarf eines integrierenden Mythos. Hier einige geschichtliche Beispiele:

* Rom war nicht nur eine Stadt oder ein Reich. Es war eine Idee, ein Traum. Rom und seine Legionen als Ordnungsmacht waren die Legitimation für die damalige Weltordnung.

* Die europäischen Reiche setzten ihre Macht auf die Vertretung Gottes, den Papst und die Kirche. Der Römische Katholizismus diente Jahrhunderte als Legitimation der Herrschaft.

* Der Westfälische Frieden und später die Ordnung des Wiener Kongresses hatten den Europäischen Frieden als Legitimation. Das Mythos stiftende Postulat lautete hier: Kein Krieg mehr auf europäischem Boden. Immerhin hielt vor allem der Westfälische Frieden mehrere Jahrhunderte ohne große Kriege in Europa.

* Das gleiche Postulat zeichnete man im Übrigen auch nach den beiden Weltkriegen, was jedoch eher zu einer Schwächung der europäischen Entitäten, einschließlich der beiden Siegermächte Großbritannien und Frankreich, führte. Lediglich Russland als eurasische Macht profitierte davon und musste sich ob seiner gewaltigen Hegemonialmacht nicht daran halten.

* Daher legitimierten die atomaren Groß- bzw. Weltmächte die Bipolare Weltordnung bis 1990. Man führte kleine Stellvertreterkriege, um den großen Showdown zu verhindern.

* Heute legitimiert sich der Weltherrscher USA über zwei Dinge: Seine Militärmacht und das darauf aufbauende Dollarfinanzsystem mit all seinen ideologischen Facetten (Kapitalismus, Liberalismus). Es folgt der Manifest Destiny und legitimiert sich durch den Demokratismus, den die USA notfalls auch in dieser Welt mit Waffengewalt verteidigen werden – gespickt mit Tittytainment[21] und dem American Way of Life. Diese Legitimation bröckelt allerdings. Das universalistische Postulat der Menschenrechte legitimierte diesen Erben Roms jedoch immerhin mehr als 70 Jahre lang.

 

Es bedarf also auch heute eines einenden Universalismus zur Legitimation der antretenden Vormächte. Dazu gibt es aufgrund der einzigartigen Weltlage genügend Potenzial. Das Narrativ, nach dem es in Europa nie wieder Krieg geben darf, ist mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine vollkommen zerbrochen. Gleichzeitig steht Europa vor massiven Herausforderungen, wie der Masseneinwanderung raumfremder Kulturen, dem Geburtenrückgang und der wirtschaftlichen Abgeschlagenheit, da sich US-Amerika, von dem vor allem Deutschland wirtschaftlich profitierte, nach Südostasien umorientiert. Dadurch sehen sich alle europäischen Völker den gleichen Problemen ausgesetzt und sind zunehmend auf sich allein gestellt. Während die USA also schwächeln, Russland zurückgelangt auf der weltpolitischen Bühne und mit China und Indien weitere größere Akteure auf dem eurasischen Schachbrett mitspielen, entsteht eine Neuverteilung der Machtverhältnisse. Das „Konzert der Mächte“ (Metternich) wandelt sich wieder einmal.

 

In den nächsten Jahren wird Europa mit mehreren Brennpunkten (Balkan, Türkei, weitere Konflikte in der Sarmatien-Ebene) zu kämpfen haben. Die wirtschaftliche und finanz- sowie auch geldpolitische Lage wird die EU gefährden. Sie wird in ihrer Macht immer eingeschränkter sein. Auch wenn die Entitäten gerade zurück zum Nationalstaat (War er jemals verlorengegangen?) finden, werden sie sich aus reinem Überlebenstrieb und Selbsterhaltungswillen auf mittlere Sicht zunächst in Koalitionen und auf lange Sicht in Großräume organisieren. Ein geeintes Europa liegt jedoch noch in weiter Ferne. Ihm fehlt der Universalismus, der integrativ wirkende Mythos. Doch mit dem Zusammenbruch der unipolaren könnte sich das Narrativ der multipolaren Weltordnung im Sinne eines Machtausgleiches wie zu Zeiten des Westfälischen Friedens oder des Deutschen Bundes nach dem Wiener Kongress herausbilden. Ein wirtschaftliches und militärisches Bündnis oder zumindest eine Art Allianz könnten der Anfang sein. Dazu bedarf es jedoch auch eines ausgeprägten Sendungsbewusstseins. Das Konzept des Europas der Vaterländer, das im Übrigen ein französisches ist, hat keine Strahlkraft und ist eher ein Propaganda-Spin. Eine einigende Europa-Idee bedarf neben den gemeinsamen Problemen – die absolute Voraussetzung sind – auch eines positiven Selbstbildes.

