Christentum als Wiege des Neoliberalismus oder Zeichen abendländischer Identität?

von | 14. Jun. 2017 | Debatte

In Zeiten des drohenden europäischen Untergangs scheinen sich viele Europäer, besonders in patriotisch-konservativen bis neurechten Kreisen, auf das Christentum zurückzubesinnen. Diesbezüglich wird immer vom Erhalt christlich-abendländischer Werte gesprochen. Allen voran berufen sich die Anhänger der patriotischen Plattform PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) auf christlich-abendländische Werte“. Doch stellt das Christentum in der Tat ein Synonym der abendländischen Identität dar oder diente es nicht eher als Wegbereiter der Globalisierung liberaler Prägung? Zwei nationale Vordenker, wobei einer sogar als Zugpferd der Neuen Rechten gilt, sind beispielsweise Vertreter der letzten, sehr provokanten, Theorie. Es handelt sich hierbei um Dr. Pierre Krebs und Dominique Venner. Ob man dieser These tatsächlich zustimmen kann oder eher nicht, soll im Folgenden untersucht werden.

Die Universalität des Christentums und des Neoliberalismus

Betrachten wir die These von Dr. Pierre Krebs, stellt das Christentum also den Urheber des „liberalen Westens“ mit seinem Egalitarismus und Individualismus dar. Der Liberalismus wird von ihm gar als Tochterideologie bezeichnet. Ähnlich argumentiert auch Dominique Venner, wenn er über das Christentum spricht.[i] In der Tat ist das Christentum neben weiteren Weltreligionen auch universalistisch und individualistisch ausgerichtet. Während bei Volksreligionen stets das Volk im Fokus stand, richtet das Christentum sein Hauptaugenmerk auf den Einzelnen. Der Religionswissenschaftler Prof. Gustav Mensching stellte dazu in seinem Werk Volksreligion und Weltreligion fest, dass mit dem Christentum „eine Entnationalisierung des zentralen religiösen Anliegens vollzogen“[ii] wurde. Im Christentum steckt jeder einzelne Mensch unabhängig von der Volkszugehörigkeit in einem Unheilszustand, den er nur durch Selbstverwirklichung bzw. Hingabe zu Christus überwinden kann. Zuvor fanden Mitglieder eines Volkes ihr Heil stets in der Gemeinschaft. Mit dem Christentum hat er sich nun ein „persönlichstes Leben“ gewonnen. Damit rückte also erstmalig der egozentrische Individualismus in den Mittelpunkt, den wir heutzutage auch im Liberalismus verkörpert sehen. Eine weitere Verknüpfung von Christentum und Liberalismus sieht Krebs in der Argumentation für die Legitimation der globalen Ausdehnung der beiden Lehren bzw. Ideologien. Zur Rechtfertigung für den expansiven Charakter des westlichen Liberalkapitalismus stützt man sich dabei häufig auf die Durchsetzung von „Menschenrechten“, die allzu gern mit „christlichen Werten“ vermengt werden. Den historischen Vorläufer sieht er bei der Missionierung während der Kolonialzeit,[iii] womit er auch Recht behalten sollte. Erschufen die Missionare unter dem Deckmantel der christlichen Heilslehre doch geradezu Arbeitssklaven für die Kolonialherren.[iv] Anders sieht es indes nicht beim Liberalkapitalismus aus, dessen dogmatische Lehre der grenzenlosen „One-World“ nur eine grenzenlose Freiheit und Bewegung von Vermögen und Ressourcen bedeutet. Hierbei geht es auch um den barrierefreien Transfer von modernen Arbeitssklaven. Doch dazu bedarf es, mit Attitüden der Menschenrechte, Angehörige eines Volkes aus ihren organisch-gewachsenen ethnischen Bindungen sowie Kulturkreisen herauszulösen. Auch das Christentum zerstörte mit der Missionierung der Lehre  Christi ethnisch-gewachsene Kulturen und Identitäten, wie beispielsweise Südamerika verdeutlicht.[v] Die beiden universalistischen Lehren eint zudem der Absolutheitsanspruch.

