Cristián Barros: Geister in der Maschine

by | 13. Jan. 2022 | Debate, Philosophie & Theorie

Im folgenden Artikel befasst sich der Autor Cristián Barros mit dem Transhumanismus, seinen Ursprüngen und insbesondere der damit zwangsläufigen Entmenschlichung des Menschen, der mit all seinen Makeln und Mängeln, in der Betrachtung der Konstrukteure des Transhumanismus, überwunden gehört. Der Mensch der zur Maschine wird, den Tod scheinbar überwindet, dadurch aber in unendlicher Einsamkeit weilt und jegliche Lebenswürde verliert.

Übersetzt von Alexander Markovics

 

Zum Autor:

Cristián Barros, Jahrgang 1975, ist ein Romanautor und Essayist, der bisher sechs Bücher veröffentlicht hat. Er lehrt an der University of Development in Chile und arbeitet ebenso als internationaler Berater für die Nagaoka University of Technology in Japan. Darüber hinaus ist er Umweltaktivist in Patagonien. Barros Romane erforschen die politische Gewalt und die Erinnerung an unwirtliche Landschaften. Seine Prosa ist sowohl ironisch als auch elegisch und verfügt über einen Sinn für kosmisches Bewusstsein und Schicksalsergebenheit. Sein literarisches Werk enthüllt die Tragödie der Geschichte eines Dichterlebens in Burma vor dem Zweiten Weltkrieg und eine shakespearsche Verschwörung die im London der Aufklärung stattfindet. Barros ist ebenso den erzählerischen Traditionen der südamerikanischen Indianer aufs Tiefste verbunden.

 

„Der Transhumanismus ist eine Schule der Lebensphilosophie, die danach strebt, die Fortsetzung und Beschleunigung der Evolution des intelligenten Lebens über seine gegenwärtige menschliche Form und menschlichen Grenzen hinweg mit Mitteln der Technologie und Wissenschaft, angeleitet durch das Leben befördernde Prinzipien und Werte, zu bewerkstelligen.“ (Max Moore)

 

