{"id":9248,"date":"2023-03-30T15:15:43","date_gmt":"2023-03-30T13:15:43","guid":{"rendered":"https:\/\/gegenstrom.org\/?p=9248"},"modified":"2023-03-30T15:15:43","modified_gmt":"2023-03-30T13:15:43","slug":"im-gespraech-mit-wolfgang-bendel","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/gegenstrom.org\/en\/im-gespraech-mit-wolfgang-bendel\/","title":{"rendered":"Im Gespr\u00e4ch mit Wolfgang Bendel"},"content":{"rendered":"

Die geopolitische Geltung Brasiliens und Lateinamerikas wird gern untersch\u00e4tzt, wenn nicht sogar vollkommen aus der Betrachtung ausgeschlossen, angesichts Spielern wie den USA, Russland oder China. Das folgende Interview mit Wolfgang Bendel, dessen Wahlheimat das gr\u00f6\u00dfte Land ebenjenes Kontinents ist, soll Licht ins Dunkel bringen. Bereits in Werken wie, „Der phantastische Kontinent<\/a>„, schreibt Bendel eingehender \u00fcber die Eigenarten dieses Erdteils und seiner Bedeutung f\u00fcr die restliche Welt. Bendel ist ebenso Verfasser der Werke „Aristokratie – Eine Streitschrift“ sowie Mitverfasser des „Areopag I – Die neue Aristokratie<\/a>„.<\/em><\/p>\n

Das Interview f\u00fchrte Peter Steinborn, vom MetaPol Verlag.<\/em><\/p>\n

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Sehr geehrter Herr Bendel, vielen Dank, dass Sie uns dieses Interview geben. Sie hegen seit Ihrer Kindheit eine Faszination f\u00fcr Lateinamerika, haben sogar ein Buch \u00fcber den \u201ePhantastischen Kontinent\u201c geschrieben und leben auch seit vielen Jahren in Brasilien. Ich m\u00f6chte heute die Gelegenheit nutzen mit Ihnen \u00fcber Ihre Wahlheimat zu sprechen und Ihnen einige Fragen zu stellen.<\/em><\/strong><\/p>\n

K\u00f6nnen Sie uns bitte die demografische Situation n\u00e4herbringen? In Brasilien leben schwarze und wei\u00dfe Menschen nebeneinander bzw. in einer Art Koexistenz. Was ist eigentlich typisch brasilianisch? Kann man das so \u00fcberhaupt sagen? Mit welchem europ\u00e4ischen Land ist Brasilien am vergleichbarsten? Was macht die Nation Brasilien aus?<\/em><\/strong><\/p>\n

Erlauben Sie mir zun\u00e4chst zwei grunds\u00e4tzliche Anmerkungen zum allgemeinen Verst\u00e4ndnis des Landes und seiner Bewohner. Brasilien geh\u00f6rt nicht nur, was die Fl\u00e4che und die Bev\u00f6lkerungszahl, sondern auch was die Wirtschaftskraft betrifft zu den zehn bedeutendsten Staaten der Erde. Brasilien ist eine Gro\u00dfmacht. Dieser Tatsache sind sich viele Menschen inner- und au\u00dferhalb des Landes nicht immer bewusst. Gleichzeitig kann man Brasilien nicht als ein typisches Land der Dritten Welt bezeichnen. Stattdessen leben dort Erste und Dritte Welt zusammen oder besser gesagt nebeneinander vor sich hin. Es gibt dort beispielsweise eine hochmoderne Flugzeugindustrie, w\u00e4hrend andererseits Gegenden existieren, die nach wie vor ohne Stromversorgung und flie\u00dfendes Trinkwasser auskommen m\u00fcssen. Jetzt aber zu Ihren Fragen.<\/p>\n

Nach Jahrzehnten starken Bev\u00f6lkerungswachstums beginnt sich dieses entscheidend abzuschw\u00e4chen. Momentan leben laut dem vorl\u00e4ufigen Zensus von 2022 208 Millionen Menschen in dem tropischen Gro\u00dfreich, im letzten Jahrzehnt stieg die Bev\u00f6lkerung nur mehr um 0,7% j\u00e4hrlich und auch dieses geringe Wachstum d\u00fcrfte bereits bald ganz zum Stillstand kommen.<\/p>\n

In Brasilien gibt es grob gesagt vier Bev\u00f6lkerungsgruppen. Menschen europ\u00e4ischer Abstammung, Mischlinge, zumeist Mulatten, Schwarzafrikaner und die Ureinwohner des Landes. Hinzu kommen noch Asiaten in relativ geringer Zahl, vor allem Japaner. In letzter Zeit stieg zudem die Zahl von arabischst\u00e4mmigen Zuwanderern. Im S\u00fcden und S\u00fcdosten dominieren eindeutig die Wei\u00dfen, in den anderen Regionen die Mulatten, w\u00e4hrend die Schwarzen sich auf den Bundesstaat Bahia und dort vor allem auf den Gro\u00dfraum der Regionalhauptstadt Salvador konzentrieren. Die Indianer leben mehrheitlich in abgelegenen Gebieten wie dem Amazonas. Diese geographische Verteilung hat eher historische als aktuelle oder wirtschaftliche und soziale Gr\u00fcnde.<\/p>\n

Was die Brasilianer als Nation zusammenh\u00e4lt ist die gemeinsame Sprache und der Stolz in einem sehr gro\u00dfen Land zu leben. Fr\u00fcher sagte man zudem h\u00e4ufig im Scherz, dass das dritte Symbol der Einheit der Fu\u00dfball ist. Nach den Misserfolgen bei den letzten Weltmeisterschaften ist dies immer weniger der Fall. Nationale Minderwertigkeitskomplexe wie in manchen anderen lateinamerikanischen Republiken findet man hier erfreulicherweise nicht. Ansonsten sind die Unterschiede zwischen den Regionen, Brasilien wird in f\u00fcnf Gro\u00dfregionen eingeteilt, sehr gro\u00df. Kulturell, sozial, wirtschaftlich und auch was die Zusammensetzung der Bev\u00f6lkerung betrifft. Brasilien ist mit keinem europ\u00e4ischen Staat vergleichbar. Ein Freund bemerkte mir gegen\u00fcber scherzhaft, dass ihn Neapel am ehesten an Brasilien erinnern w\u00fcrde. Es ist neben Indien das einzige tropische Gro\u00dfreich auf unserem Planeten.<\/p>\n

