{"id":8823,"date":"2022-07-03T09:50:27","date_gmt":"2022-07-03T07:50:27","guid":{"rendered":"https:\/\/gegenstrom.org\/?p=8823"},"modified":"2022-07-04T07:04:14","modified_gmt":"2022-07-04T05:04:14","slug":"zum-weltbild-der-neuen-rechten","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/gegenstrom.org\/en\/zum-weltbild-der-neuen-rechten\/","title":{"rendered":"Zum Weltbild der Neuen Rechten"},"content":{"rendered":"
Bei diesem Text handelt es sich um einen Diskussionsbeitrag von dem deutschen Germanisten und Publizisten J\u00fcrgen Schwab<\/strong>. Der Autor, der bereits 2011 mit seinem Buch „Die Manipulation des V\u00f6lkerrechts“ auf sich aufmerksam gemacht hatte, befasst sich hierbei mit Alexander Dugins geopolitischen Weltbild. Nicht zuletzt sieht der eigentlich nationalorientierte Schwab u.a. durch die Ukraine das Gro\u00dfraumprinzip best\u00e4tigt. Der Beitrag dient zur nun neu aufflammenden geopolitischen Debatte innerhalb der Rechten, die sich bisher stark auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine beschr\u00e4nkte. Schwab stellt hierbei wichtige Fragen zum bestehenden V\u00f6lkerrecht, die es von rechts zu er\u00f6rtern gilt. Die Redaktion<\/em><\/p>\n Welches Weltbild liegt dem Denken und Handeln der Neuen Rechte zugrunde? \u00a0\u0336\u00a0 Das Weltbild der Neuen Rechten ist zum einen gegen die Vorstellung universeller Menschenrechte gerichtet, wie dies Alain de Benoist in seinem Buch \u00fcber die Menschenrechte formuliert hat. Demnach erh\u00e4lt der einzelne Mensch nicht von Geburt an durch ein \u201eNaturrecht\u201c liberaler, sozialistischer, christlicher, islamischer usw. Art seine Rechte, sondern ausschlie\u00dflich von seiner staatlichen Gemeinschaft, in die seine Eltern schon hineingeboren sind. Benoist schreibt: \u201eNur in einem politischen Rahmen, in einer gemeinsamen politischen Lebenswelt, kann ein Mensch Rechte haben [\u2026].\u201c[1]<\/a><\/p>\n Daran ankn\u00fcpfend ist zum anderen das Denken der Neuen Rechten, wie das der Rechten \u00fcberhaupt, von der Idee einer multipolaren Weltordnung bestimmt. Das rechte Weltbild geht von einer erhaltenswerten Vielfalt der V\u00f6lker, Nationen und Kulturkreise aus. Diese Vielfalt soll sich auch machtpolitisch widerspiegeln.<\/p>\n Die Mehrheit der deutschen Neuen Rechten, so mein Eindruck, stimmt mit Alexander Dugin \u00fcberein, der seit Jahren die Idee einer multipolaren Weltordnung verficht.[2]<\/a> Dugin selbst vertritt als russischer Autor den \u201eEurasianismus\u201c, der das \u201ewestliche Weltbild, wonach der Planet in ein Zentrum (Angels\u00e4chsische Welt und Europa) und abgelegene Au\u00dfengebiete (S\u00fcdamerika, Afrika, Asien) gegliedert ist, strikt\u201c ablehnt. \u201eStattdessen sieht die Eurasianische Idee die Welt als eine Sammlung g\u00e4nzlich verschiedener politisch-kultureller und wirtschaftlicher Lebensr\u00e4ume, die miteinander korrespondieren.\u201c[3]<\/a><\/p>\n Dugin zufolge handelt es sich bei dieser multipolaren Weltordnung nicht um \u201eklassische Nationalstaaten\u201c, sondern um \u201eB\u00fcndnisse\u201c bzw. \u201ekontinentale Allianzen\u201c.