Der Exit-Gedanke ist mittlerweile im konservativen Mainstream angekommen

von | 10. Dez. 2017 | Deutschland und die Welt

Es ist der erste Advent 2017. Ich sitze am Fenster und sehe den Schnee fallen. Dabei werde ich an zwei Dinge erinnert, die immer weiß sein sollten: Weihnachten und Europa. Leider ist beides nicht mehr selbstverständlich. Doch ein Artikel in einer neuen Zeitschrift vermag es, meine Melancholie zu vertreiben.

Kaum mochte ich meinen Augen trauen, als ich in der brandaktuellen zweiten Ausgabe der konservativen Zeitschrift „Cato“, dem „Magazin für neue Sachlichkeit“, die ersten Sätze des Aufsatzes „Der lange Weg nach Osten“ las, die aus der Feder des JF-Autoren Thorsten Hinz stammen: Der Kontinent könne in einen neuen Flickenteppich zerfallen, sobald Migranten und Einheimische begönnen, ihre Zonen abzustecken. Vielleicht versuchten autochthone Deutsche und Europäer auch, nach Osten auszuweichen …

In groben Zügen, aber mit einem Blick für das Wesentliche, zeichnet der Autor des „Cato“-Artikels zunächst die Entwicklungen im deutsch-deutschen Diskurs seit der Wiedervereinigung nach. Er konstatiert am Ende dieser knappen Ausführungen, dass bereits die Finanz- und Eurokrise die Reste des Ursprungsvertrauens in die Kompetenz des Westens zerstört habe, die forcierte Einwanderung nun jedoch das Fass zum Überlaufen bringe.[1] Die Gretchenfrage laute heute, „ob man seine Heimat dauerhaft mit einer nicht beherrschbaren Anzahl von Einwanderern aus dem afrikanischen und arabischen Raum teilen und die Risiken und Nebenwirkungen auf sich nehmen“ wolle.[2]

Die Polen, Ungarn, Tschechen und Slowaken möchten das bekanntermaßen nicht, ebenso wenig erscheint diese Entwicklung der Mehrheit der Ostdeutschen begrüßenswert. Der Spott, mit dem jenes „Dunkeldeutschland“ und die Visegrád-Staaten dafür in der Presse überzogen werden, zeugt von blindem Hass und maßloser Arroganz der betreffenden Journalisten – die Unkenrufe aus Brüssel und die Debatte um den Entzug von EU-Geldern für den Fall, dass osteuropäische Staaten es auch fernerhin wagen sollten, den Willen des Demos zu achten, vom Realitätsverlust westeuropäischer Politiker. Ist es nicht bezeichnend, in welcher Weise sich alle Welt über den Grenzzaun Viktor Orbáns oder die Mauerbauabsichten Donald Trumps entsetzte, während 2010 kaum eine Zeitung auch nur Notiz vom Bau einer Mauer an der Südgrenze Mexikos nahm, die das Land vor der Einführung von Rauschmitteln und dem Zustrom illegaler Migranten schützen sollte?[3] Und hat man schon jemals in der Tagesschau etwas von der Mauer vernommen, mit der Costa Rica sich von potentiellen Immigranten aus Nicaragua abschottet?[4] Vermutlich nicht … Es muss wohl als der Gipfel der Dreistigkeit gelten, wenn Mexiko zugleich ganz vehement und mit einer Aggressivität, die in bilateralen Beziehungen zu „befreundeten“ Staaten ihresgleichen sucht, eine effektive Grenzsicherung der Vereinigten Staaten zu verhindern trachtet.[5] Es sind in erster Linie[6] europäische Staaten, ob auf dem alten Kontinent oder in Nordamerika und auf der Südhalbkugel, die für das massenhafte Eindringen von sogenannten Bereicherern Verständnis aufbringen sollen. Doch genau dieses Verständnis geht den Osteuropäern und vielen Ostdeutschen nicht ohne Grund ab: „Sie alle sehen mit klarem Blick, daß die Verbreitung der okzidentalen Moderne, die Brüssel ihnen so dringend ans Herz legt, in Wahrheit das Eindringen einer afrikanisch-arabisch-islamischen Vormoderne bedeutet.“[7]