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Welche Religionen spielen in dem Land des Brasilholzbaumes eine Rolle? Welchen Einfluss haben die religi\u00f6sen Gruppen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik?<\/em><\/strong><\/p>\n

Fr\u00fcher war Brasilien katholisch. In den letzten Jahrzehnten gingen Einfluss und Bedeutung der katholischen Kirche immer mehr zur\u00fcck. Deren Anpassung an den linksliberalen Zeitgeist machten viele Gl\u00e4ubige nicht mit und schlossen sich zahlreichen evangelikalen Gruppen an. Das sind neben den alteingesessenen Gruppen wie den Baptisten oder den Methodisten unz\u00e4hlige Glaubensgemeinschaften, die h\u00e4ufig in Brasilien gegr\u00fcndet wurden. Einige davon wie die Igreja Universal verf\u00fcgen \u00fcber Millionen von Anh\u00e4ngern und breiteten sich in viele L\u00e4nder der Welt aus. Inzwischen d\u00fcrfte nur mehr gut die H\u00e4lfte der Brasilianer der katholischen Kirche angeh\u00f6ren. Der Bundesstaat Rio de Janeiro war der erste, in dem die Katholiken in die Minderheit gerieten. Andere folgten. Der Einfluss der evangelikalen Gruppen ist erheblich. Bolsonaro hatte seinen \u00fcberraschenden Wahlsieg zu einem guten Teil diesen Leuten zu verdanken. Die katholische Kirche hingegen geriet zunehmend ins Fahrwasser linker Gruppierungen, wobei sie dabei nicht die Richtung bestimmt, sondern diesen hinterherl\u00e4uft. Das wiederum wollten viele Gl\u00e4ubige nicht mehr l\u00e4nger mitmachen.<\/p>\n

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Welche Rolle spielen heute noch die indigenen Kulturen in der brasilianischen Gesellschaft und der Politik?<\/em><\/strong><\/p>\n

In der allt\u00e4glichen Realit\u00e4t spielen sie keine ernsthafte Rolle, daf\u00fcr umso mehr in der Propaganda, vor allem wenn es um das Amazonasgebiet geht. Schon vor vielen Jahren fragte ich einen Indianer, warum die indigenen Sprachen in Brasilien vom Aussterben bedroht sind. Er antwortete: \u201eAlle sprechen Portugiesisch, mit meiner Sprache kann ich mich nur in einem sehr begrenzten Umfeld verst\u00e4ndigen. Anders gesagt, f\u00fcr viele junge Leute ist es schlicht unn\u00f6tig und weitgehend sinnlos, die eigene Sprache zu lernen, weil man sich mit ihr fast nirgends verst\u00e4ndigen kann.\u201c Das Problem ist dabei, dass es in Brasilien keine dominierende indianische Sprache gibt wie in Paraguay, Ekuador oder Peru, sondern zahlreiche sehr unterschiedliche Sprachen. Die Kultur der Indianer bzw. deren Schutz wird nur dann aus der Versenkung geholt, wenn europ\u00e4ische Staaten oder die USA samt ihren \u201eNichtregierungsorganisationen\u201c ihre neokolonialistischen Anspr\u00fcche auf das Amazonasgebiet ideologisch begr\u00fcnden wollen.<\/p>\n

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Brasiliens Geschichte wirkt auf uns Europ\u00e4er etwas surreal. Von der Kolonialzeit \u00fcber das K\u00f6nig- und Kaiserreich mit seinen beiden Epochen bis hin zu einer Milit\u00e4rdiktatur. Die \u201eRepublica Velha\u201c hielt immerhin ca. vier Jahrzehnte. Heute versteht sich das Land als Pr\u00e4sidialdemokratie. In dieser Demokratie kommen immer wieder Korruptions- und Justizskandale ans Tageslicht. Ist Brasiliens Demokratie, das sich erst seit 1993 endg\u00fcltig als Republik verstehen wollte, bereits jetzt in einer Krise? Wenn ja, wie zeichnet sich diese Krise\/wie zeichnen sich diese Krisen aus?<\/em><\/strong><\/p>\n

Dass Brasilien 67 Jahre lang ein Kaiserreich war, ist der Hauptgrund daf\u00fcr, dass das portugiesische Kolonialreich in Lateinamerika nicht in verschiedene kleinere Staaten zerfiel wie das spanische. Der Kaiser, der \u00fcbrigens aus dem portugiesischen K\u00f6nigshaus stammte, als Symbol der Einheit verhinderte dies, obwohl es auch in Brasilien zu Beginn starke separatistische Str\u00f6mungen gab. Die Demokratie befindet sich weltweit in einer Legitimationskrise, das ist in Brasilien nicht anders. Auch in Brasilien ist immer weniger von der vielger\u00fchmten Gewaltenteilung zu sehen, um nur ein Beispiel zu nennen. Erst k\u00fcrzlich wurde Sergio Cabral, der ehemalige Gouverneur des Bundesstaates Rio de Janeiro unter Auflagen wieder auf freien Fu\u00df gesetzt, obwohl er aufgrund unz\u00e4hliger F\u00e4lle von Korruption, Unterschlagung und Diebstahl \u00fcber vierhundert (!) Jahre Gef\u00e4ngnis erhalten hatte. In einer funktionierenden Demokratie h\u00e4tte dies zu einem Aufschrei in der \u00d6ffentlichkeit f\u00fchren m\u00fcssen. Stattdessen wurde dieser skandal\u00f6se Vorgang nur kurz am Rande erw\u00e4hnt und kaum kritisiert. Wie alle Demokratien befindet sich auch Brasilien in einer Dauerkrise, ein grunds\u00e4tzlicher Unterschied zu anderen Regionen der Welt ist nicht erkennbar. Die Gleichheit vor dem Gesetz geh\u00f6rt auch in Brasilien der Vergangenheit an mit dem Unterschied, dass es diese in Brasilien eigentlich nie gab.<\/p>\n