[4]<\/a> Er nennt hierbei neben der westlichen Zivilisation, zu der vor allem Nordamerika und Westeuropa z\u00e4hlten, die orthodoxe (eurasische) Zivilisation, die islamische, die indische, die lateinamerikanische und die japanische Zivilisation,[5]<\/a> denen er die F\u00e4higkeit zuschreibt, als selbst\u00e4ndige Akteure einer solchen multipolaren Ordnung in Frage zu kommen.<\/p>\n Deutschland und Westeuropa sind nach dieser Lesart Bestandteile der westlichen Zivilisation, was ja leider tats\u00e4chlich die politische Wirklichkeit widerspiegelt, aber nicht so bleiben sollte.<\/p>\n Wichtig bei dem Duginschen Ansatz ist der Umstand, da\u00df er den Nationen innerhalb der kulturellen Gro\u00dfr\u00e4ume nur eine untergeordnete Rolle zuschreibt. \u00a0\u0336 \u00a0Genau daran l\u00e4\u00dft sich der Ukraine-Konflikt mit Ru\u00dfland festmachen. Beide L\u00e4nder z\u00e4hlen zur orthodox-christlichen Zivilisation, weshalb Dugin \u00a0\u0336\u00a0 und mit ihm Putin \u00a0\u0336\u00a0 die Ukraine f\u00fcr ihren eigenen, russischen Machtbereich beanspruchen.<\/p>\n Aber wie sieht es aus mit dem Selbstbestimmungsrecht der V\u00f6lker? Hat die Ukraine nicht das Recht, einen eigenen, auch und gerade von Ru\u00dfland unabh\u00e4ngigen Staat zu bilden, der sich unter Umst\u00e4nden einem feindlichen B\u00fcndnis, dem des Westens, der NATO, anzuschlie\u00dfen gedenkt? Nach der Auffassung von Dugin und Putin ganz gewi\u00df nicht. Ein Teil der deutschen Rechten, wenn auch die Minderheit, und die ukrainischen Nationalisten widersprechen dieser Gro\u00dfraumlogik; die ukrainische Unabh\u00e4ngigkeit, auch und gerade gegen\u00fcber Moskau, wird von diesem Kr\u00e4ften betont.[6]<\/a><\/p>\n Bei dieser rechten Meinungsverschiedenheit geht es um zweierlei Angst. Im Grunde genommen nimmt jede Seite f\u00fcr sich zu Recht in Anspruch Angst zu haben. Die Russen haben Angst vor der NATO, die ein eindeutig ru\u00dflandfeindliches Milit\u00e4rb\u00fcndnis ist; sie suchen Schutz vor ihr, f\u00fchren gegebenenfalls auch Pr\u00e4ventivkriege gegen NATO-Beitrittskandidaten (Georgien, Ukraine). Hingegen haben diejenigen Staaten, die fr\u00fcher Sowjetrepubliken gewesen waren bzw. dem Warschauer Pakt angeh\u00f6rten, Angst vor \u201edem\u201c Russen.<\/p>\n Und diese Angst ist ebenfalls nicht unbegr\u00fcndet, wenn man in die Geschichte geht. Millionen ukrainischer Bauern (Kulaken) und andere wurden in den 1930ern ermordet, in den Hunger getrieben. Als die russische Armee 1914 kurzzeitig Ostpreu\u00dfen besetzte und dort w\u00fctete, hatte man als Deutscher einen Vorgeschmack, was 1944 und folgende nicht nur in Ost- und Mitteldeutschland, sondern auch in anderen Gegenden Mittelosteuropas, an Vergewaltigungen usw. verbrochen wurde.<\/p>\n Na klar, Putin w\u00fcrde mir entgegenhalten, da\u00df die deutsche Wehrmacht schier seine Mutter in St. Petersburg (im Zweiten Weltkrieg Leningrad) in den Hungertot getrieben h\u00e4tte.\u00a0 \u0336\u00a0 Mir geht es auch gar nicht darum, gegenseitig alte Rechnungen aufzurechnen, sondern auf die Legitimit\u00e4t der Angst der Ostmitteleurop\u00e4er vor \u201edem\u201c Russen bzw. der Russen vor der NATO hinzuweisen.