Nach seiner Artikelreihe „Grundgedanken zur Energiepolitik“, widmet sich unser Autor Ernst Rahn, dem jüngsten Buch von Claudia Kemfert, welche in den etablierten Medien und öffentlich-rechtlichen Kanälen bevorzugt als die richtungsweisende Koryphäe in energiepolitischen Fragen angeführt und zitiert wird. Rahn klopft die Arbeit Kemferts sowohl auf Inhalt und Wissenschaftlichkeit, aber vor allem dem Aufzeigen eines konkreten Gegenentwurfes ab. Auch die Frage um Kompetenz in angrenzenden Themenfeldern, wird aufgegriffen. Sein Gesamtfazit zu „Schockwellen“, fällt recht ernüchternd aus.
„Die Lage ist verdammt ernst, aber nicht aussichtslos“ gibt Claudia Kemfert in ihrem neuesten Buch „Schockwellen – Letzte Chance für sichere Energie und Frieden“ zu bedenken. Sie bezieht sich damit auf zwei für sie wesentliche Probleme. Erstens, die internationale Sicherheitslage, die nach ihr durch die Verteilung globaler fossiler Energieträger ins Wanken geraten ist und künftig noch stärker gefährdet sein könnte. Zweitens, wie üblich in etablierten Kreisen, die „Rettung des Klimas“, für die kaum noch Zeit bleibe. In diesem Artikel wird auf einige Kerninhalte des Buches eingegangen[1].
Prof. Dr. Claudia Kemfert wurde 1968 in Delmenhorst geboren. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften in Bielefeld und Oldenburg und promovierte schließlich 1998. Aktuell ist sie Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und bekleidet die Professur für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität Lüneburg. Gleich im ersten Satz in ihrer Kurzvorstellung im Buch wird sie als „wichtigste“ deutsche Wissenschaftlerin für Energie- und Klimaökonomie bezeichnet.
Ihr neues Werk „Schockwellen“ will vor allem aufrütteln, Hintergründe der Energiepolitik aufzeigen und besonders zwei Dinge sehr deutlich machen: „Ich / Wir haben euch das schon immer gesagt“ und „Wir müssen jetzt schnell handeln“. Im gesamten Buch zeigt Kemfert immer wieder Stationen ihrer Tätigkeit auf, um daran Zusammenhänge von Wirtschaft und Energiepolitik zu erläutern. An vielen Stellen erschließen sich dadurch sehr interessante Erkenntnisse, die im Folgenden noch beleuchtet werden. Zuweilen wird es zugegebenermaßen jedoch sehr ermüdend, wenn eine offenbar sehr von sich überzeugte Autorin zum x-ten Mal betont, wie gut und wichtig ihre Arbeit doch war und ist und wie richtig sie doch hier und dort gelegen hat. Wieder und wieder wird beklagt, dass sie und ihre Kollegen zu gewissen Krisen sehr genaue Modellrechnungen angestellt hätten, aber die Politik diese meist nicht berücksichtigt hätte. Der verständliche Frust findet zuweilen etwas sehr oft den Weg in die Zeilen des Buches.
