Jedes politische System verfügt über ein eigenes Wertesystem. Dieses äußert sich in den von seinem Kern ausgehenden Systemlinien. Versteht man unter einem politischen System einen Staat, der gemäß der Drei-Elemente-Lehre von Georg Jellinek über ein Staatsvolk, ein Staatsterritorium und eine Staatsgewalt verfügt, so wirkt sich sein Wertesystem unmittelbar auf eben diese drei Elemente aus. Diese Auswirkungen resultieren aus der Prägung der staatsrechtlichen Kernbereiche (bspw. der Rechtsprechung, der Innen- und Sicherheitspolitik sowie der Kultur- und Bevölkerungspolitik) durch das Wertesystem. Staatliche Systeme werden dabei in der Regel auch nicht müde, ihre für sie gültigen Werte immer wieder zu betonen. In der BRD äußert sich dies in der Regel über die Bekundungen der Herrschenden zur Demokratie und den im Grundgesetz verankerten Prinzipien.
Im folgenden Teil soll es vorrangig um den staatlichen Kernbereich der wirtschaftlichen Gestaltung gehen. Dies hat mehrere Gründe. Die Wirtschaft stellt in staatlicher Hinsicht eine Querschnittsdisziplin dar. Sie gehört selbstverständlich zu den staatlichen Kernkompetenzen, wenngleich Sie sich in der heutigen Zeit mehr denn je vom eigentlichen Staate entfernt hat. Diese Tatsache ist bereits ein Indikator für das im heutigen vorherrschenden politischen System gültige Wertesystem. Insgesamt muss festgehalten werden, dass es vermutlich sogar keinen Bereich gibt, in dem sich die Gesinnung eines Staates in wahrnehmbarerer Form ausdrückt als in der Wirtschaft. Dies liegt schlicht und einfach darin begründet, dass jede in einem Staat lebende Person ein Subjekt der Wirtschaft ist.
Diese Feststellung beinhaltet gleich zu Beginn zwei wichtige Aspekte:
- Der Staat ist maßgeblich für die Verfassung der Wirtschaft verantwortlich, unabhängig davon wie eng Staat und Wirtschaft augenscheinlich konstitutionell miteinander verknüpft sind und
- möchte man ein Wirtschaftssystem verändern, so gilt es das politische System mit dem ihm immanenten Wertesystem zu verändern.
Diese beiden Punkte sind untrennbar miteinander verbunden und werden von vielen Akteuren, auch innerhalb des vermeintlich „oppositionellen“ Lagers nicht konsequent vertreten. Vielfach versteifen sich die Lösungsansätze der Opposition in politischen Forderungen die gesamtheitlich betrachtet eher einer Kosmetik dienen. Eine ernsthafte politische Opposition muss jedoch zwei Dinge bieten um eine wirkliche Alternative zum herrschenden System darzustellen:
- Eine Staatsidee, die von einem gemeinhin akzeptierten Wertesystem getragen wird und
- ein darauf aufbauendes, neues Wirtschaftssystem.
Im folgenden Text wird die Lehre des dem politischen System eigenen Wertesystems, welches sich auf die Ökonomie bzw. auf das Handeln der Wirtschaftsteilnehmer überträgt, als „Wirtschaftsethik“ bezeichnet. Diese nimmt im Rahmen der Transformation des globalen Geldkapitalismus hin zu einer raumorientierten Volkswirtschaft eine entscheidende Rolle ein.