Es ist nicht davon auszugehen, dass Hinz mit den Schriften Arthur Kemps vertraut ist oder einen meiner Vorträge zum Thema „Nova Europa“ gehört hat. Trotzdem kommt er bei seinem „kühnen Blick in eine nahe Zukunft“ zu verblüffend ähnlichen Modellen. Zuvörderst mag dies seine Ursache darin haben, dass der JF-Autor von den gleichen Prämissen ausgeht, von denen auch Kemp und ich ausgehen. Er stellt fest: „Weite Teile Deutschlands und Europas wurden durch Verblendung, Leichtsinn, Bequemlichkeit, Opportunismus und Dummheit bereits verspielt. Die Macht- und Hegemoniefrage ist demographisch, kulturell, politisch, sozial gesellschaftlich und religiös vielerorts entschieden.“[8] Von dieser Einsicht ist es dann nicht mehr weit zu den folgerichtigen Schlüssen: „Welche historischen Perspektiven oder Handlungsoptionen bieten sich noch an? Den Westeuropäern, sofern sie an ihrer Identität festhalten wollen, bleibt wohl nur der elastische Rückzug nach Osten. Sie werden weite Teile der alten karolingischen Stammlande räumen und sich nach neuen Gebieten umsehen müssen.“[9] Westeuropa hingegen könne zu einem dynamischen „Geflecht aus Autonomiegebieten, Sezessionen, Abwanderungen und Neuansiedlungen, Ex- und Enklaven, Korridoren, Protektoraten und Kondominien werden“, in dem die angestammten Europäer nur eine Gruppe unter vielen sein würden. Voraussetzung für das Überleben der kleinen Siedlungen in Westeuropa wäre allerdings die Etablierung von politisch-wirtschaftlichen und geistig-kulturellen Kraftzentren in Ost- bzw. Mitteleuropa, die an die Stelle der heruntergekommenen westlichen Metropolen träten. In diesem Fall würde das östliche Europa einerseits das bevorzugte Siedlungsgebiet für die Westflüchtlinge werden, andererseits aber zugleich auch „eine Art Garantiemacht für die Europa-Fragmente im Westen bilden.“ Die Grenze zwischen dem segmentierten Westeuropa und dem kompakten Osteuropa verliefe aller Wahrscheinlichkeit nach etwa entlang der alten Jalta-Linie.[10]

Über die Deutschen bemerkt Hinz am Ende seines Artikels, dass für sie die Ostverschiebung noch am leichtesten zu bewältigen wäre: „Ihnen verblieben die neuen Länder, die um angrenzende Regionen arrondiert würden. Sie könnten zudem in den alten deutschen Siedlungsgebieten, in Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Böhmen und noch weiter östlich und südöstlich, auf historischem Boden jedenfalls, von dem sie einst vertrieben wurden, neue Wurzeln schlagen. Nicht als Anspruchsberechtigte, die sich auf ehemalige Grenzlinien, Eigentums- und Rechtstitel berufen würden, sondern als Neuansiedler, die die Hoheit der aktuellen Besitzer anerkennen und sich mit ihnen arrangieren.“[11] Den Polen, Tschechen und Ungarn hätten die Deutschen zu beweisen, dass ihre Ankunft für erstere nützlich sei.

Mag nun Thorsten Hinz von Kemps oder meinen Publikationen etwas gewusst haben oder nicht, in jedem Fall lässt sich nach dem Erscheinen seines Aufsatzes „Der lange Weg nach Osten“ im „Cato“ eines ganz unzweifelhaft feststellen: Der Exit-Gedanke ist mittlerweile im authentisch-konservativen Mainstream angekommen. Ob sich insgesamt ein Paradigmenwechsel abzeichnet, wird die nahe Zukunft entscheiden – unendlich viel Zeit bleibt nicht!

[1] Hinz, Thorsten, „Der lange Weg nach Osten“, in: Cato. Magazin für neue Sachlichkeit 2, 1 (2018), S. 8.

[2] Hinz, Thorsten, „Der lange Weg nach Osten“, in: Cato. Magazin für neue Sachlichkeit 2, 1 (2018), S. 8.

[3] Vgl. “Mexico to Build Southern Border Fence”, in: Inter Press Service, 6.10.2010.

[4] Vgl. Hawley, Chris, “Costa Rica Copes With Its Own Immigration Ills”, in: USA Today, 30.12.2010.

[5] Vgl. Taylor, Jared, White Identity. Racial Consciousness in the 21st Century, 32011, S. 194–200.

[6] Auch von Israel und Japan wird zuweilen eine solche Haltung gefordert.

[7] Hinz, Thorsten, „Der lange Weg nach Osten“, in: Cato. Magazin für neue Sachlichkeit 2, 1 (2018), S. 9.

[8] Hinz, Thorsten, „Der lange Weg nach Osten“, in: Cato. Magazin für neue Sachlichkeit 2, 1 (2018), S. 9.

[9] Hinz, Thorsten, „Der lange Weg nach Osten“, in: Cato. Magazin für neue Sachlichkeit 2, 1 (2018), S. 10.

[10] Siehe Hinz, Thorsten, „Der lange Weg nach Osten“, in: Cato. Magazin für neue Sachlichkeit 2, 1 (2018), S. 10.

[11] Hinz, Thorsten, „Der lange Weg nach Osten“, in: Cato. Magazin für neue Sachlichkeit 2, 1 (2018), S. 10.