<\/p>\n
Dr. Bj\u00f6rn Clemens mit einem Beitrag zum aktuellen Paradigmenwechsel in der bundesdeutschen Wehrpolitik und einem analytischen Ausblick auf die geopolitischen Verschiebungen und Bindungen, die in diesen Tagen entstehen. Die langfristige Tragweite dieser Entwicklungen kann man nur mit einer gesunden Portion Humor und Ironie akzeptieren, sowie es Dr. Bj\u00f6rn Clemens im folgenden formuliert.<\/em><\/p>\n <\/p>\n Wie die Rollen der Beteiligten im Ukraine-Krieg, der am 24. Februar 2022 ausbrach, verteilt sind, ist derzeit in der deutschen Rechten heftig umstritten. Klar ist, dass \u201eder Westen\u201c, also die Vereinigten Staaten und ihnen nahestehende Organisationen seit Jahren die Ukraine zu untergraben suchen, um dort abh\u00e4ngige Regime zu errichten, die ihnen selbst dienstbar sind. Das tun sie nicht nur dort, sondern weltweit. Auch die Bundesrepublik Deutschland ist ein amerikanischer Vasall. Das l\u00e4sst Viele nach einem Ausbruch aus dieser Zwangslage suchen, um Deutschland endlich wieder zu einem souver\u00e4nen Staat zu erheben. Richtig ist auch, dass gerade wir Deutsche ein gutes Verh\u00e4ltnis zu Russland brauchen. Leider ger\u00e4t manchmal in Vergessenheit, dass die Russen sich uns nicht zuwenden w\u00fcrden, um uns einen Liebesdienst zu erweisen. Vielmehr m\u00fcssen wir zur Kenntnis nehmen, dass sie in \u00e4hnlicher Weise darum bem\u00fcht sind, ihre Machtposition auszubauen, wie der Westen auch (wie auch China, wie auch die T\u00fcrkei\u00a0 u.a.). Das Ziel Putins ist es, Russland wieder zu dem Imperium zu machen, das es zu Sowjet-Zeiten war. Wir sollten vorsichtig sein, ihm in der Ukraine edlere Motive zu unterstellen, als dem Westen. Der jahrhundertalte Imperialismus der Russen lebt in ihm wieder auf. Was das hei\u00dfen kann, ist aus der Geschichte bekannt: Die Liste der von Russland ehedem unterjochten kleinen V\u00f6lker reicht von Finnland bis zum schwarzen Meer und vom Zarenreich bis zu Stalin. Die Bilder aus Kiew zeigen, das dabei auch die altbekannte Brutalit\u00e4t am Werk ist.<\/p>\n <\/p>\n Die Ukraine ist in dieser Auseinandersetzung f\u00fcr alle Seiten nur ein Schachbrett im geopolitischen Spiel. Warum das so ist, hat der amerikanische Politologe und langj\u00e4hrige Pr\u00e4sidentenberater Zbiginiew Brzezinski in seinem Buch \u201eDie einzige Weltmacht\u201c von 1997 pr\u00e4gnant formuliert (S. 74): \u201eDie Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre blo\u00dfe Existenz als unabh\u00e4ngiger Staat zur Umwandlung Russlands beitr\u00e4gt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr … Wenn Moskau allerdings die Herrschaft \u00fcber die Ukraine mit ihren 52 Millionen Menschen, bedeutenden Bodensch\u00e4tzen und dem Zugang zum Schwarzen Meer wiedergewinnen sollte, erlangte Russland automatisch die Mittel, ein m\u00e4chtiges Europa und Asien umspannendes Reich zu werden.\u201c Damit ist das Motiv Russlands, das die Selbst\u00e4ndigkeit der Ukraine \u00fcbrigens 1994 anerkannt hat (daf\u00fcr verzichtete sie auf Atomwaffen!) f\u00fcr seine Invasion offengelegt \u2013 und das Motiv des Westens, namentlich der USA, f\u00fcr sein antirussisches Vorgehen gleicherma\u00dfen.