Ethik und Wirtschaftsethik
Bemüht man den Duden so bedeutet „Ethik“ bildungssprachlich „die Gesamtheit sittlicher Normen und Maximen, die einer [verantwortungsbewussten] Einstellung zugrunde liegen“.[1] Der Kern der Ethik beschäftigt sich also mit der Frage nach dem richtigen Tun und Handeln bzw. den richtigen Handlungsnormen. Dabei lohnt es sich auch einen Blick auf die Wortherkunft der Ethik zu werfen. Wie direkt ersichtlich ist, wurde das Wort der „Ethik“ in das deutsche Sprachwesen importiert. Ursprünglich stammt es aus dem Griechischen und leitet sich vom altgriechischen Wort „ethos“ her, welches zwei Verwendungsweisen hatte. Die erste bezog sich auf kollektive Gepflogenheiten, die in einer menschlichen Großgruppe gelten und gemeinhin als „Sitte“ oder „Brauch“ bezeichnet werden könnten. Die zweite Verwendungsweise bezog sich hingegen eher auf das Individuum und seine Haltung oder Einstellung und könnte heute eher mit den Begrifflichkeiten „Charakter“ oder „Denkweise“ übersetzt werden. Oftmals werden die Begrifflichkeiten der „Ethik“ und der „Moral“ im deutschen Sprachgebrauch synonym verwendet. Dies ist jedoch nicht ganz zutreffend. Die Ethik dient dabei vielmehr als die Grundlage zur Erschaffung einer allgemeingültigen Moral. Die Moral ist als eine Art Katalog zu verstehen, der sich in bestimmten Verhaltensmustern äußert. Diese Moral, d. h. dieser Verhaltenskatalog kann von bestimmten Einzelmenschen oder menschlichen Gruppen gemäß der eigenen Präferenz, Priorisierung, Kritikalitätsabstufung usw. entsprechend formuliert und praktiziert werden. Die Menschen einer Gesellschaft kommen also im Rahmen des Verhaltenskatalogs zu einer Übereinkunft. Übertragen wir dieses Prinzip auf unser Volk, so kann man auch von Traditionen sprechen. Diese Tradition, d.h. die Übereinkunft oder Moral unterscheidet sich von Volk zu Volk und ist dabei völlig wertfrei. Ein Beispiel: In manchen Völkern reicht man sich zur Begrüßung üblicherweise die Hand. In anderen Völkern gibt man sich jedoch zur Begrüßung ein Küsschen oder verbeugt sich voreinander. Das eine ist nicht besser als das andere sondern lediglich eine verschiedene Interpretation des Verhaltenskatalogs zum Stichpunkt „Begrüßung“. Jedoch ist man sich in allen Völkern einig, dass man sich in einer bestimmten Form begrüßen sollte. Dies ist dann ein Grundsatz der Ethik. Die Ethik beinhaltet ein eindeutiges Werturteil und definiert welche Handlungsweisen in bestimmten Situationen anderen Handlungsweisen gegenüber zu präferieren sind. In unserem Beispiel besagt die Ethik also, dass man im Falle einer Begegnung mit einem anderen Menschen eine Begrüßung pflegt. Die Moral ist dann die Form, wie man sich begrüßt. Die Moral ist also von der Ethik dominiert, da sie sich im Handeln ausdrückt, welches dem Erreichen der gemeinhin als positiv aufgefassten Normen, also der Ethik, dienlich ist. Bei alldem wird bereits deutlich, dass Ethik etwas subjektives ist, da die Bewertung einer „verantwortungsbewussten Einstellung“ einem subjektiven Werturteil unterliegt. Dies führt somit zu der Tatsache, dass eine in einer menschlichen Großgruppe als verantwortungsbewusst, oder – etwas freier übersetzt – positiv wahrgenommene Handlungsnorm in einer anderen Großgruppe auf das genaue Gegenteil in der Auffassung stoßen kann. Der Bereich der Ethik verläuft dabei transversal zu allen Lebensbereichen des menschlichen Daseins und betrifft damit Recht und Gesetzgebung, das Familienleben, die Stellung des Einzelnen zur Gesamtheit, die Politik und natürlich auch die Ökonomie. Zusammengefasst betrifft Sie alle Bereiche die durch menschliches Handeln geprägt sind.