Das europäische Christentum als Identitätsstifter?

Obig wurde nun der universale Anspruch des Christentums und „ihrer Tochterideologien“ herausgestellt, der Menschen aus ihren ethnisch-identitären Bindungen herauslöst. Doch stellt sich die Frage, ob es nach globaler Verbreitung der christlichen Lehre wirklich zur absoluten Vereinheitlichung des Menschen und seiner Traditionen kam? Bei genauerer Betrachtungsweise wäre es doch zu abstrakt, wenn man von dem Christentum spricht. Es haben sich im Laufe der Zeit, seit Ausbreitung der christlichen Lehre, viele verschiedene völkisch-angepasste Modifikationen dieser Religion entwickelt. So ist beispielsweise der Voodoo-Zauber der afrikanischen Stämme mit dem Christentum verschmolzen, nachdem die Christianisierung auf dem Schwarzen Kontinent einsetzte.[vi] Auch in Europa gab es etliche solcher Verschmelzungen alter heidnischer Bräuche mit dem Christentum, wobei einige sogar als Hauptbestandteile dieser Religion angesehen werden. Denken wir dabei nur an das Setzen von Maien zu Pfingsten, was auf heidnisch-germanischen Wurzeln fußt, oder an das Johannisfest, zu Ehren des Apostel Johannes des Täufers, das eine christianisierte Form der germanisch-heidnischen Sommersonnenwende darstellt. Das Gleiche betrifft gar Ostern und Weihnachten. Die Geburt Christi, das wir auch als Weihnachtsfest kennen, ist eine christianisierte Form der Wintersonnenwende. Nach heidnisch-germanischer Überlieferung zieht Wotan bzw. Wodan mit seinem Totenheer, den Einheriern, durch die Lande und reißt die toten Seelen mit. Das ganze Spektakel nimmt am 21. Dezember seinen Lauf und endet am dritten Januar des Folgejahres. Bevor die Umstellung auf den gregorianischen Kalender erfolgte, fanden die zwölf Rauhnächte zwischen dem 24. Dezember und dem sechsten Januar des Folgejahres statt, was von der Kirche beibehalten wurde, denn der sechste Januar wurde zum Tag der drei heiligen Könige umgedeutet. Die Auferstehung Christis, also Ostern, fußt auf dem germanischen Frühlingsfest, der Tag- und Nachtgleiche. Es ist zwar wissenschaftlich sehr umstritten, dass es wirklich eine germanische Frühlingsgöttin Ostara gab, auf deren Namen sich Ostern ableiten lassen soll, dennoch kann mit eindeutiger Gewissheit behauptet werden, dass der Osterbrauch, außer christlich-umgedeuteter Bezeichnungen, nicht viel Christliches aufweist. Beispielsweise stellt das Ei ein Überbleibsel aus heidnisch-germanischer Zeit dar und symbolisiert ein Lebens- und Heilssinnbild. Auch die Osterfeuer erinnern eher an natur- und sonnenreligiöse Riten.[vii]

Dass das Christentum germanischen Bräuchen und Traditionen nur ein christliches Tuch überwarf, liegt natürlich zugrunde, dass die universale Botschaft auf eine völkisch differenzierte menschliche Wirklichkeit trifft. Denn die Heilsbotschaft soll jeder Mensch in seiner Sprache vernehmen und damit ist nicht nur das gesprochene Wort gemeint, sondern die Lebensweise der Völker an sich. Die universale  „Wahrheit“ war durch völkische Neu- und Umdeutung auch keineswegs  gehindert, ließ sie sich doch so leichter den Völkern vermitteln.[viii]