 

Eine mulitpolare Friedensordnung als europäische Macht mit mehreren Königen (Frankreich, Deutschland, Polen, Italien, Großbritannien) an einer Tafel, die zu Russland und den USA ein Gegengewicht bilden, wäre ein solches. Diese europäische Allianz darf sich nicht als Hegemonialmacht verstehen und die Welt durch die eurozentrische Brille betrachten, sondern als Machtpol in einer zunehmend verwirrenden Welt, der es wieder Ordnung beizubringen gilt. Wenn es eine Macht geben soll, die Verständnis für diese Multipolarität und Vielfalt entwickeln kann, dann wohl der Flickenteppich Europa.

 

Der Rechten ist gut daran gelegen, ein Drittes Europa zwischen Eurozentrismus und Vasallen, aber auch zwischen den Großmächten im Westen und im Osten anzustreben. Europa hat das Zeug, von seinem Dasein als Brückenkopf zu einem Machtakteur zu werden, der nur dann Akzeptanz bei dem bestehenden Konzert der Mächte finden wird, wenn sein Universalismus friedensstiftend ist und es auf der Ressourcen-Ebene seine Hausaufgaben gemacht hat. Die Wirtschaftsmacht Deutschland, verbunden mit der atomaren Macht Frankreich, den Rohstoffen Ost- und Südosteuropas und den Seemächten im Norden mag noch in weiter Ferne sein – doch wenn wir eines immer wieder aus der Geschichte lernen, dann ist es: Alles ist möglich!

Hier geht es zur neuesten Ausgabe der AGORA EUROPA: Neugeburt oder Selbstmord?

 

[1]                  Kratone sind die geologisch sehr alten Kerngebiete der uns heute bekannten Kontinente. Sie gelten als tektonisch besonders stabil. Sie entstanden in der Erdurzeit, also vor ca. 4.000 bis 2.500 Millionen Jahren.

[2]                  Der Geostratege George Friedman bspw. zieht die östliche Grenze Europas von Sankt Petersburg im Norden nach Rostow im Süden. Friedman, G. (2015, S. 229). Flashpoints. Pulverfass Europa. Krisenherde, die den Kontinent bedrohen. Plassen Verlag, Kulmbach

[3]                  Teilweise wird auch US-Amerika zum Abendland gezählt, was zunehmend verdeutlicht, wie schwierig die Anwendung dieser Unterteilung ist. Nicht selten wird das Abendland mit vom Katholizismus beeinflussten Gebieten dieser Erde gleichgesetzt, worunter nicht mehr die griechisch-byzantinische Welt verstanden wird.

[4]                  Es sei an dieser Stelle auf den Artikel von Schwarzenberger, D. (2020). „Ein Europa der Räume I – Voraussetzungen“ verwiesen. Der Autor beschreibt darin die verschiedenen Ausprägungen der eurasischen Halbinsel. Verfügbar unter: https://gegenstrom.org/ein-europa-der-raeume-i-voraussetzungen/ (23.07.2022)

[5]                  Europa, Asien und Afrika sind im Grunde genommen ein miteinander verbundenes Festland.

[6]                  Drei Viertel der globalen Landmasse liegen nördlich vom Äquator.

[7]                  Die menschenleere Arktis gehört im Grunde genommen auch dazu.