<\/p>\n <\/p>\n Uns Deutsche eint mit dem ukrainischen Volk, dass wir auf dem Schachbrett die Figuren sind, und nicht die Spieler. Daraus folgt u.a. die bittere Erkenntnis, dass es f\u00fcr die Bundesrepublik derzeit keine Alternative zur NATO-Mitgliedschaft gibt: theoretisch denkbar w\u00e4ren zwar zwei Optionen denkbar, praktisch jedoch kaum: Die eine best\u00fcnde in einer Art Gegen-NATO aus Deutschland und Russland. Undenkbar ist aber, dass die osteurop\u00e4ischen Staaten, mit Ausnahme ggfs. von Wei\u00dfrussland, in einem solchen B\u00fcndnis mitwirken w\u00fcrden. Im Gegenteil, sie sind ja, wie Polen oder die baltischen Staaten, gerade um der Unabh\u00e4ngigkeit von Moskau willen der NATO beigetreten. Das hei\u00dft, ein solches Zweierb\u00fcndnis, in dem wir immer nur Russlands Junior-Partner w\u00e4ren, w\u00fcrde uns sofort in die sicherheitspolitische Gegnerschaft zu allen europ\u00e4ischen Nachbarstaaten f\u00fchren. Wo wir jetzt falsche Freunde haben, f\u00e4nden wir echte Feinde: vom NATO-Regen in die Russland-Traufe. F\u00fcr Russland w\u00e4ren wir dabei der ideale Puffer. Gegen\u00fcber der jetzigen Situation, in der wir der B\u00fcttel Washingtons sind, w\u00e4re das keine Verbesserung.<\/p>\n <\/p>\n Die zweite Option k\u00f6nnte eine europ\u00e4ische Verteidigungsgemeinschaft unter Ausschluss der au\u00dfereurop\u00e4ischen oder randeurop\u00e4ischen Fl\u00fcgelm\u00e4chte sein, also das, was Carl Schmitt eine Gro\u00dfraumordnung mit Interventionsverbot f\u00fcr raumfremde M\u00e4chte genannt hat (ein Spiegelbild zur US-amerikanischen Monroe-Doktrin aus dem 19. Jahrhundert). Ein solches Modell k\u00f6nnte nur unter deutscher F\u00fchrung gelingen, und das ist auch schon der Haken. Denn dazu brauchten wir Atomwaffen, die uns niemand zugestehen w\u00fcrde. Vor allem aber w\u00fcrden uns die anderen Mittelm\u00e4chte eine europ\u00e4ische F\u00fchrung nicht zugestehen; Polen nicht, Tschechien nicht, und Frankreich schon gar nicht. Diese Staaten suchen ja in der NATO nicht nur Schutz vor Russland, sondern auch vor Deutschland, das niederzuhalten eines ihrer wesentlichen Ziele ist. Wieder einmal m\u00fcssen wir den Fluch der geographischen Mittellage erkennen, der das W\u00fcnschenswerte zur Wunschvorstellung werden l\u00e4sst. Da wir aus ihr nicht ausbrechen k\u00f6nnen, m\u00fcssen wir uns mit den Nachbarn arrangieren mit allen, nicht nur mit Russland.<\/p>\n <\/p>\n Von all dem abgesehen w\u00e4re die Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer mentalen Verfassung gar nicht in der Lage, zu f\u00fchren. Sie ja nicht einmal in der Lage, eigene Interessen oder gar geopolitische Zusammenh\u00e4nge auch nur zu erkennen. Das offenbart sich derzeit wieder in aller Deutlichkeit: die Menschen h\u00e4ngen blaugelbe Ukraine-Fahnen in die Fenster, lassen die Kirchenglocken l\u00e4uten und f\u00fchlen sich erhaben dabei. Obendrein glauben sie, damit Politik zu betreiben. Ob solcher Zinnober den Opfern der Luftangriffe in Kiew hilft, ist sekund\u00e4r. Stattdessen fordern die Gutmenschen mit aufgeblasenem Emp\u00f6rungspathos allem und jedem politische Bekenntnisse zu ihrer eigenen moralischen \u00dcberlegenheit ab und ergehen sich in einem unreflektierten Putin-Bashing. Zum Akt des Kampfes gegen das B\u00f6se wird es dann, Auftrittsverbote f\u00fcr russische S\u00e4ngerinnen zu verh\u00e4ngen oder Altkanzler Gerhard Schr\u00f6der bei Borussia Dortmund auszuschlie\u00dfen. Den Gipfelpunkt des Unverstandes bildet wieder einmal die Bundesregierung, die Russland ernsthaft damit \u201edroht\u201c, kein Gas mehr zu kaufen und deshalb das Pipeline-Projekt Northstream2 k\u00fcndigt. Das ist die Logik eines S\u00e4uglings, der sich aus Bockigkeit gegen\u00fcber seiner Mutter weigert, den Brei zu essen. Nur merkt der S\u00e4ugling schnell, dass er sich damit selbst schadet und nicht der Mutter. Die Lichtgestalten an der BRD-Spitze merken das nicht.