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Wie viel Macht hat der Pr\u00e4sident in Brasilien tats\u00e4chlich? Ist diese pr\u00e4sidiale F\u00fchrung mit den USA vergleichbar?<\/em><\/strong><\/p>\n

Das politische System Brasiliens ist mit dem der USA oder Frankreichs vergleichbar. Formell ist die Machtf\u00fclle des Pr\u00e4sidenten erheblich, eine Tatsache, die Bolsonaro viel zu selten mit Leben erf\u00fcllte. Nat\u00fcrlich braucht der Pr\u00e4sident auch die Zustimmung des Kongresses bei Gesetzesvorhaben. Der Oberste Gerichtshof spielte gerade w\u00e4hrend der Pr\u00e4sidentschaft Bolsonaros eine Rolle, die weit \u00fcber seinen Kompetenzen lag. Vor allem der Vorsitzende Richter Alexandre de Moraes benahm sich zeitweise, als sei er der wirkliche Pr\u00e4sident des Landes. Warum Bolsonaro sich das gefallen lie\u00df bzw. die Machtf\u00fclle von Moraes nicht stutzte, ist auf den ersten Blick kaum nachzuvollziehen und bleibt der Spekulation \u00fcberlassen. Die Erkl\u00e4rungen reichen vom \u201eTiefen Staat\u201c, der sein Unwesen treibt bis zum Vorhandensein von erpresserischem Material, mit dem man Bolsonaro einsch\u00fcchtern konnte.<\/p>\n

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Mit Jair Bolsonaro kam ein dem heutigen in Brasilien offenbar diametral gegen\u00fcberstehender Pr\u00e4sident auf die B\u00fchne. Dieser sorgte in der ganzen Welt f\u00fcr Schlagzeilen. Hierzulande wird er nicht selten als Rechtsextremer und Rassist bezeichnet. Tats\u00e4chlich repr\u00e4sentierte er die wei\u00dfe Bev\u00f6lkerung in Brasilien. Der nun amtierende Pr\u00e4sident Lula da Silva steht f\u00fcr die komplett gegenteilige Politik. Wie kam es, dass solch stark unterschiedliche Kandidaten hintereinander die Amtsgesch\u00e4fte \u00fcbernahmen? Wie gespalten ist Brasilien eigentlich?<\/em><\/strong><\/p>\n

Brasilien ist zutiefst gespalten. Das zeigten die Ereignisse vom 8. Januar dieses Jahres, als Anh\u00e4nger Bolsonaros die Kongressgeb\u00e4ude und weitere \u00f6ffentliche Einrichtungen in Brasilia st\u00fcrmten, weil sie die Ergebnisse der Wahl vom Oktober 2022 nicht anerkennen wollten. Dass dieser Sturm unsinnigerweise an einem Sonntag geschah, als kein Politiker von Einfluss sich in den Geb\u00e4uden aufhielt, soll hier nicht weiterverfolgt werden. Die Tatsache an sich zeigt aber, dass der Riss in der brasilianischen Gesellschaft sehr tief ist. Inhaltlich unterscheiden sich Lula und Bolsonaro weniger als es uns die Propaganda wei\u00dfmachen will. Beide sind Populisten, der eine ein linker, der andere ein rechter. Einig sind sie sich beispielsweise darin, im Ukrainekonflikt neutral zu bleiben und gro\u00dfz\u00fcgige Sozialprogramme aufzulegen.<\/p>\n

Bolsonaro ist genauso wenig ein Rechtsextremist wie Lula ein Kommunist ist. Es ist auch nicht richtig, dass Bolsonaro die wei\u00dfe Bev\u00f6lkerung und Lula die farbige Bev\u00f6lkerung repr\u00e4sentiert. Allenfalls k\u00f6nnte man sagen, dass der eine mehr von Wei\u00dfen, der andere mehr von Farbigen gew\u00e4hlt wird. Von den f\u00fcnf Gro\u00dfregionen, die ich schon erw\u00e4hnte, gewann Bolsonaro vier, Lula nur eine, den bev\u00f6lkerungsreichen Nordosten. Letzteren aber mit gro\u00dfem Vorsprung. Von den vier Gro\u00dfregionen, die Bolsonaro gewann, sind nur zwei von Wei\u00dfen dominiert.<\/p>\n

Der Wahlausgang war ziemlich knapp und Lula war der einzige Politiker, der Bolsonaro besiegen konnte. Alle anderen h\u00e4tten keine Chance gehabt. Deshalb wurde Lula aus dem Gef\u00e4ngnis geholt, obwohl er bereits in zweiter Instanz wegen Korruption etc. verurteilt worden war. Man muss an dieser Stelle betonen, dass die Politiker Brasiliens in erster Linie eigenn\u00fctzige Interessen haben denn politische. Inhaltliche Forderungen werden h\u00e4ufig nur benutzt, um handfeste, pers\u00f6nliche und finanzielle Interessen durchsetzen zu k\u00f6nnen. Dies erkl\u00e4rt hinreichend, warum man auf die ziemlich exotische Idee kam, Lula mittels juristischer Winkelz\u00fcge aus dem Gef\u00e4ngnis zu holen und als Pr\u00e4sidentschaftskandidaten aufzustellen. Es ging und geht um Geld und Einfluss, viel weniger um ideologische Zielvorstellungen. Das wird im Ausland h\u00e4ufig nicht erkannt. Letztlich wollten die Kreise, die Lula unterst\u00fctzen, wieder an die Fleischt\u00f6pfe der Macht zur\u00fcck. Ganz banal gesprochen. Das ideologische Get\u00f6se drumherum sollte man nicht allzu ernst nehmen.<\/p>\n

Schaut man sich die politische Karriere von Bolsonaro an, stellt man fest, dass dieser in vielen verschiedenen Parteien Mitglied war. Man bekommt regelrecht den Eindruck, als handle es sich eher um einen Suchenden oder Karrieristen denn einen politischen oder ideologischen F\u00fchrer.<\/p>\n