Möchte man also einen aktiven Wandel herbeiführen, der sich im tatsächlichen Handeln widerspiegelt, muss diesem Wandel eine neue Ethik vorausgehen, aus der sich das künftige moralische Handeln ableiten lässt. Hierin liegt der Kern des Gedankens, eine Wirtschaftsethik herauszustellen, die sich an unserem politischen Sittenverständnis orientiert. Das Definieren einer nationalen Wirtschaftsethik führt also letztlich dazu, vorzugeben, wie die Handelsnorm des Wirtschaftens im Vergleich zur momentan gültigen Handelsnorm auszusehen hat und diese dadurch Schritt für Schritt abzulösen bzw. auszutauschen. Der Stellenwert dieser Aufgabe kann also nicht groß genug bemessen werden. Dieser Text soll einen kleinen Beitrag und Anstoß dazu leisten.
Die heutige Wirtschaftsethik
Auf der Internetseite des „Institut der Deutschen Wirtschaft“ in Köln heißt es:
„Die Wirtschaftsethik zeigt Wege auf, wie Konflikte zwischen moralischen Forderungen der Gesellschaft und ökonomischen Erfordernissen der Wirtschaft überwunden werden können.“[2]
Diese Aussage trägt bereits den Kern des heute vorherrschenden Problems in sich und dieses Problem resultiert aus der heute vorherrschenden Wirtschaftsethik. In der vorangestellten Aussage scheinen die gesellschaftlichen Forderungen teilweise konträr zu den wirtschaftlichen Erfordernissen zu stehen. Beides sind also getrennt voneinander zu betrachtende Subjekte, die wie im Rahmen einer Verhandlung gegeneinander abgewogen werden müssen, um dann zu einem gemeinsamen Ergebnis zu gelangen, also der Überwindung des Konfliktes. Die „Wirtschaft“ wird hierbei als etwas für sich alleinstehendes betrachtet. Doch, welchen Sinn hat die Wirtschaft für sich genommen? Versteht man die Wirtschaft als die geordnete Gesamtheit aller Bereiche, welche für die Produktion der zur Befriedigung der menschlichen Lebensbedürfnisse dienenden Güter sorgen, so kann man ihr eine Dienstleisterrolle zusprechen, welche sich einzig und allein an den menschlichen Anforderungen zu orientieren hat. Die Wirtschaft selbst stellt dabei keine Anforderungen, die Menschen definieren ihre Anforderungen und gestalten demgemäß ihre Wirtschaft. Der Wirtschaft kommt bei dieser Betrachtung eine dienende Funktion zu. Genau dieser Punkt scheint jedoch in der heutigen Wirtschaftsethik, welche dem liberal-kapitalistischen Wirtschaftssystem zugrunde liegt, anders zu sein. Vielmehr dient hier der Mensch der Wirtschaft und ihren „Erfordernissen“ welche Sie aufstellt und welche schicksalsgegeben zu sein scheinen. Anders wäre es schließlich nicht möglich, dass die „Wirtschaft“ Erfordernisse aufstellt, da Sie eben naturgemäß menschengemacht ist. Die Wirtschaft und ihre scheinbaren Erfordernisse den Menschen vorzuziehen, ist also ein wesentlicher Charakterzug der vorherrschenden Wirtschaftsethik. Doch welche Erfordernisse weist die Wirtschaft heute auf wenn Sie eben nicht mehr allein dazu dient die materiellen und ideellen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen?
Die Antwort ist schnell gefunden: Der Hauptzweck der heutigen Wirtschaftsordnung, dem Geldkapitalismus, ist die Erzielung von Kapitalrentabilität. Diese Kapitalrentabilität entsteht natürlich zwangsweise nur bei denen, die überhaupt über Kapital verfügen. Die Tatsache, dass sich das Kapital in der heutigen Wirtschaft in den Händen weniger konzentriert ist gemeinhin kein Geheimnis. Wie und warum es dazu kommt, für die meisten Menschen jedoch scheinbar schon. Ansonsten würden Sie diesem irrsinnigen Treiben längst einen Riegel vorschieben. Diese Kapitalrentabilität ist das Grundgesetz des Kapitalismus. Kapitalismus ist Zinswirtschaft, denn Zinsen bedeuten auf der einen Seite Rendite, die jedoch auf der anderen Seite verdient werden muss. Es soll in dieser Abhandlung jedoch weniger auf die ökonomischen Zusammenhänge und Gesetze eingegangen werden, sondern eher auf die Leitlinien die dieser ökonomischen Ausgestaltung zugrunde liegen. Dennoch wird im Weiteren kurz umrissen, wodurch sich diese den Mechanismen des Zinses unterliegende Wirtschaftsordnung auszeichnet.
