Replik auf „Das Compact-Verbot: Eine Analyse aus revolutionärer Sicht“

von | 04. Aug. 2024 | Debatte

Im Folgenden veröffentlichen wir zur Debatte eine Zusendung auf unseren Artikel „Das Compact-Verbot: Eine Analyse aus revolutionärer Sicht„. Die Diskussion fand in einem Frankfurter Kreis oppositioneller Patrioten statt.

Die Redaktion

 

Frankfurter Patrioten diskutieren Gegenstrom Position zu Compact Verbot


Was tun? Bei Lenin sind Antworten zu finden

 

Die folgenden Beiträge beziehen sich auf eine von der Gruppe Gegenstrom angestoßenen Diskussion im Internet zum Compact Verbot durch Nancy Faser.

Der Beitrag von Jörg Seidel passt zum Thema, da er Strategien und Umgang gegen staatliche Repressionen gegen die politische Opposition behandelt, er setzt sich dabei mit Auffassungen des Verlegers Götz Kubitschek zum Thema auseinander. Diese Texte waren bereits vor der Gegenstrom Position auf Sezession-online erschienen, sie finden hier Erwähnung weil Gegenstrom auf den Verleger Bezug nimmt.

 

Antwort auf die Gegenstrom Position zum Compact Verbot

 

Zuerst einmal ist es ein sehr guter Text und mir ist nicht bekannt derartig gründliche Auseinandersetzungen von anderer rechter Seite gehört zu haben! Die Bezugnahme auf Lenins Revolutionstheorie wird von mir geteilt, vor allem deshalb weil die Rechte keine hat und in diesem Punkt auch von Lenin lernen kann (muss). Übrigens ist die Darlegung dieses revolutionäreren Prozesses schon recht alt, sie ist schon in Lenins „Was tun“ (1902) zu finden, also schon vor der Revolution von 1905!

 

Warum ist die Kritik an Kubitschek gerechtfertigt?

 

Die Autoren beschränken sich auf die Aussage, dass „das Einlegen von Rechtsmittel gegen die Verbotsverfügung ein zutiefst demütiger Vorgang sei“. Da es im Text um die Verbotsverfügung geht, ist diese Einschränkung, nur darauf bezogen, OK. Zwar sehe auch ich es so, dass wirkliche Unterstützung für unsere Sache und für Compact schwerlich durch eine korrupte Justiz erfolgen wird (kann). Das ergibt sich aus den im Text beschrieben Machtstrukturen. Die Linke nannte es früher Klassenjustiz! In Ihrer (die Justiz) Festlegung auf die Macht der Herrschenden ist es am Ende auch egal, ob ein Unterschied zwischen Legalität und Legitimität besteht. Eine philosophisch-politische Frage, wo Carl Schmitt sicher recht hatte, aber wenn es hart auf hart kommt, entscheidet sich die sogenannte dritte Gewalt für das gemeinsame Kartell, zu dem auch sie gehört. Ein Prestigeverlust kann nicht in Kauf genommen werden, weil er auch einer für die Justiz wäre. (siehe Szenario 1). Auch darf es nach Außen nicht so erscheinen, als wäre die Regierung nicht mehr handlungskompetent. Bereits 1977 hatte das Bundesverfassungsgericht einen Eilantrag des Sohnes von Hans Martin Schleyer zurückgewiesen. Dieser wollte, dass das Recht auf Leben seines Vaters höher bewertet wird als die Auffassung der damaligen Regierung, dass terroristische Gefangene aus Gründen der Staatsraison nicht ausgeliefert werden dürfen. Für das Verfassungsgericht wurde damals der Erhalt der Handlungskompetenz der Regierung höher zu bewerten. Im aktuellen Verbot von Compact-Magazin geht es genau darum!

Zurück zu Kubitschek und meiner Frage, warum die Kritik erlaubt ist. Auch wenn ich davor ihm bei der Bezeichnung „demütiger Vorgang“ recht gebe, wäre Untätigkeit ein Ausdruck von Resignation und Kapitulation. Verständlich ist seine Aussage auch deshalb nicht, weil er ja keine Alternative nennt oder besser gesagt keine hat! Und genau diese wäre der Anspruch, den ich an ein Vorfeld habe. Ein weites Thema, dass hier nicht behandelt werden kann.

 

Zu den genannte vier Szenarien:

 

Szenario 1: Das Eilverfahren wird keine Bestätigung erfahren, weil die Justiz einen derartigen Schaden der Regierung nicht zufügen wird und immer damit argumentieren kann, man werde im Hauptverfahren eine rechtsstaatliche Entscheidung treffen. Was sie aber niemals sein könnte, weil mit der enorm verronnen Zeit unkorrigierbare Gegebenheiten vorliegen.

