Die Europäische Union am Scheideweg?

by | 28. Feb. 2017 | Philosophie & Theorie

Auf dem Weg zum imperialen Superstaat oder zum Zerfall?

Vor einigen Wochen sorgte ein Althistoriker mit seiner These über einen bevorstehenden unabwendbaren Bürgerkrieg in Europa für großes Aufsehen. Die gerade in Frankreich und Schweden stattfindenden Ausschreitungen scheinen seine Ansichten auch nicht gerade in Abrede zustellen. So sieht der Brüsseler Geschichtswissenschaftler Prof. David Engels im gegenwärtigen Zustand Europas klare Parallelen zum Verfall der antiken Römischen Republik. Ebenso befürchtet er, dass Europa „in 10 bis 20 Jahren ein autoritärer oder imperialer Staat“ geworden sein wird, ähnlich wie aus der Römischen Republik nach dem Bürgerkrieg ein Prinzipat wurde.[i] Allerdings scheint er dieser Entwicklung auch etwas wohlwollend gegenüber zu treten, wenn dieser europäische Superstaat auch auf europäische Werte bzw. Identität beruhe. Kritisch betrachtet er diesen Aspekt nur, wenn in dem neuen Superstaat die Freiheiten des Einzelnen eingeschränkt werden, wie es in der Kaiserzeit Gang und Gebe war.[ii] Diese Zukunftsvision von einer Neuen Ordnung in unseren Breitengraden ist nicht ganz neu, denn bereits der britische Autor George Orwell beschrieb in seinem Roman „1984“ ein ähnliches Szenario, wonach aus einer desolaten Phase ein autoritärer Superstaat geboren wurde. Dass Orwells Vision Wirklichkeit werden könnte, befürchten nicht wenige EU-Kritiker.[iii] Es ist auch nicht zu bestreiten, dass der Entnationalisierungsprozess Staatsräson in der EU-Politik ist. Immer häufiger sollen Kompetenzen und Entscheidungen über die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten an die Brüsseler EU-Regierung übertragen werden.[iv] Nur befinden wir uns wirklich in der Phase, die in einen imperialen Superstaat mündet, wie Engels beschreibt, oder befinden wir uns nicht eher in der Zeit der „Römischen Dekadenz“ der Kaiserzeit, was letztendlich mitunter zum Untergang des Imperium führte? Im nachfolgenden Artikel soll darüber debattiert werden. Gehen wir erst einmal näher auf einige wesentliche Parallelen der späten Römischen Republik ein und vergleichen diese anschließend mit der gegenwärtigen Situation in Europa.

Merkmale für den Untergang der Römischen Republik

  1. Arbeitslosigkeit war in der Römischen Republik des Verfalls tatsächlich ein enormes Problem, das durch die billigeren Arbeitssklaven ausgelöst wurde. Viele Bauern verloren hierdurch ihre Arbeit. Reformationsversuche, wie das licinische Gesetz, sollten dem Bauern den Erwerb von eigenem Land ermöglichen, was allerdings wiederum eine Gegnerschaft aus dem Adelsstand auf dem Plan rief.[v]
  2. Auch ein Verfall der Religion wurde in der späten Römischen Republik eingeläutet, welcher durch neue, aus aller Welt einströmende Ideen hervorgerufen wurde, wie beispielsweise aus dem Orient.[vi]
  3. Eine Polarisierung zwischen den Parteien Optimaten und Populären wuchs ins Immense, da hat Engels nicht Unrecht. So vertraten die Optimalen die Interessen der Adligen und die Populären das Volk. Die Kluft zwischen Volk und Adligen riss immer weiter auf. Beispielsweise wurden unter Sulla die Volkstribune (Anwälte des Volkes) entrichtet.
  4. Auch die Zerstörung der Familie war ein Resultat der späten Römischen Republik, welche durch Verschwendung, Luxus und Disziplinlosigkeit ausgelöst wurde.
  5. Individualismus war, laut Engels, ebenfalls ein Missstand, der zur Krise der Römischen Republik führte. Die römische Nobilis (Adel) stand oft unter dem Druck, Ruhm und Anerkennung in der Öffentlichkeit zu gewinnen. Natürlich gelang es am meisten, wenn sie hohe politische Ämter im Senat bekleideten und herausragende Leistungen vollbrachten. In pompösen Triumphparaden oder sonstigen Inszenierungen, wie Gladiatorenkämpfe oder Bauten, konnten sich Adlige bzw. Senatoren dann als Helden und Götter feiern, um sich einen Platz bei den Ahnen zu sichern. Derartige Selbstdarstellungen liefen in der späten Römischen Republik extrem aus dem Ruder.[vii] Viele dieser Selbstdarstellungen wurden auch aus dem Staatshaushalt finanziert. Zudem war zur Zeit der späten Römischen Republik das Luxusleben aus dem Orient bei der Oberschicht sehr begehrt.[viii]
  6. Kriminalität wurde gerade nach der Expansion des Römischen Reiches ein Problem in der Republik. So war es schwer, die Provinzen zentral zu kontrollieren, weshalb einzelne Statthalter für die Provinzialverwaltung eingesetzt wurden. Dieser Umstand öffnete der Kriminalität Tür und Tore, denn die Möglichkeit zur Ausbeutung der Untertanen war für viele Promagistrate eine große Versuchung, so dass es zu einer gefährlichen Zunahme der Korruption kam. Bald wurde es nämlich üblich, dass Kandidaten für die wichtigsten Staatsämter sich im Wahlkampf schwer verschuldeten in der sicheren Erwartung, dass die Verwaltung der Provinz die Spesen später gut verzinst wieder einbringen würde. Außerdem waren Beamte in der späten Römischen Republik sehr bestechlich. Ganz besonders betrieb beispielsweise der sizilianische Statthalter C. Verres die Korruption in Sizilien, indem er sich für die Verleihung von Beamtenstellen in den Städten bezahlen ließ und schädigte Hafenpächter, indem er Hafenzölle hinterzog.