Was ebenfalls frustrierend ist, wie eindimensional seitens der „Experten“, zu der auch Kemfert sich zählt, auf große Geschehnisse geblickt wird. In der Einleitung wird der Krieg in der Ukraine nach typischen Aspekten der „Wertepolitik“, wie sie von Baerbock und Co. herbeigeträumt wird, bewertet. Dies sei ein Krieg zwischen Gut und Böse. Mit vollem Ernst schreibt Kemfert: „Es kämpfen Menschen, die wollen, dass die Welt ihnen gehört, gegen Menschen, die wollen, dass die Welt allen gehört.“ Dieser Satz allein zeugt von politischem Unverständnis auf mehreren Ebenen. Es verwundert doch sehr, dass eine Wissenschaftlerin, die sich mit internationaler Energiepolitik und -wirtschaft befasst, einen dermaßen einfachen Blick auf das geopolitische Geschehen hat. Es geht hier, wie immer, um Machtblöcke, die um Vorherrschaft streiten. Die Sicherung und Erweiterung der eigenen Einflusssphäre zur Wahrung der Eigeninteressen ist hier ein wesentlicher Faktor für beide Seiten des Konflikts. Die Ukraine ist zum Schlachtfeld geworden, weil sie genau zwischen zwei großen Machtblöcken stand und Russland sich dazu gezwungen sah, Tatsachen zu schaffen, bevor es die NATO tun würde. Hier nun selbstgefällig zwischen gut und schlecht werten zu wollen, geht schlichtweg an der geopolitischen Realität vorbei. Besonders obendrein noch zu meinen, der „westlichen Welt“ oder der NATO ginge es darum, dass „allen alles gehört“[2], während lediglich die russische Seite ein Interesse daran hätte, dass wenigen vieles / alles gehöre, ist völlig naiv. Doch glücklicherweise sind nicht alle Inhalte des Buches von diesem Niveau. Es finden sich sehr interessante, aber auch sehr ernüchternde Stellen. Auf einige wesentliche wird nun eingegangen.
Eine Kernerkenntnis, welche die Autorin aus ihrer langjährigen Arbeit geschlossen hat, ist: „Energie ist das Blut der Volkswirtschaft“. Damit fasst sie sehr gut die elementare Rolle zusammen, die Energie in allen Bereichen unseres Lebens spielt. Ohne Energie fehlt allen Teilen der Wirtschaft das Blut, also die Fähigkeit zu leben. Bedingt durch den ungeheuer gewachsenen Energiehunger von Industriestaaten agieren auf dem Energiemarkt nach Kemfert keine kleinen, sondern hauptsächlich große Player. Großunternehmen, die mit dem Markt wuchsen und ihr Gewicht zum Tragen bringen. Ein Problem für die einen und ein großer Vorteil für die anderen Akteure auf diesem Markt: Die Energieträger sind global ungleich verteilt. Manche Länder verfügen über gewaltige Energiereserven, andere sind gezwungen, ihre Bedarfe durch Handel zu decken. Da es um sehr große Mengen geht, sind auch die damit verbundenen Unternehmungen gewaltig. Die Sicherung von Energieträgern über Handelsbeziehungen bedingt nicht nur den Einkauf, sondern auch die Gewinnung und den Transport. Schifffahrtslinien müssen eingerichtet oder Pipelines geplant, genehmigt, gebaut und betrieben werden. Neben der teuren Investition in Transportwege müssen auch Kraftwerke, Verteil-Infrastruktur und Speicher geschaffen werden. Ein solcher Prozess ist sehr langfristig und muss daher strategisch gedacht werden. Es ist immanent wichtig, dass die massiven Investitionen auf dem gesicherten Zustrom der Energieträger bauen können. Aus diesem Grund spielt die Beziehung zwischen Staaten beim Energiehandel immer eine gewichtige Rolle. Je nach geographischer Lage sind Staaten darin bestrebt, entweder Energieträger über gute Beziehungen zu sichern, oder diese als Mittel zu Zweck einzusetzen. Kemfert bezeichnet Energie korrekterweise als Waffe. Es ist zu verstehen, dass es ein gewaltiger und langfristiger Prozess ist, einen Energieträger in großen Mengen zu kaufen und durch die Großinvestition in Transport und Umwandlung nutzbar zu machen. Hierbei wird nicht nur viel Geld riskiert, sondern ein Staat, dessen Wirtschaft mit Energie aus anderen Staaten gespeist wird, begibt sich in eine Abhängigkeit. Staaten, welche über Energieträger verfügen, sind in der Lage, ihre Energieträger gezielt strategisch zu nutzen. In Vergangenheit und Gegenwart war und ist dies auch gängige Praxis.
