Interregnum und das worauf es ankommt

by | 13. Feb. 2025 | Philosophie & Theorie

Die Gesellschaft steht an einem Wendepunkt – das Alte vergeht, doch das Neue ist noch unklar. Der  folgende Text analysiert die wachsende Polarisierung und fordert eine Rückbesinnung auf das Volk als Einheit. Die „Echte Rechte“ soll diesen Wandel gestalten. Die Redaktion

 

„Die Krise besteht gerade in der Tatsache, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann: in diesem Interregnum kommt es zu den unterschiedlichsten Krankheitserscheinungen.“ – Antonio Gramsci

Die letzten Monate sollten auch dem letzten Schlafwandler klar gemacht haben, dass die Dinge in Bewegung gekommen sind. Den „Anfang“ machten die Landtagswahlen im Osten der Republik und die Trump-Wahl in den USA. Seither folgten jüngst Herbert Kickls‘ Auftrag zur Regierungsbildung in Österreich und Elon Musks Kommentare zur Rolle der AfD bei der künftigen Bundestagswahl. Traurige Begleiterscheinung war der Terroranschlag eines Migranten auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt kurz vor Jahresende 2024 sowie der Messeramoklauf in Aschaffenburg zum Jahresbeginn. Das Establishment holt parallelerweise zum Schlag aus und macht immer großzügigeren Gebrauch von juristischen Schikanen gegenüber vermeintlichen Dissidenten (bsp. „Sächsische Separatisten“). Bei diesen sich überschlagenden Ereignissen ist es ratsam, einen Schritt zurückzutreten und sich zu sortieren. Ansonsten läuft man Gefahr Lawinengleich im Sog der Ereignisse „verschlungen“ zu werden und die Orientierung zu verlieren.

Spaltung und Polarisierung als Status Quo

Der Rahmen, in dem die gegenwärtigen Konflikte ausgetragen werden, wird von rechts häufig als „System“ bezeichnet. Ein abstrakter Begriff, der viele verschiedene Aspekte in sich vereint, darunter Milieus, Gesellschaftsschichten, Gruppen und Organisationen sowie staatliche Herrschaftsorgane. Um den innewohnenden Kernkonflikt zutage zu fördern, bietet sich eine Bezeichnung Hans Freyers an, welcher das „System“ konkreter als „industrielle Gesellschaft“ bezeichnete[1]. Diese sei das Resultat der Industrialisierung, Mechanisierung und Atomisierung, angetrieben durch den modernen Kapitalismus. Freyer schrieb seine Ansichten unter den Eindrücken des Hochlaufs der Industrialisierung im frühen 20. Jahrhundert. Seine Beschreibung ist dennoch treffend. Die Atomisierung habe zur Formierung vieler verschiedener Interessensparteien geführt (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Parteien usw.), deren primäres Ziel die egoistische Interessensvertretung ihrer eigenen Gruppe gegenüber dem Rest der industriellen Gesellschaft sei. Die industrielle Gesellschaft ist demnach nichts als ein System von Interessen, in welchem der Staat in der Regel „Beute“, jedoch maximal „Mittler“ sei und keiner Aufgabe unterstehe, die einer höheren Ordnung, einem höheren Auftrag folge leiste. Durch den permanenten Konflikt innerhalb dieser Gesellschaft komme es zu „Bewegungen“, zu Reibungen, die auf eine Veränderung hindeuten. Hier weist Freyer auf die Notwendigkeit und die Schwierigkeit hin, in Momenten solcher „Bewegung“ klar zu erkennen, welche Stimmen und Akteure eine wahrhaftige Veränderung anstreben und welche sich nach wie vor im Rahmen des industriell-gesellschaftlichen Interessenausgleichs bewegen. Häufig gehöre die vermeintliche Opposition zum System, wie die „Kritik zum Theater“.