Szenario 2: Gleiches gilt auch für die Bestätigung des Eilverfahrens. Mit dem Verweis auf ein Hauptverfahren lässt für die Justiz den Schein bestehen, neutral über der Legislative zu stehen.

Szenario 3: Dieses scheint wahrscheinlich und wird von mir schon als Ausweg in 1 und 2 skkizziert.

Szenario 4: Wahrscheinlich wird es am Ende so kommen, was eine große Niederlage für die Opposition wäre. Im Ergebnis wird die bereits vorher einsetzende Radikalisierung weiter beschleunigt. Es wird für jedermann klar werden, dass wirkliche Erfolge gegen die repressive Gewalt der Herrschenden nur in autonomen Widerstand erfolgen kann. „Massenautonomie statt (demokratischer) Kompromiss“ (In Anlehnung an Toni Negri)

Es gibt aber noch ein Szenario 5. Dem Eilverfahren wird in Teilen recht gegeben. Das Verbot wird in der durchgeführten Form als rechtswidrig bezeichnet. Bei der Art und Weise der Durchführung wurden Linien überschritten. Wobei im Urteil klar erklärt wird, ein Verbot eines Magazins sei grundsätzlich bei Einhaltung eines rechtsstaatlichen Weges möglich. Die soll dann als ein Unentschieden erscheinen, wäre es natürlich nicht.

Peter Backfisch

 

Diskussion im Kontext der Gegenstrom-Position
Jörg Seidel auf Sezession-Online 04.06.2024

 

Im Streitgespräch mit Martin Sellner stellte Götz Kubitschek fest, daß es sich in diesem Land noch immer lohne, zurechtzukommen, sich anzustrengen, weiterzumachen, auch gegen die systemischen Hindernisse. Es lohne sich für den Einzelnen noch immer, das staatliche Versagen hinzunehmen, stille zu halten, sich anzupassen, keinen Widerstand auszuüben.

Kubitschek sagte das beschreibend, nicht empfehlend, und das ist, denkt man den Satz weiter, ein tiefer Gedanke. Er erklärt, weshalb Deutschland auch bis auf Weiteres sehenden Auges in die Katastrophe rennt.

Im Land haben sich solch enorme Reichtümer angesammelt, Dinge also, die man verlieren könnte, daß die Sorge vor dem unmittelbaren Verlust die vor dem Gesamtniedergang bei weitem überragt. Ob Haus, Grundstück, Vermögen, Versicherungen, Rente, Auto, Beruf, Arzt, Urlaub oder die bürgerlichen Freiheiten, sie alle binden die Menschen an die Aktionslosigkeit.

Was in dieser Lage getan werden kann, ist politisch vorgegeben: man kann einer Partei beitreten, alle paar Jahre wählen gehen und scheinbare Merkzettel verteilen, man kann leicht aufmüpfige Feuilletonisten lesen, sich halbwitzige Satiriker anschauen und vielleicht auch mal beim Stammtisch mit der Faust auf den Tisch hauen und alles verfluchen.

Aber ändern kann man nichts. Die politische Ohnmacht findet kein Ventil; nicht, weil es nicht genügend Wut gäbe, und auch nicht nur, weil kaum öffentliche Ausbruchmöglichkeiten in wirklich relevanten Medienformaten angeboten werden, sondern vor allem, weil wir alle an unserem mehr oder weniger hart Erarbeiteten oder Ererbten hängen und nicht bereit sind, uns davon unabhängig zu machen. Massenmediale Indoktrinierung, sozialstaatliche Kissen – auch wenn sie allmählich härter werden – und gelegentliche Zurschaustellung der möglichen Repressionsmittel bei Ungehorsam leisten ein Übriges.

Widerstand ist bei einfachen, mittellosen, armen, entrechteten Menschen viel wahrscheinlicher als in saturierten Gesellschaften. Deshalb konnten die Ideen von Marx, Engels und Lenin im Großen gesehen – auf der Basis der Existenz eines unter unvorstellbaren Lebensbedingungen vegetierenden Industrieproletariats – „zur materiellen Gewalt“ werden und deshalb gehen just heute noch und im Mikroskopischen jene Iren in Dublin gegen die politisch verordnete Migrationsakzeptanz in ihren heruntergekommen Vierteln auf die Straße, deren Distanz zum Boden viel geringer ist als zum Himmel, und deshalb gibt es auch in jenen Stadtvierteln von Leeds Riots, wo der soziale Bodensatz aus Rumänien oder Bangladesch sich konzentriert.

