{"id":8554,"date":"2022-02-18T12:44:50","date_gmt":"2022-02-18T11:44:50","guid":{"rendered":"https:\/\/gegenstrom.org\/?p=8554"},"modified":"2022-02-18T12:44:50","modified_gmt":"2022-02-18T11:44:50","slug":"tom-dieke-buchbesprechung-was-wir-lieben-mussten-werner-braeuninger","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/gegenstrom.org\/en\/tom-dieke-buchbesprechung-was-wir-lieben-mussten-werner-braeuninger\/","title":{"rendered":"Tom Dieke – Buchbesprechung: Was wir lieben mu\u00dften \u2013 Werner Br\u00e4uninger"},"content":{"rendered":"
<\/p>\n
Romane, welchen den gegenw\u00e4rtigen \u201eUntergang des Abendlandes\u201c thematisieren, hatten in den letzten Jahren Konjunktur innerhalb des rechten Lagers. Sp\u00e4testens seitdem es zur Neuauflage von Jean Raspails \u201eHeerlager der Heiligen\u201c kam, hat dieses Thema immer wieder Bezug gefunden, insbesondere im deutschen und franz\u00f6sischen Sprachraum. \u201eGuerilla\u201c, \u201eDie Moschee Notre-Dame: Anno 2048\u201c, \u201eHermann muss fallen\u201c, \u201eSystemfehler\u201c und das vermutlich meistverkaufte Werk \u201eUnterwerfung\u201c von Michel Houellebecq, sind einige bekanntere Titel dieser Romangattung. Ihrem Wesen nach sind die meisten B\u00e4nde dystopischer Natur. \u201eWas wir lieben mu\u00dften\u201c des in den letzten Jahren durchaus pr\u00e4senten Autoren Werner Br\u00e4uninger verspricht, ein positiver Gegenentwurf, insbesondere zum Werk Houellebecqs zu sein.<\/p>\n
Br\u00e4uninger, der bis dato besonders durch seine Ver\u00f6ffentlichungen zu Themen des Nationalsozialismus (\u201eOdeonsplatz\u201c, \u201eFeldherrnhalle\u201c) und Faschismus (\u201eDux. Benito Mussolini oder der Wille zur Macht\u201c) von sich reden machte, reiht sich nun ein in die Riege derer, die ein uns alle betreffendes Thema literarisch verarbeiten und uns einen m\u00f6glichen zuk\u00fcnftigen Verlauf aufzeigen m\u00f6chten. Es ist sein zweiter Gehversuch im Bereich der Belletristik. Zuvor erschien die Novelle \u201eEine bleiche Erinnerung\u201c, ebenfalls im Arnshaugk Verlag.<\/p>\n
Der Hauptprotagonist ist der zu Beginn des Romans 48-j\u00e4hrige Tobias Fechter, welcher in Berlin lebt und vom Treiben um sich herum bereits lange Abstand genommen hat. Ausf\u00fchrlich wird er als einer der letzten Konservativen beschrieben. Ein Mann mit Etikette, Klasse, einem Auge f\u00fcr das Sch\u00f6ne und Edle (auch beim weiblichen Geschlecht), schlicht: geschmackvoll. Es sei angemerkt, dass die Beschreibung Fechters teilweise den Eindruck erweckt, als best\u00fcnden gewisse Parallelen zwischen der Figur und ihrem Autor. In seinem beruflichen Umfeld ist Fechter weitestgehend isoliert. Einen Freund wei\u00df er an seiner Seite, den Mustereinwanderer Riad, einen jungen \u00c4gypter, welcher mehr von deutscher Kultur versteht als die meisten Einheimischen und zu alledem auch noch freiwillig in sein Heimatland zur\u00fcckkehren m\u00f6chte. Gemeinsam halten Sie ausgedehnte Gespr\u00e4che \u00fcber die Missst\u00e4nde im Land und die ihnen zugrundeliegenden Ursachen. Zeitlich eingebettet verl\u00e4uft der Handlungsfaden beginnend von der Selbstt\u00f6tung eines europ\u00e4ischen Rebellen in der Kathedrale Notre-Dame bis hinein in das Jahr 2024. Tats\u00e4chliche Ereignisse und reale Pers\u00f6nlichkeiten bilden die Meilensteine der Handlung, wobei auch hinzugewobene Aspekte in der Vergangenheit eine