Ein Blick in die Gegenwart lässt diese Einschätzung Freyers vertraut wirken. Bei genauem Hinsehen verläuft ein Großteil der Diskussionen in Bahnen des reinen Interessensausgleichs. Die Forderungen dienen im Wesentlichen der Begünstigung einer isolierten Gruppe und vernachlässigen das große Ganze. Eine Situation des „Jeder-gegen-Jeden“ tritt auf, welche sich über die Dauer immer mehr verschärft. Klassische Beispiele sind insbesondere im anstehenden Bundestagswahlkampf:

  • Weniger Steuern (Forderungen des Mittelstandes und Unternehmen)
  • Mehr Sozialleistungen für Ältere und Kinder (Familienverbände, Rentenverbände)
  • Mehr Lohn und Standortsicherheiten (Gewerkschaften)
  • Mehr Subventionen und weniger Regulatorik (Landwirtschaftsverbände)
  • Weniger Einwanderung und ggf. Rückführung der seit 2015 eingewanderten Asylanten (AfD)

Diese großen Konflikte spalten sich weiter auf in viele kleine Nebendiskussionen, die den Bürger beschäftigt halten[2]. Das Ergebnis ist Polarisierung, Spaltung und maximal eine Neutralisierung der Interessen (durch das Schrittweise Entgegenkommen einer der beteiligten Parteien). Vereinfacht könnte man sagen, die industrielle Gesellschaft schließe durchgängig „Kompromisse“. Für jeden, der mit Verhandlungstechniken vertraut ist, ist dabei klar, dass dies kein erstrebenswertes Resultat ist. Denn der Kompromiss vernachlässigt das tieferliegende Motiv oder – im gesellschaftlichen Kontext – das tieferliegende Problem das dem Interesse vorausgeht. Die gegenwärtigen Bewegungen sind also zunächst logische Konsequenz einer sich immer weiter ausdehnenden Spaltung der industriellen Gesellschaft. Die Kompromissfähigkeit des Systems nimmt ab, begünstigt durch die Entwicklung hin zum „Hyperliberalismus“, in welchem jegliche Eingrenzung des Individuums als Gewaltanwendung und Freiheitsberaubung klassifiziert wird.

Welcher Faktor bei dieser Situation auf der Strecke bleibt, ist eindeutig: Das Gemeinwohl, das „Große Ganze“ oder schlicht: das Volk. Die tonangebenden Debatten verlaufen entlang von Besitz- und Eigentumsverteilungen, von 4-Tage Woche und Streichen des Karenztages, von Agrardieselsubvention und Bio-Fleisch. Doch das, was die Verteilung dieser Güter sowie ihren Besitz erst ermöglicht hat, die geschichtliche Existenz des Gemeinwesens, das Subjekt: Volk, findet in seiner Gesamtheit keine Erwähnung. Dabei ist die aus der Tiefe dringende Sehnsucht nach Einigkeit desselben mehr und mehr spürbar. Die Entrechtung dieses Volkes spielt sich in viel größeren Dimensionen ab, als es die Forderungen der einzelnen Interessensgruppen geltend machen können. Es betrifft am Ende nicht nur den Landwirt und nicht nur die Pflegekraft oder den Bandarbeiter bei VW – es betrifft alle, die vom Herrschaftssystem der Eliten aus Davos als „nicht-existent“ angesehen werden, eben: um das Volk. Dieses kann in diesem Kontext tatsächlich als die Gesamtheit der Entrechteten angesehen werden, da letztlich auch die mit Fehlanreizen aus ihren Ländern gelockten Migranten keine finalen Profiteure dieser Gesellschaftsordnung sein werden. Diese Fokussierung auf das große Ganze legt den Kernkonflikt offen. Dieser verläuft nicht zwischen den Interessensparteien (den Spielfiguren), sondern er verläuft zwischen allen Spielfiguren und denen, die das Spiel erfunden haben.

Aufgabe der Echten Rechten

In dieser Situation muss es das Ziel der Echten Rechten sein, die Stimmen zu identifizieren, die es ehrlich mit diesem Volk und seinen Menschen meinen. Es muss die zusammenführen und ihre Lautstärke erhöhen, die das Volk vom „Objekt“ zum „Subjekt“ der Geschichte machen wollen. Diese Anschauung, das Volk in den Mittelpunkt aller Betrachtungen zu rücken, kann dabei als wahrhaft „rechts“ bezeichnet werden. Aus diesem Blickwinkel bekommen die Aussagen von Alice Weidel, dass die AfD keine rechte Partei, sondern eine liberale Partei sei, eine völlig neue Dimension, die einer entsprechenden Beobachtung gebührt.