Dabei ist es weniger der materielle Reichtum an sich und seine aktuellen Konsumptionen, der bindet, sondern die Sicherheit und zukünftige Planbarkeit des Lebens, die er verspricht. Man sagt ja auch, jemand sei finanziell abgesichert, und das heißt: in der Zeit, in der Ferne. Die eigentliche Währung des Reichtums sind nicht Mark, Euro, Dollar oder Bitcoin, sondern es ist die Aussicht auf überraschungsfreie, planbare Zukunft, es sind die Möglichkeiten und es ist die gesicherte kommende Zeit.

Es bräuchte schon die Weisheit und Gelassenheit eines Jesus, Buddha oder Seneca, um den Gedanken „Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß jeder Tag seine eigene Plage hat“ (Mt. 6,34) als Beruhigung empfinden zu können. Der moderne Mensch ist dadurch charakterisiert, daß er dieses Zutrauen in das Geschick verloren hat.

Moderne ist ein Verwöhnungsprozeß, „sie will Gegenwart ohne Tränen. Für sie ist Kultur der Zustand, wo sich die Frage nach der Herkunft des Wassers durch die Existenz von Wasserhähnen beantwortet“. (Sloterdijk)

Die bundesrepublikanische, ja, die gesamte westliche Gesellschaft geriet im Corona-Wirbel nicht primär aus Angst vor dem Virus oder aus dem vermeintlichen Verlust der bürgerlichen Freiheiten in einen Schock, sondern weil man plötzlich begriff – und zwar in allen Gesellschaftskreisen, insbesondere in den bessersituierten –, daß das Leben per se noch immer ein unplanbares Etwas ist. Ob Natur, ob Markt (2008), ob Migrationschaos (2015) oder ob Krieg …, derartige Ereignisse machen in immer schnellerer Abfolge den Illusionscharakter von Planbarkeit und Sicherheit offenkundig.

Alles kann von heute auf morgen verschwinden, der Traum vom guten Auskommen bis ans Lebensende und über Generationen hinweg zerplatzen. Mehr noch, diese Fast-Katastrophen bringen uns in Erinnerung, daß der Abbruch von Lebenskontinuitäten in der gesamten Geschichte der Menschheit der Normalfall war und daß unsere acht Jahrzehnte Frieden und Prosperität ein historisches Freak-Ereignis darstellen.

Das führt sukzessive zu neuen Handlungstendenzen. Erst wenn Menschen die Zukunft nicht mehr vorausplanen können, wenn ihnen die eigene und die Sicherheit der ihren abhanden gekommen ist, geraten sie in Hektik, neigen zu abrupten Entscheidungen, lassen sie sich von Katastrophenstimmungen übermannen, werden bereit, das gesicherte Gewesene einem unsicheren Kommenden – gemeinhin als Hoffnung, Rache oder Revolution bezeichnet – zu opfern. Sie sind dann bereit, aus Desastern oder drohenden Katastrophen zu lernen und in diesem Lernprozeß auch persönliche Risiken einzugehen.

Es bedarf dazu aber einer hinreichend großen Katastrophe, die andererseits aber auch nicht zu groß, nicht allesvernichtend, nicht resignativ sein darf. Peter Sloterdijk stellte sich in seiner früher Arbeit „Eurotaoismus“, im Abschnitt „Wieviel Katastrophe braucht der Mensch?“ die Frage:

Welche Größenordnung müßte eine Katastrophe haben, ehe von ihr der erwartete allgemeine Erkenntnisblitz ausstrahlt? Von welchem Punkt an wären Katastrophen Evidenzgründe für radikale mentalitätsverwandelnde Einsichten?, um freilich zu dem Schluß zu kommen, daß es offenbar kein quantitatives Maß gibt, das als ‚didaktisch‘ zureichende Größe des Unglücks angenommen werden könnte.

Das „Corona-Debakel“ hielt Sloterdijk an anderer Stelle für das „richtige Format“, um als „Warnkatastrophe“ (C. F. v. Weizsäcker) wirken zu können – schon drei Jahre später können wir konstatieren, daß dies zu optimistisch gedacht war.

Die Gattung betreffend, sieht Sloterdijk jedenfalls keine edukative Möglichkeit, denn

die Menschheit ist a priori lernbehindert, weil sie kein Subjekt ist, sondern ein Aggregat.

Das dürfte in Sloterdijks Lesart auch für Groß-Entitäten wie Völker gelten.

Vorausgesetzt, diese Überlegungen treffen die Realität, dann dürfte Kubitscheks Idee des „Kältebades“ für ein Volk oder eine Nation, sofern man es als Kneippkur, als Abhärtung, als Erweckung aus dem Schlummer in den weichen, warmen Badetüchern versteht, ebenso zu den Dampffiguren gehören, die mit Öffnung der Tür, mit dem Anwerfen des Ventilators zerstäuben.

