{"id":10100,"date":"2024-07-14T10:13:49","date_gmt":"2024-07-14T08:13:49","guid":{"rendered":"https:\/\/gegenstrom.org\/?p=10100"},"modified":"2024-10-12T08:39:20","modified_gmt":"2024-10-12T06:39:20","slug":"die-wahl-zum-europaeischen-parlament-rueckschau-analyse-und-ausblick","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/gegenstrom.org\/en\/die-wahl-zum-europaeischen-parlament-rueckschau-analyse-und-ausblick\/","title":{"rendered":"Die Wahl zum Europ\u00e4ischen Parlament \u2013 R\u00fcckschau, Analyse und Ausblick"},"content":{"rendered":"

Dominik Schwarzenberger analysiert die Wahlen zum Europ\u00e4ischen Parlament und betont deren Dynamik im Vergleich zu nationalen Wahlen. Er beschreibt die Wahl 2024 als „Schicksalswahl“, gepr\u00e4gt durch starke Polarisierung und eine Hysterie gegen rechte Parteien. Er konstatiert ein Erstarken nationalistischer Parteien und eine zunehmende Fragmentierung der politischen Landschaft in Europa.<\/em><\/p>\n

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Mit besonderer Leidenschaft verfolge ich seit jeher die Wahlen zum Europ\u00e4ischen Parlament \u2013 nicht wegen dieser Institution, sondern wegen der gleichzeitig stattfindenden Wahlen aller EU-Staaten. Es sind die so v\u00f6llig anderen Bedingungen, die sie von nationalen Abstimmungen unterscheiden: Wegen der offensichtlichen mangelnden Bedeutung des Parlaments, trauen sich die W\u00e4hler verst\u00e4rkt alternativ zu w\u00e4hlen, d.h. EU-Wahlen k\u00f6nnen ein Spiegelbild nationaler Entscheidungen sein, sind aber vielmehr eine Abrechnung mit der eigenen Regierung, ohne dass man taktische Momente ber\u00fccksichtigen muss[1]<\/a>. Kleinparteien und Au\u00dfenseiter k\u00f6nnen wegen der in vielen Staaten fehlenden Sperrklausel ins Parlament einziehen. Hier ist dann aufschlussreich, welcher Fraktion sie sich anschlie\u00dfen oder gar selbst initiieren. Diese Wahl fand unter anderen Bedingungen statt: ihre Brisanz k\u00fcndigte sich schon Wochen vorher an.<\/p>\n

\u201eSchicksalswahl\u201c <\/strong><\/p>\n

Der Wahl 2024 war im Vorfeld \u2013 wegen der f\u00fcr das Establishment einiger Staaten alarmierende Umfragewerte \u2013, eine Hysterie gegen rechts mit den unvermeidlichen Bekenntnissen zu Weltoffenheit, Toleranz und Akzeptanz des Andersseins vorausgegangen. Von \u201eSchicksalswahlen\u201c, die gleich die ganze EU und nationale Demokratien bedrohen, war da die Rede. Prominente meldeten sich mit Statements gegen rechts und riefen zu einer hohen Wahlbeteiligung auf und die offiziellen Medien beschworen den Kampf zur Verteidigung der Demokratie[2]<\/a>. Den Rechten wurde billiger Populismus, Hass und Hetze und die Spaltung der Gesellschaft vorgeworfen. Die Rechten selbst traten besonders in den \u00e4lteren EU-Staaten betont gem\u00e4\u00dfigt auf, grenzten sich von rechten Verwandten national wie international ab \u2013 doch es n\u00fctzte nichts: der Bannfluch des Extremismus traf sie alle und Brandmauern wurden beschworen.<\/p>\n

Bemerkenswert war, dass Parteien mit starker Anti-Rechts-Hysterie gepaart mit einem penetranten antirussischen Ukraine-Standpunkt, durchaus einen verschleierten Patriotismus[3]<\/a>, Frieden und ein \u201eBollwerk Europa\u201c gegen Putin forderten. Die \u201eFestung Europa\u201c ist ansonsten tabu und wird mit xenophober Abschottung in Verbindung gebracht.<\/p>\n

F\u00fcr taktisch geschickt hielt man au\u00dferdem das in einigen Staaten gesenkte Wahlalter, das den hippen Linksliberalen nutzen sollte. Alle Register wurden gezogen.<\/p>\n

Innerstaatliche Polarisierung<\/strong><\/p>\n

Insgesamt best\u00e4tigte sich meine globale Diagnose, wonach alle Staaten in unterschiedlichem Grad polarisiert[4]<\/a> sind: Zwei unvers\u00f6hnlich wachsende Pole \u2013 Progressisten (f\u00fcr die Poppersche \u201eOffene Gesellschaft\u201c) und Traditionalisten \u2013 zerreiben die breiten ideologischen Zwischenpositionen[5]<\/a>. Gem\u00e4\u00dfigte kompromissbereite Zwischenpositionen werden de-facto gedr\u00e4ngt, sich diesem oder jenem Extrem anzuschlie\u00dfen[6]<\/a>. Jeder Pol wirft dem anderen Spaltung und Schwarz-Wei\u00df-Denken[7]<\/a> vor, wobei h\u00e4ufig eine Asymmetrie besteht: Ein offensiver Pol erzeugt eine Reaktion, was den Gegenpol wachsen l\u00e4sst[8]<\/a>. Die EU-Staaten geh\u00f6ren nach meiner Klassifizierung noch zu den gem\u00e4\u00dfigt polarisierten. Hier stehen sich maximal die europ\u00e4ischen AfDs und Gr\u00fcne gegen\u00fcber (und nicht wie vorher die CDUs den SPDs), wobei die westlichen Christdemokraten von den Progressisten[9]<\/a> getrieben werden und die ost- und s\u00fcdeurop\u00e4ischen von den Traditionalisten.<\/p>\n

Mentalit\u00e4t der ideologischen Lager<\/strong><\/p>\n

Ich bin davon \u00fcberzeugt, dass sich alle politischen Lager Westeuropas in Blasen befinden und sich weitgehend von der Realit\u00e4t abgekoppelt haben. Wenn ich die g\u00e4ngigen Narrative der ideologischen heterogenen und zerstrittenen Lager beobachte, kann ich feststellen:<\/p>\n