<\/p>\n <\/p>\n Soweit also die \u00fcbliche Traumt\u00e4nzerei politisch Minderbemittelter. Jedoch gab es diesmal tats\u00e4chlich eine gewisse Realit\u00e4tserkenntnis selbst bei ma\u00dfgeblichen Vertretern des Establishments. Denn unmittelbar nach Kriegsbeginn legten die milit\u00e4rischen Experten, wie beispielsweise der Generalinspekteur des Heeres, General Mais, in drastischer Deutlichkeit dar, dass die BRD selbst vollkommen schutzlos dasteht. Sie ist schlichtweg nicht verteidigungsf\u00e4hig. Die heruntergewirtschaftete Gurkentruppe der Bundeswehr k\u00f6nnte ihren verfassungsm\u00e4\u00dfigen Auftrag der Landesverteidigung keine Sekunde erf\u00fcllen. Das wei\u00df man seit langem. Doch nie ist es so klar zugegeben worden, ja mehr noch, es wurden sogar Konsequenzen angek\u00fcndigt, in Gestalt einer Aufr\u00fcstung im Wert von 100 Milliarden Euro. Man mag abwarten, ob den Worten Taten folgen. Jedenfalls wurde innerhalb von weniger als 24 Stunden offiziell mit einer unausgesprochenen Doktrin aufger\u00e4umt: Frieden und Sicherheit sind nicht zu haben, indem man die Waffen beiseite legt, sich an den H\u00e4nden fasst und \u201ewe shall overcome\u201c singt. Der bundesb\u00fcrgerliche scheinpazifistische Moral-Extremismus, bei dem es wichtiger war (und ist), Ampelm\u00e4nnchen zu gendern, als wehrf\u00e4hig zu bleiben, ist gescheitert. (Nebenbei bemerkt geht auch dieses existenzielle Defizit auf das Schuldkonto Angela Merkels.) Wenn also der Ukraine-Krieg das Ende der Pussy-Politik herbeif\u00fchren sollte, h\u00e4tte die menschliche Trag\u00f6die uns vielleicht auf makabre Weise eine heilsame Lehre erteilt. Wenn Deutschland diese Lehre beherzigen sollte, und mehr kann es derzeit nicht tun, w\u00fcrde es sich durchringen, endlich wieder zu einem ernstzunehmenden milit\u00e4rischen Staat und damit \u00fcberhaupt wieder zu einem Staat zu werden. Das k\u00f6nnte seine Bedeutung im NATO-B\u00fcndnis steigern; und wenn die Bedeutung steigt, dann steigt das Mitspracherecht. Dann w\u00e4re eines Tages vielleicht sogar die Zeit reif, dass wir es in unserem und im europ\u00e4ischen Sinne umgestalten k\u00f6nnten, um Europa zu einem eigenst\u00e4ndigen Faktor zwischen den Fl\u00fcgelm\u00e4chten zu machen. Damit k\u00f6nnte eines weiteren Tages vielleicht sogar die Hoffnung keimen, dass Europa und Deutschland wieder zum Spieler w\u00fcrden. Ja, eines Tages\u2026<\/p>","protected":false},"excerpt":{"rendered":" Dr. Bj\u00f6rn Clemens mit einem Beitrag zum aktuellen Paradigmenwechsel in der bundesdeutschen Wehrpolitik und einem analytischen Ausblick auf die geopolitischen Verschiebungen und Bindungen, die in diesen Tagen entstehen. Die langfristige Tragweite dieser Entwicklungen kann man nur mit einer gesunden Portion Humor und Ironie akzeptieren, sowie es Dr. Bj\u00f6rn Clemens im folgenden formuliert. 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