Die kommende Kälte oder Katastrophe, wenn sie geschichtswirksam werden soll, wird zuerst zur Vereinzelung führen, zum Rette-sich-wer-kann und was-er-kann und erst, wenn die heruntergekommenen Partikel sich erneut als sich Ähnliche versammeln, entsteht wieder ein geschichtsrevolutionierendes Potential. Das Leid, die Kälte muß individuell und existentiell erfahren werden, es muß von vorn, von ganz unten, vom Nullpunkt angefangen werden, denn ein bißchen mehr Kälte ist immer noch zu warm, ist noch immer verteidigungs- und lohnenswert.

Jörg Seidel

Seidel-Beitrag in Sezession:  Antwort Werner Olles auf Sezession-online 25.07.2024

 

Seidel hat immerhin verstanden, daß die Angst des bürgerlichen Subjekts der eigentliche Schlüssel für das Hinnehmen der Zustände und das Stillhalten der Massen ist. Das ist schon eine ganze Menge für einen Nicht-Marxisten, der sich zwar in die Wesenslogik des bürgerlichen Subjekts hineinversetzen kann, aber eben leider nicht in die des staatsmonopolistischen Kapitalismus. Hans-Jürgen Krahl, nach Maschke und Böckelmann wohl der intelligenteste der 67/68er hat dies noch weit eindeutiger definiert: „Es ist nicht das bloße Trauern um den Tod des bürgerlichen Individuums, sondern es ist die intellektuell vermittelte Erfahrung dessen, was Ausbeutung und Unterdrückung in dieser Gesellschaft bedeuten, nämlich die restlose und radikale Vernichtung der Bedürfnisentwicklung in der Dimension des menschlichen Bewußtseins.

ES IST IMMER NOCH DIE FESSELUNG DER MASSEN, BEI ALLER MATERIELLEN BEDÜRFNISBEFRIEDIGUNG, AN DIE ELEMENTARSTEN FORMEN DER BEDÜRFNISBEFRIEDIGUNG – AUS ANGST DAS KAPITAL UND DER STAAT KÖNNTEN IHNEN DIE SICHERHEITSGARANTIEN ENTZIEHEN!“

Ihr seht, wir brauchen keinen Kubitschek, um zu erkennen, daß Angst der Schlüssel ist. Eine entschiedenere und klügere Definition der prima funktionierenden Unterdrückungsmechanismen im „besten Deutschland, das es je gab“, hat seit Ende der 20er Jahre, als Heidegger versuchte mit „Sein und Zeit“ Lukacs „Geschichte und Klassenbewußtsein“  zu widerlegen, was ähnlich gründlich mißlang wie Dutschkes „Versuch Lenin vom Kopf auf die Füße zu stellen“ – Maschke nannte das Buch zu Recht immer „Versuch Lenin aufs Kreuz zu legen“ – niemand mehr geleistet, vor allem die assimilatorische „Neue Rechte“ nicht, die von einer Interessenidentität zwischen Intellektuellen und Arbeiterklasse noch weiter entfernt als die Neue Linke es damals war. Zwar ist im Grunde alles so leicht zu durchschauen – die neue Offenheit steht für offene Repression, die neue Toleranz ist die Toleranz gegenüber den mörderischen Konsequenzen des Kriegs-Kapitalismus und Katastrophen-Globalismus, die herrschende Clique verlangt die präventive Selbstentwaffnung jedes denkbaren Herdes von Widerständigkeit in Politik, Alltagsleben und theoretischer Sphäre, außer garantiert zahnlosem Theoretisieren, das die intellektuelle „Neue Rechte“ auf dem akademischen Donnerbalken perfekt beherrscht und gebetsmühlenhaft Theoriehäuflein neben andere Theoriehäuflein setzt, um es sich in diesem Rahmen selbstgenügsam  bequem zu machen.

Das kritische Hindurchgehen durch derartige Theoriestränge unterschiedlicher Provenienz beseitigt zwar auch keine einzige der enormen Schwierigkeiten, die mit einer praktischen Umsetzung verbunden sein müßten, um überhaupt irgendeine Wirkung, und sei sie noch verquer, zu erreichen, aber um nicht in das grauenvolle Schauspiel des Nach-68er arbeiterbewegten Proletkults oder – noch schlimmer – in Debords  „Gesellschaft des Spektakels“ zu verfallen, die ja medientheoretisch längst vereinnahmt ist, genau wie die postmoderne Linke, die zeitlebens die Funktion einer Avantgarde der Warengesellschaft hatte, wäre es  an der Zeit etwas Neues/Altes zu entdecken, daß zum einen bei Diego Fusaro und zum anderen bei Guillaume Faye zu finden ist. Nur keine Angst, Fusaro und Faye zu lesen, tut nicht weh, nur manchmal vielleicht ein wenig, klärt aber den Nebel im eigenen Kopf.

Werner Olles