Parallelen der späten Römischen Republik zur EU

In der Tat weisen die obig aufgezählten Punkte Parallelen zum aktuellen Zustand innerhalb der EU auf.

  1. Arbeitslosigkeit ist natürlich ebenso in der Europäischen Union ein zentrales Problem, welches, wie in der spätrömischen Republik, mitunter durch Arbeitsmigration hervorgerufen wurde. Selbstverständlich handelt es sich heutzutage nicht mehr um Sklaven, die die Arbeit zum Nulltarif verrichten, dennoch wird in vieler Hinsicht Arbeit an Billiglöhner aus dem Ausland vergeben, was die Arbeitslosigkeit bei Einheimischen enorm ansteigen lässt.[ix]
  2. Ebenso ist in Europa ein Verfall der christlich-abendländischen Religion zu verzeichnen. Längst hat die Kirche eine Austrittwelle apokalyptischem Ausmaßes erfahren. Das liegt eben auch daran, dass, egal ob Katholiken oder Protestanten, sich immer mehr von ihren eigenen Werten entfernen. Dieser Zustand geht natürlich auch mit äußeren Einflüssen einher, die gerade durch Masseneinwanderungen aus Nahost und Nordafrika ausgelöst werden, wie auch schon in der spätrömischen Republik.[x]
  3. Die Polarisierung zwischen Parteien des Establishment und „populistischen“ Parteien, wie AfD, France National oder FPÖ, ist ebenfalls in der EU ein Zeichen der Instabilität, denn die europäischen Regierungen scheinen die Bedürfnisse des gemeinen Volkes nicht oder nur wenig zu würdigen. Stattdessen wird Politik nur den Maßstäben des Establishment bzw. einzelner Lobbygruppen angepasst. Dies führt natürlich dazu, dass sog. populistische Parteien Aufwind bekommen, was wiederum zu einer Zerrissenheit im Land führt.
  4. Auch in der EU findet ein Zerfall der Familien statt. Genderideologie, Individualismus in Form von Selbstverwirklichung bzw. Karrierewahn und Gleichheitswahn führen zum Zerfall von klassischen Familien. Der Familienzerfall ist offenbar der Preis des individuellen Wohlstands bzw. des Luxus. Somit kann die kulturelle Revolution des späten 20. Jahrhunderts bedauerlicherweise als der Triumph des Individuums über die Gemeinschaft betrachtet werden.[xi]
  5. Der 4. Punkt tangiert natürlich auch gleich den 5. Punkt, nämlich Individualismus. Wie im alten Rom versuchen sich auch heute einflussreiche Politiker hervorzutun, indem sie sich gern in Szene setzen, wie beispielsweise die Amtszeit des ehemaligen Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit verdeutlicht.[xii] Ob das Volk von solchen Selbstinszenierungen wirklich profitiert, scheint dabei eher nebensächlich zu sein. Hauptsache ist doch, dass diese Politiker irgendwie in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden.
  6. Der individuelle Drang nach Wohlstand und Luxus fördert natürlich auch die Korruption bei Politikern der Gegenwart. Nur allzu oft sind der Presse Meldungen über Politikern zu vernehmen, die sich entweder der Vorteilsnahme oder der Bestechlichkeit verdächtig gemacht haben.[xiii] Dieses Verhalten vermeintlicher Vorbilder führt meist auch dazu, dass Mitglieder der einfachen Bevölkerung der Versuchung nicht mehr wiederstehen können, sich kriminell zu bereichern.