Bolsonaro ist ein letztlich unpolitischer Mensch, der unter Einfluss der erw\u00e4hnten evangelikalen Kirchen und durch die Streitkr\u00e4fte sozialisiert zu einigen Positionen kam, die heute als rechts oder gar \u201erechtsextrem\u201c gelten, vor einigen Jahrzehnten aber noch Mainstream waren. Ich w\u00fcrde ihn als Karrieristen bezeichnen, der vermutlich zu seiner eigenen \u00dcberraschung zum Pr\u00e4sidenten gew\u00e4hlt wurde. Brasilien ist mehrheitlich eine konservative Gesellschaft, und die Menschen waren es nach 16 Jahren leid gewesen, von der linken PT regiert zu werden. Bolsonaro ist sicherlich kein politisch-ideologischer \u00dcberzeugungst\u00e4ter. In vielem erinnert er an Trump. Er kam an die Macht, konnte sich dort aber nicht dauerhaft etablieren, weil er es w\u00e4hrend seiner Amtszeit vers\u00e4umte die dazu n\u00f6tigen Strukturen zu schaffen. Zu Beginn seiner Amtszeit verlie\u00df er im Streit die Partido Social Liberal (PSL), blieb dann zwei Jahre parteilos, um im Wahljahr schlie\u00dflich als Kandidat der Partido Liberal (PL) den Wahlkampf zu bestreiten. Er unternahm auch keinerlei Versuche, den Obersten Gerichtshof STF in seine verfassungsm\u00e4\u00dfigen Schranken zu verweisen. Aus dem Gesagten erkennt man ein gro\u00dfes Ma\u00df an Desorganisation und Planlosigkeit, ein Verhalten das f\u00fcr Bolsonaro typisch und charakteristisch ist. Manche politischen Beobachter warfen ihm sogar \u201eFaulheit\u201c vor.<\/p>\n

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Bolsonaro steht als Ex-Milit\u00e4r f\u00fcr die Sympathien im Land f\u00fcr die Milit\u00e4rdiktatur ab den 60er Jahren. Ab Mitte der 1970er Jahre erfuhr Brasilien unter General Ernesto Geisel einen regelrechten Wirtschaftsboom. In dieser Zeit war die politische Rechte am st\u00e4rksten. Wie stark ist der R\u00fcckhalt in der Bev\u00f6lkerung f\u00fcr rechte Politiken? Wie stark sind die Sympathien f\u00fcr die Milit\u00e4rdiktatur und von wen gehen sie aus?<\/em><\/strong><\/p>\n

Die Ereignisse zu Beginn des Jahres und nach der verlorenen Wahl vom Oktober 2022 zeigen deutlich, dass es ein gro\u00dfes Potenzial f\u00fcr rechte Politik in Brasilien gibt. Die trotz ihres Namens rechtsgerichtete PL wurde bei den Kongresswahlen sowohl im Abgeordnetenhaus als auch im Senat zur st\u00e4rksten Partei und \u00fcberholte die bis dahin f\u00fchrende PT. Zudem gewannen die PL und ihre Verb\u00fcndeten bei den Gouverneurswahlen mehrere wichtige Bundesstaaten, darunter S\u00e3o Paulo und Rio de Janeiro. Die Milit\u00e4rregierung steht besonders bei \u00e4lteren Menschen nach wie vor hoch im Kurs, wobei auch Verkl\u00e4rung dabei ist. Die Milit\u00e4rs modernisierten das Land, verbesserten die Infrastruktur entscheidend und hielten die Kriminalit\u00e4t in Grenzen. Das historisch gr\u00f6\u00dfte Wirtschaftswachstum Brasiliens fiel genau in diese Zeit. Vers\u00e4umt wurde es allerdings, die Milit\u00e4rherrschaft politisch-ideologisch zu begr\u00fcnden. Au\u00dfer plattem Antikommunismus kam da nichts. Das r\u00e4cht sich heute. Auch die Monarchie verf\u00fcgt weiterhin \u00fcber viele Anh\u00e4nger. Allerdings gelingt es beiden Str\u00f6mungen nicht, sich als glaubhafte Alternative zur Demokratie zu pr\u00e4sentieren. Letztlich sehen wir in Brasilien dieselbe Entwicklung wie in vielen Teilen der Welt. Die Demokratie als angeblich alternativlose Staatsform st\u00f6\u00dft un\u00fcbersehbar an ihre Grenzen, aber gangbare Alternativen sind noch nicht ins Bewusstsein vieler Menschen eingedrungen.<\/p>\n

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Doch innerhalb der Zeit der Gener\u00e4le leidet die Linke im Land unter massiver Repression. Viele Menschen wurden in dieser Zeit inhaftiert, mussten ins Exil fliehen oder erfuhren Berufs- und Ausbildungsverbote. Diese Ereignisse liegen gerade einmal zwei Generationen zur\u00fcck. Es wurde Mitte der 1990er Jahre eine \u201eWahrheitskommission\u201c eingerichtet, um die Menschenrechtsverletzungen w\u00e4hrend dieser Zeit aufzuarbeiten. Dies zeigt, dass die Sympathien f\u00fcr die Milit\u00e4rregierungen nicht von allen geteilt werden. <\/em><\/strong>Welche Auswirkungen hat das auf die sehr heterogene Gesellschaft in Brasilien? Handelt es sich hier um un\u00fcberwindbare Gr\u00e4ben? Wenn ja, was glauben Sie, wie diese geschlossen werden k\u00f6nnten?<\/em><\/strong><\/p>\n

In diesem Zusammenhang ist eine Zahl interessant. W\u00e4hrend der Milit\u00e4rdiktatur wurden in Brasilien 400 politische Gegner get\u00f6tet. Dies stellte eine offizielle Kommission vor einigen Jahren fest. In Argentinien waren es 30 000, in Chile 3 000, um nur zwei der wichtigsten Nachbarstaaten zu nennen. Dies zeigt bereits, dass die Diktatur in Brasilien bei weitem nicht so repressiv war wie in anderen L\u00e4ndern. Das entgegengesetzte Narrativ der Linken dient mehr der Selbstbeweihr\u00e4ucherung als dass es an Fakten festzumachen w\u00e4re.<\/p>\n

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Welche Rolle spielen die Milit\u00e4rs heute noch? Immer wieder wird die Angst vor einem erneuten Putsch in den westlichen Medien skizziert. Ist das real oder nur Propaganda?<\/em><\/strong><\/p>\n