In „Schockwellen“ wird ausführlich beschrieben, wie sich Deutschland im Laufe der letzten Jahrzehnte immer mehr in ein Abhängigkeitsverhältnis zu Russland begeben hat. So wird deutlich, wie (staatliche) russische Energieunternehmen deutsche Gasunternehmen mit günstigen Bedingungen und Anteilen an Gasfeldern gelockt haben, um sich selbst in Deutschland zu platzieren. Zu Beginn des Krieges in der Ukraine gehörten Gazprom 25% der Gasspeicher auf deutschem Boden. Diese waren zu diesem Zeitpunkt „zufällig“ leer. 2022 wurde sehr deutlich, dass Russland seine riesigen Energieträgeraufkommen langfristig strategisch nutzte, um Deutschland und Europa von sich abhängig zu machen. Vielen Ländern waren, da sie nun einmal heizen, Strom erzeugen und Fahrzeuge bewegen mussten, zunächst die Hände gebunden. Im Vorfeld des Krieges wurde der Energiehandel seitens Russlands auch gezielt zur Durchsetzung politischer Ziele verwendet. So wurde die Ukraine mehrfach unter Druck gesetzt. Die Verantwortlichen der Ukraine sollten entweder erhöhte Preise zahlen bzw. gewisse politische Forderungen erfüllen oder die Lieferungen könnten nicht mehr fortgesetzt werden. Die ukrainische Regierung konnte in dieser Situation meist nur verlieren. Die Bevölkerung frieren lassen oder höhere Preise zahlen bzw. Forderungen zu ihren Ungunsten erfüllen. Kemfert gibt in ihrem Buch zahlreiche deutliche Beispiele dazu. Für ein Land mit Energieträgern, wie Russland, geht es beim strategischen Agieren auf dem Energiemarkt um zwei Dinge. Zum einen können durch das gezielte Schaffen von Abhängigkeiten und der damit verbundenen Drohung der Verknappung von Lieferungen geopolitische Ziele erreicht werden. Zum anderen geht es schlichtweg um Geld. Ca. 50% der Einnahmen der russischen Föderation stammten in der Vergangenheit aus dem Energiehandel. Damit ist ein natürliches Bestreben verbunden, diesen Markt zu kontrollieren und Länder langfristig an sich zu binden.
Da Kemfert ausführlich dargelegt hat, welche wichtige strategische Rolle Energie und Energieträger spielen, wie langfristig Prozesse im Energiehandel bzw. der Energieversorgung sind und wie problematisch die damit verbundenen Abhängigkeitsverhältnisse sind, verwundert es sehr, wie kurzsichtig der von ihr vorgeschlagene Umgang mit dem Kriegsbeginn wirkt. Nach ihr hätte die Bundesregierung ein sofortiges Embargo russischer Energieträger verhängen sollen. Sie ist der Ansicht, dass dies aus Angst vor einer Rezession nicht geschehen sei und kontert mit „Rezession drohte doch sowieso“. In dieser Argumentationskette meint sie, wegen der Corona-Pandemie hätte es auch eine Rezession gegeben, die „nicht schön“, aber auch kein Untergang gewesen sei. Die Autorin ist sich nicht zu schade, noch weiter zu schreiben, dass diese Zeit für manche, wie dem Onlinehandel, sogar gut gewesen sei. Das Bild vom Gelehrten im Elfenbeinturm zwingt sich auf. Zu diesem Thema wird sich im Buch vieles ganz einfach gemacht. Die Rezession seit Kriegsbeginn geschah ohnehin und sei Produkt der Lage des Energiemarktes. Ein sofortiges Embargo hätte die Rezession nur etwas verschärft. Wie fatal die Folgen von deutlich erhöhten Energiepreisen sein können, beantwortet Kemfert nicht. Ihr geopolitisches Verständnis lautet: „Mit einem Embargo hätten wir den Spieß ganz einfach umgedreht!“. So einfach geht das. Später heißt es sogar: „Ein frühzeitiges Energieembargo hätte uns von Energieabhängigkeit und Fremdbestimmung befreit.“ Wir müssten einfach sofort kein Öl, Gas, Uran und keine Steinkohle von Russland mehr kaufen und wir wären seit 1945 zum ersten Mal wieder ein souveränes Land. So einfach geht das.