Rolle spielen. Auch wenn der Autor alle Namen von Personen, Parteien, Organisationen und sonstigen Organen oder Ereignissen abwandelt, ist immer eindeutig erkennbar, worauf Bezug genommen wird. Die herrschende Kanzlerin, die \u201eMeduse\u201c (Angela Merkel) steuert das Land mit ihrer verfassungswidrigen Einwanderungspolitik in den Abgrund. Dazu gibt es eine jung-aktivistische Gruppe namens \u201eDefend Identity\u201c (Identit\u00e4re Bewegung) und eine einwanderungskritische Partei namens \u201eAllianz\u201c (AfD), welche im weiteren Verlauf des Romans noch eine entscheidende Rolle spielen wird. Wie im Klappentext angek\u00fcndigt, bem\u00fcht sich das Buch einen positiven Gegenentwurf zu skizzieren. Von daher ist an dieser Stelle nicht zu viel verraten, wenn am Ende die \u201eRemigration\u201c der nach der Gastarbeitergeneration eingewanderten Fremden in ihre Heimatl\u00e4nder steht. Wie wir dort hingelangen, sei dem interessierten Leser nicht vorweggenommen. Erw\u00e4hnt werden muss jedoch, dass die Spr\u00fcnge im Buch durchaus gro\u00df sind und sich dadurch auch keine wirklich schl\u00fcssige Erkenntnis ableiten l\u00e4sst, wieso diese \u201eRemigration\u201c am Ende tats\u00e4chlich gelingt. Viel eher klingen die Beschreibungen wie die Gedanken eines J\u00fcnglings, der von der Revolution tr\u00e4umt. Doch vorne angefangen.<\/p>\n
Den \u00fcberwiegenden Teil der Handlung spicken Zwiegespr\u00e4che des Protagonisten mit ihm in irgendeiner Form verbundenen Personen. Ansonsten geschieht wenig bis gar nichts. Es wirkt, als dienten diese Gespr\u00e4che letztlich nur als stilistisches Mittel zur Vermittlung von Argumenten, welche der Autor schon immer einmal auf den Tisch oder eben das Papier bringen wollte. Die Konversationen verlaufen holzschnittartig, ja fast k\u00fcnstlich ab. In der eigenen Vorstellung entsteht ein Bild, welches zwei Personen comicartig darstellt, denen willk\u00fcrlich Sprechblasen \u00fcber den Kopf gezeichnet werden. Es kommt kein richtiges Leben auf in diesem Roman. Das kann auch daran liegen, dass die Handlung und Geschehnisse als solches wenig einfallsreich sind. Die Bezugnahme auf tats\u00e4chliche Ereignisse (bspw. Die Selbstt\u00f6tung Dominique Venners, die K\u00f6lner Silvesternacht, den Juwelenraub aus dem Gr\u00fcnen Gew\u00f6lbe in Dresden) kann ihre Berechtigung haben, wenn der zuk\u00fcnftige Faden davon ausgehend ein bestimmtes Szenario stichhaltig ableitet. Doch stattdessen verwischen sich Realit\u00e4t und Fiktion bereits in der Vergangenheit, was dem Roman und insbesondere seiner positiven Zukunftsaussicht eher abtr\u00e4glich, weil schlicht unglaubw\u00fcrdig, ist. Gleichsam wirkt die Bezugnahme auf diese in der Realit\u00e4t existierenden Personen und Ereignisse etwas einfallslos. Es wird keine Kreativit\u00e4t im Leser hervorgerufen, da die Bilder bereits angelegt sind.<\/p>\n
\u00dcber endlos ausschweifende Unterhaltungen bewegt sich der Leser entlang des Zeitstrahls bis zum Ende. Das Br\u00e4uninger ein visierter Historiker ist, sollte den Lesern seiner B\u00fccher bekannt sein. Insbesondere sein Gro\u00dfessay \u201eFeldherrnhalle\u201c hat auch dem Autor dieser Zeilen sehr gefallen. Doch sp\u00e4testens Lesern seiner \u201eK\u00fchnen\u201c-Biographie d\u00fcrfte nicht entgangen sein, dass er zur absoluten Detailverliebtheit neigt. Diese wird in \u201eWas wir lieben mu\u00dften\u201c buchst\u00e4blich