„Bist du ein Transhumanist?“

Eine der typischen Perversionen des Menschen liegt darin, die Dinge zu vermenschlichen und lebende Wesen zu verdinglichen. Tatsächlich sind wir große Fetischisten. Letzten Endes besteht ein großer Teil der Kultur aus einem Symbolisierungsprozess, der in beide Richtungen verläuft: Das Subjekt wird zum Objekt und umgekehrt. Wir statten physische Phänomene mit Animation und Willen aus, folglich vergöttlichen wir den Regen und den Donner, während wir gefühlvolle Personen ihrer moralischen Attribute berauben: Der Sklave wird zum Ding, die Arbeit zur Ware, der Fötus zum Abfall, der Sex zum überall verfügbaren Konsumgut. Indem wir diesem alten Paradoxon folgen, geben wir zu, dass die Maschinen die Monster sind, die wir hervorgebracht und verhätschelt haben, deren Unbewusstsein uns stört und schockiert: Wir wünschen uns, dass Gegenstände in unserem Haushalt denken und über unsere privaten Angelegenheiten und Träume sprechen würden – was sie gegenwärtig auch tun. Von Pygmalions[1] sprechender Frauenstatue über Amazons‘ Alexa und Siri im iPhone nähert sich der Mensch auf gefährliche Weise der Möglichkeit des spirituellen Inzest zwischen Schöpfer und Schöpfung, Hersteller und Zeug. Diese infantile, narzisstische Vernarrtheit wird immer als fortschrittlich und emanzipatorisch dargestellt, aber die postmoderne, suizidale Einsamkeit widerlegt diese naive Vorstellung. Die Lust reift und sublimiert sich nur dann selbst, wenn sie nach dem sucht, was herausfordernd anders – und damit komplementär ist. Liebe, insbesondere sexuelle Liebe, besteht in der Liebe für das Andere, genauer gesagt, die menschliche Andersheit. Der Historiker Hal Foster[2] erforschte das Thema der Sexualisierung der Maschine in seinem herausragenden Buch Compulsive Beauty (1995), worin er zum Teil über den Künstler Hans Bellmer[3] schrieb, einem Epigonen des Surrealismus in Deutschland. Wie wir wissen, stellte die Zwischenkriegszeit die Bühne dar, auf dem sich die Krise der bourgeoisen Empfindsamkeit und als solcher ein kritischer Augenblick für die Abenteurer der Avantgarde abspielte. Bellmers Weg, welcher auf dem halben Weg zwischen glamourösen Orthopäden und nachempfundener Pädophilie zu verorten ist, scheint eine weitere Metastase der Krise des liberalen Bewusstseins darzustellen. Mit besonderer Detailliebe beschreibt Hal Foster Bellmers photographisches Experiment mit verstümmelten und chaotisch angeordneten Puppen mit dem Titel Die Puppe (1934), als ein faszinierendes Symptom der ästhetischen Malaise im Angesicht des Zeitalters der Technik. Bezeichnenderweise verortet Foster Freuds Abhandlung Das Unheimliche (1919) als das kulturelle Hintergrundrauschen, welches Bellmers sadistischer und infantiler Phantasie Sinn gibt. Dieser Hinweis ist genauso interessant wie offensichtlich, da die Mandarine des Surrealismus bewusst danach strebten, das poetische Schaffen durch Freuds Psychoanalyse zu bereichern, dessen Couchtherapie verbarg den Schrecken des Wiener Gelehrten vor seinem eigenen, ihn selbst missbrauchenden, Vater. Jedenfalls wandelte Freud den Inzesttrieb in einen Maschinentrieb um, als einem Objekt wollüstiger Identifikation. Ins rechte Licht gerückt ist nichts davon heute besonders originell, wenn wir die fetischistische, tautologische und libidinale Dimension des konsumistischen Kapitalismus miteinbeziehen. Die gegenwärtige Originalität des Transhumanismus, wie wir weiter unten diskutieren werden, besteht nicht darin, uns dazu zu bringen die Maschine und das Ding zu lieben und zu sakralisieren – eine Besessenheit, die bereits sowohl im „Ring“ der Nibelungen als auch im „Sampo“ der Kalevala sowie in den melanesischen Kulten um Frachtladungen dargestellt wurden – sondern darum, uns dazu zu verführen, selbst zur Maschine zu werden.

 