Die Milit\u00e4rs betrachteten den Wahlsieg von Lula mit Skepsis. Ein Putsch war allerdings zu keiner Zeit eine ernsthafte Option. Demonstrationen der Anh\u00e4nger von Bolsonaro gleich nach der Wahl, in denen ein Eingreifen der Milit\u00e4rs gefordert wurde, hatten keinerlei Erfolg. Das Milit\u00e4r erkannte mehrheitlich das Wahlergebnis trotz einiger offen vorgebrachter Zweifel an dessen Korrektheit an.<\/p>\n

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Immerhin war Brasilien eine nicht unbedeutende Zeit eine Monarchie. Sie selbst sind bekennender Anh\u00e4nger einer Aristokratie, wie die Schriften und Essay von Ihnen beweisen. Wie stark ist die monarchistische Bewegung in Brasilien? Halten Sie eine R\u00fcckkehr f\u00fcr m\u00f6glich?<\/em><\/strong><\/p>\n

1993 gab es eine Abstimmung \u00fcber das politische System. Zur Auswahl standen dabei Republik oder Monarchie. Die Republikaner erhielten 43,8 Millionen Stimmen, die Monarchisten 6,8 Millionen, 12,9 Millionen enthielten sich der Stimme oder lehnten beide Vorschl\u00e4ge ab. Die Monarchisten sind also eine gar nicht so kleine Minderheit. Es gibt mehrere monarchistische Zirkel und ein Nachfolger des Kaiserhauses, Luiz Philippe de Orl\u00e9ans e Bragan\u00e7a ist f\u00fcr die PL Abgeordneter f\u00fcr S\u00e3o Paulo im Repr\u00e4sentantenhaus. Sollte sich die Demokratie weiter delegitimieren, wonach es aussieht, ist eine R\u00fcckkehr zu einer erneuerten Monarchie nicht mehr auszuschlie\u00dfen.<\/p>\n

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Das Land steht vor gewaltigen innenpolitischen Herausforderungen. Die soziale Schere geht immer weiter auseinander. Die kommunalen Kassen sind blank. Es existiert eine strikte selbstgew\u00e4hlte Segregation zwischen den Rassen. Jetzt behaupten Bolsonaros Anh\u00e4nger und er selbst, dass die Wahlen auf einem Betrug aufsetzen, was das Vertrauen in die neue Regierung, \u00e4hnlich wie in den USA, weiter unterminieren d\u00fcrfte. Steht Brasilien vor einem Zusammenbruch? Wie stabil sind Gesellschaft, Politik und Wirtschaft aus Ihrer Sicht?<\/em><\/strong><\/p>\n

Brasilien ist stabiler als viele lateinamerikanische Nachbarrepubliken. Niemand hat ein Interesse, weder die Amerikaner noch die Chinesen, Russen oder Europ\u00e4er und am allerwenigsten die Brasilianer selbst, dass ein Land von der Gr\u00f6\u00dfe und Bedeutung Brasiliens im Chaos versinkt. Trotz der erw\u00e4hnten tiefen Spaltung des Landes halte ich weder einen B\u00fcrgerkrieg noch ein Abgleiten in venezolanische Verh\u00e4ltnisse f\u00fcr denkbar. Wobei man heutzutage besser das W\u00f6rtchen \u201evorl\u00e4ufig\u201c hinzuf\u00fcgen sollte. Der brasilianische Real ist in den letzten Jahren eine vergleichsweise stabile W\u00e4hrung geworden, die Inflation ist niedriger als in den USA oder Europa. Inwieweit die Regierung Lula diese unbestreitbaren Erfolge der \u00c4ra Bolsonaro wieder zunichtemachen wird, kann nur die Zukunft zeigen. Bez\u00fcglich des Stichworts \u201eZusammenbruch\u201c wage ich die Prognose, dass wohl eher die EU als Brasilien zusammenbrechen wird.<\/p>\n

Die brasilianische Gesellschaft ist weniger entlang rassischer als vielmehr entlang sozialer Unterschiede gespalten. Eine rassische Segregation ist, soweit \u00fcberhaupt noch vorhanden, \u00fcberall auf dem R\u00fcckzug. Anders sieht es bei den sozialen Unterschieden aus. Eine gleichm\u00e4\u00dfige Entwicklung ist angesichts der Gr\u00f6\u00dfe des Landes, seiner unterschiedlichen Landschaften und Bev\u00f6lkerungsgruppen unm\u00f6glich. Hinzu kommen tiefe kulturelle und mentalit\u00e4tsm\u00e4\u00dfige Unterschiede. Ein Bewohner des nord\u00f6stlichen Bundesstaates Bahia hat mit einem Brasilianer aus den s\u00fcdlichen Bundesstaaten Santa Catarina oder Parana nur den Pass und die portugiesische Sprache gemeinsam. Zuwanderer aus diesen Landesteilen bezeichne ich bei uns in Bahia gerne scherzhaft als \u201ebrasilianische Gringos\u201c. Ihre Versuche, im Nordosten gesch\u00e4ftlich oder erwerbsm\u00e4\u00dfig Fu\u00df zu fassen, scheitern oft an der Unf\u00e4higkeit die Mentalit\u00e4t der Brasilianer des Nordostens zu verstehen und richtig einordnen zu k\u00f6nnen.<\/p>\n

Dass in Brasilien sehr reiche und sehr arme Menschen leben, hat Tradition, und es ist nicht erkennbar, warum sich das \u00e4ndern sollte. Denn auch die \u201elinke\u201c PT und ihr Idol Lula sicherten sich die Mitarbeit und Unterst\u00fctzung vieler der reichsten Familien und Unternehmer des Landes. Million\u00e4r und \u201elinks\u201c zu sein gilt in Brasilien nicht als Widerspruch. Bezeichnend daf\u00fcr war es, dass die erste Aktivit\u00e4t von Lula nach seinem Wahlsieg und noch vor der Amts\u00fcbernahme ein Flug im Privatjet eines befreundeten Multimillion\u00e4rs auf die Umweltkonferenz nach Kairo war.<\/p>\n