<\/p>\n Eine diplomatische L\u00f6sung des Gesamtproblems und des russisch-unkrainischen Konflikts im Besonderen kann nur gelingen, wenn man beide Angst-Positionen in die Verhandlungen einbezieht. Ehrliche und zugleich gewichtige Makler k\u00f6nnen hierbei nur die Wirtschaftsweltmacht Deutschland und die einzige rein kontinentaleurop\u00e4ische Atommacht Frankreich sein. Die BRD hat sich allerdings in letzter Zeit als m\u00f6glicher neutraler Makler selbst unm\u00f6glich gemacht, indem sie jetzt als Waffenlieferant in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg f\u00fchrt. Dort k\u00e4mpft die Bundeswehr nicht selbst gegen die Russen, daf\u00fcr die ukrainische Armee mit Bundeswehrwaffen.<\/p>\n Das \u201eNormandie-Format\u201c k\u00f6nnte aber grunds\u00e4tzlich nur gelingen, wenn diese beiden M\u00e4chte aus der NATO austreten. Denn erst wenn der amerikanische Scharfmacher, dem es um Weltherrschaft und nicht um eine eurasische Friedensordnung geht, aus dem Spiel genommen ist, wei\u00df Moskau, da\u00df in Berlin auch wirklich deutsche und in Paris auch wirklich franz\u00f6sische Interessen vertreten werden. Dem Franzosen traut man ja noch eher zu, franz\u00f6sische Interessen zu vertreten, aber der deutschen Regierung?<\/p>\n Die deutsche Neue Rechte stimmt, wie bereits erw\u00e4hnt, in ihrer Mehrheit in diesem Punkt mit Alexander Dugins Position einer multipolaren Weltordnung \u00fcberein.[7]<\/a> Der geistesgeschichtliche Ausgangspunkt stellt dabei Carl Schmitts Gro\u00dfraumkonzept dar.[8]<\/a> Er f\u00fchrte hierzu aus: \u201eEine Gro\u00dfraumordnung geh\u00f6rt zum Begriff des Reiches, der hier als eine spezifisch v\u00f6lkerrechtliche Gr\u00f6\u00dfe in die v\u00f6lkerrechtswissenschaftliche Er\u00f6rterung eingef\u00fchrt werden Reiche\u00a0 soll. Reiche in diesem Sinne sind die f\u00fchrenden und tragenden M\u00e4chte, deren politische Idee in einen Gro\u00dfraum ausstrahlt und die f\u00fcr diesen Gro\u00dfraum die Interventionen fremdr\u00e4umiger M\u00e4chte grunds\u00e4tzlich ausschlie\u00dfen.\u201c[9]<\/a><\/p>\n Schmitt lieferte damit im Jahr 1941 eine Antwort auf die amerikanische Monroedoktrin,[10]<\/a> derzufolge sich die USA \u2013 in Bezugnahme auf die europ\u00e4ische Kolonialgeschichte \u2013 eine Einmischung in inneramerikanische Angelegenheiten wandten. Wobei die USA sich 1917 sehr wohl milit\u00e4risch auf Seiten Gro\u00dfbritanniens und Frankreichs in den Ersten Weltkrieg einmischten, was diesen zuungunsten des Deutschen Reichs entschied.<\/p>\n Schmitt beanspruchte aus deutscher Sicht ein \u201eInterventionsverbot\u201c auch f\u00fcr einen zu schaffenden europ\u00e4ischen politischen Gro\u00dfraum. Die USA entschieden in der Folge auch ma\u00dfgeblich den Zweiten Weltkrieg zuungunsten des Deutschen Reiches und \u00fcben seitdem \u00fcber Westeuropa ihre Hegemonie aus. Seit dem Zerfall der Sowjetunion 1990 dehnt sich die von den USA dominierte NATO immer weiter nach Osten aus.<\/p>\n Bereits Schmitt verwies auf den Zwiespalt zwischen den Gro\u00dfraumpolitikern und den reinen Nationalstaatlern, indem er in seinem Vorwort seines Buches darauf hinwies, da\u00df das \u201eSelbstbestimmungsrecht der V\u00f6lker [\u2026] als Grundsatz heute anerkannt\u201c sei.[11]<\/a> Ihm selbst ging es aber darum, \u00fcber den \u201eabstrakten, im Allgemeinbegriff \u02bbStaat\u02bc liegenden Gebietsvorstellungen hinaus, den Begriff des konkreten Gro\u00dfraums und den ihm zugeordneten Begriff eines v\u00f6lkerrechtlichen Gro\u00dfraumprinzips in die V\u00f6lkerrechtswissenschaft einzuf\u00fchren.