Kapitalismus ist Zinswirtschaft
Die heutige Wirtschaftsordnung ist extrem zentralistisch und großräumig organisiert. Unternehmen verschmelzen zu unübersichtlichen Konzernkonglomeraten, die sich über den gesamten Erdball erstrecken und nach globalen Absatzmärkten trachten. Generell ist die Wirtschaft durch einen enormen Rationalisierungszwang und stetigen Konkurrenzkampf geprägt, welcher widerherum zu Wachstum und Rationalisierung verpflichtet. Es herrscht ein Verdrängungswettbewerb und kein organischer Aufbau in dem die kleinen Strukturen sinnvoll ineinander greifen. Vielmehr setzen sich naturwidrige Großstrukturen aufgrund ihrer Kapitalstärke durch. Das dabei sämtliche Ressourcen verschließen werden ist offensichtlich. Neben der Ware „Mensch“, welche mittlerweile ebenfalls global verschiebbar geworden ist, erleidet insbesondere die Natur einen beträchtlichen Raubzug. Das dereinst gültige, aus der deutschen Forstwirtschaft stammende Prinzip der Nachhaltigkeit kann aufgrund des ewigen Wachstumszwanges nicht berücksichtigt werden. Die Zinswirtschaft ist somit in allen ihren Ausprägungen unnatürlich. Während sich sein Wesen durch die Zentralisierung auszeichnet, d.h. ein größtmögliches Maß an Einfalt, ist die Natur kleinräumig und vielfältig organisiert. Das menschliche Wesen zeichnet sich durch ein Höchstmaß an Kleinräumigkeit aus. Viele kleine Organismen vervollständigen sich zu einem großen Gesamtwerk, welches in der bisher höchstentwickelten Spezies resultiert, wohingegen die Made, ein äußerst primitives Lebewesen, durch einen einzelnen Organismus geprägt ist, also sehr einfältig gestaltet ist. Dieses Prinzip der sich zu selbststeuernden Mechanismen verknüpfenden Einheiten ist gemeinhin als Evolution bekannt. Das menschliche Gehirn ist ebenfalls kleinräumig strukturiert. Experten formulieren dies gemeinhin als „Steinzeit-Modus“. So sind Menschen in der Regel nicht in der Lage wirklich enge, freundschaftliche Beziehungen zu mehr als 15 Personen zu pflegen. Das bekannten Netzwerk entfernterer Freunde steigt durchschnittlich auf maximal 150 Personen an.[3] Wer auf Facebook 400 Freunde hat, wird in der Realität also aller Voraussicht nach nicht annähernd zu allen eine wirkliche, reelle Beziehung pflegen.
Die zuvor beschriebenen Ausprägungen des Kapitalismus sind selbstverständlich kein Zufall, sondern Zinsverursacht. Das Geld wächst aus sich heraus. Nach seiner selbsttätigen Vermehrung (in der Realität geschieht dies durch Geldschöpfung durch private Bankinstitute) sucht es nach renditebringenden Anlagemöglichkeiten. Da die regionalen und nationalen Grenzen schnell erreicht sind, sucht es nach immer größeren Wirtschafts- und Anlageräumen und zwingt auf der anderen Seite zu immer weiteren Einsparungen, Optimierungen und Konsolidierungen. Der Zins wirkt wie eine krebsähnliche Wucherungszelle, die durch den Zinseszins-Effekt exponentiell wächst. Eine Wachstumskurve die vom menschlichen Gehirn schwer nachvollzogen werden kann. Auf die Wirkungsweise und Krisenimmanenz des Kapitalismus wurde auf dieser Seite bereits mehrfach in deutlicherer Form eingegangen, weshalb an dieser Stelle das Problem des Zinses nicht weiter erläutert wird. Entscheidender ist das ethische Prinzip welches zu diesem Mechanismus geführt hat bzw. ihn bis heute legitimiert. Erscheinungen wie die Freihandelstheorie Ricardos, welche zum Gesetz des niedrigsten Preises sowie globaler Produktion und Arbeitsteilung führt, sind nur das Resultat entsprechender Geisteshaltung, also entsprechender Ethik.