Bemerkenswert ist, dass Lula und seine PT schon bei ihrem ersten Amtsantritt 2003 begannen, die Gro\u00dfunternehmer und kapitalstarken Familien auf ihre Seite zu ziehen, indem sie an diese umfangreiche Staatsauftr\u00e4ge vergaben. Damit unterschieden sie sich als erste grundlegend von linken Regierungen anderer L\u00e4nder, die schnell mit Verstaatlichungen begannen, sobald sie an die Macht gekommen waren. Inzwischen macht dieses Beispiel in anderen L\u00e4ndern Lateinamerikas Schule wie die F\u00e4lle Chile, Kolumbien oder Mexiko zeigen, wo die neugew\u00e4hlten Linksregime gar nicht daran denken, Unternehmen zu verstaatlichen oder Multimillion\u00e4re zu enteignen.<\/p>\n

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Kommen wir zur Geopolitik. Es findet ein immer st\u00e4rker zu betonendes Tauziehen zwischen den USA und den BRICS-Staaten statt. Brasilien ist eine von diesen Nationen. Brasilien befindet sich immerhin genauso wie Kuba und Venezuela auf dem Doppelkontinent des Weltenherrschers. Bekommt man eine Konkurrenz zum US-amerikanischen Hegemon in Brasilien zu sp\u00fcren? Unter Bolsonaro wurde eine eher nationalistische Politik betrieben, was sicherlich den Interessen der USA zuwidergelaufen sein d\u00fcrfte. Wie wird es mit dem neuen Pr\u00e4sidenten weitergehen? Wie nachhaltig ist die geopolitische Linie der Linken in Brasilien?<\/em><\/strong><\/p>\n

Auf einer privaten Feier in Brasilia, an der zahlreiche Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen und Botschaften vertreten waren, erlaubte ich mir die provokative Feststellung, dass Lula wohl deshalb so massiv von den USA und der EU unterst\u00fctzt werde, weil er leichter zu kontrollieren sei als Bolsonaro. Zu meiner \u00dcberraschung stie\u00df ich nicht auf Widerspruch, sondern auf Zustimmung. Damit ist ein Dilemma angesprochen, in dem Lula steckt. Einerseits will und darf er seine G\u00f6nner und Unterst\u00fctzer im Westen nicht entt\u00e4uschen, andererseits muss er ber\u00fccksichtigen, dass viele seiner inl\u00e4ndischen Anh\u00e4nger keinesfalls wollen, dass Brasilien wieder ein Opfer des Neokolonialismus wird und der brasilianische Pr\u00e4sident nur Befehlsempf\u00e4nger des US-Botschafters ist. Was LGBT und den angeblichen Schutz des Amazonasurwalds betrifft, unterwirft sich Lula widerspruchslos den Vorgaben aus Washington und Br\u00fcssel. Beim Ukrainekrieg hingegen nicht, um ein entgegengesetztes Beispiel zu geben. Ebenso ist nicht vorgesehen, die BRICS Staaten zu verlassen. Auch das geplante gemeinsame W\u00e4hrungsprojekt mit Argentinien deutet in eine andere Richtung, denn ein solches Projekt w\u00fcrde zweifellos die Position des US-Dollars in der Region schw\u00e4chen.<\/p>\n

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Bolsonaro wurde in Deutschland von den Rechten \u00e4hnlich wie Donald Trump als \u201eein Mann, der aufr\u00e4umt\u201c gefeiert. Wie viel ist von diesen Hoffnungen Ihrer Meinung nach \u00fcbriggeblieben?<\/em><\/strong><\/p>\n

Bolsonaro fiel durch zwei Verhaltensweisen auf. Gro\u00dfe und teilweise dummes Spr\u00fcche zu klopfen und diesen keine Taten folgen zu lassen. F\u00fcr eine deutsche Zeitung f\u00fchrte ich kurz nach der Wahl Bolsonaros ein Interview mit dem inzwischen leider verstorbenen Senator Olimpio aus S\u00e3o Paulo, der damals einer der wichtigsten Verb\u00fcndeten Bolsonaros war.\u00a0 Olimpio hoffte in dem Gespr\u00e4ch noch, dass Bolsonaro eine rechte Agenda durchziehen w\u00fcrde, darunter die Bek\u00e4mpfung des organisierten Verbrechens und der allseitigen Korruption. Kurz darauf entzweiten sich die beiden, weil Bolsonaro seinen Versprechen keine Taten folgen lie\u00df. Viele Anh\u00e4nger Bolsonaros projizieren Erwartungen in diesen, die er weder erf\u00fcllen konnte noch wollte.<\/p>\n

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Brasilien nimmt immerhin fast die H\u00e4lfte der s\u00fcdamerikanischen Fl\u00e4chen ein. Dr\u00fcckt sich dies auch in seinem Einfluss auf den Kontinent aus?<\/em><\/strong><\/p>\n

Die Gro\u00dfmacht Brasilien \u00fcbt schon aufgrund ihrer geopolitischen und wirtschaftlichen Bedeutung eine Hegemonie im s\u00fcdamerikanischen Halbkontinent aus. Argentinien, das lange Zeit als Hauptkonkurrent galt, fiel inzwischen weit zur\u00fcck. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass wie von mir erw\u00e4hnt beide L\u00e4nder Bestrebungen ank\u00fcndigten, eine gemeinsame W\u00e4hrung, den \u201eSur\u201c einzuf\u00fchren. Inwieweit dieses Projekt jemals Realit\u00e4t werden kann, bleibt dahingestellt, da beide L\u00e4nder inzwischen wirtschaftliche Welten trennen. So hat Brasilien beispielsweise eine Inflation von unter 5%, w\u00e4hrend Argentinien eine solche von fast 100% aufweist. Schon bald nach der Ank\u00fcndigung wurde dann erl\u00e4uternd von einer \u201egemeinsamen Werteeinheit\u201c gesprochen, worunter man die Vorstellung verbindet, finanzielle Transaktionen zwischen den beiden L\u00e4ndern nicht mehr auf Dollarbasis, sondern auf Basis des neu zu schaffenden \u201eSur\u201c zu t\u00e4tigen. In jedem Fall erkennt man, dass in S\u00fcdamerika nichts ohne brasilianische Beteiligung l\u00e4uft. Und in Zukunft erst recht nicht.<\/p>\n