\u201c[12]<\/a><\/p>\n Genau diesen Zeilen entsprechend k\u00f6nnen wir auch heute den Streit auch unter deutschen Rechten beim Thema \u201eUkraine\u201c nachvollziehen. Liegt die ukrainische Regierung richtig damit, gegen\u00fcber Moskau auf das Selbstbestimmungsrecht der V\u00f6lker zu beharren, oder liegen die Gro\u00dfraumpolitiker und Gro\u00dfraumdenker richtig?<\/p>\n Ich meine, die Gro\u00dfraumpolitiker und Gro\u00dfraumdenker liegen richtig. Ich kann sehr wohl den Drang der Ukrainer nach einem eigenen nationalen Staat, f\u00fcr diesen auch mit der Waffe in der Hand einzutreten, nachvollziehen. Aber, bitte sch\u00f6n, auf was, auf welche Substanz st\u00fctzt sich diese ukrainische Selbst\u00e4ndigkeit als Nationalstaat in der politischen Wirklichkeit? In der Tat st\u00fctzt sich der Drang nach ukrainischer staatlicher Unabh\u00e4ngigkeit gegen\u00fcber Ru\u00dfland auf eine Abh\u00e4ngigkeit gegen\u00fcber \u2013 Dugin w\u00fcrde sagen \u2013 der westlichen Zivilisation, gegen\u00fcber der NATO, gegen\u00fcber deren F\u00fchrungsmacht USA, um es auf den Punkt zu bringen. \u2013 Wie ist es somit um die Glaubw\u00fcrdigkeit der ukrainischen Unabh\u00e4ngigkeitsbestrebung, die, um der russischen Abh\u00e4ngigkeit zu entkommen, sich in eine andere Abh\u00e4ngigkeit, der der USA, begibt, wirklich bestellt? Am Ende, sollte Ru\u00dfland das Tauziehen um die Ukraine verlieren, w\u00e4re Kiew ein politischer und milit\u00e4rischer Vorposten der USA, mit US-Milit\u00e4rbasen.<\/p>\n Worin besteht nun aber die L\u00f6sung der Misere \u2013 dies vor allem aus deutscher Sicht? \u201eDeutschland mu\u00df raus aus der NATO. Nur die Neutralit\u00e4t sichert das \u00dcberleben unseres Volkes. Ohne die NATO k\u00f6nnen wir einen G\u00fcrtel blockunabh\u00e4ngiger Staaten von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer initiieren \u2013 im Frieden mit Amerika und Russland.\u201c (J\u00fcrgen Els\u00e4sser[13]<\/a>)<\/p>\n Wenn Els\u00e4sser \u201eraus aus der NATO\u201c fordert, stimme ich ihm zu. Ob sich allerdings f\u00fcr Deutschland die Alternative zur NATO an einer \u201eNeutralit\u00e4t\u201c ausrichten sollte, ist zumindest zweifelhaft.<\/p>\n Neutralit\u00e4t ist die richtige Option f\u00fcr Schwache. Ich meine dies gar nicht abwertend bzw. herablassend. Als Deutschland nach 1945 von den Westalliierten und den Sowjets besiegt und geteilt war, das Land auch wirtschaftlich durch die Kriegsfolgen am Boden lag, w\u00e4re die Stalin-Note von 1952, die auf ein schwach bewaffnetes, neutrales Deutschland zwischen NATO und Warschauer Pakt gelegen abzielte, sicherlich eine sinnvolle Option gewesen, die uns die Wiedervereinigung gebracht h\u00e4tte.<\/p>\n \u00c4hnlich war damals die Situation f\u00fcr das kleine \u00d6sterreich, nur die verfassungsm\u00e4\u00dfige Neutralit\u00e4t erm\u00f6glichte den Abzug der Besetzungsm\u00e4chte, auch der Sowjets aus dem Osten des Landes. Neutral waren damals auch Finnland, Jugoslawien und Albanien. Also allesamt Staaten, die damals gut daran taten, sich vor den Russen und den Amis wegzuducken.