auf die Spitze getrieben. Historische Anspielungen (bspw. an Werke E. J\u00fcngers oder H. St. Chamberlains), wechseln sich ab mit ausgereiften Beschreibungen \u00fcber den Hauptprotagonisten (bspw. \u00fcber sein Parf\u00fcm, seine Hygienegewohnheiten und sexuellen Begehrlichkeiten in der Jugend). F\u00fcr den Verlauf der Handlung vollkommen irrelevante Randthemen werden bis ins letzte ausformuliert. Ein Beispiel: So wird bei der Beschreibung des Archivs, in welchem Tobias Fechter arbeitet, noch beil\u00e4ufig erw\u00e4hnt, dass hier 1934 die Erschie\u00dfung des SA-Gruppenf\u00fchrers Karl Ernst stattfand, welcher zuvor von seiner Hochzeit entf\u00fchrt wurde. Dies ist nur eines von unz\u00e4hligen Beispielen, in welchem dem Leser Informationen vermittelt werden, welche mit dem Geschehen innerhalb der Handlung absolut nichts zu tun haben. Wer die Fachgebiete Br\u00e4uningers kennt, kommt leicht zu der Vermutung, dass hier entweder noch nicht niedergeschriebenes Wissen endlich verpackt werden soll oder noch einmal aufgew\u00e4rmt wird. Wenn der Vorsitzende der Jugendgruppe \u201eDefend Identity\u201c, Marcel Loeper, im Laufe der Handlung niedergeschossen wird und sp\u00e4ter mit Epilepsie zu k\u00e4mpfen hat, erinnert dies doch unweigerlich an den damaligen Studentenf\u00fchrer Rudi Dutschke. Zumal Loeper mit seinem gewaltfreien Protest in direktem Widerstand zu einer Abspaltung der Gruppe steht, welche den bewaffneten Kampf (RAF?!) fordert. Eben jene ist es auch, welche im weiteren Verlauf einen NATO-Schie\u00dfplatz in Bergen-Hohne \u00fcberf\u00e4llt, indem sie niederl\u00e4ndische Soldaten entwaffnet und f\u00fcr den ersten Zeitraum unentdeckt Munition entwendet. Lesern der \u201eK\u00fchnen\u201c-Biographie sollte ein \u00e4hnlicher Vorgang bekannt sein. Wahrhaft kitschige Z\u00fcge nimmt diese historische Einf\u00e4rbung dann an, als die Gr\u00e4fin Christina, eine Vertreterin der \u201eAllianz\u201c, vor einem Industrieclub eine entscheidende Rede halten darf und aus Solidarit\u00e4t mit ihrer von Hunger und Leid gezeichneten Gefolgschaft das dortige Dinner ausfallen l\u00e4sst. Mehr Kampfzeitromantik geht nicht.<\/p>\n
Es sind Dinge wie diese, welche das Buch zu einem \u00fcberaus schwerf\u00e4lligen und wenig mitrei\u00dfenden Roman machen. Der Handlungsfaden selbst ist d\u00fcnn. 243 Seiten h\u00e4tten es zwar ohnehin schwer gehabt, einen stimmigen \u00dcbergang vom tristen Jetzt in eine bl\u00fchende Zukunft zu skizzieren, doch ein wenig mehr h\u00e4tte man diesen Schwenk schon erl\u00e4utern k\u00f6nnen. Stattdessen sind es vor allem die unz\u00e4hligen Randnotizen, welche seitenf\u00fcllend sind. Was bleibt, ist die wundersch\u00f6ne Sprache Br\u00e4uningers. F\u00fcr Freunde des gepflegten Ausdrucks ist die eloquente und vielf\u00e4ltige Sprechweise der Protagonisten mit Sicherheit ein Lesegenuss. Etwas, das in der heutigen Zeit den meisten Werken abgeht. Daf\u00fcr gibt es ein gro\u00dfes Plus. Ansonsten muss leider gesagt werden, dass \u201eWas wir lieben mu\u00dften\u201c, wie die eingangserw\u00e4hnten Romane, insbesondere aus dem deutschsprachigen Raum, inhaltlich nicht wirklich \u00fcberzeugen kann. Es mangelt an einer eigenen Idee, einem wirklichen Spannungsbogen und einer lebendigeren Darstellung aller Beteiligter (sowohl der \u201eGuten\u201c, wie auch der \u201eSchlechten\u201c).<\/p>\n