Schlussbetrachtung zur These Engels

Wie obig bereits erwähnt, ist Engels aufgrund dieser Missstände, die zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen werden, zu der Ansicht gelangt, dass der drohende Untergang der EU nur noch durch einen geeinten Superstaat verhindert werden könne, ähnlich, wie das Römische Reich. Nur vergisst er, dass gerade seine aufgeführten Parallelen, wie Individualismus und Zerfall der Familien, zugleich auch zum Untergang des Römischen Imperium führten, was als die „spätrömische Dekadenz“ in die Geschichte einging.[xiv] Durch die Zerstörung der Familie, die auch das Imperium nicht verhindern konnte, hatten die Römer den einfallenden Germanen nichts entgegenzusetzen.[xv] Zudem wurde das Kaiserreich ebenso von Bürgerkriegen heimgesucht. Viele Geschichtswissenschaftler sehen das Fundament für den endgültigen Untergang des Römischen Reiches gar bereits in der Zeit der späten Römischen Republik des 2. u. 1. Jahrhunderts v. unserer Zeitrechnung gelegt. Das grundlegende Problem, was zu all jenen Missständen führte, war dabei die übermäßige territoriale Ausdehnung des Römischen Reiches[xvi], womit die Kontrolle über das riesige Reich aus den Händen der Machthaber entglitten ist. Zuviel fremde Einflüsse strömten somit ins Land. Das wäre hinsichtlich der EU als Superstaat nicht anders. Zudem konterkariert Engels im Zusammenhang mit Superstaaten separatistische Tendenzen, die oft in multiethnischen Superstaaten von einzelnen Bevölkerungsgruppen aufbegehren. Man bedenke hierbei nur den Zusammenbruch der UdSSR oder gar kleinerer Staaten mit einer multiethnischen Bevölkerung, wie der ehemaligen Tschechoslowakei. Selbst „charismatische“ Präsidenten können solche Bestrebungen nach Partikularität nicht verhindern, wie Spanien mit den Basken und Katalanen, Italien mit Venetien[xvii] und Großbritannien mit Schottland verdeutlichen. Solche Abspaltungstendenzen existieren sogar in Engels erwähnten Musterbeispielen, wie der USA. Schon lange träumen mexikanische Einwanderer von der Errichtung des einstigen Großreiches der Azteken, Azatlan, im Süden der USA.[xviii] Solche sezessionistischen Bewegungen gab es indes ebenso bereits im späten Römischen Kaiserreich.[xix] Wenn man also so will, war der Übergang der Römischen Republik ins Prinzipat allenfalls ein Aufschub des drohenden Untergangs, so wie ein EU-Superstaat höchstens einen Aufschub für dessen bereits besiegelten Untergang bedeuten würde. Große multiethnische Superstaaten sind schon immer langfristig an der ethnischen Verschiedenheit seiner Bewohner zerbrochen. Somit wäre nur eine Reconquista auf ein „Europa der Vaterländer“ die vernünftigere Lösung, denn in multiethnischen Superstaaten ist es einer Regierung nahezu unmöglich, auf die Bedürfnisse und Rechte jeder einzelnen Ethnie gleichermaßen einzugehen! Ein wesentliches Beispiel stellen die schwierigen Verhältnisse in der ersten deutschen Universität in Prag dar, welche den Grundstein für die ethnischen Zerwürfnisse zwischen Deutschen und Tschechen (Hussiten) legte.[xx]    

    

 

[i] Vgl. S. Klaiber (02.02.2017), Historiker David Engels: „Wir haben keine Chance, einen Bürgerkrieg zu vermeiden“, in:  http://www.huffingtonpost.de/2017/02/01/david-engels-buergerkrieg_n_14546506.html (Abgerufen am 16.02.2017).

[ii] Vgl. ebd.

[iii] Vgl. G. Orwell, 1984, Stuttgart/München 1950, S. 238; Alkos2309 (06.01.2015), Auf dem Weg ins Imperium. Die Krise der EU und der Untergang der römischen Republik, in: http://www.pravda-tv.com/2015/01/auf-dem-weg-ins-imperium-die-krise-der-eu-und-der-untergang-der-roemischen-republik/ (17.02.2017); Orwell-Staat (23.10.2008), NWO, in: http://www.orwell-staat.de/wp/?page_id=1496 (17.02.2017).