Verschiedene PT-Regierungen finanzierten gro\u00dfe Infrastrukturma\u00dfnahmen in \u201ebefreundeten\u201c L\u00e4ndern wie Kuba oder Venezuela, was immer wieder zu heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen f\u00fchrte. Es wurden ideologische Interessen unterstellt, die innerbrasilianischen infrastrukturellen Notwendigkeiten zuwiderliefen. Auch die neue Regierung unter Lula ist sich der Tatsache bewusst, dass Brasilien eine aktivere Au\u00dfenpolitik vor allem auch gegen\u00fcber den Nachbarl\u00e4ndern betreiben muss als ihre au\u00dfenpolitisch weitgehend passive Vorg\u00e4ngerregierung.<\/p>\n

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Deutschland hat sich in der Vergangenheit w\u00e4hrend der Amtszeit Bolsonaros au\u00dfenpolitisch sehr zur\u00fcckgehalten. Teilweise sogar \u00e4hnlich wie gg\u00fc. US-Amerika in der Trump-\u00c4ra ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt. Der Staatschef wurde hierzulande als rechtsextrem und verr\u00fcckt betitelt. Nun war sogar der Bundespr\u00e4sident Steinmeier kurz nach der Amtseinf\u00fchrung Lulas vor Ort. Im Zentrum bundesdeutscher Interessen soll der Regenwald stehen. Bolsonaro hat sich klar aus deutscher Sicht eher umweltfeindlich zum Regenwald positioniert. Er sieht ihn als wirtschaftliche Ressource, wie er mehrfach unmissverst\u00e4ndlich klargemacht hat. Wie wird das Thema in Brasilien aufgefasst? Glauben Sie, dass es zu einer Ann\u00e4herung zwischen den Deutschen und Brasilien kommen wird?<\/em><\/strong><\/p>\n

Hier muss zun\u00e4chst einmal festgestellt werden, dass in der ersten Amtszeit von Lula 2003 \u2013 2007 und nicht unter Bolsonaro die umfangreichsten Abholzungen des Regenwalds stattfanden, ohne dass es deshalb h\u00f6rbare Proteste seitens der deutschen Politik, Medien oder Umweltverb\u00e4nde gegeben h\u00e4tte. Diese Tatsache beweist, dass es besagten Kreisen nicht um den \u201eErhalt des Regenwalds\u201c geht, sondern dass dieses Ziel vorgeschoben wird, um ganz andere Interessen zu vertreten. Andererseits stie\u00df es in Deutschland auf Befremden, dass auch Lula in der Ukrainekrise eine neutrale Position bezieht und Waffenlieferungen an die Ukraine ausschlie\u00dft. Eine gewisse Ann\u00e4herung zwischen beiden L\u00e4ndern wird sicher stattfinden, aber gro\u00dfe Freundschaftsbezeugungen sind nicht zu erwarten. Deutschland spielt in der brasilianischen Au\u00dfenpolitik eine untergeordnete Rolle.<\/p>\n

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Wie stellen Sie sich als ethnisch Deutscher eine deutsch-brasilianische Politik vor?<\/em><\/strong><\/p>\n

Das Primat der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen Staates sollte wieder mehr Beachtung finden. Das gilt vor allem f\u00fcr Deutschland. Die deutsche Regierung sollte das beachten, was ich in meiner Eingangsbemerkung feststellte. Brasilien ist eine Gro\u00dfmacht und kein Befehlsempf\u00e4nger. Man sollte tunlichst vermeiden, sich in der Wortwahl zu vergreifen. Das gilt beispielsweise f\u00fcr Themen wie R\u00fcstungslieferungen an die Ukraine und Schutz des Regenwalds. Besserwisserei und der erhobene Zeigefinger sind hier mehr als deplatziert. Die deutsche Industrie ist nach wie vor in Brasilien investiert. Volkswagen und Mercedes und viele andere deutschen Unternehmungen haben hier gro\u00dfe Niederlassungen gegr\u00fcndet. Gleichzeitig gibt es im S\u00fcden des Landes, darunter vor allem im Bundesstaat Santa Catarina zahlreiche Auslandsdeutsche und Brasilianer deutscher Abstammung. Diese verdienen und erwarten mehr Unterst\u00fctzung seitens der Bundesregierung.<\/p>\n

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Bolsonaro soll vor der Amtseinf\u00fchrung von Lula nach Florida samt seiner Familie ausgewandert sein. Das klingt nach Angst vor Verfolgung. Ist diese berechtigt? Ist mit Repressalien von Seiten der Linken zu rechnen? Wenn, welche Zielgruppen sehen Sie, denen diese gelten sollen?<\/em><\/strong><\/p>\n

Es gab drei Erkl\u00e4rungen, warum Bolsonaro und seine Frau Michelle kurz vor der Amtseinf\u00fchrung Lulas nach Florida ausreisten. Erholungsurlaub, Bolsonaro wollte Lula nicht die Amtssch\u00e4rpe umlegen und damit seine Wahlniederlage offiziell zugeben oder Flucht vor Strafverfolgung. Inzwischen kristallisiert sich immer mehr heraus, dass das letztgenannte Motiv das eigentliche war. Mittlerweile wurde bekannt, dass Bolsonaro bzw. seine Frau Michelle im Zusammenhang mit dem Verkauf einer Raffinerie von Saudi-Arabien Juwelen im Werte mehrerer Millionen als Geschenk erhalten hatte. Ob dies den Strafbestand der Bestechung erf\u00fcllte oder nicht, bleibt noch unklar, zeigt aber, dass die neue Regierung versucht, Bolsonaro strafbewehrte Handlungen anzulasten. Ziel ist dabei offensichtlich, eine zuk\u00fcnftige Unw\u00e4hlbarkeit Bolsonaros durchzusetzen und somit einen wichtigen Konkurrenten dauerhaft auszuschalten.<\/p>\n