Geopolitische Naivität und wissenschaftlicher Sachverstand treffen in „Schockwellen“ öfter nah aufeinander. Es erschließt sich aus dem zuvor Geschriebenen ein Logikfehler. Kemfert hat ausführlich und fachlich kompetent erklärt, dass die Sicherung der Energieversorgung ein sehr umfangreiches und langfristiges Unternehmen ist. Besonders die Investition in Transportwege und Umwandlungsanlagen [3] lassen sich nicht mal eben aus dem Ärmel schütteln. Aber im Kriegsfall soll es möglich sein, mit sofortiger Wirkung einen großen Teil seiner Energie aus anderen Ländern zu beziehen. Das setzt voraus, dass die Energieträger in ausreichendem Maße andernorts verfügbar sind. Zudem müssen diese ihren Weg ins Land finden und ohne weiteres nutzbar sein. Kemfert verweist auf Modellrechnungen, welche sie und ihre Kollegen angestellt haben. Ergebnis: „Nicht leicht, aber möglich.“ Das Ganze ist noch wesentlich komplexer als Planspiele mit globalen Ressourcen, welche zwar physisch vorhanden, aber nur theoretisch verfügbar sind. Wie bereits von Kemfert selbst erläutert, müssen erst Handlungsbeziehungen entstehen und langfristige Prozesse in Gang gesetzt werden. Es ist absolut zuzustimmen, dass Deutschland seinen Energiebezug aus anderen Ländern diversifizieren und langfristig auf möglichstes Mindestmaß reduzieren muss. Ein Schnellschuss, wie auch in der Energiewende mit höher gesteckten neuen Zielen und Forderungen angestrebt, ist jedoch nicht zielführend, da schlichtweg unrealistisch.
Dies führt zum letzten Thema: Kemferts Blick auf die Energiewende. Nach ihr kann die Energiewende zwei Hauptzielen dienen. Wie zu erwarten ist der „Schutz“ oder die „Rettung“ des Klimas eines dieser Ziele. Für Kemfert ist schon lange klar, „dass sich der Klimawandel bremsen ließe.“ Beispiele wie Flutkatastrophen würden beweisen, dass unser CO2-Ausstoß das Klima negativ beeinflussen würde. Sie rechnet vor, welche Kosten der Klimawandel bis 2100 verursachen könnte, „wenn wir nichts dagegen tun“. Ob dies so geradlinig ist, ob der Klimawandel tatsächlich „menschengemacht“ oder massiv vom Menschen beeinflusst wird und wir durch unser Handeln entsprechend Schlimmeres abwenden können, ist und bleibt fraglich. An dieser Stelle soll diese Diskussion nicht eröffnet werden. Interessanter, da greifbarer, ist das zweite Ziel, das Kemfert der Energiewende zuspricht. Die Energiewende sei ein langfristiger Lösungsansatz, um Abhängigkeiten abzubauen und die Energieversorgung sicherzustellen. Dieser Standpunkt wurde bereits auf unserem Blog vertreten [1],[2]. Eine Energiekrise, wie seit Kriegsbeginn, würde es nach Kemfert bei einer weitgehenden Versorgung mit erneuerbaren Energien (EE) nicht geben. Eine solche Umstellung wird von der Autorin richtigerweise als langfristiges und umfangreiches Unterfangen beschrieben. Nach ihr hätte dieser Transformationsprozess frühzeitig und beständig durchgeführt werden sollen. Aus einer sicheren Position heraus – hier hätte sich der Vorzug von Atomkraft gegenüber der Kohle als Brückentechnologie angeboten. Doch vieles wurde in der Vergangenheit versäumt und verschleppt. Der Schluss, den Kemfert daraus zieht, leuchtet gemessen am zuvor Geschriebenen wenig ein und ist wohl nur damit zu verstehen, dass der Klimawandel nun schnelles Handeln erfordern soll. Erst wurde die Energiewende als gewaltiger und nur langfristig zu realisierender Prozess erkannt, nun könne sie aber nicht schnell genug gehen. LNG-Terminals zu bauen sei vor 15 Jahren sinnhaft gewesen, wenn als Brücke zum Umstieg auf EE genutzt. Heute sei dies jedoch unangebracht. Sie schreibt dazu: „Wir suchen wie Junkies neue Gasdealer, aber eigentlich wäre Entzug angesagt.“ Ein solcher, im wahren Sinne des Wortes, kalter Entzug lässt sich aber nicht mal eben so realisieren. Die Versäumnisse der Vergangenheit mit Hauruckaktionen wiedergutzumachen bzw. in der Realisierung der Energiewende durch hohe Forderungen Zeit aufzuholen, ist nicht realistisch.