[8]                  Lohausen, Jordis (1981, S. 243). Mut zur Macht. Denken in Kontinenten. Vowinckel-Verlag, Berg am See

[9]                  Dabei handelt es sich um den für Griechenland wichtigsten Engpass, der immer wieder Schauplatz von Schlachten war. Die wohl berühmteste ist jene von 480 v. Chr., mitten in den Perserkriegen. Der König Leonidas soll dort mit seinen 300 Spartiaten gegen die Unsterblichen, die zu Tausenden kamen, gekämpft haben.

[10]                Obwohl Russland nach Perestroika und Glasnost wirtschaftlich und in Teilen auch militärisch stark geschrumpft ist, betrachteten wesentliche amerikanische Geostrategen selbigen Akteur trotzdem stets als gefährlichsten Konkurrenten, der die Vorherrschaft in Eurasien streitig machen könnte.

[11]                Der Nordatlantik stellt die kürzeste eisfreie Verbindung zwischen der Neuen Welt und der Alten Welt dar.

[12]                Bildquelle: Wikipedia (2022). Afrika-Eurasien. Verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Afrika-Eurasien (21.05.2022) Ergänzungen durch den Autor vorgenommen; Die Karte zeigt den zusammenhängenden „Dreifach-Kontinent“, mit seiner schier unvorstellbaren Größe von ca. 85 Mio. km2. Die blauen Pfeile geben die geopolitische Stoßrichtung auf der Landmasse aus Sicht Europas an. Der blaue Kreis verdeutlicht das „Zentrum“ Europa, ohne Russland, da letztes einen eigenen von Europa zu unterscheidenden Raum darstellt. Russland ist von seiner Geografie her ein eurasisches Land. Die Trennlinie verläuft zwischen der Ostsee du dem Schwarzen Meer.

[13]                Es sei auf die muslimisch geprägten Albaner und Bosniaken verwiesen.

[14]                Bildquelle: Lohausen, Jordis (1981, S. 125). Mut zur Macht. Denken in Kontinenten. Vowinckel-Verlag, Berg am See

[15]                Karte ist von StepMap mit eigenen Ergänzungen

[16]                Brzeziński, Z. (2017, S. 60). Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft. Kopp Verlag, Rottenburg

[17]                Vgl. dazu Schwarzenberger, D. (2022). Weißrussland oder Belarus – Droht ein zweiter Ukraine-Konflikt? Veröffentlicht auf Gegenstrom – Plattform für Rechte Metapolitik. Verfügbar unter: https://gegenstrom.org/dominik-schwarzenberger-weissrussland-oder-belarus-droht-ein-zweiter-ukraine-konflikt/ (24.07.2022)

[18]                Es handelt sich bei „der Schreckliche“ um einen Übersetzungsfehler, auch wenn diese Bezeichnung gebräuchlich geworden ist. Die deutsche Übersetzung für grosny lautet „furchteinflößend“ oder „streng“, was in Russland des 16. Jh. positiv besetzt war. Auch wird diese Bezeichnung dem Iwan IV. zumindest der ersten Regierungsperiode bis zu dem Tod seiner Frau nicht gerecht. Selbiger stand für ein modernes Reich und begründete das Zarentum in Russland.

[19]                Die Politik der Sammlung russischer Erde wurde zunächst von Iwan III. verfolgt und unter seinem Enkel Iwan dem Schrecklichen verwirklicht. Beide sahen sich als direkte Nachfolger des legendären Rjurik, der der erste Herrscher der Rus gewesen sein soll. Dadurch begründete sich auch das erste große Zarengeschlecht der Rurikiden.

[20]                Diese „Nibelungentreue“ ggü. den USA ist kein Ausdruck von Vasallentum, sondern ernsthafte Geopolitik. US-Amerika bietet den Engländern die Chance, einen Platz neben der Weltmacht einzunehmen. Die Briten sind sehr selbstbewusst und schwelgen in der alten Zeit als größte Seemacht. Die USA konservieren diesen Gedanken quasi.

[21]                Unter Tittytainment verstand der Geostratege Zbigniew Brzeziński die Herrschaft durch Softpower mittels Unterhaltung, bei der niedere Instinkte angeregt und ausgenutzt werden, um die beherrschten Völker unter Kontrolle zu halten. Oft wirkt der amerikanische Lebensstil mit seinem Fast Food und der Pornografie als einhergehend mit dem Tittytainment.