<\/p>\n Ebenso ist die Neutralit\u00e4t sinnvoll f\u00fcr die Schweiz, die stark genug zur Landesverteidigung, aber zu schwach zur Entwicklung einer Hegemonie \u00fcber das eigene Territorium hinaus ist. Die Schweiz ist nicht reichsf\u00e4hig, \u00d6sterreich war dies mit Ungarn zusammen bis 1918. Deutschland ist bekanntlich zu gro\u00df, um sich \u2013 wie Els\u00e4sser meint \u2013 in der Weltpolitik neutral wegducken zu k\u00f6nnen, aber auch zu klein, um aus eigener Kraft eine Weltmacht zu sein. Nur indem Deutschland Europa oder Teile davon dominiert, k\u00f6nnte es ein Reich sein, das es in der Geschichte schon gewesen war. Im engen B\u00fcndnis mit Frankreich k\u00f6nnte Deutschland \u2013 als neues Karolingerrreich \u2013 wieder Weltmacht sein. Aber nat\u00fcrlich gut bewaffnet, notfalls wie Frankreich atomar, sofern nicht die anderen Atomarm\u00e4chte alle ihre Atom-Waffen aufgeben.<\/p>\n Neutralit\u00e4t ist f\u00fcr Deutschland in einer Phase der Schw\u00e4che eine Option, aber als viertgr\u00f6\u00dfte Volkswirtschaft der Welt und Exportvizeweltmeister ist f\u00fcr uns potentiell mehr drin. Und es wird auch von anderen, kleineren europ\u00e4ischen Nationen mehr von uns erwartet. Halten wir uns an Carl Schmitt, der einer \u201ereichsfeindlichen, neutralisierenden Geisteshaltung\u201c eine Absage erteilte. Es geht um die \u201eFrage, ob das Deutsche Reich eine neutralisierte, entpolitisierte, den Interventionen seiner Nachbarn ausgesetzte, schwache, oder aber die freie, sch\u00f6pferische Eigenschaft bew\u00e4hrende, starke Mitte Europas sein soll.\u201c[14]<\/a><\/p>\n J\u00fcrgen Els\u00e4sser, der freilich kein deutscher Machtdenker ist, sondern ein Russe ohne russischen Pa\u00df, wie dies in der Szene \u00fcber ihn sp\u00f6ttisch gesagt wird, kann die deutsche Machtposition nicht denken. Eine deutsche Neutralit\u00e4t w\u00e4re f\u00fcr Ru\u00dfland, so denkt er devot, die beste Option. Nicht unbedingt, denn eine neue europ\u00e4ische politische und milit\u00e4rische Gemeinschaft um den Kern Deutschland, \u00d6sterreich, Frankreich und die Beneluxstaaten gruppiert, k\u00f6nnte auch eng mit Ru\u00dfland zusammenarbeiten. Als Gerhard Schr\u00f6der von 1998 bis 2005 BRD-Kanzler gewesen war, tauchte sie auf, die Formel \u201eParis-Berlin-Moskau\u201c.<\/p>\n Nat\u00fcrlich w\u00fcrde eine solche Allianz nicht sofort bei allen Europ\u00e4ern zu Begeisterungsst\u00fcrmen f\u00fchren, vor allem nicht bei den Staaten, die einmal wie die Balten Sowjetrepubliken oder wie die Polen Zwangsmitglieder im Warschauer Parkt gewesen waren. \u2013 Aber diesen L\u00e4ndern k\u00f6nnte man eine Zusammenarbeit in sicherheitspolitischen Fragen schmackhaft machen, indem man ihnen eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit in Aussicht stellt. Wer wie die Ukrainer sich von der von den USA gef\u00fchrten NATO Befehle erteilen lassen m\u00f6chte, kann sich dann auch wirtschaftlich von den Amis \u2013 wie eine Nutte \u2013\u00a0 aushalten lassen. Ich fand es in diesem Kontext doch am\u00fcsant, da\u00df die polnische F\u00fchrung auf die Frage, woher sie nach einem Energie-Embargo gegen Ru\u00dfland ihr Gas beziehen will, zur Antwort gab: von der EU. Nur wer finanziert die bisherige EU oder ein neues Europa? Nicht die USA. Die vertreten ihre eigenen Interessen, nicht nur energiepolitisch.