Gegen die bereits erw\u00e4hnten St\u00fcrmer der Geb\u00e4ude in Brasilia ging und geht die neue Regierung mit gro\u00dfer H\u00e4rte vor. Ganz im Gegensatz zu vergleichbaren Taten von Linksextremisten, die fast immer ohne gr\u00f6\u00dfere Konsequenzen f\u00fcr die T\u00e4ter bleiben, wurden an besagtem 8. Januar bis zu 1 300 Personen verhaftet, mehrere Tage unter unw\u00fcrdigen Bedingungen festgehalten und schlie\u00dflich gegen 56 Anklage erhoben. Die Konten finanzieller Unterst\u00fctzer wurden gesperrt, ohne dass diesen vorher juristisches Geh\u00f6r gew\u00e4hrt wurde. Auch die PL wurde bereits Ziel staatlicher Repressionen. Ihre Forderung, die genauen Umst\u00e4nde der Wahl aufzukl\u00e4ren und behauptete Unregelm\u00e4\u00dfigkeiten zu untersuchen wurde mit einer hohen Geldstrafe f\u00fcr die Partei beantwortet, ohne auf die erhobenen Vorw\u00fcrfe auch nur einzugehen. Es steht allerdings zu vermuten, dass mit sich legender Aufregung nach dem hitzigen Wahlkampf sich diesbez\u00fcglich die Wogen wieder gl\u00e4tten werden. Um regieren zu k\u00f6nnen, braucht Lula den Kongress und kann sich die st\u00e4rkste Partei und deren Verb\u00fcndete nicht zum Todfeind machen.<\/p>\n

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Wie steht es mit der politischen Rechten in Brasilien? Gibt es echte rechte Bewegungen abseits vom Mainstream? Wie steht es mit anderen rechten bis rechtsradikalen Parteien? Gibt es hier ideologische Vordenker mit nennenswerten Erfolgsaussichten?<\/em><\/strong><\/p>\n

Die mit Abstand gr\u00f6\u00dfte Partei auf dem rechten Sektor ist die liberal-konservative Partido Liberal (PL), auf die ich bereits mehrfach Bezug genommen habe. Es ist eines der wenigen Verdienste Bolsonaro, dass er ein Klima schaffte, das es m\u00f6glich machte, eine solche Partei in dem ansonsten ideologiefernen Brasilien auf die Beine zu stellen. Diese Einsch\u00e4tzung teilte auch Senator Olimpio in dem erw\u00e4hnten Interview, indem er sinngem\u00e4\u00df sagte, dass Bolsonaro den Weg frei machte f\u00fcr rechtes und konservatives Gedankengut. \u201eBolsonaro hisste als erster und im Alleingang die Fahne der Rechten\u201c, meinte der Senator damals w\u00f6rtlich. Leider folgten dem Anspruch und den Worten keine entsprechenden Taten.<\/p>\n

Es gibt sicherlich kleine nationalistische und monarchistische Gruppen, die in der \u00d6ffentlichkeit aber nicht wahrgenommen werden. Die einzige mir bekannte Ausnahme bildet die Gruppe Nova Resist\u00eancia (Neuer Widerstand) unter Leitung des Anwalts und Bloggers Raphael Machado. Die Gruppe orientiert sich an der Vierten Politischen Theorie von Alexander Dugin. Inwieweit sie von dort offizielle Unterst\u00fctzung erf\u00e4hrt, ist mir nicht bekannt. Sie verf\u00fcgt inzwischen \u00fcber mehrere hundert Mitglieder in verschiedenen Bundesstaaten. In diesem Zusammenhang muss hinzugef\u00fcgt werden, dass die Brasilianer traditionell sehr unpolitisch sind und es schwer ist, Menschen f\u00fcr die politische Arbeit zu begeistern.<\/p>\n

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Wo sehen Sie Brasilien in 5 Jahren?<\/em><\/strong><\/p>\n

Zum Abschluss also ein Blick in meine Kristallkugel. Voraussagen treffen zu wollen, die mehr als ein Ratespiel sind, halte ich f\u00fcr wenig hilfreich. Im Prinzip sind mehrere Entwicklungen m\u00f6glich. Eine Entwicklung in Richtung Venezuela, also eine sich links tarnende Kleptokratie halte ich aus den schon genannten Gr\u00fcnden f\u00fcr eher unwahrscheinlich. Eine Verfestigung linksliberaler Strukturen in Anlehnung an die Demokraten in den USA oder die deutsche Ampelregierung wird stark davon abh\u00e4ngen, ob sich die \u201eVorbilder\u201c lange genug halten werden oder an ihren Unzul\u00e4nglichkeiten scheitern werden. Eine rechte oder auch monarchistische Zukunft halte ich momentan f\u00fcr am unwahrscheinlichsten, da, wie die F\u00e4lle Trump und Bolsonaro zeigen, die Rechte weder organisatorisch noch inhaltlich oder intellektuell auf die Macht\u00fcbernahme vorbereitet ist.<\/p>\n

Bis auf weiteres gehe ich von einem Weiterwursteln aus, wobei zumindest kurzfristig repressive Tendenzen gegen\u00fcber der politischen Konkurrenz von liberal-konservativ bis rechts zu erwarten sind. Allerdings ist der Staat in Brasilien weit weniger pr\u00e4sent als beispielsweise in Deutschland, was bedeutet, dass es wesentlich leichter ist, sich Freir\u00e4ume zu schaffen. Ein Vorteil, der nicht zu untersch\u00e4tzen ist.<\/p>\n

Au\u00dfenpolitisch wird der Emanzipationsprozess der Gro\u00dfmacht Brasilien gegen\u00fcber den USA nicht auf Dauer aufgehalten werden k\u00f6nnen. Auch die Dankbarkeit Lulas seinen G\u00f6nnern gegen\u00fcber d\u00fcrfte an Grenzen sto\u00dfen. Interessant ist der zweite Mann hinter Lula, der Vizepr\u00e4sident Geraldo Alckmin. Als ehemaliger Gouverneur des gr\u00f6\u00dften und wichtigsten Bundesstaates S\u00e3o Paulo ist er ein erfahrener Machtpolitiker und keineswegs nur ein einflussloser Stellvertreter des Pr\u00e4sidenten. Politisch steht er weiter in der Mitte als Lula und sollte dieser aus Alters- oder Gesundheitsgr\u00fcnden nicht weitermachen k\u00f6nnen oder d\u00fcrfen, wird Alckmin sicher mehr als nur ein Ersatzmann sein. Eines ist jedenfalls sicher. Brasilien wird langfristig betrachtet an Einfluss und Gewicht gewinnen.<\/p>\n

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Herr Bendel, ich bedanke mich f\u00fcr das Interview.<\/em><\/strong><\/p>","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

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