Unrealistische Vorstellungen herrschen auch in Bezug auf die Kosten der Energiewende. Kemfert versucht in weiten Teilen sehr fundiert damit aufzuräumen. Zurecht widerspricht sie der allgemeinen Ansicht, die Energiewende müsse die deutsche Wirtschaft ruinieren. Viel mehr sieht sie den Gesamtprozess als Chance, wenn das Potenzial ausgeschöpft wird und die Wertschöpfung geschickt im Land gehalten wird. Mit Blick in die Vergangenheit werden im Buch Fehler aufgezeigt, welche dem zuwiderlaufen. So wurde durch die Deckelung der Solarförderung sowie Genehmigungswirrwarr und Abstandsregelung die Energiewende zugunsten der Fossilen abgewürgt. Das hat für einen massiven Abbau der zunächst schnell gewachsenen PV- und Windindustrie in Deutschland gesorgt.
Durch ihre langjährige eigene Erfahrung kann Kemfert offenlegen, wie kontraproduktive Entscheidungen nicht nur aus Kurzsichtigkeit, sondern mit klaren Zielen in eine andere Richtung getroffen wurden. So saßen in zentralen Stellen, deren Aufgabe es war und ist, die Weichen für die Umsetzung der Energiewende zu stellen, ausgesprochene Gegner dieses Prozesses. Es muss an dieser Stelle verstanden werden, dass Großkonzerne nicht nur Marktmacht ausüben, sondern auch politischen Einfluss nehmen. Die traditionellen Energie-Großkonzerne waren und sind im Umgang mit fossilen Energieträgern verhaftet. Die meisten dieser Konzerne und auch die meisten Industriekonzerne haben rein konservativ kein Interesse daran, auf EE umzustellen, solange die alten Abläufe lukrativ sind. Eine Umstellung ist immer mit Investition und gewissen Unsicherheiten verbunden. Die Energiewende bzw. die EE haben eine solche zentrale Lobby nicht. Der Markt zur Umwandlung und zum Verkauf von EE ist deutlich feingliedriger und dezentraler als der alte auf fossilen Energieträgern basierende. Was Kemfert in „Schockwellen“ auch verdeutlicht und leider verdeutlichen muss, da hier oft das Verständnis fehlt, ist der Unterschied zwischen Kosten und Investitionen.
Maßnahmen zur Umsetzung der Energiewende sind Investitionen, also Gelder und Mittel, die investiert werden, um anschließend wirtschaften zu können. Was oft vergessen wird: Bei einer Nichtdurchführung der Energiewende muss ebenfalls in die Energieversorgung als Ganzes investiert werden. Und im Vergleich zu den konventionellen Energieträgern stehen die EE in den Punkten Investitions- und Betriebskosten besser da, wie Kemfert aufzeigt. Auf dem freien Markt sind EE sehr konkurrenzfähig. Kohle- und Atomenergie wurden und werden nach Kemfert durch staatliche Subventionen im Markt gehalten. Aus ihren richtigen Ansichten zur Energiewirtschaft und zur Energiewende gelingt es ihr jedoch leider nicht, korrekte Schlüsse zu ziehen. Es wird kein Weg aufgezeigt, wie unser Land vom gegenwärtigen Zustand in eine Versorgung mit EE gelangen könnte. Stattdessen wird, genau wie seitens der Regierung, verlangt, immer schneller und schneller in die Erneuerbaren zu investieren, um immer steilere Ausbauziele zu erreichen. Das Bild vom Elfenbeinturm zwingt sich wieder auf, wenn Kemfert formuliert, dass die umstrittene (weil in der Praxis allgemein kaum umsetzbare) gesetzliche Forderung, dass Neubauten ab 2024 zu 65% mit EE versorgt bzw. geheizt werden sollen „nicht ambitioniert genug“ sei.