<\/p>\n F\u00fcr die Debatte im rechten Spektrum ist es wesentlich, ob man der Gro\u00dfraumordnung oder dem Selbstbestimmungsrecht der V\u00f6lker Vorrang einr\u00e4umt. Das Selbstbestimmungsrecht der V\u00f6lker f\u00fchrte n\u00e4mlich unter anderem zu dem heute g\u00fcltigen V\u00f6lkerrecht, demzufolge ein Angriffskrieg im nationalen Interesse verboten ist. Bis zum Ersten Weltkrieg hatte n\u00e4mlich jeder souver\u00e4ne Staat das \u201eius ad bellum\u201c, das Recht, auch aus nationalem Interesse Krieg zu f\u00fchren.<\/p>\n Selbstverst\u00e4ndlich standen hierbei die kleinen und schw\u00e4cheren Staaten in der Defensive gegen\u00fcber m\u00e4chtigen Fl\u00e4chenstaaten, die mehr Steuerzahler und Rekruten hatten. Das damalige Kriegsv\u00f6lkerrecht, wie es in der Haager Landkriegsordnung (1907) niedergeschrieben war, befa\u00dfte sich mit der Hegung des Krieges, also wie man m\u00f6glichst schonend mit Verwundeten, Gefangenen und der Zivilbev\u00f6lkerung umgeht. Der Krieg wurde gehegt, aber \u2013 auch als Angriffskrieg \u2013 nicht verboten. Dies sollte sich mit der V\u00f6lkerbundsatzung (1919), dem Briand-Kellogg-Pakt (1928), der UN-Charta (1945), den Genfer Konventionen (1949) und der Schlu\u00dfakte von Helsinki (1975) \u00e4ndern. Nun war es nur noch erlaubt, per UN-Mandat oder einen Verteidigungskrieg zu f\u00fchren. Der aus nationalem Interesse begr\u00fcndete Angriffskrieg war nun verboten.<\/p>\n Insofern schimpfen heute vor allem westliche Politiker und Journalisten gegen Wladimir Putin, dieser f\u00fchre einen v\u00f6lkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine (2022), wie schon gegen Georgien (2008) oder bei der Besetzung der Krim (2014). Das Referendum f\u00fcr Ru\u00dfland erfolgte nach der Annexion durch inoffizielle russische Milit\u00e4rangeh\u00f6rige.<\/p>\n Wir haben also von der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bis heute eine dreistufige Entwicklung des V\u00f6lkerrechts: lange Zeit durfte jeder souver\u00e4ne Staat aus welchem Grund auch immer Krieg f\u00fchren; danach war der national begr\u00fcndete Angriffskrieg verboten; heute genehmigen es sich auserw\u00e4hlte, starke Staaten, die zumeist \u00fcber Atomwaffen verf\u00fcgen, sich \u00fcber dieses Verbot des Angriffskrieges hinwegzusetzen, wie auch die USA gegen den Irak (2003) und im Kosovo (1998) gegen Jugoslawien.\u00a0 \u2013\u00a0 Es scheint sich also auch in Bezug auf das Kriegsv\u00f6lkerrecht ein faktisches Recht auf Angriffskrieg der Superm\u00e4chte bzw. derjenigen Staaten, die stark genug sind, kulturelle Gro\u00dfr\u00e4ume anzuf\u00fchren, durchzusetzen.<\/p>\n [1]<\/a>\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Alain de Benoist: Kritik der Menschenrechte. Warum Universalismus und Globalisierung die Freiheit bedrohen. Junge Freiheit Verlag, Berlin 2004 (= Edition JF), S. 139.<\/p>\n [2]<\/a>\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Vgl. Alexander Dugins Beitr\u00e4ge auf der Online-Seite \u201eKatehon\u201c: https:\/\/katehon.com\/de<\/p>\n [3]<\/a>\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Alexander Dugin: Konflikte der Zukunft. Die R\u00fcckkehr der Geopolitik. Bonus-Verlagm Selent 2015, S. 9.<\/p>\n [4]<\/a>\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Alexander Dugin: Konflikte der Zukunft, ebd., S. 9.