Der Automat der Aufklärung

Monsieur Le Mettrie wurde Opfer eines schlimmen Tods, er erlag einer Magenverstimmung, die durch den übermäßigen Konsum von Adlerpastete mit Trüffeln verursacht wurde. Der rücksichtslose und exzessive Fresser war zu diesem Zeitpunkt (1751) eine Berühmtheit in den Philosophensalons, seitdem er die radikalste und materialistischste Version des Cartesianismus formuliert hatte. Als Autor des berühmten wie polemischen Pamphlets Die Maschine Mensch (1748), war er von den Jansenisten[4] zum Arzt ausgebildet worden und dennoch unfähig dazu, sich selbst zu heilen, erlag er einem zutiefst ironischen Todeskampf. Sein Materialismus, den er bis zum kulinarischen Exzess durchlebte, hatte ihm im Alter von 41 Jahren ein frühzeitiges Ende bereitet. La Mettries‘ Ideen waren jedoch nicht neu. Tatsächlich handelte es sich bei ihnen um eine dreiste Vereinfachung der mechanistischen Postulate von Descartes, der in einem strategischen Schachzug die menschliche Seele auf die geheimen Arbeiten der Zirbeldrüse verwiesen hatte. Man darf nicht vergessen, dass Descartes ein wagemutiger Anatom mit Pioniergeist war, eine Art Frankenstein avant-le-lettre. Man kann sich Descartes gut vorstellen, im selbst gewählten Exil in protestantischen Landen, wie er sich in Amsterdams Metzgerquartier, der Kalverstraat, herumtreibt, der direkten Nachbarschaft, in der das französische Genie um 1630 herum residierte. Er war wahrscheinlich auf der Suche nach Leichen zum Sezieren, wenn er sich nicht direkt am Fuße des Schafotts erlangen konnte. Wenn aber die praktische Anatomie einen entscheidenden Einfluss auf das entstehende mechanische Modell des Cartesianismus hatte, traf dasselbe auch auf die prachtvolle Mode der Automaten zu. Natürlich stellen die Beziehung zwischen der hohen Qualifizierung der Industrie Frankreichs, während des Jahrhunderts Ludwig XVI. – von mechanischen Spielzeugen für die Reichen bis hin zu ernsthaften Innovationen in den Manufakturen – und ihre einhergehenden Echos in Descartes‘ Spekulationen, bereits ein altehrwürdiges Forschungsgebiet dar, das vielleicht von Georges Canguilhems‘[5] Artikel Descartes et la téchnique (1937) begründet wurde. Es geht das Gerücht um, dass Descartes, nach dem Tod seiner illegitimen fünfjährigen Tochter, die Trauer um sein Kind nur dadurch überkam, indem er eine mechanische Puppe konstruierte, die der Verblichenen bis aufs Haar glich, und dabei so eine große Liebe zu dem Automaten entwickelte, dass er ihn als „meine Tochter Francine“ bezeichnete. Ihre amouröse Liaison brachte ihn dazu, sie auf eine Schiffsfahrt übers Meer mitzunehmen. Der Kapitän des Schiffs, gebannt vom exzentrischen Gepäck seines Passagiers, brachte es fertig, Descartes Kabine zu betreten und die Truhe des Passagiers zu öffnen. Er war entsetzt darüber herauszufinden, dass das künstliche Mädchen sich erhob und sich von einem inneren Uhrwerk angetrieben bewegte. Erschreckt warf er es ins Meer. Descartes, der berüchtigt für seine schlechte Laune war, tötete daraufhin den Kapitän und warf ihn über Bord – ein Ende voller offensichtlich poetischer Gerechtigkeit. Diese Charakterskizze ist wahrscheinlich unecht, unter Umständen handelt es sich dabei um ein niederträchtiges Stück Propaganda. Nichtsdestotrotz vermittelt diese mörderische Anekdote eindringlich die moralischen Spannungen innerhalb des cartesianischen Programms, welches von der transhumanistischen Lobby fortgesetzt und banalisiert wurde.

 

Ewiger Mechanismus

Das Fleisch stirbt, die Maschine dauert fort. Die Phantasie, zu einer Maschine zu werden, ein Automat, ein Android, rehabilitiert das alte Versprechen der Ewigkeit. Wenn also mechanisierte Liebe inzestuös und zirkulär ist, übersteigt sie folglich auch die Grenze des menschlichen Tods. Die metallischen Körper futuristischer Unsterblichkeit erheben sich vor uns von Fritz Langs‘ Metropolis, über den Terminator bis hin zu Robocop. Offenbar hat die moderne Säkularisierung unsere Ängste vor dem Leben nach dem Tod gelöscht. Der Tod Gottes hat schlussendlich in der religiösen Mystifizierung der Technologie geendet. Dementsprechend ist die Maschine eher asexuell oder post-sexuell. Daraus ergibt sich die Figur des Androgynen, dessen hybride und neutrale Natur, ewig jugendlich, die uns vor dem unaufhaltsamen Prozess des Verfalls aller biologischen Existenz bewahrt. Androgyn, aber auch ein Engel: Die Verneinung des biologischen Geschlechts durch seine eigene Sättigung verweist auf einen höheren Zustand, einen glückseligen Horizont, wie ihn Mircea Eliade[6] in seinem Werk Mephistopheles and the Androgyne (1965) formulierte. In der Tat hat das gegenwärtige Phänomen der Transsexualität sehr wenig mit sexuellen Sitten und Moden zu tun, sondern vielmehr mit religiösen Strömungen. Das Paradies der Technologie wird auch zum Garten der ewigen Einsamkeit werden, unser Rückzug in eine klinische und spiegelnde Erotik. Japanische Jugendliche sind unsere Außenposten in der Wüste der elektronischen Simulacra. Wie Marx sagte: De te fabula narratur[7]. Willst du nicht sterben? Die Transhumanistenindustrie bietet interessante Alternativen an. Kryogenese: dich in eine arktische Mumie verwandeln. Oder Selbstklonung: Werde zu deinem eigenen rekursiven Adam. Als ob das noch nicht genug wäre, bleibt noch die erhabene Möglichkeit der Wiederverwertung deiner Daten in sozialen Netzwerken und die Erschaffung eines Algorithmus aus diesem Magma, der genauso denkt wie du, obgleich in einer körperlosen und spektralen Weise. Darauf folgt das Bestiarium der Prothesen, mit welchen der transhumanistische Basar beabsichtigt uns zu umschmeicheln, orthopädische Spielzeuge, um die uns Ambroise Paré beneiden würde: Mitschwingende Antennen, die an den Schädel angeschweißt sind, Schließmuskeln aus Kunststoff mit einer neuronalen Schnittstelle, um neue Genüsse zu empfangen, Kontaktlinsen, um virtuelle Realitäten von kosmetischer Ekstase sehen zu können…