Selbstverständlich fordert auch die Autorin einen massiven Ausbau der Wind- und PV-Anlagen. Wie das fluktuierende Energiedarbot mit dem zeitlich nicht im Einklang stehenden Energiebedarf vereinbart werden soll, bleibt unklar. Kemfert schreibt vom Wasserstoff als „Champagner im Tank“, der nur eingesetzt werden solle, wo nicht anders möglich. Was nun aber als notwendige Speicher- bzw. Puffertechnologie eingesetzt werden soll, beantwortet sie nicht. Und so bleibt trotz richtiger Erkenntnisse am Ende nur ein „Die Lage ist ernst“ und wir müssen viel schneller viel mehr tun. Wie dies zu organisieren sei, nachdem sehr gut offen gelegt wurde, woran es in Deutschland auch strukturell hapert, bleibt ebenfalls offen.
„Schockwellen“ von Prof. Dr. Claudia Kemfert will aufrütteln, über die Bedeutung der Energiewirtschaft aufklären, Missstände der deutschen Energiewende aufzeigen und klarstellen, dass und warum wir weg von den fossilen und hin zu den erneuerbaren Energieträgern müssen. Gerade die Erläuterungen zu den Prozessen der internationalen Energiewirtschaft sind für den Interessierten Einsteiger wertvoll. Geschickt nutzt Kemfert ihre eigenen langjährigen Erfahrungen und Erlebnisse sowie ihre Expertise um aufzuzeigen, warum es für Deutschland ratsam ist, eine Energiewende durchzuführen und woran dies bisher krankt. Leider zeigt sich das fundierte Wissen nicht, wenn es um Lösungsansätze geht. Sei es zu aktuelleren Themen, wie der Frage nach einem Embargo russischer Energie, oder langfristigen Entwicklungen wie der Energiewende, immer wieder wirken die vorgeschlagenen Wege kurzgegriffen. Sie stehen im Widerspruch zu Kemferts wissenschaftlicher Expertise auf dem Gebiet der Energiewirtschaft. Statt dem Fachwissen zu folgen und gemessen am aktuellen Status langfristige Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten, werden nur Forderungen nach schnellerem Handeln erhoben. Zentrale technische und strukturelle / administrative Fragen zur Umsetzung der notwendigen Energiewende bleiben unbeantwortet. Das Buch empfiehlt sich für jene, die einen Einblick in die Funktionsweise der Energiewirtschaft und die Versäumnisse der deutschen Energiewende suchen. Wer greifbare Lösungen sucht, wird in „Schockwellen“ nicht fündig.
Quellenverzeichnis
[1] „Schockwellen – Letzte Chance für sichere Energien und Frieden“, Claudia Kemfert, 2023
[2] „Grundgedanken zur Energiepolitik II – Das deutsche Energieversorgungssystem und die Energiewende“, Ernst Rahn
https://gegenstrom.org/ernst-rahn-grundgedanken-zur-energiepolitik-ii/
[3] „Grundgedanken zur Energiepolitik III – Perspektiven für eine nachhaltige und unabhängige Energieversorgung Deutschlands“, Ernst Rahn
https://gegenstrom.org/ernst-rahn-grundgedanken-zur-energiepolitik-iii/
[1] Sämtliche Bezüge auf Claudia Kemferts Ausführung stammen aus [1]
[2] Diese Parole dürfte einigen politisch Interessierten bekannt vorkommen.
[3] Zum Beispiel die PCK-Raffinerie in Schwedt, welche russisches Öl verarbeitet. Die chemischen Prozesse bei der Verarbeitung sind auch die spezifischen Eigenschaften des Erdöls aus Russland abgestimmt. Es ist nicht ohne weiteres Möglich Öl aus einer anderen Quelle zuzuführen und dieses zu verarbeiten. Dazu ist zunächst ein gewisser Aufwand zur Umstellung erforderlich.