Die Intention, literarisch nicht immer im Vergangenen zu schwelgen, sei gelobt. Und nat\u00fcrlich k\u00f6nnen die nun erscheinenden B\u00fccher wenig prophetisch wirken, wie es bei Raspails \u201eHeerlager der Heiligen\u201c 1973 bei seiner Erstver\u00f6ffentlichung noch der Fall war. Die fremden Scharen sind jetzt nun einmal im Land. Und so richtig wei\u00df niemand, wie man sie wieder loswird. Das spiegelt sich auch in den j\u00fcngsten Ver\u00f6ffentlichungen dieser Gattung wieder. Schematisch folgen sie alle einem \u00e4hnlichen Muster: Kriminalit\u00e4t und Niedergang erreichen irgendwann ein Stadium, welches gepaart mit weiteren Krisen (Wirtschaftskrise, Blackouts) zu einem Umdenken und letztlich einer Erhebung im Volke f\u00fchrt, welche die Wende einl\u00e4utet. Ein solch linearer Verlauf hat im rechten Denken die letzten Jahrzehnte reichlich Anklang gefunden. Bisher hat sich jedoch gezeigt, dass das Volk, insbesondere das deutsche, sehr leidensf\u00e4hig ist. Weder die K\u00f6lner Silvesternacht, noch der Anschlag auf dem Breitscheidplatz oder die Tatsache, dass trotz Corona-Beschr\u00e4nkungen allein in Niedersachsen seit August 2021 monatlich rund 1.000 Ausl\u00e4nder ankommen (jeden Monat eine neue, kleine Gemeinde, die Lebens- und Wohnraum beansprucht) haben sichtbar zum Umdenken oder dem Bedarf nach einer Wende gef\u00fchrt. Eine wirkliche Herausforderung w\u00e4re es also, wenn ein Roman diese Lethargie aufgreifen und aus ihr ein bestimmtes Szenario entwickeln w\u00fcrde. Dies bietet \u201eWas wir lieben mu\u00dften\u201c nicht. Diejenigen, die noch keinen der eingangsgenannten Titel gelesen haben, k\u00f6nnen stellenweise mit Sicherheit ihre Freude haben. Es ist nicht \u00fcbertrieben zu sagen, dass der Roman die Zeit nach der Wende (\u201eReconquista\u201c) in den sch\u00f6nsten Farben malt. Auch die Sprache und einzelne Anekdoten k\u00f6nnen begeistern. Wer sich jedoch bereits einen oder sogar mehrere dieser \u201eUntergangsromane\u201c zu Gem\u00fcte gef\u00fchrt hat, f\u00fcr den stellt Br\u00e4uningers Werk leider nichts sonderlich Neues dar.<\/p>\n
\u201eWas wir lieben mu\u00dften\u201c von Werner Br\u00e4uninger ist im Arnshaugk-Verlag erschienen. 243 Seiten im sch\u00f6nen, soliden Hardcovereinband gibt es f\u00fcr 22,- \u20ac submitted<\/a> zu bestellen.<\/p>","protected":false},"excerpt":{"rendered":" Romane, welchen den gegenw\u00e4rtigen \u201eUntergang des Abendlandes\u201c thematisieren, hatten in den letzten Jahren Konjunktur innerhalb des rechten Lagers. Sp\u00e4testens seitdem es zur Neuauflage von Jean Raspails \u201eHeerlager der Heiligen\u201c kam, hat dieses Thema immer wieder Bezug gefunden, insbesondere im deutschen und franz\u00f6sischen Sprachraum. \u201eGuerilla\u201c, \u201eDie Moschee Notre-Dame: Anno 2048\u201c, \u201eHermann muss fallen\u201c, \u201eSystemfehler\u201c und […]<\/p>","protected":false},"author":31,"featured_media":8558,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"standard","meta":{"_et_pb_use_builder":"","_et_pb_old_content":"","_et_gb_content_width":"","_jetpack_memberships_contains_paid_content":false,"footnotes":""},"categories":[4],"tags":[1460,1461,1459],"class_list":["post-8554","post","type-post","status-publish","format-standard","has-post-thumbnail","hentry","category-deutschland-und-die-welt","tag-post-corona","tag-untergang-des-abendlandes","tag-werner-braeuninger"],"yoast_head":"\n