<\/p>\n [5]<\/a>\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Alexander Dugin: Konflikte der Zukunft, ebd., S. 80.<\/p>\n [6]<\/a>\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Vor allem in der Kleinpartei \u201eDritter Weg\u201c finden sich Bef\u00fcrworter der Ukraine-Position. Diese Partei unterh\u00e4lt kameradschaftliche Beziehungen zum Bataillon Asow.<\/p>\n [7]<\/a>\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Siehe unter anderen Erik Lehnert in seinem dreiteiligen Aufsatz auf Sezession-Online: Die ukrainische Frage. Der Angriff Ru\u00dflands auf die Ukraine hat in Deutschland einen realpolitischen Schock ausgel\u00f6st. Ver\u00f6ffentlicht am 19.03.2022. – Bei Sezession kommt allerdings auch der Historiker und AfD-Politiker Stefan Scheil zu Wort, der eine antirussische Position in Geschichte und Gegenwart einnimmt. Vgl. You-Tube-Film \u201eAm Rande der Gesellschaft\u201c: Ukraine, Putin und eine historische Forschung, Nr. 27, ab Minute 21. \u00a0\u0336\u00a0 Stefan Scheil sieht das \u201edeutsche Interesse eher auf Seiten des Westens, was innerhalb der AfD nicht popul\u00e4r ist\u201c, Minute 23. G\u00f6tz Kubitschek sieht in der Ukraine und Osteuropa ein \u201eZwischeneuropa\u201c als Raum zwischen Deutschland und Ru\u00dfland; ab Minute 24. Kubitschek kritisiert, da\u00df die Ukraine sich als \u201eAufmarschgebiet\u201c f\u00fcr die NATO bzw. USA hergibt; Minute 25.Erik Lehnert m\u00f6chte mit Ru\u00dfland \u201egut auskommen\u201c; Minute 26.\u00a0 \u0336\u00a0 Bj\u00f6rn Clemens verficht auf der Online-Seite \u201eGegenstrom\u201c einen Verbleib Deutschlands in der NATO. Vgl. Bj\u00f6rn Clemens: Die NATO, Putin und das Ende der deutschen \u201ePussy-Politik\u201c. Ver\u00f6ffentlicht am 14.03.2022.<\/p>\n [8]<\/a>\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Carl Schmitt: V\u00f6lkerrechtliche Gro\u00dfraumordnung mit Interventionsverbot f\u00fcr raumfremde M\u00e4chte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im V\u00f6lkerrecht. [Erstausgabe Kiel 1939] Duncker & Humblot, Berlin 1991.<\/p>\n [9]<\/a>\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Carl Schmitt: V\u00f6lkerrechtliche Gro\u00dfraumordnung mit Interventionsverbot f\u00fcr raumfremde M\u00e4chte, ebd., S. 49.<\/p>\n [10]<\/a>\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Carl Schmitt: V\u00f6lkerrechtliche Gro\u00dfraumordnung mit Interventionsverbot f\u00fcr raumfremde M\u00e4chte, ebd., S. 22.<\/p>\n [11]<\/a>\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Carl Schmitt: V\u00f6lkerrechtliche Gro\u00dfraumordnung mit Interventionsverbot f\u00fcr raumfremde M\u00e4chte, ebd., S. 11.<\/p>\n [12]<\/a>\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0\u00a0 Carl Schmitt: V\u00f6lkerrechtliche Gro\u00dfraumordnung mit Interventionsverbot f\u00fcr raumfremde M\u00e4chte, ebd., S. 11.<\/p>\nMultipolare statt universelle Weltordnung<\/h2>\n
Alexander Dugin: Kulturelle Gro\u00dfr\u00e4ume statt Nationalstaaten<\/h2>\n
Carl Schmitts Gro\u00dfraumordnung mit Interventionsverbot f\u00fcr raumfremde M\u00e4chte<\/h2>\n
Die Ukraine best\u00e4tigt das Gro\u00dfraumprinzip<\/h2>\n
Raus aus der NATO<\/h2>\n
Neutralit\u00e4t \u2013 eine Option f\u00fcr Schwache<\/h2>\n
Welches V\u00f6lkerrecht?<\/h2>\n
Literaturhinweise<\/h2>\n