Fazit

Einerseits kann im Christentum durchaus der Wegbereiter des Liberalismus gesehen werden, denn mit ihr wurde erstmalig der Versuch unternommen, die Menschen trotz völkischer und kultureller Unterschiede zu vereinheitlichen, womit der Kirche, allen voran dem Papst, universelle Macht zukam. Jedes christliche Land führte von nun an Ablasssteuern an den Vatikan ab.  Mit der christlichen Lehre wurden die Grenzen also schon mal auf geistlicher und spiritueller Ebene eingerissen und auf dieser entstand eine erste Form der Globalisierung. Darauf ließen sich die universellen Folgeideologien, wie Liberalismus und Kommunismus, natürlich hervorragend aufbauen.

Zugleich kann im Christentum aber auch ein Identitätsstifter des europäischen Abendlandes betrachtet werden. Die Missionierung bzw. Christianisierung der Völker konnte nicht allein auf dem Wege des Schwertes erfolgen, weshalb den Verkündern der christlichen Lehre bewusst wurde, dass sie Kompromisse eingehen müssen. Diese Kompromisse bestanden mitunter darin, heidnische Feste in christlich-konservierter Form beizubehalten. Da diese Feste heutzutage zumeist nur noch im christlichen Zusammenhang zelebriert werden, stellt das Christentum eben den momentanen Träger dieser Bräuche dar, wodurch es  identitätsstiftend wirkt. Allerdings nimmt zumindest das institutionalisierte Christentum gemeinsam mit ihrer Tochterideologie, dem Liberalismus, gegenwärtig mehr eine identitätszerstörende Funktion ein. Besonders die Evangelische Kirche bildet hierbei die Phalanx. Keinerlei Protest ist von ihr zu vernehmen, wenn von Politikern „christliche“ Festtage aus Rücksicht auf andere Religionen umbenannt werden sollen, denn von Weihnachten soll am besten gar nicht mehr gesprochen und durch ein Winter- oder Lichtfest ersetzt werden. Aber auch die Katholische Kirche gibt sich mittlerweile große Mühe, christliche Werte mit liberalen Weltvorstellungen zu vermengen. Die grenzenlose Einwanderung und mit ihr einhergehende Zerstörung europäischer Identitäten rechtfertigen auch katholische Würdenträger im Tenor mit Vertretern der christlichen Tochterideologie, dem Liberalismus. So weisen sie ständig auf „Menschenrechte“ hin, deren Ursprung schließlich auch im Christentum zu suchen sei. [ix]     

[i] Vgl. P. Krebs, Im Kampf um das Wesen. Ethnosuizid in der multirassischgen Gesellschaft der judäochristlichen Zivilisation des Westens oder ethnokulturelle Neugeburt Europas in der organischen Demokratie indogermanischer Prägung?, 2. ergänzte Aufl., Horn u. a. 1997. S. 45; D. Venner, Für eine positive Kritik. Das Ende der alten Rechten, hrsg. und übers. von Robin Classen, Dresden 2017, S. 9. 

[ii] G. Mensching, Volksreligion und Weltreligion, Leipzig 1938, S. 35 f.

[iii] Vgl. Krebs, S. 45.

[iv] Vgl.Gert F.-J. v. Paczensky, Verbrechen im Namen Christi. Mission und Kolonialismus, München 2000, S.  

[v] Vgl. v. Paczensky, S.

[vi] Vgl. T. Thielke (21.11.2006), Christentum. Morgens Jesus, abends Voodoo, in: http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-49626792.html (Abgerufen am 05.06.2017).

[vii] Vgl. W. Goegginger, Volksreligion und Weltreligion im deutschen Brauchtum, Riga 1944, S. 129-145.

[viii] Vgl. Mensching, S. 36 f.

[ix] Vgl. Unbekannt (21.03.2016), Flüchtlinge: Was die Kirche tut in: http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/fluchtlinge-was-die-kirche-tut (Abgerufen am 07.06.2017).