Eigennutz, Fortschritt und Leistungslosigkeit
Folgt man den Vertretern der liberalistischen Schule (bspw. Milton Friedman und den Chicago Boys) so beschwören diese den natürlich im Menschen vorhandenen Eigennutz als die Triebfeder jeglichen Handelns. Dieser Eigennutz führe jedoch im weiteren Verlauf zu einer Hebung der Produktivität die widerherum der Allgemeinheit zugute komme. Dazu kann folgendes gesagt werden: Der Eigennutz ist etwas naturgegebenes, das zunächst einmal weder als positiv noch als negativ zu bewerten ist. Es dient zuvorderst der eigenen Arterhaltung. Was bei den Tieren über den Instinkt geregelt wird, kann beim Menschen über den Verstand, aber auch Emotionen und Gefühle entschieden werden. Gibt man dem Menschen als Leitbild einen völlig auf sich allein gestellten, durchweg egoistisch handelnden Menschen vor, so wird sich der Großteil der Menschen aller Voraussicht nach auch dementsprechend verhalten. Genau dieses Prinzip erkennen wir heute im Kapitalismus (wobei berücksichtigt werden muss mit welcher Marketing-Maschinerie entsprechendes Handelnd heute postuliert wird). Der Eigennutz wird so insgesamt auf gemeinschaftsschädliche Handlungsziele festgelegt. Durch den globalen Handlungsraum wird auch die Hemmschwelle, Entscheidungen zu treffen, die für andere Menschen zu einem (erheblichen) Nachteil führen, immer weiter herabgesetzt. Man erinnere sich: Das menschliche Gehirn ist kleinräumig strukturiert und kann die Auswirkungen von Entscheidungen am anderen Ende der Welt nur sehr geringfügig nachvollziehen bzw. emotional einordnen. Dies würde im Falle einer Entscheidung, die das gesamte Nachbardorf betrifft, aller Voraussicht nach anders verlaufen (bspw. bei der Privatisierung des Trinkwassers). Diese Anschauung auf das menschliche Handeln ist eine zutiefst materialistische Anschauung. Jegliches menschliches Handeln wird hier rein ökonomistisch bewertet. Idealistische Handlungen, die auf das Gemeinwohl zielen, werden nicht beachtet. Dies geht einher mit einer ungebändigten Fortschrittsgläubigkeit, die es nicht erlaubt, sich in einem kontinuierlichen Kreislauf zu bewegen, sondern ausschließlich Pfeilförmig aufwärts zu treiben. Neben diesem erzwungenen Fehlverhalten, nämlich dem fehlgeleiteten Eigennutz, trägt das System der Zinswirtschaft eine weitere ethische Verfehlung in sich.