Diese Gruppe der „Entrechteten“ aus der Bedeutungslosigkeit in den Mittelpunkt zu rücken, muss das Motiv der Echten Rechten sein. Getreu der Losung: Heute seid ihr nichts, doch morgen seid ihr alles. Was dies konkret bedeutet, gilt es zu erarbeiten. Doch allein die ehrliche Konzentration auf das Volk in seiner Gesamtheit als Souverän unabhängig seiner individuellen Identitäten (Unternehmer, Landwirt, Angestellter usw.) stellt die Geburt eines neuen Prinzips dar. Nur im Rahmen derlei ganzheitlicher Betrachtung kann auch eine Gesundung des Ganzen gelingen und der Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft Einhalt geboten werden. Entgegen der Falschbehauptungen des Mainstreams sind Erscheinungen, wie die AfD, eben nicht die Ursache für die Spaltung der Gesellschaft, sondern ein Ergebnis ebendieser.  Das Primat des Volkes in seiner Ganzheit über den Dingen, würde auch den Staat in seiner Form zu einem Organ konvertieren, welcher, nach Freyer, unter der hohen Aufgabe steht „aus der Gegenwart des aufbrechenden Volkes seine geschichtliche Zukunft zu bauen“. Sprich: Der einen klaren Auftrag hätte an dem sich sein Handeln ableiten und auch messen könnte.

Interregnum?

Ob es sich bei dem derzeitigen Moment, in Anknüpfung an das vorangestellte Zitat Gramscis, um ein Interregnum handelt, kann zumindest angenommen werden. Die in ihrer Frequenz immer häufiger und in ihrer Intensität immer derber geführten Konflikte deuten darauf hin. Der industriellen Gesellschaft verliert ihre Voraussetzungen in den Menschen. Diese suchen nach etwas Neuem. Die Echte Rechte muss in diesen turbulenten Zeiten insbesondere im eigenen Milieu als Korrektiv auftreten, um nicht das Kernziel und den daran gekoppelten Kernkonflikt aus den Augen zu verlieren. Dieser lautet: Volk versus industrielle Gesellschaft – Einheit versus Spaltung – Gemeinschaft versus Gesellschaft.

Diese Erkenntnis entspricht natürlich keiner fertigen Ordnung, es gibt dafür kein fertiges Programm. Jedoch ist es die Aufgabe der Zeit, den sich bildenden Kern weiter auszustatten, ihn mit Leben zu füllen, Blut in seine Adern zu pumpen und den bewussten Willen hin zu diesem Volk als neuem Subjekt zu formieren. Die Echte Rechte braucht dafür Menschen, die dieses Prinzip verkörpern, bevor es Realität geworden ist. Daher gilt insbesondere auch für die AfD und ihre Unterstützer im Hinblick auf den sich einstellenden Wahlerfolg der Hinweis, tunlichst darauf zu achten, wer die Reihen zukünftig auffüllt und was mit den sich daraus ergebenden Mitteln wirklich gemacht wird.

 

 

[1] Freyer, Hans. Revolution von rechts, 1931, Nachdruck, Die Jungkonservativen: Band 5, Uwe Berg-Verlag, 2021.

[2] Beispielhaft sei die Debatte um die Möglichkeiten zur Reduzierung des Arbeitnehmer-Krankenstands angeführt (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/arbeitsmarkt/debatte-lohnkuerzung-krankheitsfall-allianz-100.html (Stand: 07. Januar 2025). Der Großteil der ausschlaggebenden Langzeit-Krankmeldungen betrifft psychische und Herz-Rhythmus-Erkrankungen. Eine Tiefenforschung hierzu wird jedoch nicht forciert und scheint auch nicht erwünscht.