[iv] Vgl. G. Wisnewski (28.06.2016), in: Geheimpapier enthüllt Putsch von oben: Merkel und Hollande wollen europäischen Superstaat, in: http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/gerhard-wisnewski/geheimpapier-enthuellt-putsch-von-oben-merkel-und-hollande-wollen-europaeischen-superstaat.html (Abgerufen am 17.02.2017); G. Gnauck (28.05.2016), Polens Außenminister: „Die EU soll nicht versuchen, ein Superstaat zu werden“, in: https://www.welt.de/politik/ausland/article155766643/Die-EU-soll-nicht-versuchen-ein-Superstaat-zu-werden.html (Abgerufen am 17.02.2017).

[v] Vgl. Nack/Wägner, Rom. Land und Volk der alten Römer, Wien 1976, S. 100.

[vi] Vgl. a.a.O., S. 101;

[vii] Vgl. J. Keller, Römische Interessengeschichte.  Eine Studie zu Interessenvertretung,  Interessenkonflikten und Konfliktlösung in der römischen Republik des 2. Jahrhunderts v. Chr., Diss., München 2004, S. 5 u. 167.

[viii] Vgl. a.a.O., S. 167.

[ix] Vgl. B. Kaiser, Revolution? Was uns Slavoj Žižek zu sagen hat, in NO, 1/2016, S. 26-30, 27.

[x] Vgl. M. Wild (o. D.), Verfall der evangelischen Kirche Deutschlands, in https://buergerstimme.com/Design2/category/themenundhintergruende/kirche-und-religion/%3Fprint%3Dpdf-search&ved=0ahUKEwiVw_KxrZjSAhWhHsAKHQCbDlcQFggqMAQ&usg=AFQjCNHdb409tAYkIMT8XkyE4Se4leTtfA (17.02.2017); M. Winckler (12.11.2014), Der Islam, in: https://www.michaelwinkler.de/Pranger/121114.html (17.02.2017).

[xi] Vgl. Dfuiz (o. D.), Die Familie und ihre Zerstörer. Was schief läuft und was anders werde muß – Eine längst überfällige Debatte, in: http://de.dfuiz.net/loesungsansaetze/zukunft-der-familie/ (Abgerufen am 17.02.2017).

[xii] Vgl. M. Schlieben (14.08.2012), Klaus Wowereit. Zwischen Party-Bürgermeister und Menschenversteher, in: http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/klaus-wowereit-zwischen-party-buergermeister-und-menschenversteher-seite-2/4468988-2.html (Abgerufen am 17.02.2017); Handelsblatt (10.06.2011), Berlins Bürgermeister. Wie Wowereit zum Partymeister wurde, in:  http://www.handelsblatt.com/panorama/reise-leben/berlins-buergermeister-wie-wowereit-zum-partymeister-wurde/4274164.html (17.02.2017).

[xiii] Vgl. L. Altmeier u. a. (08.08.2012),  Korruption. Abgeordnete bestechen leicht gemacht, in: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-08/korruption-deutschland-abgeordnete (17.02.2017).

[xiv] Vgl. Alkos2309 (06.01.2015), Auf dem Weg ins Imperium. Die Krise der EU und der Untergang der römischen Republik, in: http://www.pravda-tv.com/2015/01/auf-dem-weg-ins-imperium-die-krise-der-eu-und-der-untergang-der-roemischen-republik/ (17.02.2017).

[xv] Vgl. B. Rill, arum ist Rom gefallen? Ursachen und Anlass des Untergangs des Römischen Reiches, in: Deutsche Geschichte I, 2017, S. 29-40, 40.

[xvi] Vgl. Rill, S. 31 f.

[xvii] Vgl. Hogapage (12.12.2016), Venetien will unabhängig werden, in: https://today.hogapage.de/2016/12/12/venetien-will-unabhaengig-von-italien-werden/ (Abgerufen am 17.02.2017).

[xviii] Vgl. P. J. Buchanan, Der Tod des Westens, Selent 2002, Kapitel 1 u. 6.

[xix] Vgl. K. Wickler (18.09.2012), Theorien über den Untergang des Römischen Imperiums, in: http://geschichte-wissen.de/blog/theorien-ueber-den-untergang-des-roemischen-imperiums/ (17.02.2017).

[xx] Vgl. A. Lose (02.06.2015), 70 Jahre „Brünner Todesmarsch“, in: http://www.derfflinger.de/kategorien/70-jahre-%E2%80%9Ebr%C3%BCnner-todesmarsch%E2%80%9C.html (Abgerufen am 22.02.2017).