Es ist das Prinzip des leistungslosen Einkommens. Der Zins führt zu einer mechanischen Umverteilung von Eigentumsverhältnissen. Auf der Seite des Kapitalgebers, dem Kapitalisten, führt er zur Rendite, wohingegen auf der Seite des Kapitalnehmenden, dem Zinsgeber, immer mehr erwirtschaftet werden muss, um neben der Zinslast noch eine eigene Profitabilität zu gewährleisten. Da die Anzahl der Kapitalgebenden die Anzahl der Kapitalnehmenden übersteigt, kommt es zur Akkumulation von Vermögenswerten auf der kleineren Seite. Diese Minderheit ist durch ihr Verleihgeschäft nicht mehr dazu genötigt, selber produktiv Werte zu schöpfen. Sie schöpft nur Geld, welches dann wieder gewinnbringend angelegt werden muss. Doch dem Geld muss ein Gegenwert entspringen, ansonsten ist es nicht mehr wert, als das Papier und die Farbe, die zu seiner Herstellung notwendig waren. Da Geld für sich genommen also keinen Wert darstellt, ist das Geschäft des Kapitalgebers, des Geldverleihers, ein nicht wertschöpfendes Geschäft und daher leistungslos. Das Perfide dabei ist, dass der Großteil der Menschen diese Form des „Wirtschaftens“ heutzutage als erstrebenswert betrachtet. Obwohl Sie diejenigen sind, die gleich dem Hamster im Rad ständig auf der Stelle treten, träumen Sie selbst vom „mühelosen Einkommen“ und dem Gedanken, ihr Geld für Sie „arbeiten“ zu lassen, wie es Ihnen die Reklame ihrer Banken vorschwärmt. Ähnliches Gedankengut offenbart sich auch in der immer breiter geführten Debatte zum „bedingungslosen Grundeinkommen“. Diese Ethik der überhöhten Ich-Sucht bedarf eines Ersatzes.
Eine nationale Wirtschaftsethik – Das Prinzip der raumorientierten Volkswirtschaft
Es ist zuvor bereits einiges darüber geschrieben worden, warum der Kapitalismus naturwidrig ist und welche negativen Folgeerscheinungen er hervorruft. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines Gegenmodells. Dieses findet sich im Prinzip der raumorientierten Volkswirtschaft wieder.
Das Bauernhof-Prinzip: Vom Eigenbedarf über das Gewerbe zum Überschuss
Der Begriff der Ökonomie leitet sich aus dem griechischen „Oikos“ ab, was im antiken Griechenland die Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft repräsentierte, die den Lebensmittelpunkt bildete. Neben dem Begriff der Ökonomie leitet sich auch die Ökologie aus diesem Wortstamme her. Im Zentrum des Oikos stand der Wirtschaftshof, in dem das auf dem Land Erwirtschaftete verarbeitet und für Notzeiten gelagert wurde. Die Wirtschaft des Oikos war so in erster Linie auf Autarkie, also Eigenversorgung aus dem eigenen Anbau, ausgerichtet. Dieser war selbstverständlich räumlich begrenzt und an die Hofbewohner und angebundenen Familien geknüpft. Ökonomie leitet sich also auch wörtlich vom Prinzip des „Haushaltens“ ab, wobei man beim Haushalten eben nur ein bestimmtes Maß an Möglichkeiten vorfindet, d.h. in seinen Ressourcen beschränkt ist. Das „Bauernhof-Prinzip“ greift diesen Gedanken auf und verwandelt ihn in eine grundsätzliche Wirtschaftsauffassung.
Man stelle einen Bauernhof in das Zentrum des menschlichen Lebens, der den gleichzeitigen Ausgangspunkt für das menschliche Wirtschaften darstellt. Eine Herdstätte war gemeinhin immer der Bezugspunkt menschlichen Lebens. Diese Herdstätte sorgt für den Erhalt der Hofbewohner, in dem diese für ihren Eigenbedarf wirtschaften, d.h. Güter erzeugen. Da alle Familien über eine Herdstätte verfügen, kommt es zu einer regionalen Eigenbedarfsdeckung. Mit steigendem Wohlstand steigt auch die Anzahl der Hofbewohner an, sodass nicht mehr genügend Platz auf dem Hof ist und ein Komplementärgewerbe gegründet wird. Hofbewohner ziehen vom Hof und betätigen sich in einem Gewerbe, welches zum Tausch mit dem Hofgewerbe ermöglicht. Der nationale Handelsraum ist begründet. Durch die Zunahme der Produktivität und eine organische Arbeitsteilung wird ein Überschuss erwirtschaftet. Dieser geht an den Händler, welcher befugt ist das über den Eigenbedarf hinaus Erwirtschaftete zu vertreiben. Die Großraumwirtschaft und der Außenhandel sind geboren. Organisch wächst die raumgebundene Wirtschaft vom Bauernhof über die Zuliefererbetriebe zum Absatzhandel von der kleinen zur großen Einheit. Dabei vollzieht sich das Wachstum vertikal und nicht horizontal, d.h. geographisch verläuft es nicht imperialistisch, da es nicht in die Wirtschaftsräume anderer Völker hineinwächst. Es ist ein Leistungsaustausch, der auf dem eigens Erwirtschafteten und Entbehrlichen beruht. Dieses dreistufige Prinzip ist das Prinzip der raumorientierten Volkswirtschaft. An erster Stelle steht die Deckung des Eigenbedarfes. Der ethische Grundsatz ist das Prinzip der Genügsamkeit und das Bewusstsein, dass alles darüber hinaus Erwirtschaftete Luxus ist, dessen Erschaffung stets gewägt werden muss.