 

Die eugenischen und sozialdarwinistischen Bestrebungen der 1920er Jahre teilten auch die perfektionistische Hingabe des Transhumanismus der 2020er Jahre. Der Vergleich zwischen diesen zwei historischen Momenten ist zwingend. Im Fall der Eugenik, die sowohl von den USA als auch den UdSSR praktiziert wurde, ging es nur um Demographie- und Gesundheitspolitikansätze, die vom Staat umgesetzt wurden. Im Gegensatz dazu verwehrt sich der Transhumanismus autoritären und staatsabhängigen Verlockungen. Stattdessen vertraut der Transhumanismus zutiefst der Demokratie des Marktes: Du bekommst, was du bezahlst. Er stellt den letzten Krampf des „Start-Up Selbst“ dar, den Höhepunkt des „unternehmerischen Egos“. Die Geschichte schätzt den Sarkasmus: Die neuen Eugeniken blühen dank der Tattoostudios, in denen die Kunden zahlen, um angepasst, mit einer Marke versehen und zu Waren gemacht zu werden. Natürlich ist die Überschneidung zwischen Neoliberalismus und Transhumanismus bedeutender als bloß epochal und den Umständen entsprechend.

[1]Gestalt aus der griechischen Antike, welche ursprünglich Frauenhasser ist und sich in eine von ihr erschaffene Frauenstatue verliebt, die von der Göttin Venus auf flehende Bitten hin zum Leben erweckt wird. Pygmalion (deutsch: Faust) zeugte mit ihr eine Tochter namens Paphos, die der Sage nach zur Namensgeberin der gleichnamigen griechischen Stadt wurde. Die berühmteste Fassung dieses Mythos, die als Beleg für den zypriotischen Aphroditekult gelten soll, finden wir in den Metamorphosen Ovids.

[2]Hal Foster (*1955) US-amerikanischer Kunsthistoriker, Publizist und Kunstkritiker. Lehrstuhlinhaber für Kunstgeschichte und Archäologie an der Princeton University in New Jersey.

[3]Hans Bellmer (1902 – 1975) war ein deutscher Photograph, Maler, Bildhauer und Autor, welcher der Strömung des Phantastischen Realismus zuzuordnen ist.

[4]Besonders in Frankreich verbreitete Bewegung der katholischen Kirche im 17. und 18. Jhdt., die sich auf die Gnadenlehre des Heiligen Augustinius berief und als Häresie verfolgt wurde. Laut ihr hat der in Sünde gefallene Mensch keinen Einfluss seine Erlösung und ist der göttlichen Gnade vollkommen ausgeliefert. Sie rief zu wahrer Buße, einer rigorosen Moral und einem einfachen Leben auf.

[5]Georges Canguilhem (1904 – 1995) französischer Arzt, Philosoph, Epistemologe und Dozent am Collège du France.

[6]Mircea Eliade (1907 – 1986) rumänischer Religionswissenschaftler, traditionalistischer Philosoph und Schriftsteller.

[7]Diese Geschichte wird über dich erzählt.