Exkurs: Autarkie und Selbstbestimmung gegen das Gesetz des „niedrigsten Preises“
Das Prinzip der Autarkie zielt in erster Hinsicht auf die eigene Sicherheit und Unabhängigkeit der Volkswirtschaft ab. Es ist dabei wichtig hervorzuheben, dass Autarkie nicht mit Isolation gleichzusetzen ist. Die Großraumautarkie besteht nicht darin, sich stur von der Außenwelt abzuschotten, sondern beruht auf dem Prinzip der Kontingentierung. Dies bedeutet, dass der Wirtschaftsraum seine Einfuhren auf Waren beschränkt, die er selbst nicht herstellen oder produzieren kann. Der internationale Handel wird demnach nicht untersagt, sondern mit dem Ziel gedrosselt, die politische Unabhängigkeit zu erreichen und die eigene Volkswirtschaft zu schützen. Sie ist die Grundvoraussetzung für einen Außenhandel auf Augenhöhe. Das Prinzip der globalen Arbeitsteilung auf Basis des „niedrigsten Preises“ lässt den Faktor der Erpressbarkeit und Abhängigkeit (bspw. die Gefahr durch Embargos) vollkommen außer Acht. Zudem wird der vermeintlich „niedrige Preis“ durch externe, negative Faktoren im Nachhinein mehrheitlich teuer bezahlt (bspw. Umweltverschmutzung durch Billigproduktion in Niedriglohnländern). Das Autarkie-Prinzip fördert die menschliche Selbstgenügsamkeit und reduziert den Verbrauch. Sie ist somit nachhaltig.
Die Ethik der Arbeit
Das Prinzip der Eigenherstellung zu vermeintlich höheren Kosten ist streng an den Faktor der Arbeit gekoppelt. Hierin offenbart sich ein weiterer Pfeiler der nationalen Wirtschaftsethik. Mühelos Einkommen zu erhalten ist im System der raumorientierten Volkswirtschaft verpönt. Der Wert des Geldes repräsentiert sich einzig und allein durch den Faktor der Arbeit und damit der Leistung. Das Geld wird seiner Funktion als Ware entbunden und dient ausschließlich als Tauschmittel im Wechsel gegen Leistung. Auf dieser Basis entsteht ein Miteinander, dass die Arbeit als konstituierenden Faktor seines Wesens definiert. Entgegen des Prinzips des ewigen Wettstreites (Jeder gegen Jeden) stellt die neue Ethik den Leitsatz „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ in den Mittelpunkt ihres Handelns. Die Einsicht, dass die Gesamtheit mehr als die Summe ihrer Einzelteile ist, führt dazu den natürlich vorhandenen Egoismus positiv nutzbar zu machen. Natürlich alles unter der Berücksichtigung der menschlichen Fähigkeit zur Kooperation, welche ihm den entscheidenden evolutionären Vorteil gegenüber anderen Spezies bescherte. Ein derartiges Bewusstsein verbietet von sich aus bereits ein Wetten auf Kosten der Zukünftigen, wie es jedes Kreditgeschäft zwangsläufig darstellt und wofür die heutige Wirtschaftsverfassung ein glühendes Beispiel ist. Zudem offenbart diese Ethik eine Geisteshaltung, welche dem materiellen Ansatz den ideellen Ansatz gegenüberstellt. Die Wirtschaft richtet sich an den Erfordernissen ihrer Menschen aus. Zudem dominieren nicht der Preis und Absatzmarkt ihre Geschicke, sondern der Bedarf. Jeder, der schon einmal mit den eigenen Händen etwas geschaffen hat, weiß, dass dies einen unglaublich befriedigenden Moment darstellt, der natürlicherweise zu einer Genügsamkeit führt. Den Kern dieses Aufeinandertreffens von materieller und ideeller Anschauung hat Werner Sombart in seinem Werk „Händler und Helden“ sehr schön herausgearbeitet. Hierin bezieht er sich insbesondere auf den zu damaliger Zeit vorherrschenden Manchester-Kapitalismus des Britischen Empire, welcher einzig und allein auf dem händlerisch-materialistischen Prinzip fußte.
Schlussfolgerung: Die neue Wirtschaftsethik
Dem vorherrschenden politischen System liegt eine Ethik zugrunde, die den Wert der Einzelpersönlichkeit ins Unermessliche erhöht. Aus ihren Normen leitet sich eine Moral her, deren Handeln schlussendlich zum Schaden aller Beteiligten führt. Das (teilweise erzwungene) Profitstreben und die Anschauung der leistungslosen Rendite verlangen auf der anderen Seite einen radikalen Einschnitt, welcher sich in Form von Zwängen, Rationalisierung, permanenten Wettbewerbsdruck, Klassenbildung sowie Natur- und Umweltzerstörung äußert. Das System hat die Vorzeichen so geändert, dass die Menschen der Wirtschaft bzw. denen, die aufgrund ihrer Vermögensverhältnisse die Wirtschaft lenken, zu dienen haben und nicht andersherum. Um diesen Zustand und die mit ihm verbundenen Auswirkungen aufzulösen, bedarf es zunächst einer neuen Wirtschaftsethik, aus der sich moralische Weisen ableiten lassen, die das Gemeinwohl nicht gefährden.
Diese neue Wirtschaftsethik fundiert den Gegenentwurf zur Zinswirtschaft: Den Gegenentwurf der raumorientierten Volkswirtschaft. Basierend auf dem Prinzip des Haushaltens, der Sittsamkeit, der Genügsamkeit und des organischen Wachstums in vertikaler Richtung, garantiert sie den nachhaltigen Aufbau eines an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichteten Wirtschaftssystems. Die Arbeit als einigendes Element aller an der Volkswirtschaft beteiligten Akteure beugt dem Prinzip des mühelosen Einkommens vor. Anstelle eines materialistischen Handelns, welches sich am Gesetz des „niedrigsten Preises“ orientiert inklusive aller negativen Folgeerscheinungen, steht die ideale Haltung des Eigenbedarfs und der Nachhaltigkeit. Regionalismus und eine dezentrale Organisation sichern den organischen Aufbau und fördern ein verantwortungsbewusstes Handeln, welches sich nicht hinter der Anonymität globaler Akteure verstecken kann. Die nationale Wirtschaftsethik stellt den radikalen Gegenentwurf zur gegenwärtigen Wirtschaftsethik und der ihr immanenten unüberbrückbaren Spannung zwischen Mensch und Kapital dar und verfestigt sich in der politischen Forderung nach einer raumorientierten Volkswirtschaft.
Verweise
[1] https://www.duden.de/suchen/dudenonline/ethik
[2] https://www.iwkoeln.de/themen/verhaltensoekonomik-und-wirtschaftsethik/wirtschaftsethik.html
[3] http://rstb.royalsocietypublishing.org/content/367/1599/2192